Da kommt Fassbinder

Wenn ich mich nicht irre, ist er zur Berlinale in die Stadt gekommen. Ich habe ihn zum ersten Mal in der "S-Bahn-Quelle" gesehen, noch zu den Zeiten von Heinz, genannt Henny. Ein gescheiter, ein feiner Kerl, dieser Wirt. Leider hat er sich später umgebracht.

Die Quelle war damals dreigeteilt wie Gallien bei Caesar. Da gab es die linken Studenten, die den hinteren Raum für sich beanspruchten. Im vorderen Teil trafen sich Lederfetischisten. Und in beiden Räumen, vor allem im breiten Durchgang zwischen ihnen, sah man, was der Savignyplatz so ausgespuckt hatte. Ja, doch, Elend gab es damals auch schon. Natürlich entstanden, wie stets im richtigen Leben, unterschiedliche Mischtypen, der linksintellektuelle Ledertyp, der heruntergekommene Bettelstudent, der alkoholkranke Fetischist. Nur dem verelendeten linkssozialistischen Ledermann, einem solchen Wolpertinger bin ich nicht begegnet.

Die Mehrheit des Publikums war recht bürgerlich. Einer sammelte alte Bibeln. Übrigens war die Quelle von damals das schmutzigste der Stammlokale, die ich nacheinander haben sollte. Ein Besuch dort musste abgebrochen werden, da mein Gast aus Düsseldorf sich einen Floh gefangen hatte. Unvorsichtig von ihm, sich auf einen Tisch zu setzen. Gewöhnlich stand man dort den Abend oder die Nacht hindurch. Oder man ging auf und ab.

Manchmal bin ich mit einem jungen Theaterregisseur dort gewesen. Sein Name war noch wenig bekannt. Anders verhielt es sich mit der lokalen Filmgröße, die ihren schnellen Ruhm sichtlich genoss. Einer aus ihrem Gefolge - fast hätte ich Hofstaat gesagt - fragte den jungen Meister: "Und woran arbeitest du jetzt? Was wird dein nächstes Werk?" - Die Filmgröße: "Ganz was Blutiges. Ein Hämorrhoidendrama." - "Ogottogott!" - Mein Freund, der Theatermann: "Das sind auch die einzig wirklichen Tragödien im Leben."

"Da kommt Fassbinder!" - "Wirklich, er, Rainer Werner?"

Dann schnatterten sie nur noch von Rainer Werner, bloß die lokale Filmgröße nicht. Die beiden kannten sich, schätzten sich aber möglicherweise eher weniger. Die anderen, diese Adabeis, die Fassbinder nur von fern kannten, führten ständig seinen Vornamen im Mund: Rainerwerner, Rainerwerner ... Ich ging einige Schritte zur Seite und lugte hinüber. Viele sahen hinüber, es war leiser geworden.

Er wirkte ganz anders, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Er ließ sich eine Flasche Bier geben, stand dann allein in einer Ecke, beobachtete und versuchte, nicht aufzufallen. Er sprach mit niemandem. Sein Ruhm schien ihm jetzt lästig. Ich fand ihn introvertiert und gezeichnet. Er sah aus wie einer, der lebenslang mit seinem Gehirn allein ist, das jedoch nicht hinnehmen kann und es durch gesteigerte Apperzeption ausgleichen will. Einer wie er braucht Menschen als Material, um seine innere Welt Gestalt werden zu lassen. Schüchtern und zugleich unheimlich, war er wie das Kalb mit den zwei Köpfen, das auf einer Landwirtschaftsausstellung gezeigt wird und entsetztes Staunen hervorruft. Er litt sichtlich darunter, machte sich so klein wie möglich und wollte sich gleichzeitig nichts entgehen lassen. Schlafen kann ich, wenn ich tot bin.

Ich war schwach kurzsichtig, trug dort aber aus Eitelkeit keine Brille. Vielleicht hatte ich ihn daher schärfer ins Auge gefasst. Erklärt das das Folgende? Das Bier wirkte bei mir, ich ging pissen. Das sehr enge Pissoir hatte nur zwei Becken. Ich stand kaum an dem einen, als ich Fassbinder hereinkommen und sich neben mich hinstellen sah. Er drehte den Kopf zu mir und sagte: "Grüß dich." Ich senkte sofort den Blick und antwortete mit meiner tonlosesten Stimme: "Hallo." Ich machte, dass ich schnell hinauskam. Prominenz schreckte mich immer schon ab. Und ich fand ihn weder als Mann noch allgemein als Menschen besonders anziehend. Nur sein Fall an sich, dieses Typische, interessierte mich. Man konnte es auch aus der Ferne studieren. Ich hatte schon genug gesehen. Ich war kein Armin Meier, auch wenn ich äußerlich vielleicht eine gewisse Ähnlichkeit mit ihm aufzuweisen schien.

Vielleicht ist Fassbinder damals nur zufällig zu mir hereingekommen. Armin Meier bin ich erst später begegnet. Erheben wir uns von unseren Plätzen und gedenken wir ... Danke.
 



 
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