Charakter-Beschreibung: Liebenswert/Geliebt

ex-mact

Mitglied
Willkommen zur zweiten Runde dieser neuen "Fingerübung". Ein paar einleitende Worte zum Hintergrund gibt es hier: http://www.leselupe.de/lw/showthread.php?threadid=16631

Die Aufgabe diese Woche soll es sein, eine Figur zu charakterisieren, die "liebenswert" ist. Damit kann gemeint sein, daß der Protagonist diese Figur liebt - damit kann gemeint sein, daß die Figur einfach "grundsätzlich" Charaktereigenschaften hat, die "jeder" auf Anhieb als liebenswert empfindet.

Liebenswert kann sowohl rein körperlich verstanden werden als auch auf "inneren Werten basierend" - wobei mir letztere Version sympathischer erscheint und sicher besser zu beschreiben, sind äußerliche Merkmale doch sehr subjektiv und der Autor wäre gezwungen, gut nachvollziehbar zu erklären, warum sein Protagonist auf grüne, fersenlange Haare und eine bis zum Kinn hängende Nase "abfährt".
 

Antaris

Mitglied
Auto

Können Autos, insbesonders japanische Geländewagen, lieben? Ich versuche es mal mit einem Auszug aus einem alten Text.

Mein nächster Fahrer geriet nie in eine Verkehrskontrolle obwohl er gelegentlich sturzbesoffen die Scheibe herunterkurbelte und fröhlich lächelnd einer Polizeistreife zuwinkte. Die Polizisten lächelten genauso fröhlich zurück und ließen ihn gewähren. Mein Fahrer war Fischhändler und ich sollte den Verkaufsanhänger ziehen, aber weil er mehr soff als ich bekam ich tagsüber manchmal nur unregelmäßig Auslauf, dafür aber immer die gleichen Strecken. Die Touren durch das Nachtleben waren umso interesannter. Er war ein guter Mensch, er pflegte mich liebevoll, redete mit mir weitaus häufiger als mit seinen Exfrauen und einmal hatte er einem anderen Kneipenbruder gewaltig eine gesemmelt, bloß weil der mir an einen Reifen pinkeln wollte. Kinder mochten ihn aufrichtig, oft durften sie spaßeshalber eine Runde mit uns um den Block fahren. Im Winter kleidete er sich immer wieder in einen roten Kaputzenmantel, schnallte sich einen weißen Rauschebart an, schnappte sich einen wurmstichigen Knüppel und einen alten Kartoffelsack, und dann besuchten wir viele Kinder, die er mit vielen Geschenken beglückte. Keilriemen, Fische oder Wodkaflascchen waren nie dabei, wohl aber manches Modellauto, von dem das eine oder andere mir sogar ähnlich sah.

Mit feurigen Grüßen

Antaris
 

Charima

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Liebe Antaris!

Beim Lesen Deiner Geschichte wird Deine Frage sofort beantwortet. Und ob Autos lieben können! Super! Ich habe mich schlapp gelacht und sofort an die Frühlingslesung vor zwei Jahren gedacht! :D

Stellst Du die gesamt Autogeschichte mal in die Lupe, damit ich sie drucken kann? Oder hast Du das schon getan? Falls ja, wo finde ich sie dann?

Einen kreativen Start ins neue Jahr wünscht Dir herzlichst

Charima
 
R

Rote Socke

Gast
Die Berliner Zwillinge
von Volmar S. Paal

Seit vielen Nächten konnte Marcel Blockmann nicht mehr schlafen. Unruhig wälzte er stets im Bett herum und dachte an Sabine. Marcel erfuhr vor zwei Wochen, am Gründonnerstag, dass er kein Einzelkind war, sondern eine Zwillingsschwester hatte, nämlich Sabine Hager. Marcel stammte aus dem Waisenhaus, wo er vor 17 Jahren kurz nach seiner Geburt, aufgenommen wurde. Der leibliche Vater blieb unbekannt und die Mutter verstarb kurz nach der Entbindung. Als Marcel vier Jahre alt war, wurde er von Eva und Bruno Becker adoptiert. Am Gründonnerstag erzählten ihm Eva und Bruno die wahre Lebensgeschichte. Marcel wollte das nicht glauben. Als Zwillingskinder seien sie einfach nicht vermittelbar gewesen und deshalb getrennt worden. Sie und Sabines Adoptiveltern hätten davon nichts gewusst. Erst als ein neuer Verwaltungsdirektor das Waisenhaus leitete, flog das unmenschliche Geheimnis auf.
Marcel und Sabine wollten das erste Treffen alleine gestalten, ohne die Adoptiveltern. Sie hatten ausgiebig miteinander telefoniert und heute würden sie sich treffen. Marcel wartete bereits im Café Kranzler, plötzlich stand sie vor ihm. Er erhob sich und stellte fest, dass sie die gleiche Körpergröße und schlanke Figur hatten. Nur die Haare unterschieden sich. Er trug schwarzes, kurzes Haar und Sabine eine rote Lockenmähne. Gleich entdeckte er auch die kleinen Grübchen an ihren Mundwinkeln und das Strahlen der grünblauen Augen. Sie standen sich eine ganze Weile lächelnd wie verliebte Teenager Aug in Aug gegenüber. Sabine machte den ersten Schritt, dann umschlangen sie sich und ließen den Tränen freien Lauf. Nach einer Weile nahmen sie Platz und Sabine bestellte einen Cappuccino. Marcel bat den Kellner um die Weinkarte. Später, während Sabine aus ihrem Leben berichtete, konnte Marcel seine Augen nicht von ihr abwenden. Jedes einzelne Haar, die Augen, die Nase, der Mund, jede Hautpore in ihrem Gesicht wollte er sich einprägen. Das war also seine Zwillingsschwester und er spürte sofort eine große Sympathie für sie. Sabine erzählte vom bevorstehenden Abitur und dass sie danach Jura studieren wolle. Marcel hatte das Abitur abgebrochen und eine Lehre in der Gastronomie begonnen. Es erfüllte ihm mit großem Stolz, plötzlich eine zielstrebige und intelligente Schwester an seiner Seite zu wissen.
 

jon

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Teammitglied
Ich weiß nicht, warum – ich weiß nur, dass

(1991)
Melinda

Ich wünschte, dieses Mädchen wäre eine Geschichte. Eine Geschichte in meinem Leben. Dann könnte ich sie aufschreiben.
Aber Melinda ist keine Geschichte. Sie ist kaum mehr als ein Bild. Ein wunderschönes Bild. Das sah ich auf den ersten Blick. Sofort, als sie eintrat. Vielleicht fühlte ich es auch. Ich weiß nicht mehr genau.
Ich weiß nicht, wer vor ihr war. Irgendwer. Vielleicht jemand von dem Typ, der ewig in seiner Tasche kramt, ehe er sich soweit gesammelt hat, daß ich mit dem Testat beginnen kann. Oder einer, der unschlüssig dasteht und dem ich ausdrücklich den Stuhl mir gegenüber anbieten muß, ehe er sich setzt. Irgendwelche Studenten, die mit einer Nummer kommen und erst mit Namen und Gesicht da sind, wenn sie schon wieder gehen.
Melinda war sofort da. Nicht, weil sie so laut gewesen wäre. Im Gegenteil. Sie wirkte still und fremd. Wie man in anderer Leute Wohnung fremd ist. Ich hatte das Bedürfnis, das Mädchen bei der Hand zu nehmen und sie willkommen zu heißen. So als hätte ich nur auf sie gewartet. Auf dieses Gesicht. Auf dem zu Anfang mädchenhafte Scheu lag. Das so sanft wirkte. So weich gezeichnet. Wer dieses Gesicht mit spitzer Feder darzustellen sucht, hat schon verloren.
Ich habe eine Devise: Ich will keine Routine in meinen Fragen. Natürlich gibt es sie, aber ich versuche, sie zu brechen. Indem ich stur auswendig Gepauktes aufspüre und nachhake, korrigiere, präzisiere. Zusammenhänge zeige. Ich möchte, daß der Student hinterher sagt: Ich bin bei dem Testat klüger geworden. Dazu muß ich konzentriert zuhören.
Ich habe also Melinda zugehört. Ich habe dem Klang ihrer Stimme gelauscht. Er war samten. Wie ihre Haut. Weich wie ihr Haar, das braun mit rötlichem Schimmer in krauser Fülle ihr Gesicht rahmt. Melinda streicht es ab und zu mit einer verhaltenen Bewegung aus der Stirn. Es fällt immer wieder zurück. Ich bemerkte mich lächeln. Wie man jemand anderes lächeln spürt. Das rief mich zur Ordnung. Ich wandte mich wieder Melindas Worten zu. Und den Notizen, die sie auf das Blatt schrieb.
Ich brauche das. Notizen. Ich bin ein optischer Typ. Es irritiert mich, wenn jemand auf meine Fragen antwortet, ohne etwas zu schreiben oder zu zeichnen. Dann übernehme ich das. Doch die meisten halten sich gern selbst am Stift fest.
Ich fand mich schnell wieder in den Stoff. Stellte eine Zwischenfrage, die ich immer dort stelle. Melinda schaute auf.
Ihr Blick traf mich.
Ihr Blick traf mich, ehe ich mich dagegen wappnen konnte. Er knipste meine Gedanken aus wie eine Taschenlampe. Da blieb nur dieses tiefe, unergründliche, glühende Schwarz von Melindas Augen. Augen, in denen die ganze Welt liegt. Augen, die all das halten, was meine Phantasie mir je versprach.
Und dann nahm Melinda diesen Blick zurück.
Melinda nahm diesen Blick zurück, einfach so, ohne Mühe. Sie ahnte nicht, wie tief er mich erschüttert hatte. Melinda nahm diesen Blick zurück, und ich klaubte meine Gedanken aus allen Ecken des Universums zusammen.
Sie sprach. Ich korrigierte sie. Fragte nach. Ich schaffte es, mich auf das Fachliche zu konzentrieren. Versteckte mich dahinter. Ich sah nur manchmal heimlich in ihr Gesicht. Betrachtete den kleinen Mund, der sanft geschwungen ist und wie mit Seide bezogen. Man möchte ihn berühren, um sich von seiner Realität zu überzeugen. Ich dachte dabei - keine Ahnung warum - an eine dunkelrote Rosenknospe. Wirklich!
Ich bemerkte nicht sofort, daß das Mädchen einen Fehler gemacht hatte. Ich versuchte, ihr einen neuen Ansatzpunkt zu geben. Ich hörte mich wirres Zeug reden, mußte eine kleine Pause machen, um den Faden wiederzufinden, und schalt mich einen Idioten, daß ich mich so verlieren konnte.
Was mich nicht daran hinderte, auch in den weiteren drei Testaten Melindas Blick zu provozieren. Nur um mir zu beweisen, daß diese Augen ganz normale Augen wären. Und später - als ich mich abgeklärter glaubte -, um zu ergründen, woher sie ihre magische Kraft nahmen.
Ich habe dem Blick nie standgehalten.
Nach Melinda gab es viele. Peter zum Beispiel, dessen Lächeln mich aus dem Konzept brachte. Andreas, von dem ich bis heute nicht weiß, wieso ich mir sicher bin, daß ich ihn hätte lieben können.
Melinda aber ist das größte Wunder, das mir je begegnete. Zart, leise, von einer ruhigen Kraft erfüllt - wie ein stetiges wärmendes Feuer.
Unauslöschlich.
 

Agilhardt

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Eine Betrachtung

Ein warmer, lichtdurchfluteter Sommersonnentag neigte sich dem Ende zu. In dem alles vergoldendem Abendlicht sah ich sie auf der Bank sitzen, auf meiner Bank. Nein, jung war die Frau nicht mehr, die dort saß. Das Kind, das zwischen ihren Knien stand, mochte ihr Enkel sein. Ein wenig ärgerlich war ich schon, weil mein Lieblingsplatz besetzt war. Aber dann sah ich die Hände der Frau, die liebevoll über das Haar des Kindes strichen. Die Lippen der alten Dame bewegten sich, sie mußte das Kind irgend etwas gefragt haben, denn das kleine Wesen nickte ganz aufgeregt. Auf der Bank stand ein Korb mit frisch gepflückten Wiesenblumen. Mit ihren zierlichen, aber nicht dünnen Fingern, griff sie einzelne Blüten heraus, flocht sie in das Haar des Kindes. Immer wieder hielt sie inne, um ihr Werk zu betrachten. Dabei spielte ein leises Lächeln um ihren Mund, in ihren Augen sah ich tausend kleine Kobolde tanzen. So vertieft in ihre Zweisamkeit waren die Beiden, das sie mein Näherkommen nicht bemerkten. Ich blieb stehen und bewegte mich leise zur Seite fort. Das die beiden mich nur ja nicht bemerkten. Denn dieses liebenswerte Bild wollte ich nicht stören. Im Gegenteil, ich wollte es mit mir fort tragen, es in meinen Gedanken behalten.
 



 
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