Cäcilia

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„Schön ist es hier", denkt Cäcilia, während sie Hand in Hand mit Bruno durch den Park schlendert. Am Fluss bleiben sie stehen. Die Nachmittagssonne wirft glitzernde Strahlen auf das Wasser, und Cäcilia seufzt unwillkürlich tief auf. Zum Spazierengehen hat Alexander, ihr Mann, nie Lust.
„Ich bin nur am Wochenende zu Hause", pflegt er zu sagen, „und da möchte ich die Zeit zu Hause genießen. Im Job muss ich oft genug draußen rumlaufen." Das stimmt, Alexander arbeitet auf dem Bau. Seine Firma bekommt oft Aufträge in weit entfernten Städten. Das bringt es mit sich, dass er dort übernachten muss. Früher hat Cäcilia das gestört. Aber da kannte sie Bruno noch nicht. Bruno ist fast das genaue Gegenteil von Alexander. Er ist Freiberufler und arbeitet für eine Zeitung. Nebenbei schreibt er Bücher. Ab und zu zeigt er Cäcilia ein paar Auszüge, und sie ist überzeugt, dass er Talent hat. Natürlich ist es nicht nur das, was sie zu ihm zieht. Mit Bruno kann man sich unterhalten. Er hört ihr zu. Alexander hat ebenfalls seine guten Seiten. Sie haben den gleichen Musikgeschmack, und bis heute ist Alexander der einzige Mann, der sie zu Rockkonzerten mitgenommen hat. Außerdem liebt sie es, im Sommer für drei Wochen mit ihm an die Algarve zu fliegen.

Das schöne Wetter hat eine Menge Spaziergänger nach draußen gelockt, hauptsächlich Mütter mit ihren Kindern, aber auch einige Senioren, die den Vorgeschmack auf den Frühling genießen. Auf dem Fluss, der sich verwegen an der Seite des Parks entlang schlängelt, schwimmen ein paar Enten. Einige schnattern. Cäcilia stellt belustigt fest, dass es sechs Erpel sind, aber nur vier Entenfrauen und teilt Bruno ihre Beobachtung mit. Bruno lacht und sagt, dass die Männer auch mal in der Überzahl sein dürfen. Cäcilia schmiegt sich an ihn. „Das ist Glück", sinniert sie in Gedanken, „mit einem geliebten Menschen zusammen zu sein."

Bruno weiß nichts von Alexander.
Alexander weiß nichts von Bruno.

Und Cäcilia weiß, dass das so bleibt.
 
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Matula

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Nur missgünstige Menschen nennen so etwas "zweigleisig fahren" oder gar "Ehebruch".
Und hier wird ja immer wieder betont, dass man als Autor nicht mit erhobenem Zeigefinger schreiben soll.
Gut gelungen !

Schöne Grüße,
Matula
 

petrasmiles

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Und Cäcilia weiß, dass das so bleibt.
Ich nenne das Wunschdenken.
Und egal, wie man die moralische Seite betrachtet, was ich nicht tun werde, am Ende steht die Wahrscheinlichkeit, das jemand einen sieht und weiter erzählt. Und dann muss man sich den ganzen Implikationen stellen, die man bis dahin ausblenden konnte.
Dieser Idylle am Fluß wohnt - wie jeder Idylle - ihr Untergang inne.

Darüber kann man schreiben, aber ob es dann etwas Wahrhaftiges hat?
Bisher in meinen Augen nicht, aber glücklicherweise sind die Geschmäcker verschieden.

Liebe Grüße
Petra
 
Hallo Petra!

am Ende steht die Wahrscheinlichkeit, das jemand einen sieht und weiter erzählt. Und dann muss man sich den ganzen Implikationen stellen, die man bis dahin ausblenden konnte.
Dieser Idylle am Fluß wohnt - wie jeder Idylle - ihr Untergang inne.

Darüber kann man schreiben, aber ob es dann etwas Wahrhaftiges hat?
Ich habe eigentlich schon viel früher erwartet, dass hier jemand in dem Sinne Bedenken anmeldet :).

Aber in meiner Geschichte geht es gar nicht darum. Sie ist eine Momentaufnahme. So wie auf einem Bild auch alle bis in alle Zeiten auf dem Platz stehenbleiben, auf dem der Maler sie platziert hat.

LG SilberneDelfine
 
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petrasmiles

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Das ist Dir gelungen, nur der von mir markierte Satz springt daraus hervor - weil er eindeutig in eine Zukunft weist ... na ja, das kann ein hoffnungsvoll strahlendes Gesicht in einem Gemälde auch ... aber da unterscheiden sich eben Bild und Sprache, das Bild kann nur die Potenz zeigen, die ihm innewohnt, die Sprache weist darüber hinaus ...

Liebe Grüße
Petra
 



 
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