Cellist, Fagottist und Schlagwerker

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Alle Musiker im Orchester sind noch sehr jung und unter den Cellisten ist einer von den allerjüngsten. Er zeigt, während er musiziert, was das für ihn heißt: große Anstrengung, Spielfreude und tiefe Befriedigung. Seine bewegte Mimik und die rasch wechselnde Kopfhaltung führen es vor. Dem spätromantischen Orchesterstück ist dieses grandiose Schauspiel seiner Emotionen angemessen. Man muss gesehen haben, wie er die Backen aufbläst und wieder einzieht, die Augen aufreißt und die Brauen zu erstaunlichen Höhen emporhebt, den Kopf dabei erst schüttelt, ihn kreisen und dann aufatmend in die Normalhaltung zurückgleiten lässt. Seinem Ausdruck nach scheint er tief besorgt, ob die Darbietung gelingen könne. Die schwierigen Stellen zu meistern, es überfordert ihn – nur scheinbar, tatsächlich fegt er sein Cello sehr gekonnt. Dann wieder durchzittert ihn freudvoll das Gelingen. Er sitzt dem Dirigenten zu Füßen und wird von ihm bei einsetzendem Schlussapplaus aufgefordert, sich zu erheben und die Ovation des Publikums vorab als Einzelner dankbar entgegenzunehmen. Dabei wirkt er nicht mehr romantisch schmachtend, jetzt eher bubenhaft, wie ein Sportler, der auf einem Podium die Trophäe schwenkt. Übrigens ist er hübsch, hat unter dunklem Haarschopf ein rundes Gesicht wie auf spanischen barocken Gemälden.

Der mittelblonde Fagottist schräg über ihm (wenige Jahre älter) hat kaum Gelegenheit, wohl auch nicht das Verlangen, seine Kunstausübung auf ähnliche Weise zu unterstreichen. Er muss seine Lungenkraft stark einsetzen, seinen Odem in das Mundstück strömen lassen, die Tonfolge mit dem Fingerspiel modellieren. Da ist kein Raum für andere darstellende Kunst auf diesem Gesicht. Wenn er pausieren kann, hört er angestrengt auf das Spiel einzelner Musiker in seiner Nähe. Manchmal nickt er beifällig – Hürde gut genommen – oder er schaut kurz amüsiert drein. Dieser Fagottist ist kein Mime nebenbei, er scheint wie ein solider Arbeiter und dazu sachkundiger Kritiker von Kollegen zu sein.

Das große Orchester in oberster Reihe eindrucksvoll überragend, das ist die Position des dunkelblonden Schlagwerkers (ein ganz junger Erwachsener mit kleinem Kinn- und Oberlippenbart), gleichviel ob er gerade hinter seinen Instrumenten steht oder eine Zeitlang sitzen darf. Großgewachsen und schlank ist er und kommt nur an ausgewählten Höhepunkten zum Einsatz. Es wirkt feierlich, wenn er dazu aufsteht und dann das Paarbecken mit seinen Händen erdröhnen lässt, und immer noch achtunggebietend, wenn er mit den Schlögeln zwischendurch einmal die aufgeständerte weitere Beckenscheibe kurz zu bearbeiten hat. Die meiste Zeit schaut er, im Wechsel von Stehen und Sitzen, ruhig auf das Orchester unter ihm. Sein Gesichtsausdruck – geistvoll-empfindsame Züge und warmherziger Blick - spricht für konzentriertes Zuhören. Er hat beides, den Überblick und das komplette Klangerlebnis. So ist er der Gegenpol des Dirigenten: zwar auch mitwirkend, doch vor allem aufnehmend, sich berühren lassend, reflektierend. Wer möchte nicht gern an seiner Stelle sein und eine ähnliche Rolle spielen, im Leben überhaupt …
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber Arno,

eine ganz wunderbare Schilderung Deines Erlebnisses und die vorgenommenen Charakterisierungen.
Und sogar eine hübsche Pointe ...

Sehr gerne gelesen!

Liebe Grüße
Petra
 
Danke, liebe Petra, für Lob und Bewertung.

Das "Erlebnis" war übrigens kein singuläres, sondern wiederholtes Anschauen der Videoaufnahme eines öffentlichen Konzerts. Dabei wurden die Mitwirkenden ständig aus unterschiedlichen Blickwinkeln gefilmt, so dass der Betrachter daheim sie sehr gut studieren kann. Mich interessierte, wie sie außermusikalisch wirken, welche Typen es gibt und wie sich die individuelle Persönlichkeit und ihre Einstellung zum Orchester als Ganzes allein schon durch Mimik und Gestik während des Auftritts ausdrücken. Ein Jugendorchester wie dieses hier bietet da gutes Anschauungsmaterial, viel besseres als ein durchschnittliches aus reiferen Berufsmusikern. Diese jungen Leute spielten noch wie die leibhaftigen - Engel oder Teufel.

Schöne Abendgrüße
Arno
 
Hallo Arno,
Dein Beitrag erinnert mich an meinen Freund, mit dem ich vor langer Zeit mal zusammen war. Er hat nämlich an der Hans Eisler studiert. Trompete. Sein bester Kumpel Horn. Daher kenne ich ein paar junge Musiker. Mein Eindruck war eigentlich gar nicht so positiv. Mein Freund und sein Kumpel waren ja noch ganz normal. Die Anderen dagegen total elitär. Wenn ich im Wohnheim nach M. gefragt haben, hat mir keiner eine Antwort gegeben. Die kamen sich schon so vor, als wenn sie Glenn Gould oder Lang Lang wären. Besonders hochnäsig sind wohl die zukünftigen Dirigenten. Da habe ich mal bei einer Fete unvorsichtigerweise einen angeredet, obwohl mein Freund mich gewarnt hatte. Hat der Typ mich abfahren lassen.

Mir ist klassische Musik eigentlich zu bürgerlich. Natürlich nicht die Musik. Die Fans sind das Problem. Das letzte war ich gehört habe, war Ostern die Mathäuspassion live im Radio. Genial. Haut mich jedes Mal wieder um. Habe ich sogar auf dem mp3-Player. Natürlich kann man Klassik nicht völlig negieren.
Kennst Du zufällig von Elfriede Jelinek "Die Klavierspielerin? Eine geniale Entlarvung des Konzertbetriebes. Daran muss ich jetzt immer denken, wenn ich sie klimpern sehe. Man merkt schon, aus mir spricht ein Rockmusikfan. Da gehen mir beim Betrachten der Videos, die meist aus den siebzigern sind, die Augen über. Langhaarige Burschen mit Hemden, die bis auf den Bauchnabel aufgeknöpft sind. Das kann einen schon auf Gedanken bringen.
Gruß Friedrichshainerin
 
Danke, Friedrichshainerin, für die mitgeteilten Gedanken und Erinnerungen, auf die ich kurz eingehen möchte.

Das Abweisende an diesen Musikern könnte man vielleicht auch so erklären: Kunstausübung generell bedeutet Nervenanspannung und das kann im sonstigen Umgang mit anderen zu einer gewissen Unduldsamkeit führen. Sie muss also nicht Ausdruck der originären Persönlichkeit oder eines elitären Bewusstseins sein, man kann sie auch als eine Art von Berufsschaden auffassen. Ich erinnere mich an einen Mitschüler, der emsig ein Streichinstrument spielte (Bratsche?), es häufig iin einem großen Futteral mitschleppte und immer sehr introvertiert und kontaktarm wirkte. Zu meinem Erstaunen erfuhr ich später, dass er doch nicht Berufsmusiker hatte werden wollen, sondern Medizin studierte.

Eben las ich den Wikpedia-Artikel zu dem mir nicht näher bekannten Jelinek-Roman. Auch da findet sich u.a. der Komplex Anspannung und berufsbedingte Deformation der Persönlichkeit.

Ja, Dirigenten ... Auch ein lohnendes Thema. In dem meinem Text zugrunde liegenden Video gibt es auch einen von der Art, bei denen man befürchtet, dass sie beim Dirigieren vor lauter Enthusiasmus gleich durch die Decke gehen werden. Es wirkt jedoch bei ihm nicht gespielt, scheint echte Begeisterung zu sein und wirkt ansteckend, auf Orchester wie Zuhörer. Es gibt auch eine hübsche Cellospielerin, die von der Kamera häufig beobachtet wird, eine moderne Heilige Cäcilie mit asiatischen Zügen, ernst, konzentriert, tadellos.

Über das "bürgerliche" Publikum kann ich nicht mitreden, mangels Überblick. Doch ist "bürgerlich" ein gutes Stichwort. Es bezeichnet ursprünglich einen ökonomischen Sachverhalt, der auch soziologisch untersucht werden kann. Davon abgeleitet kann man von einem bürgerlichen Kunstgeschmack sprechen. Wie aber verhält es sich mit Rock & Pop? Mir scheint, hier ist das Ästhetische das Originäre und dann kamen Massengeschmack und enorme ökonomische Bedeutung hinzu. Diese Stilrichtungen haben sich gut verwerten lassen. Ihre wirtschaftliche Bedeutung ist sehr viel größer als die von Klassik. Das hat natürlich Folgen ... Das Aufbegehrende ist nur noch lange zurückliegende Historie. Im Vergleich dazu hat nun der Geschmack an Klassik selbst etwas Widerständiges bekommen - insoweit gar nicht mehr bürgerlich.

Schönes Wochenende
Arno
 

petrasmiles

Mitglied
Ihre wirtschaftliche Bedeutung ist sehr viel größer als die von Klassik. Das hat natürlich Folgen ... Das Aufbegehrende ist nur noch lange zurückliegende Historie. Im Vergleich dazu hat nun der Geschmack an Klassik selbst etwas Widerständiges bekommen - insoweit gar nicht mehr bürgerlich.
Lieber Arno,

das stimme ich Dir aus vollem Herzen zu.
Ich halte es für ein Stein gewordenes Vorurteil - das wohl von beiden Seiten gepflegt wird - klassische Musik habe etwas Elitäres und wäre dem 'Bildungsbürgertum' zuzuordnen.
Ich erinnere mich an diese Szene aus 'Amadeus', in der die Arien aus einer seiner Opern in einer ziemlich heruntergekommenen Spielstätte gezeigt werden und das sehr einfach Publikum die Sprache der Musik sehr gut versteht.
Distinktion ist gewollt - und wird am meisten von denen betrieben, die nicht 'dazu gehören', es aber unbedingt wollen.

Liebe Grüße
Petra
 
Hallo Arno,
Klassik ist auch zum großen Teil nur überlebensfähig durch die ganzen Subventionen, die sie erhalten. Die alternativen Musikstile müssen sich dagegen selbst erhalten. Wenn Bands größer werden und mehr fans ziehen, geht es auch oft um sehr viel Geld. Ich weiß, dass die Anarchie oft nur ein Pose ist. Aber im Anfang war es oft ehrlich gemeint. Die Musiker dort haben auch nicht diese Musikschulen ala "Die Klavierspielerin" durchlaufen, sondern sich die Gitarrengriffe selber beigebracht abgekuckt von Kumpels. Naja, auch nicht immer. Unser aller Liebling, Jimi Hendrix, hat sich sein Instrument sogar selbst gebaut. Oft kamen sie aus ganz schlechten Verhältnissen und wurden emotional vernachlässigt in ihren Elternhäusern. Irgendwie ahnt man Ähnlichkeiten. Bei Klassik stört mich gar nicht so die Musik. In der Philharmonie ist man aber von lauter Bildungsbürgern umgeben. Da fühle ich mich einfach nicht zugehörig. Übrigens über "Die Klavierspielerin" gibt es noch eine sehr gute Verfilmung mit Isabelle Huppert. Dadurch bin ich auch auf das Buch gekommen.
Gruß Friedrichshainerin
 

Matula

Mitglied
Guten Abend @Arno Abendschön.
eine hübsche kleine Betrachtung ist das, bei der auch das leicht Altmodische des gemeinsamen Musizierens mit Streich- und Blasinstrumenten zum Ausdruck kommt. Man erinnert sich daran, dass es noch zu Beginn des 19. Jahrhundert hieß, Frauen sollten nicht die Geige oder das Cello spielen, weil sie dabei so hässliche Grimassen machen müssen - von Blasinstrumenten natürlich ganz zu schweigen.

Schöne Grüße,
Matula
 
In der Philharmonie ist man aber von lauter Bildungsbürgern umgeben.
Sieht man ihnen diesen Hintergrund denn an? Mir fällt dazu Folgendes ein: Als ich noch sehr jung und unbedarft war, hatte ich eine Zeitlang näheren Umgang mit einem Endzwanziger, der fast jedes Wochenende ein Konzert besuchte. Er war Arbeiter bei Osram (Maschineneinrichter). Sein Geschmack war so konservativ, dass er sich viel darauf zugute hielt, bei Bruckner sei für ihn Schluss, und von Mahler und Bartók wollte er nichts hören.

Zum Thema Subventionen: Interessant ist, dass gerade die sozialistischen Staaten vor 1990 die klassische Musik wie überhaupt die traditionelle Kultur emsig pflegten. Es gab viele vorzügliche Orchester. Die Sowjetunion, die Tschechoslowakei und auch Rumänien vertrieben auf Tonträgern (LPs und auch schon CDs) Aufnahmen ihrer Ensembles im Westen und nahmen damit Devisen ein. Ab 1990 produzierten auch Westfirmen CDs mit Ost-Orchestern.
 



 
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