Charlotte

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ahorn

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Charlotte

Bernd trat die Letzte der drei Rosenpflanzen fest. Charlotte war ihr Name. Er liebte Rosen, vergötterte sie. Ihr betörender Duft, ihre prachtvollen, farbenfrohen Blüten hatten es ihm angetan. Stunden verweilte er bei ihnen. Er pflegte sie, hegte sie.
Seitdem er nach dem Tode seiner Großmutter, gestärkt durch deren Erbe, sich ins Private zurückgezogen hatte, waren sie zu seinem Lebensmittelpunkt geworden. Walburga, Eclair, Grace, Martha, Henrike, Eva, Penelope, und Felicia hielten ihn in Schwung. Jetzt kümmerte es sich um Charlotte.
Die Arbeit plagte ihn nicht. Einzig ihr Bett zu gestalten, ihr ein Heim zu geben, ging ihm an den Rücken. Die Erde auszuheben, diese zu lockern, damit sie keine nassen Füße bekam, nahm ihn einen halben Tag in Anspruch. Aber das Wichtigste für eine lang anhaltende Blütenpracht war der Dünger. Langzeitdünger. All seine Nachbarn fragten ihn aus, wie er es vollbrachte, dass seine Rosen prächtiger gediehen als all die anderen. Seine Antwort war knapp, es sei der Dünger.
Bernd goss Charlotte an, dann schritt er in sein Haus. Nachdem er den Schweiß, den Dreck seiner Arbeit abgeduscht hatte, zog er sich seinen schwarzen Anzug an. In der Küche stellte er einen Wasserkessel auf den Herd, platzierte die Kaffeekanne seiner Großmutter samt dem Kaffeefilter auf den Küchentisch und füllte diesen mit handgemahlenen Kaffee auf.
Normalerweise brühte er sich seinen Kaffee mit der Maschine und befüllte diese mit Pulver aus der Tüte. Jedoch dieser Tag war etwas besonders. Bernd portionierte den von ihm am frühen Morgen gebacken Zuckerkuchen und drapierte diesen auf einem Teller, den er gleichsam von seiner Großmutter, wie alles in seinem Heim, geerbt hatte. Den Teller in der Linken schlenderte er ins Wohnzimmer, stellte jenen sodann auf dem Esstisch ab. Aus der Vitrine entnahm er zwei Sektgläser, öffnete eine Champagnerflasche und füllte ein.
Die beiden Gläser gefasst schritt er zurück in den Garten, zurück zu Charlotte. Er proste ihr zu, leerte das eine Glas in seine Kehle und das andere über ihr aus. Er nickte. Dann begab er sich erneut in die Küche, goss den Kaffee auf und nachdem die Kanne gefüllt war, marschierte er ein weiteres Mal ins Wohnzimmer.
Bedächtig schenkte Bernd sich eine Tasse Kaffee ein, legte ein Stück Zuckerkuchen auf seinen Kuchenteller und setzte sich an den Tisch. Er entzündete eine Kerze, genoss einen Schluck Kaffee, biss vom Kuchen ab. Sodann beugte er sich zur Seite und erfasste ein taschenbuchgroßes Päckchen von einem zweiten Stuhl.
Andächtig packte er dieses aus, strich über das gerahmte Foto und lächelte es an. Er stand auf. Kurz hielt er inne, dann schritt er zur Wohnzimmerwand. Die linke Hand an seine Brust gelegt, hängte er das Foto an einen Nagel. Es war vollbracht. Charlotte pendelte, gekrönt vom Foto seiner Großmutter Walburga, vereint in trauter Eintracht mit Eclair, Grace, Martha, Henrike, Eva, Penelope und Felicia.
 
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molly

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Hi ahorn,

der Rosenfreund mus ein "Blaubart" sein, denn seit wann richtet man für seine Rosen ein Bett und nicht ein Beet her?

Liebe Grüße
molly
 

ahorn

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Liebe Molly,
ein Beet für die Königin der Blumen. Denke an den Kleinen Prinzen. Würde er seiner Liebe, seiner Angebeteten ein Beet bereiten?

Hallo Hein,
ich danke dir dafür, dass du mir die Fehler aufgezeigt hast.

ich glaube, nach mehrmaligem Lesen habe ich das Geheimnis des Düngers erfasst.
Mein Schwerpunkt sind Krimis.
Triviale Morddelikte, die erst durch ihre Geschichte interessant werden.
Aber oft trügt der erste Schein, wenn man nicht jedes Indiz, jeden Hinweis aufnimmt. Die menschliche Seele sucht gerne das Abscheuliche, obwohl die Wahrheit weit weniger abschreckend ist. ;)

Liebe Grüße
Ahorn
 

Sinelenis

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Hallo Ahorn,

eine interessante Geschichte, die den Eindruck erweckt es handle sich bei den Rosen natürlich um Frauen.
Nun, was aber vermag der Dünger sein. Sekt?

Sinelenis
 

Lord Nelson

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Ach nee!

Und wieso hat Bernd dann für das "Bett" nen halben Tag lang gebuddelt?

Eine Rose gut einzupflanzen dauert, selbst bei tiefgründiger Lockerung, maximal ne Stunde. An einem halben Tag wäre dagegen ein menschliches Grab locker (Wortspiel!) auszuheben. Dieser Umstand hat mich in die Irre geführt, ebenfalls in Richtung "Blaubart".
 

molly

Mitglied
Hallo ahorn,
Dein Rosenfreund ist ein bedächtiger Mann, schon allein, wie er die kleine Feier des Bild aufhängens gestaltet. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass er so lange braucht, um seiner geliebten Rose ein "Bett" zu richten.
Immerwährende Liebe als Langzeitdünger, warum denn nicht? Jedenfalls wird der Rosenfreund seine Pflanzen hegen und pflegen, genau so wie seine Dankbarkeit für die verstorbene Tante, in deren Haus er leben darf.

Viele Grüße und danke für Deine rätselhafte Geschichte
molly
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich dachte spontan, der Dünger sei die verblichene Großmutter ...

Auf jeden Fall eine klasse Geschichte!

Hast Du Rosen in Deinem Garten?
:)

Viele Grüße

DS
 

hein

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Also, ich hatte auch eher an die sterblichen Überreste der Damen als Dünger gedacht. Ansonsten würde ich aus meiner gärtnerischen Erfahrung heraus Pferdemist für die Rosen empfehlen.

Die optimale Lösung wäre wohl : Mist ins Beet und Champagner im Bett. Dann klappt es mit den Rosen und mit den Damen.

LG
hein
 

ahorn

Mitglied
Lord Nelson, molly, DocSchneider und hein dank eueren amüsanten Kommentaren.

An einem halben Tag wäre dagegen ein menschliches Grab locker (Wortspiel!) auszuheben.
Lord Nelson bedenk, der gute Mann hat es mit dem Rücken.:oops:

Ich dachte spontan, der Dünger sei die verblichene Großmutter ...
DocSchneider schnelle Schlüsse sind oft daneben.
Wie soll dies den geschehen mit dem Dünger mit der Leich?
Keine offizielle Leich - kein Erbe. :rolleyes:

Liebe Grüße an alle
Ahorn
 



 
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