Claire, die Stadt

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Die Sirene in der Ferne
ist eine Seele, die ihren Körper
nicht wiederfinden kann.
Der Wind raunt durch die Gitter
wie ein verurteilter Mann,
der bloß noch seine Ketten küssen kann.
Und eine Katze schleicht unter die Sterne,
lautlos wie eine unausgesprochene
Wahrheit.

Alte Plakate blättern von Wänden.
Die Stadt schält sich neon
aus ihrer Lichterhaut.
Gesprächsfetzen hängen in den Händen,
Vorhänge tanzen in geöffneten Fenstern
wie der Hofstaat einer körperlosen
Braut.

Verwaschene Versprechen in der
Dunkelheit sind die Leuchtreklamen.
Müllsäcke — gefallene Soldaten in einer
Häuserschlacht. Aufgeplatzt, voll
verworfener Innereien.
Die Gassen enden in Schreien.
Claire, die Nacht ist ein gottloses
Kinderheim.
Sie flüstert Amen,
aber sie kennt kein
Verzeihen.

Das Zittern der Laternen auf dem Weg,
nur gebrochene Namen.
Und in den Bushaltestellen sitzen die
Schatten derer, die nie
ankamen.
Graue Tauben lahmen
zwischen Dönerresten wie
Zeilen auf den Noten eines
traurigen Liedes.
Der Geruch von zu langen Festen
im Fell eines streunenden
Tieres
geht mir nicht mehr von den Händen.
Und mir ist, als flüsterst du in den Wänden,
Claire.

Text DvE
Musik KI Vertonung

 
Good Morning

Und herzlichen Dank für eure Lichtspiele unter diesem düsteren Stadtspaziergang. Liebe ubi du schreibst so poetisch !! Lieber tula freu mich sehr über den Wiedererkennungseffekt . Merci +
compliments

dio
 

sufnus

Mitglied
Hey Dio!
Die Sprachbilder sind hier teilweise - gemessen an der "typischen" Dio-Sprache - nach meinem Eindruck noch etwas stärker als sonst ins "Expressionistische" gerückt, aber der generelle Klang und die Art der Reim-Einbindung sind sehr klassischer Dio-Style. Ich finde in der Summe ergibt das sehr schöne, stimmige Verse, die durch eingestreute Wiederholungen sogar eine gewisse hypnotische Wirkung entfalten. Gefällt mir also richtig gut!
LG!
S.
 

Agnete

Mitglied
Der Stadt einen Namen geben, die mit so vielfältigen und eindrücklichen Bildern in unsere Seele schleicht. Und ein teil wird von uns. Dein Gedicht, Dio, erinnert mich an einen Stadtbesuch vor ein paar Tagen in einem Viertel von Köln, der nicht so prunkvoll ist wie die Rheinallee...
Ich war ziemlich negativ gefangen in dem Lärm, der Hektik, der Anzahl der Menschen, die aneinander vorbeilaufen.
lG von Agnete
 
Zuletzt bearbeitet:
Hi @sufnus

merci für Dein Feedback. "hypnotische Wirkung"- ja das ist super ! Freue mich, dass da was von rüberkommt

@Agnete

obwohl ich meine römische Stadt aufrichtig liebe und sie mir so viele schöne Momente schenkt, kann sie -wie du schreibst- auch sehr voll, laut, dreckig, düster sein..

ich bedanke mich für eure Eindrücke!

mes compliments

dio
 



 
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