Dämmerung

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Ofterdingen

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Dämmerung

Die Zeit, in der sich das Licht allmählich aus dem Tag zurückzieht und die Erde an die Nacht zurückgibt, diese Grenze zwischen dem Hellen und dem Dunklen hatte schon immer ihren besonderen Reiz. In diesem Zwischenreich verschwindet die Welt der fest umrissenen Formen und das Fließen beginnt, eine Woge, die einen hinaus trägt, ins All, ins Grenzenlose. Man reist hier mit leichtem oder schwerem Gepäck, das aus Träumen besteht, und was am Tag Nähe ist, geht rauschend über in die innigste Verbundenheit bei Nacht.

Es ist auch die Zeit, in der man über die Hecke steigen, den ordentlich gestutzten Alltag hinter sich lassen und aufbrechen kann in die große Wildnis außerhalb und innerhalb von einem selbst. Hexen und Abenteurer tummeln sich auf dieser Hecke, machen sich bereit zur Reise ins Unbekannte.

Diese Minuten eröffnen Möglichkeiten wie der magische Moment, in welchem ein Mädchen nicht mehr Kind und noch nicht Frau ist und verwirrt und beglückt neue Kräfte in sich spürt, die zur Entfaltung drängen. Kein Wunder, dass viele Geheimnisse gerade solchen Mädchen zuströmen, dass ihr Leben zu einer unerhörten Kostbarkeit wird.

Wunder können indessen einem jeden am Ende des Tages begegnen. Manche empfindlichen Seelen meinen im Zwielicht Engel zu sehen, die herab kommen, weil sie sich auf der Erde umschauen wollen und dabei erkennen, wie schön die Töchter der Menschen sind. Die meisten dieser Engel möchten, so wird geflüstert, bereitwillig ihre Unsterblichkeit aufgeben und lächeln freundlich, aber auch etwas mitleidig bei der Zumutung, wieder in den Himmel hinauf zu steigen. Man könnte denken, dass sie da oben gehungert haben, ohne es zu merken, und erst jetzt die Speise entdeckt haben, die ihnen schmeckt.

Es gibt indessen auch Andere, die eine der schönsten und köstlichsten Töchter gefunden haben, sie aber nicht zu schätzen wissen, und die Schöne weist sie von sich, zugleich zornig und voll verletzter Sehnsucht. Die Undankbaren kommen und gehen, die Dämmerung aber bleibt ein offenes Tor und nimmt alle auf, die für sie bereit sind.
 

Blue Sky

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Hi Ofterdingen!

Diese Gedanken gefallen mir richtig gut. Habe deinen Text wieder und wieder gelesen, ist irgendwie fesselnd.
Einige Sätze sind meines Erachtens etwas umständlich formuliert.
Dennoch ist er für mich eine Einladung zum leichten Träumen darüber, was sich in der blauen Stunde an Wegen eröffnen kann, um nicht nur die Zeit danach zu würdigen.

Manche empfindlichen Seelen
Manch empfindliche Seele ...?


Wundervolle Pfingstzeit.
BS
 



 
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