Charlottograd

r1d3

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Es war nicht weit weg. Charlottenburg, oder Charlottograd, wie Carli sich zu denken angewöhnt hatte, nachdem dort ein Auto beim Fahren detoniert war, GTA-Gangster-Style. Berlin war eben nicht bayerische Provinz. Hier arbeiteten die Kriminellen auch noch auf der Strasse, nicht in der Politik.

Also machte sich Carli auf den Weg. Er verließ sein Viertel. Dazu musste er zum Bahnhof, die Treppe hoch, ein Stück über die Brücke und runter zu den Gleisen. Es kamen ihm Leute entgegen. Auf der stinkenden Treppe waren es zwei Teenager, beide rauchten. Mehrere Fahrradfahrer auf der Brücke, dort auch ein Kinderwagen mit Familie und einzelne Passanten. Auf den letzten Metern vor der Treppe wurde Carli von einem hastenden Mann in Malerkleidung und Farbspritzern überholt, der die andere S-Bahn erreichen wollte.

Es war Nachmittag als seine Bahn kam. Schwül-sonnig mit wenig frischer Luft, Sommer.

Carli nahm die Sonnenbrille ab und setzte seine Kopfhörer auf.

Nach ein paar Stationen stieg er am Westend aus. Dort war es genauso stickig, nur etwas schattiger.

Sein Dealer wohnte nicht weit weg. Carli setzte seine Sonnenbrille auf und spazierte zu ihm.

Gemeinsam zündeten sie sich einen Joint an. Grell schien die Sonne zum Fenster herein. Ein leichter Hauch bewegte die hellen Vorhänge. Carli inhalierte das tolle Gras. Er hustete nicht. Er entspannte sich. Rauch entstieg seinen geöffneten Lippen. Bob Marley wollte er jetzt nicht hören und deswegen mischte er sich in die Musikdiskussion ein die Sergej mit seiner Freundin Bianca führte. Man einigte sich auf the Knife. Carli liebte es. Er war auch gerne vermittelnd tätig. Bei “Pass this on” ging ihm ohnehin einer ab. Der Nachmittag war brilliant, hell, klar und berühmt. Irgendwie hing Carli gedanklich in seinem Lateinunterricht fest. Aus der Zeit, in der er zu Kiffen begann.

Es war geil. Er hatte sich die Zukunft verbaut und unter Drogen fühlte sich das einzigartig gut an. Carli inhalierte erneut lustvoll. Dann gab er den Joint weiter. Sergej verkaufte ihm Gras im Wert von 50,-

Der Shit erleuchtete Carli. Lange schon hatte er nüchtern keine guten Gedanken mehr. Auch Bianca inspirierte ihn.

“Störts euch, wenn ich noch einen aufbaue?” erkundigte er sich vorsichtshalber. Sergej schien ein Joint willkommener als Zeit zusammen allein mit Bianca. “Klar, mach!”

Carli geizte nicht. Er wollte noch nicht nach Hause. Dort wartete nichts auf ihn.

Bianca war neugierig. Sie fragte ihn aus.

Was die Kommilitonen machten? Unter ihnen die weiblichen? Ob er mit Anna zusammen war, mit der er doch skaten ging.

Carli hatte kein Interesse, aber er nahm das Gespräch an und antwortete mit Gegenfragen.

“Kommen viel schräge Typen zu euch?”

“Mehr als du denkst. Sergej hat sein Studium jetzt wieder aufgenommen und arbeitet nicht mehr als Fahrradcourier. Jetzt ist das notwendig.“ Sie wies mit ihrer Linken auf den Joint. „Er ist kaum in der Uni, aber er sitzt viel am Laptop für seine Hausarbeiten.”

“Und für Pornos.” Schob sie nach und zwinkerte Carli zu. “Männer.”

“Hahaha.” Lachte Carli trocken. Es ging ihm gut, auch wenn das Thema ein wunder Punkt auf seiner Seele war.

“Ich würde sowas nicht tun mit so einer Schönheit an meiner Seite.” Fügte er mit der ihm eigenen Mischung aus Ironie und ehrlicher Anbiederung hinzu.

“Hört auf zu flirten. Ein Mann muss tun, was ein Mann zu tun hat.” Sergej mischte sich ein.

Bianca gab ihm den Joint und pustete harzigen Rauch in Sergejs Gesicht.

Für Carli sahen beide glücklich aus. Irgendwie passten sie zusammen. Er fühlte sich jetzt als Fremdkörper.


“Ich muss jetzt eh gehen.”

Er zog seine Schuhe an, verstaute das Gras im Rucksack und zog los.

“Ciao.”
“Ciao!”
“Tschüss!”

Unten an der Treppe setzte er sich in den Hauseingang und rauchte eine Gauloises zum runterkommen. Irgendwie hatte ihn Bianca erotisch aufgeladen. Statt zur Bahn zu gehen führte ihn sein Weg in den Charlottenburger Schlossgarten. Es war total unangemessen hier zu kiffen und deswegen machte er es.

Die Parkbank, die es ihm angetan hatte, war weiß gestrichen. Er ließ sich auf ihr nieder und legte einen Arm entspannt über die Lehne. Auf dieser Seite war sie schattig...
 

lietzensee

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Hallo r1d3,
eine schöne, ruhige Erzählung. Sie ließt sich flüssig und der Handlungsverlauf wirkt natürlich. Das ist bei solchen Sozial-Studien-Geschichten ja immer wichtig.
Ich find es auch angenehm, dass du nicht versuchst, die Situation dramatischer zu erzählen, als sie ist. Du beobachtest einfach nur. In diesem Sinne würde ich auch den ersten Absatz noch etwas weniger aufgeregt machen. " GTA-Gangster-Style " passt nicht zu dem, was danach folgt.

Für meinen Geschmack kommt das Ende aber entweder etwas zu früh oder etwas zu spät.
Auf dieser Seite war sie schattig...
Wenn Du mit diesem Satz aufhörst, dann weckt das die Erwartung, dass der noch mal eine besondere Bedeutung hat. Er wirkt wie eine Pointe. Ich verstehe sie aber nicht. Du hattest vorher ein bisschen mit Licht-Schatten Motiven gespielt. Aber einen eindeutigen Bezug sehe ich nicht.
Ich würde entweder damit enden, dass er seine Gauloises raucht, oder genauer rausarbeiten, was die Szene im Park noch zeigen soll. Auf keinen Fall würde ich aber mit drei Punkten enden.


Noch ein paar kleine Sachen
Der Nachmittag war brilliant, hell, klar und berühmt.
"Berühmt" passt für mich mit "Nachmittag" nicht zusammen. Da du gleich mit dem extrem starken Adjektiv "brilliant" anfängst, würde ich den Rest dahinter einfach weglassen.

Irgendwie hing Carli gedanklich in seinem Lateinunterricht fest. Aus der Zeit, in der er zu Kiffen begann.
Hier ist für den Leser nicht nachvollziehbar, was gemeint ist. Wie äußert es sich, dass er "gedanklich am Lateinunterricht hängt"?

Viele Grüße
lietzensee

...So genau nimmt das im Schlossgarten übrigens keiner. Auch dort heißt es leben und leben lassen
 

r1d3

Mitglied
Hallo lietzensee,
danke.
Die Gedanken sind alle berechtigt.
Nr 2 und 3 hängen zusammen. Clarus ist ein lateinisches Adjektiv und heißt im Deutschen "hell, klar oder berühmt". Auf eine verkiffte Weise empfand Carli also den Nachmittag als "brillianten Flashback" ins Lateinische. Theoretisch hieße es dann "Aus der Zeit in der er zu Kiffen begonnen hatte."
Ich habe Gründe das anders zu beschreiben, aber das sprengt hier (vorerst) den Rahmen.

Das mit dem Ende erklärt sich daraus, dass es mal weitergehen sollte, ich aber nicht "weitergekommen bin".

Viele Grüße,
r1d3
 

lietzensee

Mitglied
Hallo r1d3,
Clarus ist ein lateinisches Adjektiv und heißt im Deutschen "hell, klar oder berühmt". Auf eine verkiffte Weise empfand Carli also den Nachmittag als "brillianten Flashback" ins Lateinische.
Diese schnörkellose Beschreibung könntest du direkt in den Text einfügen. Wenn man versteht, was dahinter steckt, gibt es dem Carli noch einen interessanten Touch.

Viele Grüße
lietzensee
 



 
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