Wir schreiben den 11. Diljana 990 d. R.. Durch ein
Götterurteil wurde die Vernichtung der Insel Macon mit
allen daraufliegenden Städten und Dörfern beschlossen. Im
Mittelpunkt aller Vernichtung steht die sündige Hauptstadt
Burnie, die schöne und zugleich dornige Rose des Nordens.
Burnie bleiben noch 7 Tage.
Sowohl die helle Seite, wie auch die dunkle Seite bereiten
sich auf die Vernichtung vor. Während die schwarzen Truppen
bereits im Osten der Insel gelandet sind, befinden sich die
weißen Truppen noch dabei im Westen der Insel zu landen.
In einem kleinen Wäldchen östlich von Burnie hat sich das
Dämonium versammelt, der dunkle Führungsstab der schwarzen
Truppen, noch wartet man dort auf den Statthalter der
Niederhölle, der sich kurzzeitig nach Burnie abgesetzt hat,
um sich dort einen Überblick über die Lage zu verschaffen,
und auf das erste Zeichen. Das Dämonium überbrückt die
Wartezeit, man sinniert über den Menschen.
Es war still. Irgendetwas hatte den Nachts sonst so lauten
Wald zum Verstummen gebracht. Die Bäume ragten in den
Himmel und verharrten still, kein Blättchen rührte sich.
Die zwei Monde von Aramar hatten sich ängstlich versteckt.
Nichts war zu hören, nur das leise Knistern eines
Lagerfeuers.
„ Ich verstehe nicht, was die Menschen an einem Lagerfeuer
finden. Ich kann nichts daran finden." , klang eine spitze
Stimme durch den Wald. Eine knochige Hand legt weiter Holz
nach, ein fleischloses Gesicht schüttelte den Kopf.
„ Sekretär, ich glaube Sie haben zu oft Kontakt mit
Menschen." , warf ein Umsitzender ein.
Der Sekretär unterließ das Nachlegen und blickte auf:
„ So, glaubst Du. Wie kommst Du denn auf diesen Gedanken?"
„ Nun, Sie versuchen die Menschen immer zu hinterfragen.
Aber das menschliche Handeln hat keinen Sinn. Sie ..."
Das Wesen am Feuer lachte spitz auf:
„ Sinn, mein werter Freund. Sinn ist, wie Dir sicherlich
nicht entgangen ist, ein menschlicher Begriff. Wenn Du
schon eine Art von Kritik üben willst oder wie auch immer
deine Aussage zu deuten ist, dann wähle deine Worte
vorsichtig. Du wirfst mir vor, zuviel Kontakt zu den
Menschen zu haben und verwendest einen menschlichen
Begriff. Aber so ist er, unser lieber Pfeifer, der redet
zuerst und dann denkt er."
Dieser Aussage folgte wiederum ein Lachen. Die Umsitzenden
stimmten ins spitze Gelächter mit ein, teilweise ebenfalls
amüsiert, teilweise gezwungen. Ein Gelächter aus
dämonischen Kehlen erfüllte jetzt den gesamten Wald.
Als es verstummte, fuhr der Sekretär des Todes fort:
„ Nun hat mich Pfeifer auf eine hübsche Idee gebracht. Oh
ja, eine wirklich hübsche Idee."
Der Sekretär hielt kurz inne, blickte durch die Dunkelheit
und ergriff wieder das Wort:
„ Nun, mein maskierter Genosse, ich hoffe unser kleinen,
gemütlichen, erlesen Runde bleibt dafür noch genug Zeit,
bevor der Statthalter hier wieder erscheint. Liege ich
richtig mit meiner Annahme?"
Der Angesprochene nickte - das Klingeln von Glöckchen war
zu hören - und fügte hinzu:
„ Nein, Sie irren sich nicht. Es bleibt uns noch genug
Zeit, um ihre hübsche Idee durchzusetzen."
Das Wesen am Feuer legte weiterhin Holz nach und übernahm
wieder das Wort:
„ Schön, das freut mich. Das freut mich wirklich. Nun hört
mir zu, meine umsitzenden Kollegen. Der Mensch, ein
erbärmliches Wesen doch nicht ohne Faszination, beschäftigt
mich schon lange. Das mag an meinen häufigen Kontakten mit
den Menschen liegen, vielleicht liegt da Pfeifer nicht ganz
falsch. Allerdings, nur vielleicht.
Zumindest, um wieder zum Thema zu kommen, in all den
Jahrtausenden bin ich zur der Erkenntnis gekommen, daß
hinter jedem menschlichen Handeln ein Sinn steckt. Ich muß
dieses Wort verwenden, weil es in unserer Sprache keine
Entsprechung für diesen Begriff gibt. Auch wenn... ."
Wieder war das Läuten von Glöckchen zu hören. Der Maskierte
unterbrach ihn:
„ Mein werter Genosse, uns allen ist ihre Vorliebe für
weitschweifige Erzählungen bekannt, aber Sie würden uns
allen einen Gefallen tun, wenn Sie sich nur etwas kürzer
fassen würden. Ich sagte Ihnen, wir hätten noch genug Zeit,
jedoch ich sagte nicht, wir hätten ewig Zeit. Bedenken Sie,
wir haben nur 7 Tage und ich meine 7 menschliche Tage. Und
wir können, so gerne wir es auch wollten, diese Tage nicht
damit verbringen, ihren erlesen Worten zu lauschen."
Ein böses Lachen war in der Runde zu hören. Bösartiger und
herzhafter als das andere. Das Wesen am Feuer übernahm
wieder das Wort:
„ Verzeiht mir, ich bin es zur sehr gewöhnt, die Ewigkeit
auf meiner Seite zu haben. Ich fasse mich kurz. Ich dachte
an ein kleines Spiel.
Um unsere doch nicht so reichlich bemessene Zeit nicht
weiter zu strapazieren," , dabei hielt er inne und warf dem
Maskierten einen Blick zu, „ werde ich gleich damit
beginnen. Es ist ein amüsantes, kleines Spiel. Ein
Zeitvertreib, würden die Menschen sagen. Welchen Sinn hat
das Feuer für den Menschen? Jeder gibt eine andere Antwort.
Ich beginne."
Ein Raunen der Unlust ging durch die Menge. Der Knochenmann
nickte mit dem Kopf. Das Wesen mit der Maske griff wieder
ein:
„ Sekretär, ich weiß leider nicht , woher ihre Vorliebe
für diese Art von Spielereien kommt. Wir wissen es alle
nicht. Aber vielleicht ist es Ihnen nicht ganz klar, wir
sind keine Ansammlung von Kleinkindern, die sie mit
lustigen Spielen unterhalten müssen. Uns sind ihre Spiele
höchst suspekt und wir müssen uns die Antworten immer bei
den Haaren herbeiziehen."
Leise Geräusche der Zustimmung gingen durch die Runde.
„ Aber, mein kritischer Freund," , ergriff wieder der
Sekretär das Wort, " ich verfolge mit meinem Spiel etwas,
einen gewissen ja Sinn, um es mal so auszudrücken. Und da
unsere Zeit gar so knapp bemessen ist, ist es mir leider
nicht möglich euch diesen Sinn zu erläutern, doch Ihr
werdet sehen. Am Ende werdet Ihr sehen und erkennen.
Nun, ich beginne. Wie ich bereits angeführt habe, hat Feuer
verschiedene Bedeutungen für den Menschen. So hat Feuer den
Sinn, Wärme und Behaglichkeit zu geben. Um diese Sehnsucht
nach Wärme und Behaglichkeit zu verstehen, muß man etwas
weiter ausholen, selbst wenn die Zeit auch erschreckend
knapp ist. Der Mensch an sich ist äußerst kälteempfindlich,
so empfindet er bereits den Moment, in welchem Wasser
gefriert als äußerst unbehaglich, ganz zu schweigen von
noch kälteren Temperaturen. Also braucht der Mensch das
Feuer, um seinen äußerst kälteempfindlichen Körper zu
schützen. Dem noch nicht genug, hat ihm die Natur auch mit
einer gewissen Hitzeempfindlichkeit gestraft. Man bedenke,
daß der Mensch nicht einmal einen kurzen Moment ins Feuer
langen kann, ohne Verbrennungen und äußerste Schmerzen
davonzutragen.
Die Sache mit der Behaglichkeit ist wesentlich schwerer zu
erklären und noch weitaus schwerer zu verstehen. Der Mensch
hat dem Feuer gegenüber gewisse, wie soll ich sagen,
Gefühle. Der Mensch fühlt dabei Geborgenheit und auch eine
gewisse, nun Romantik. Ich sehe schon, die Zahl der
menschlichen Fremdwörter, die ich benutze, verwirrt euch.
Ich höre hier auf.
Nun werdet ihr sagen, was erzählt uns der alte Knochenkopf,
jene dürre Gestalte mit seiner krankhaften Faszination für
den Menschen. Dies ist uns schon allen schon alles bekannt.
Sicherlich. Sicherlich. Aber gewisse Sachen muß man sich
immer wieder vor Augen führen. Und gewährt mir noch einen
letzten Satz, bevor ich weitergebe, wenn die Zeit auch
drängt. Sie klopft schon an. Hört ihr sie? Sie ruft:
„ Schneller, Sekretär, schneller. Ich bin nur knapp
bemessen und verrinne bald." Hört ihr sie?"
Der Sekretär machte eine kleine Pause. Glöckchenklingen und
ein wütendes Schnauben waren zu hören. Er fuhr fort:
„ Nun, gut. Zu meinen letzten Sätzen, die Ihr mir gewährt
habt. Was mich am Menschen so sehr fasziniert, ist die
Tatsache, daß wir alle ihre Handlungen erklären können, sie
aber nicht alle verstehen. Auch wenn wir der menschlichen
Rasse, sowohl körperlich wie auch geistig, weit weit
überlegen sind, können wir einen zentralen menschlichen
Begriff, den Sinn nicht erfassen. Der Sinn ist der
Schlüssel zum menschlichen Verständnis. Obwohl wir ihnen so
weit, so unendlich weit überlegen sind, besitzen die
Menschen noch ein letztes Geheimnis, welches wir ihnen
nicht entreißen können. Und das fasziniert mich an den
Menschen. Den Menschen gehört die Logik, uns das Chaos."
Der Knochenmann schwieg für einen Moment, die letzen Sätze
hatte er geradezu im Wahn gesprochen, dabei wurden seine
Worte gegen Ende hin immer drängender und lauter. Nun
schwieg er wie die Runde und der Wald um ihn herum. Er
rückte sein Monokel zurecht, wischte sich Asche von seiner
Kleidung, die aus Lumpen bestand und setzte sich vom Feuer
weg, allein auf einen Baumstamm.
Er ergriff wieder das Wort:
„ Aber, meine Herren. Was soll das betretene Schweigen. Es
geht weiter. Unsere Zeit ist doch knapp bemessen oder habe
ich mich da etwa verhört? Nur nicht schüchtern sein, der
Großteil von uns beißt nicht. Doyen, Du bist dran."
Seine spitze Stimme war nun wesentlich ruhiger, dem
zynischen Klang war nun ein sanfter Sarkasmus gewichen. Der
Doyen, jetzt im Mittelpunkt des Interesses, setzte sich
aufrecht hin. Ein freudiges Schlagen von zwei mächtigen
Schwingen war zu hören. Der Doyen begann seine Ausführungen:
„ Nun gut, so werde auch ich meinen Teil dazu beitragen,
zumindest bleibt mir keine andere Wahl. Zuerst möchte ich
jedoch anführen, daß ich den Sachverhalt nicht so klar
darlegen kann, wie unserer Sekretär, der ja ein wahrer
Meister darin ist, andere zu belehren. Doch auch ich
verfüge über eine gewisse Beredsamkeit, wie euch sicherlich
bekannt ist. Der Herr Sekretär und ich bewegen uns im
gleichen Tätigkeitsbereich, wobei ich mich nicht mit
menschlichen Wesen abgeben muß. Wie dem auch sei. Da mein
Vorgänger seine Ausführungen etwas ausgedehnt hat, liegt es
nun an mir, mich etwas kürzer zu fassen und so wieder etwas
Zeit zu gewinnen.
Nun gut, zum Kern der Frage. Das menschliche Wesen ist eine
äußerst schwache und fehlerhafte Kreatur, auch wenn es auf
gewisse Persönlichkeiten eine gewisse Faszination ausübt,
die nicht für jeden nachvollziehbar ist. Wie dem auch sei.
Das menschliche Wesen braucht das Licht des Feuers, damit
es im Dunklen sehen kann. Denn die Augen des menschlichen
Wesens sind sehr leistungsschwach, es benötigt Licht, um
einigermaßen brauchbar zu sehen. Es kann im Dunklen nicht
sehen. Es macht durchaus einen Unterschied für das
menschliche Wesen, ob es nun Tag oder Nacht ist. Die Augen
sind nicht unabhängig von der Tageszeit.
Ein weiterer Punkt ist eine gewisse Angst vor der
Dunkelheit. Was das menschliche Wesen nicht sieht, macht
ihm Angst, so benötigt es das Feuer dazu, um zu sehen, daß
es nichts gibt, wovor es Angst haben muß. Nun gut, hier
wären meine Ausführungen auch schon beendet, und wenn mich
mein Zeitgefühl nicht ganz trügt, habe ich mein Versprechen
gehalten und etwas Zeit gewonnen. Nun gut, Bestienmeister,
Du bist an der Reihe, Dir etwas an den Haaren
herbeizuziehen."
Sofort war das Aufheulen eines Höllenhundes zu hören, der
den Namen seines Meisters hörte. Sein Besitzer zog ihn
sanft zurück und streichelte ihn mit seiner linken Hand,
die eine verunstaltete, haarige Kralle war, liebevoll den
Kopf mit den Worten:
„ Ganz ruhig, mein Junge. Der Doyen hat uns nur höflich
gebeten, auch beim Spiel des Sekretärs mitzumachen. Er will
uns sicherlich nicht die Augen ausstechen."
Der Höllenhund beruhigte sich und legte sich wieder zu
Füßen seines Herren nieder. Der Bestienmeister fuhr mit
seiner tiefen Stimme fort, die so klang, als sei er nahe am
Ersticken:
„ Ich komme jetzt gleich zum Wichtigsten und übergehe das
Selbstlob für meine Person. Feuer bedeutet für den Menschen
Zerstörung. So kann das Feuer sein Haus verbrennen, seine
Tiere verbrennen, ja ihn selbst verbrennen. Und der Mensch
fürchtet diese Zerstörung, dies weiß ich aus eigener
Erfahrung, auch wenn ich es selbst nicht nachvollziehen
kann. Als ich damals dieses Waisenhaus in Etha angezündet
habe... . Dämonen aller Niederhöllen, daß ist schon ein
Weilchen her, etwa 160 Jahre." , er hielt kurz inne, und
ergriff dann wieder das Wort, „ Da gerieten die Menschen
geradezu in eine Art Panik und liefen wie wild umher, nur
um dieses Waisenhaus zu löschen." , wieder machte er eine
Pause, mit einem Lächeln nahm er die Rede erneut auf, „
Einige rannten auch wie wild umher, weil sie selber Feuer
gefangen hatten. Ja, die guten alten Zeiten.", und wieder
eine Pause, „ Verzeiht mir, man versinkt so leicht in
Erinnerungen. Was war der Punkt. Ach ja, Feuer bedeutet für
die Menschen Zerstörung. Sie versuchen immer, ihr
erbärmliches Leben zu retten. Und für was. Leben sie doch
nur 60 Jahre und das wenn sie Glück haben. 60 Jahre. Es ist
unbegreiflich, wie es sich für die Menschen überhaupt
lohnt, so kurz zu leben. Und was macht es schon für einen
Unterschied, ob mir jemand mit 30 Jahren das Herz
herausschneidet oder mit 60 Jahren. Oder ob mir jemand mit
30 Jahren den Kopf abhackt oder mit 60. Ob man mich mit 30
Jahren hängt oder ... ."
Das Klingeln von Glöckchen und eine Stimme unterbrachen ihn:
„ Ich denke, wir haben alle verstanden, worum es geht.
Würdest Du die Güte besitzen und auch langsam zum Ende
kommen."
Der Bestienmeister nickte und versucht zum Schluß zu kommen:
„ Gut, ich komme jetzt zum Schluß und bringe es auf den
Punkt. Feuer bedeutet für den Menschen Zerstörung und für
diese kann er sich unerklärlicherweise nicht begeistern.
Pfeifer, Sie sind an der Reihe."
Der Todespfeifer lehnte sich nach vorne, wischte sich seine
Locken aus dem Gesicht und begann zu sprechen:
„ Bevor ich anfange, möchte ich es nicht versäumen, ja
nicht vergessen, mich in die Gruppe meiner Vorredner
einzureihen und nicht gleich zum Gegenstand, ja zum Thema
überzugehen. Ein Lob gebührt vielleicht dem Bestienmeister,
der es wieder mal geschafft hat in seiner unnachahmlichen,
ja einzigartigen Art, uns eine Sache nahezubringen."
In seinen letzten Worten war ein Quentchen von
Freundlichkeit zu hören, die anderen schreckten auf,
immerhin machte hier der Ton die Musik. Pfeifer, dessen
Stimme im Allgemeinen nicht so bedrohlich wie die seiner
Vorsprecher klang, bemerkte seinen Fehler und senkte
demutsvoll den Kopf. Der Sekretär schüttelte verächtlich
seinen Kopf, ärgerliches Glöckchenklingeln erklang, der
Bestienmeister hielt seinen Hund zurück und ein
vorwurfsvolles Schlagen von zwei mächtigen Schwingen war zu
hören. Der Todespfeifer schwieg, hob nach einer kurzen
Pause wieder den Kopf und fuhr unsicher fort:
„ Nun gut, ich komme zum Thema. Aber wie ihr wißt ... ." ,
eine kurze, nachdenkliche Pause, „ Ach, ich beginne lieber.
Neben der Zerstörung bietet das Feuer auch einen Schutz für
den Menschen, ja eine Sicherheit, auch wenn es
widersprüchlich erscheint, geradezu unvereinbar klingt. So
verbindet der Mensch mit Feuer sowohl Schutz wie auch
Zerstörung. So lassen sie das Feuer gerne brennen, damit es
sie vor Tieren, vor wilden Tieren schützt." , er hielt kurz
inne,„ Nein, ich muß mich präziser fassen. Folgendermaßen.
Der Mensch ist im Freien. Es ist Nacht. Tiere, wilde Tiere
lauern überall. Das Feuer schreckt sie ab und der Mensch
kann schlafen." , wieder eine kurze Denkpause, „ Und der
Schlaf. Die Geisel der Menschheit. Der Dieb des halben
Lebens. Der Mensch ist ein Sklave des Schlafes, dieses
höchst eigenartigen Phänomens. Das menschliche Leben ist
bereits so kurz, ja geradezu knapp, wie der Bestienmeister
bereits angeführt hat." , und diesmal versuchte er jede
Freundlichkeit aus seiner Stimme fernzuhalten, die sich vor
kurzen auf geradezu hinterhältige Weise in seine Stimme
eingeschlichen hatte.
„ Und die Hälfte dieses Lebens, zumindest in etwa die
Hälfte, verbringt der Mensch in der Passivität des
Schlafes. Und jetzt erzählt mir nichts von Träumen. Oh,
nein. Der Schlaf ist ein passives Herumliegen ohne jede
sinnvolle Aktivität. Ein Tribut, ja ein Geständnis an einen
schwachen oder soll ich sagen gebrechlichen menschlichen
Körper, der nicht fähig ist, längere Zeit ohne Schlaf
auszukommen. So ist es meine Herren. Der Schlaf hat den
Menschen unter sein Joch gespannt. Der Schlaf."
Der Todespfeifer hatte wie im Rausch gesprochen und als
letzter gemerkt wie sehr er vom eigentlichen Thema, dem
Feuer, abgekommen war. Er war nun am Ende. Der Maskierte
nutzte die Pause und übernahm das Wort.
„ Vielen Dank, werter Pfeifer, für diese äußerst präzise
und sehr aufs Thema konzentrierte Darlegung des
Sachverhaltes. Und es ist richtig, wir wissen es, wir
wissen es alle.
Nun liegt es an mir, dieses leidige Spiel zu beenden,
welches uns bisher so unglaublich viel gebracht hat. Meinen
Respekt, Herr Sekretär. Nun gut, jetzt will auch ich meinen
Teil dazu beitragen, damit wir alle unseren Horizont noch
mehr erweitern können.
Der Mensch ist nicht gewillt, rohes Fleisch zu essen.
Einmal, weil ihm rohes Fleisch nicht schmeckt, anderseits,
weil es sich dadurch vom Tier abheben will, wie ich vermute.
Allein die Tatsache der Nahrungsaufnahme ist höchst
suspekt. Der Mensch ist nicht fähig, über längere Zeit ohne
Nahrung und auch Wasser zu leben. Und würde er nicht essen,
dann wären er bald nur noch Haut und Knochen wie unser
geliebter Sekretär. Aber ich drifte ab wie der werte
Musikus neben mir. Der Mensch in seiner Abhängigkeit von
der Nahrung versucht, diese besonders schmackhaft zu
machen, dazu bedient er sich des Feuers. Das wäre es auch
schon. Kurz, präzise und zum Thema, was ja nicht allen in
diesem Maße gelungen ist."
Nachdem er geendet hatte, klatschte der Sekretär in seine
knochigen Hände und fuhr sogleich mit seiner spitzen
Stimme fort:
„ Sehr schön, meine Freunde. Du verzeihst mir, Geist der
Geister, daß ich sofort weitermache. Die Zeit drängt ja
noch immer und wenn ich mich nicht irre, wolltest Du nichts
mehr hinzufügen. Eine... ."
„ Oh, Sie haben vollkommen recht," , unterbrach ihm der
Angesprochene, „ wie sollten Sie sich irren. Fahren Sie
fort."
Der Knochenmann, etwas überrascht über die Unterbrechung,
schwieg eine Sekunde und ergriff dann wieder das Wort.
„ Vielen Dank. Eine Bemerkung muß ich mir noch erlauben,
selbst bei ach so knapper Zeit. Dein Vergleich hinkt etwas,
werter Geist. Ich bin nicht Haut und Knochen, ich bin nur
noch Knochen."
Diese Belehrung wurde mit ärgerlichem Glöckchenklingeln
kommentiert. Der Sekretär ließ sich davon nicht irritieren.
„ Nun gut. Jeder hat jetzt seinen Beitrag geleistet, der
eine etwas besser, der andere etwas schlechter, aber es ist
uns gelungen, ein Bild vom Menschen zu bekommen.
Ich fasse zusammen, kurz versteht sich, etwas anders
erlaubt die Zeit ja nicht. Der Mensch ist eine gebrechliche
und schwache Kreatur. Sein Körper ist unfähig, gewisse
Temperaturen zu ertragen. Seine Augen sind so schwach, daß
er nur am Tag vernünftig sehen kann. Weiterhin ist er ein
Sklave seiner Ängste, die Dunkelheit, in welcher er ja
nichts sehen kann, beschert ihm ein unbehagliches
Gefühl. Ebenso lebt er in ständiger Angst, sein Leben zu
verlieren, welches auch durch das Feuer gefährdet ist. Er
ist auch abhängig vom Schlaf, ein Punkt auf den uns
Pfeifer, wenn auch auf Umwegen, gebracht hat. Zu guter
Letzt muß er seinen Körper ständig Nahrung und Wasser
hinzuführen, damit er nicht Haut und Knochen wird, wie
gewisse Personen meinen.
So ist der Mensch, ein schwaches, gebrechliches Wesen,
voller Ängste, nicht Herr über Leben und Tod, immer wieder
dazu gezwungen, sich den Bedürfnissen nach Schlaf und
Nahrung zu beugen. Haltet euch dies in den nächsten 7 Tagen
immer vor Augen, wenn ihr auf diese Wesen trefft. Ich halte
euch dies so ausdrücklich vor, da ihr im Gegensatz zu mir
keine brauchbare Erfahrung mit dieser Art habt. Also merkt
euch dies, dann werdet ihr diese eigenartigen und uns so
unterlegenen Wesen vielleicht verstehen. Wie ihr seht, hat
mein Spiel doch einen ja Sinn, ich möchte euch vorbereiten
und euch sogleich ein Gefühl für meine Faszination geben.
Es ist eine Inspiration... ."
Mit einem Mal wurde er still wie auch die Runde um ihn
herum, die seine Belehrung mit zahlreichen Unmutsgeräuschen
begleitet hatte.
„ Er kommt. Die Zeit ist um." , brachte er noch über die
Lippen. Die ganze Runde erhob sich und blickte durch die
Dunkelheit.
„ Er hat jemand bei sich, ja einen Jungen."
„ Tatsächlich, er hat ein menschliches Wesen bei sich."
„ Es ist kein Leben in ihm. Spürst Du das etwa nicht,
spürst Du es nicht?"
„ So ist es. Er hat Blut auf seinem Hemd. Wir riechen und
sehen es. Ruhig, mein Tier, er wird uns nichts tun."
„ Ja, wir haben es alle gesehen. Er hat einen untoten
Jungen bei sich. Es ist gut."
Der Statthalter schritt durch die Dunkelheit. Seine Kapuze
verdeckte nicht mehr sein Gesicht. Kurzfristig kräuselte
ein Windchen seine Haare, aber verstummte bei der ersten
Berührung mit ihnen. Er blieb kurz stehen, wies den Jungen
mit einem Handzeichen kurz an, hier zu warten und schritt
dann wieder auf die Gruppe zu, die ihn erwartete.
Als er sie erreicht hatte, neigten die Fünf demutsvoll den
Kopf. Sein erster Blick galt dem Feuer, dann dem Sekretär.
Ein zweiter Blick aufs Feuer und es erlosch. Der Sekretär
machte erneut eine demutsvolle Geste. Der Statthalter griff
in seine Kutte, holte eine versiegelte Rolle heraus und
schritt auf den Bestienmeister zu. Der Höllenhund wich zurück.
„ Bestienmeister," , erhob er seine Stimme, die für einen
kurzen Moment die Blätter des Waldes zum Rascheln
brachte, „ ich habe hier Befehle. Bringe sie unverzüglich
an Xadrak. Bald wird das erste Zeichen erscheinen. Es
finden sich hier einige Befehle, an die er sich strikt zu
halten hat. Für dich gilt das Gleiche. Mache dich jetzt auf
den Weg, du weißt ja wo du ihn antreffen wirst. Und
vergesse nie, was ihr auch immer tut: größte Grausamkeit,
größte Gewalt. Geh."
Der Bestienmeister nahm die Rolle an sich, verbeugte sich
tief, indem sein Kopf den Boden berührte und ging. Der
Statthalter blickte ihm kurz nach und setzte sich dann. Der
Rest tat es ihm gleich und blickten dann erwartungsvoll zum
untoten Jungen. Stille. Für einige Minuten. Jetzt störte
niemand mehr die ach so knappe Zeit.
„ Ja, Burnie." , und wieder brachte seine Stimme die
Blätter zum zittern, „ Ein nettes Städtchen. Fast etwas
schade darum, aber nur fast. Aber diese Menschen. Da kotzt
doch so eine Hure in meiner Gegenwart. Ein anderer will mir
doch tatsächlich ... ." , ein kurzes, dunkles Lachen, „Was
soll’s. Junge, hierher."
Auf diesen Befehl hin tastete sich der Junge durch die
Dunkelheit. Er konnte nur düstere, schemenhafte Gestalten
erkennen. Er spürte ihre abgrundtiefe Bösartigkeit, doch er
empfand keine Angst, er war kein Mensch mehr.
Nun konnten sie ihm in aller Ruhe betrachten. Ein kleiner,
blasser Junge. Noch nicht ausgewachsen. Unsicher stand er
da. Mit seinen schwarzen Locken, die in sein bleiches
Gesicht fielen und eine Platzwunde verdeckten, eine kaputte
Trommel mit einer dünnen Hand umklammernd, ein Arm kraftlos
herabhängend, sein schmutziges, graues Leinenhemd noch mit
frischem Blut besudelt. Er war noch nicht lange tot. Wie
alt mochte er gewesen sein? Vielleicht zwölf. Vielleicht
vierzehn. Aber wem interessierte das schon. Der Statthalter
brach wieder das Schweigen.
„ Ein kleiner Junge. 7 mal haben sie zugestoßen, dann war
er tot. Dabei hatte er kein Geld bei sich. Die Trommel
haben sie ihm auch zerstört. Sie haben ihm damit auf den
Kopf geschlagen. Dreimal."
Er trug dies alles mit ruhiger, dunkler Stimme vor. Es
waren Daten, die er hier präsentierte. Nach einer Pause
fuhr er wieder fort.
„ Ich habe ihm neues Leben eingehaucht. Pfeifer, du
kümmerst dich um ihn."
Pfeifer nickte unterwürfig, auch wenn er nicht verstand
warum. Aber Begründungen oder gar Rechtfertigungen kannte
der Befehlende nicht. Der Statthalter der Niederhölle
blickte zum Himmel:
„ Es ist so weit."
Götterurteil wurde die Vernichtung der Insel Macon mit
allen daraufliegenden Städten und Dörfern beschlossen. Im
Mittelpunkt aller Vernichtung steht die sündige Hauptstadt
Burnie, die schöne und zugleich dornige Rose des Nordens.
Burnie bleiben noch 7 Tage.
Sowohl die helle Seite, wie auch die dunkle Seite bereiten
sich auf die Vernichtung vor. Während die schwarzen Truppen
bereits im Osten der Insel gelandet sind, befinden sich die
weißen Truppen noch dabei im Westen der Insel zu landen.
In einem kleinen Wäldchen östlich von Burnie hat sich das
Dämonium versammelt, der dunkle Führungsstab der schwarzen
Truppen, noch wartet man dort auf den Statthalter der
Niederhölle, der sich kurzzeitig nach Burnie abgesetzt hat,
um sich dort einen Überblick über die Lage zu verschaffen,
und auf das erste Zeichen. Das Dämonium überbrückt die
Wartezeit, man sinniert über den Menschen.
Es war still. Irgendetwas hatte den Nachts sonst so lauten
Wald zum Verstummen gebracht. Die Bäume ragten in den
Himmel und verharrten still, kein Blättchen rührte sich.
Die zwei Monde von Aramar hatten sich ängstlich versteckt.
Nichts war zu hören, nur das leise Knistern eines
Lagerfeuers.
„ Ich verstehe nicht, was die Menschen an einem Lagerfeuer
finden. Ich kann nichts daran finden." , klang eine spitze
Stimme durch den Wald. Eine knochige Hand legt weiter Holz
nach, ein fleischloses Gesicht schüttelte den Kopf.
„ Sekretär, ich glaube Sie haben zu oft Kontakt mit
Menschen." , warf ein Umsitzender ein.
Der Sekretär unterließ das Nachlegen und blickte auf:
„ So, glaubst Du. Wie kommst Du denn auf diesen Gedanken?"
„ Nun, Sie versuchen die Menschen immer zu hinterfragen.
Aber das menschliche Handeln hat keinen Sinn. Sie ..."
Das Wesen am Feuer lachte spitz auf:
„ Sinn, mein werter Freund. Sinn ist, wie Dir sicherlich
nicht entgangen ist, ein menschlicher Begriff. Wenn Du
schon eine Art von Kritik üben willst oder wie auch immer
deine Aussage zu deuten ist, dann wähle deine Worte
vorsichtig. Du wirfst mir vor, zuviel Kontakt zu den
Menschen zu haben und verwendest einen menschlichen
Begriff. Aber so ist er, unser lieber Pfeifer, der redet
zuerst und dann denkt er."
Dieser Aussage folgte wiederum ein Lachen. Die Umsitzenden
stimmten ins spitze Gelächter mit ein, teilweise ebenfalls
amüsiert, teilweise gezwungen. Ein Gelächter aus
dämonischen Kehlen erfüllte jetzt den gesamten Wald.
Als es verstummte, fuhr der Sekretär des Todes fort:
„ Nun hat mich Pfeifer auf eine hübsche Idee gebracht. Oh
ja, eine wirklich hübsche Idee."
Der Sekretär hielt kurz inne, blickte durch die Dunkelheit
und ergriff wieder das Wort:
„ Nun, mein maskierter Genosse, ich hoffe unser kleinen,
gemütlichen, erlesen Runde bleibt dafür noch genug Zeit,
bevor der Statthalter hier wieder erscheint. Liege ich
richtig mit meiner Annahme?"
Der Angesprochene nickte - das Klingeln von Glöckchen war
zu hören - und fügte hinzu:
„ Nein, Sie irren sich nicht. Es bleibt uns noch genug
Zeit, um ihre hübsche Idee durchzusetzen."
Das Wesen am Feuer legte weiterhin Holz nach und übernahm
wieder das Wort:
„ Schön, das freut mich. Das freut mich wirklich. Nun hört
mir zu, meine umsitzenden Kollegen. Der Mensch, ein
erbärmliches Wesen doch nicht ohne Faszination, beschäftigt
mich schon lange. Das mag an meinen häufigen Kontakten mit
den Menschen liegen, vielleicht liegt da Pfeifer nicht ganz
falsch. Allerdings, nur vielleicht.
Zumindest, um wieder zum Thema zu kommen, in all den
Jahrtausenden bin ich zur der Erkenntnis gekommen, daß
hinter jedem menschlichen Handeln ein Sinn steckt. Ich muß
dieses Wort verwenden, weil es in unserer Sprache keine
Entsprechung für diesen Begriff gibt. Auch wenn... ."
Wieder war das Läuten von Glöckchen zu hören. Der Maskierte
unterbrach ihn:
„ Mein werter Genosse, uns allen ist ihre Vorliebe für
weitschweifige Erzählungen bekannt, aber Sie würden uns
allen einen Gefallen tun, wenn Sie sich nur etwas kürzer
fassen würden. Ich sagte Ihnen, wir hätten noch genug Zeit,
jedoch ich sagte nicht, wir hätten ewig Zeit. Bedenken Sie,
wir haben nur 7 Tage und ich meine 7 menschliche Tage. Und
wir können, so gerne wir es auch wollten, diese Tage nicht
damit verbringen, ihren erlesen Worten zu lauschen."
Ein böses Lachen war in der Runde zu hören. Bösartiger und
herzhafter als das andere. Das Wesen am Feuer übernahm
wieder das Wort:
„ Verzeiht mir, ich bin es zur sehr gewöhnt, die Ewigkeit
auf meiner Seite zu haben. Ich fasse mich kurz. Ich dachte
an ein kleines Spiel.
Um unsere doch nicht so reichlich bemessene Zeit nicht
weiter zu strapazieren," , dabei hielt er inne und warf dem
Maskierten einen Blick zu, „ werde ich gleich damit
beginnen. Es ist ein amüsantes, kleines Spiel. Ein
Zeitvertreib, würden die Menschen sagen. Welchen Sinn hat
das Feuer für den Menschen? Jeder gibt eine andere Antwort.
Ich beginne."
Ein Raunen der Unlust ging durch die Menge. Der Knochenmann
nickte mit dem Kopf. Das Wesen mit der Maske griff wieder
ein:
„ Sekretär, ich weiß leider nicht , woher ihre Vorliebe
für diese Art von Spielereien kommt. Wir wissen es alle
nicht. Aber vielleicht ist es Ihnen nicht ganz klar, wir
sind keine Ansammlung von Kleinkindern, die sie mit
lustigen Spielen unterhalten müssen. Uns sind ihre Spiele
höchst suspekt und wir müssen uns die Antworten immer bei
den Haaren herbeiziehen."
Leise Geräusche der Zustimmung gingen durch die Runde.
„ Aber, mein kritischer Freund," , ergriff wieder der
Sekretär das Wort, " ich verfolge mit meinem Spiel etwas,
einen gewissen ja Sinn, um es mal so auszudrücken. Und da
unsere Zeit gar so knapp bemessen ist, ist es mir leider
nicht möglich euch diesen Sinn zu erläutern, doch Ihr
werdet sehen. Am Ende werdet Ihr sehen und erkennen.
Nun, ich beginne. Wie ich bereits angeführt habe, hat Feuer
verschiedene Bedeutungen für den Menschen. So hat Feuer den
Sinn, Wärme und Behaglichkeit zu geben. Um diese Sehnsucht
nach Wärme und Behaglichkeit zu verstehen, muß man etwas
weiter ausholen, selbst wenn die Zeit auch erschreckend
knapp ist. Der Mensch an sich ist äußerst kälteempfindlich,
so empfindet er bereits den Moment, in welchem Wasser
gefriert als äußerst unbehaglich, ganz zu schweigen von
noch kälteren Temperaturen. Also braucht der Mensch das
Feuer, um seinen äußerst kälteempfindlichen Körper zu
schützen. Dem noch nicht genug, hat ihm die Natur auch mit
einer gewissen Hitzeempfindlichkeit gestraft. Man bedenke,
daß der Mensch nicht einmal einen kurzen Moment ins Feuer
langen kann, ohne Verbrennungen und äußerste Schmerzen
davonzutragen.
Die Sache mit der Behaglichkeit ist wesentlich schwerer zu
erklären und noch weitaus schwerer zu verstehen. Der Mensch
hat dem Feuer gegenüber gewisse, wie soll ich sagen,
Gefühle. Der Mensch fühlt dabei Geborgenheit und auch eine
gewisse, nun Romantik. Ich sehe schon, die Zahl der
menschlichen Fremdwörter, die ich benutze, verwirrt euch.
Ich höre hier auf.
Nun werdet ihr sagen, was erzählt uns der alte Knochenkopf,
jene dürre Gestalte mit seiner krankhaften Faszination für
den Menschen. Dies ist uns schon allen schon alles bekannt.
Sicherlich. Sicherlich. Aber gewisse Sachen muß man sich
immer wieder vor Augen führen. Und gewährt mir noch einen
letzten Satz, bevor ich weitergebe, wenn die Zeit auch
drängt. Sie klopft schon an. Hört ihr sie? Sie ruft:
„ Schneller, Sekretär, schneller. Ich bin nur knapp
bemessen und verrinne bald." Hört ihr sie?"
Der Sekretär machte eine kleine Pause. Glöckchenklingen und
ein wütendes Schnauben waren zu hören. Er fuhr fort:
„ Nun, gut. Zu meinen letzten Sätzen, die Ihr mir gewährt
habt. Was mich am Menschen so sehr fasziniert, ist die
Tatsache, daß wir alle ihre Handlungen erklären können, sie
aber nicht alle verstehen. Auch wenn wir der menschlichen
Rasse, sowohl körperlich wie auch geistig, weit weit
überlegen sind, können wir einen zentralen menschlichen
Begriff, den Sinn nicht erfassen. Der Sinn ist der
Schlüssel zum menschlichen Verständnis. Obwohl wir ihnen so
weit, so unendlich weit überlegen sind, besitzen die
Menschen noch ein letztes Geheimnis, welches wir ihnen
nicht entreißen können. Und das fasziniert mich an den
Menschen. Den Menschen gehört die Logik, uns das Chaos."
Der Knochenmann schwieg für einen Moment, die letzen Sätze
hatte er geradezu im Wahn gesprochen, dabei wurden seine
Worte gegen Ende hin immer drängender und lauter. Nun
schwieg er wie die Runde und der Wald um ihn herum. Er
rückte sein Monokel zurecht, wischte sich Asche von seiner
Kleidung, die aus Lumpen bestand und setzte sich vom Feuer
weg, allein auf einen Baumstamm.
Er ergriff wieder das Wort:
„ Aber, meine Herren. Was soll das betretene Schweigen. Es
geht weiter. Unsere Zeit ist doch knapp bemessen oder habe
ich mich da etwa verhört? Nur nicht schüchtern sein, der
Großteil von uns beißt nicht. Doyen, Du bist dran."
Seine spitze Stimme war nun wesentlich ruhiger, dem
zynischen Klang war nun ein sanfter Sarkasmus gewichen. Der
Doyen, jetzt im Mittelpunkt des Interesses, setzte sich
aufrecht hin. Ein freudiges Schlagen von zwei mächtigen
Schwingen war zu hören. Der Doyen begann seine Ausführungen:
„ Nun gut, so werde auch ich meinen Teil dazu beitragen,
zumindest bleibt mir keine andere Wahl. Zuerst möchte ich
jedoch anführen, daß ich den Sachverhalt nicht so klar
darlegen kann, wie unserer Sekretär, der ja ein wahrer
Meister darin ist, andere zu belehren. Doch auch ich
verfüge über eine gewisse Beredsamkeit, wie euch sicherlich
bekannt ist. Der Herr Sekretär und ich bewegen uns im
gleichen Tätigkeitsbereich, wobei ich mich nicht mit
menschlichen Wesen abgeben muß. Wie dem auch sei. Da mein
Vorgänger seine Ausführungen etwas ausgedehnt hat, liegt es
nun an mir, mich etwas kürzer zu fassen und so wieder etwas
Zeit zu gewinnen.
Nun gut, zum Kern der Frage. Das menschliche Wesen ist eine
äußerst schwache und fehlerhafte Kreatur, auch wenn es auf
gewisse Persönlichkeiten eine gewisse Faszination ausübt,
die nicht für jeden nachvollziehbar ist. Wie dem auch sei.
Das menschliche Wesen braucht das Licht des Feuers, damit
es im Dunklen sehen kann. Denn die Augen des menschlichen
Wesens sind sehr leistungsschwach, es benötigt Licht, um
einigermaßen brauchbar zu sehen. Es kann im Dunklen nicht
sehen. Es macht durchaus einen Unterschied für das
menschliche Wesen, ob es nun Tag oder Nacht ist. Die Augen
sind nicht unabhängig von der Tageszeit.
Ein weiterer Punkt ist eine gewisse Angst vor der
Dunkelheit. Was das menschliche Wesen nicht sieht, macht
ihm Angst, so benötigt es das Feuer dazu, um zu sehen, daß
es nichts gibt, wovor es Angst haben muß. Nun gut, hier
wären meine Ausführungen auch schon beendet, und wenn mich
mein Zeitgefühl nicht ganz trügt, habe ich mein Versprechen
gehalten und etwas Zeit gewonnen. Nun gut, Bestienmeister,
Du bist an der Reihe, Dir etwas an den Haaren
herbeizuziehen."
Sofort war das Aufheulen eines Höllenhundes zu hören, der
den Namen seines Meisters hörte. Sein Besitzer zog ihn
sanft zurück und streichelte ihn mit seiner linken Hand,
die eine verunstaltete, haarige Kralle war, liebevoll den
Kopf mit den Worten:
„ Ganz ruhig, mein Junge. Der Doyen hat uns nur höflich
gebeten, auch beim Spiel des Sekretärs mitzumachen. Er will
uns sicherlich nicht die Augen ausstechen."
Der Höllenhund beruhigte sich und legte sich wieder zu
Füßen seines Herren nieder. Der Bestienmeister fuhr mit
seiner tiefen Stimme fort, die so klang, als sei er nahe am
Ersticken:
„ Ich komme jetzt gleich zum Wichtigsten und übergehe das
Selbstlob für meine Person. Feuer bedeutet für den Menschen
Zerstörung. So kann das Feuer sein Haus verbrennen, seine
Tiere verbrennen, ja ihn selbst verbrennen. Und der Mensch
fürchtet diese Zerstörung, dies weiß ich aus eigener
Erfahrung, auch wenn ich es selbst nicht nachvollziehen
kann. Als ich damals dieses Waisenhaus in Etha angezündet
habe... . Dämonen aller Niederhöllen, daß ist schon ein
Weilchen her, etwa 160 Jahre." , er hielt kurz inne, und
ergriff dann wieder das Wort, „ Da gerieten die Menschen
geradezu in eine Art Panik und liefen wie wild umher, nur
um dieses Waisenhaus zu löschen." , wieder machte er eine
Pause, mit einem Lächeln nahm er die Rede erneut auf, „
Einige rannten auch wie wild umher, weil sie selber Feuer
gefangen hatten. Ja, die guten alten Zeiten.", und wieder
eine Pause, „ Verzeiht mir, man versinkt so leicht in
Erinnerungen. Was war der Punkt. Ach ja, Feuer bedeutet für
die Menschen Zerstörung. Sie versuchen immer, ihr
erbärmliches Leben zu retten. Und für was. Leben sie doch
nur 60 Jahre und das wenn sie Glück haben. 60 Jahre. Es ist
unbegreiflich, wie es sich für die Menschen überhaupt
lohnt, so kurz zu leben. Und was macht es schon für einen
Unterschied, ob mir jemand mit 30 Jahren das Herz
herausschneidet oder mit 60 Jahren. Oder ob mir jemand mit
30 Jahren den Kopf abhackt oder mit 60. Ob man mich mit 30
Jahren hängt oder ... ."
Das Klingeln von Glöckchen und eine Stimme unterbrachen ihn:
„ Ich denke, wir haben alle verstanden, worum es geht.
Würdest Du die Güte besitzen und auch langsam zum Ende
kommen."
Der Bestienmeister nickte und versucht zum Schluß zu kommen:
„ Gut, ich komme jetzt zum Schluß und bringe es auf den
Punkt. Feuer bedeutet für den Menschen Zerstörung und für
diese kann er sich unerklärlicherweise nicht begeistern.
Pfeifer, Sie sind an der Reihe."
Der Todespfeifer lehnte sich nach vorne, wischte sich seine
Locken aus dem Gesicht und begann zu sprechen:
„ Bevor ich anfange, möchte ich es nicht versäumen, ja
nicht vergessen, mich in die Gruppe meiner Vorredner
einzureihen und nicht gleich zum Gegenstand, ja zum Thema
überzugehen. Ein Lob gebührt vielleicht dem Bestienmeister,
der es wieder mal geschafft hat in seiner unnachahmlichen,
ja einzigartigen Art, uns eine Sache nahezubringen."
In seinen letzten Worten war ein Quentchen von
Freundlichkeit zu hören, die anderen schreckten auf,
immerhin machte hier der Ton die Musik. Pfeifer, dessen
Stimme im Allgemeinen nicht so bedrohlich wie die seiner
Vorsprecher klang, bemerkte seinen Fehler und senkte
demutsvoll den Kopf. Der Sekretär schüttelte verächtlich
seinen Kopf, ärgerliches Glöckchenklingeln erklang, der
Bestienmeister hielt seinen Hund zurück und ein
vorwurfsvolles Schlagen von zwei mächtigen Schwingen war zu
hören. Der Todespfeifer schwieg, hob nach einer kurzen
Pause wieder den Kopf und fuhr unsicher fort:
„ Nun gut, ich komme zum Thema. Aber wie ihr wißt ... ." ,
eine kurze, nachdenkliche Pause, „ Ach, ich beginne lieber.
Neben der Zerstörung bietet das Feuer auch einen Schutz für
den Menschen, ja eine Sicherheit, auch wenn es
widersprüchlich erscheint, geradezu unvereinbar klingt. So
verbindet der Mensch mit Feuer sowohl Schutz wie auch
Zerstörung. So lassen sie das Feuer gerne brennen, damit es
sie vor Tieren, vor wilden Tieren schützt." , er hielt kurz
inne,„ Nein, ich muß mich präziser fassen. Folgendermaßen.
Der Mensch ist im Freien. Es ist Nacht. Tiere, wilde Tiere
lauern überall. Das Feuer schreckt sie ab und der Mensch
kann schlafen." , wieder eine kurze Denkpause, „ Und der
Schlaf. Die Geisel der Menschheit. Der Dieb des halben
Lebens. Der Mensch ist ein Sklave des Schlafes, dieses
höchst eigenartigen Phänomens. Das menschliche Leben ist
bereits so kurz, ja geradezu knapp, wie der Bestienmeister
bereits angeführt hat." , und diesmal versuchte er jede
Freundlichkeit aus seiner Stimme fernzuhalten, die sich vor
kurzen auf geradezu hinterhältige Weise in seine Stimme
eingeschlichen hatte.
„ Und die Hälfte dieses Lebens, zumindest in etwa die
Hälfte, verbringt der Mensch in der Passivität des
Schlafes. Und jetzt erzählt mir nichts von Träumen. Oh,
nein. Der Schlaf ist ein passives Herumliegen ohne jede
sinnvolle Aktivität. Ein Tribut, ja ein Geständnis an einen
schwachen oder soll ich sagen gebrechlichen menschlichen
Körper, der nicht fähig ist, längere Zeit ohne Schlaf
auszukommen. So ist es meine Herren. Der Schlaf hat den
Menschen unter sein Joch gespannt. Der Schlaf."
Der Todespfeifer hatte wie im Rausch gesprochen und als
letzter gemerkt wie sehr er vom eigentlichen Thema, dem
Feuer, abgekommen war. Er war nun am Ende. Der Maskierte
nutzte die Pause und übernahm das Wort.
„ Vielen Dank, werter Pfeifer, für diese äußerst präzise
und sehr aufs Thema konzentrierte Darlegung des
Sachverhaltes. Und es ist richtig, wir wissen es, wir
wissen es alle.
Nun liegt es an mir, dieses leidige Spiel zu beenden,
welches uns bisher so unglaublich viel gebracht hat. Meinen
Respekt, Herr Sekretär. Nun gut, jetzt will auch ich meinen
Teil dazu beitragen, damit wir alle unseren Horizont noch
mehr erweitern können.
Der Mensch ist nicht gewillt, rohes Fleisch zu essen.
Einmal, weil ihm rohes Fleisch nicht schmeckt, anderseits,
weil es sich dadurch vom Tier abheben will, wie ich vermute.
Allein die Tatsache der Nahrungsaufnahme ist höchst
suspekt. Der Mensch ist nicht fähig, über längere Zeit ohne
Nahrung und auch Wasser zu leben. Und würde er nicht essen,
dann wären er bald nur noch Haut und Knochen wie unser
geliebter Sekretär. Aber ich drifte ab wie der werte
Musikus neben mir. Der Mensch in seiner Abhängigkeit von
der Nahrung versucht, diese besonders schmackhaft zu
machen, dazu bedient er sich des Feuers. Das wäre es auch
schon. Kurz, präzise und zum Thema, was ja nicht allen in
diesem Maße gelungen ist."
Nachdem er geendet hatte, klatschte der Sekretär in seine
knochigen Hände und fuhr sogleich mit seiner spitzen
Stimme fort:
„ Sehr schön, meine Freunde. Du verzeihst mir, Geist der
Geister, daß ich sofort weitermache. Die Zeit drängt ja
noch immer und wenn ich mich nicht irre, wolltest Du nichts
mehr hinzufügen. Eine... ."
„ Oh, Sie haben vollkommen recht," , unterbrach ihm der
Angesprochene, „ wie sollten Sie sich irren. Fahren Sie
fort."
Der Knochenmann, etwas überrascht über die Unterbrechung,
schwieg eine Sekunde und ergriff dann wieder das Wort.
„ Vielen Dank. Eine Bemerkung muß ich mir noch erlauben,
selbst bei ach so knapper Zeit. Dein Vergleich hinkt etwas,
werter Geist. Ich bin nicht Haut und Knochen, ich bin nur
noch Knochen."
Diese Belehrung wurde mit ärgerlichem Glöckchenklingeln
kommentiert. Der Sekretär ließ sich davon nicht irritieren.
„ Nun gut. Jeder hat jetzt seinen Beitrag geleistet, der
eine etwas besser, der andere etwas schlechter, aber es ist
uns gelungen, ein Bild vom Menschen zu bekommen.
Ich fasse zusammen, kurz versteht sich, etwas anders
erlaubt die Zeit ja nicht. Der Mensch ist eine gebrechliche
und schwache Kreatur. Sein Körper ist unfähig, gewisse
Temperaturen zu ertragen. Seine Augen sind so schwach, daß
er nur am Tag vernünftig sehen kann. Weiterhin ist er ein
Sklave seiner Ängste, die Dunkelheit, in welcher er ja
nichts sehen kann, beschert ihm ein unbehagliches
Gefühl. Ebenso lebt er in ständiger Angst, sein Leben zu
verlieren, welches auch durch das Feuer gefährdet ist. Er
ist auch abhängig vom Schlaf, ein Punkt auf den uns
Pfeifer, wenn auch auf Umwegen, gebracht hat. Zu guter
Letzt muß er seinen Körper ständig Nahrung und Wasser
hinzuführen, damit er nicht Haut und Knochen wird, wie
gewisse Personen meinen.
So ist der Mensch, ein schwaches, gebrechliches Wesen,
voller Ängste, nicht Herr über Leben und Tod, immer wieder
dazu gezwungen, sich den Bedürfnissen nach Schlaf und
Nahrung zu beugen. Haltet euch dies in den nächsten 7 Tagen
immer vor Augen, wenn ihr auf diese Wesen trefft. Ich halte
euch dies so ausdrücklich vor, da ihr im Gegensatz zu mir
keine brauchbare Erfahrung mit dieser Art habt. Also merkt
euch dies, dann werdet ihr diese eigenartigen und uns so
unterlegenen Wesen vielleicht verstehen. Wie ihr seht, hat
mein Spiel doch einen ja Sinn, ich möchte euch vorbereiten
und euch sogleich ein Gefühl für meine Faszination geben.
Es ist eine Inspiration... ."
Mit einem Mal wurde er still wie auch die Runde um ihn
herum, die seine Belehrung mit zahlreichen Unmutsgeräuschen
begleitet hatte.
„ Er kommt. Die Zeit ist um." , brachte er noch über die
Lippen. Die ganze Runde erhob sich und blickte durch die
Dunkelheit.
„ Er hat jemand bei sich, ja einen Jungen."
„ Tatsächlich, er hat ein menschliches Wesen bei sich."
„ Es ist kein Leben in ihm. Spürst Du das etwa nicht,
spürst Du es nicht?"
„ So ist es. Er hat Blut auf seinem Hemd. Wir riechen und
sehen es. Ruhig, mein Tier, er wird uns nichts tun."
„ Ja, wir haben es alle gesehen. Er hat einen untoten
Jungen bei sich. Es ist gut."
Der Statthalter schritt durch die Dunkelheit. Seine Kapuze
verdeckte nicht mehr sein Gesicht. Kurzfristig kräuselte
ein Windchen seine Haare, aber verstummte bei der ersten
Berührung mit ihnen. Er blieb kurz stehen, wies den Jungen
mit einem Handzeichen kurz an, hier zu warten und schritt
dann wieder auf die Gruppe zu, die ihn erwartete.
Als er sie erreicht hatte, neigten die Fünf demutsvoll den
Kopf. Sein erster Blick galt dem Feuer, dann dem Sekretär.
Ein zweiter Blick aufs Feuer und es erlosch. Der Sekretär
machte erneut eine demutsvolle Geste. Der Statthalter griff
in seine Kutte, holte eine versiegelte Rolle heraus und
schritt auf den Bestienmeister zu. Der Höllenhund wich zurück.
„ Bestienmeister," , erhob er seine Stimme, die für einen
kurzen Moment die Blätter des Waldes zum Rascheln
brachte, „ ich habe hier Befehle. Bringe sie unverzüglich
an Xadrak. Bald wird das erste Zeichen erscheinen. Es
finden sich hier einige Befehle, an die er sich strikt zu
halten hat. Für dich gilt das Gleiche. Mache dich jetzt auf
den Weg, du weißt ja wo du ihn antreffen wirst. Und
vergesse nie, was ihr auch immer tut: größte Grausamkeit,
größte Gewalt. Geh."
Der Bestienmeister nahm die Rolle an sich, verbeugte sich
tief, indem sein Kopf den Boden berührte und ging. Der
Statthalter blickte ihm kurz nach und setzte sich dann. Der
Rest tat es ihm gleich und blickten dann erwartungsvoll zum
untoten Jungen. Stille. Für einige Minuten. Jetzt störte
niemand mehr die ach so knappe Zeit.
„ Ja, Burnie." , und wieder brachte seine Stimme die
Blätter zum zittern, „ Ein nettes Städtchen. Fast etwas
schade darum, aber nur fast. Aber diese Menschen. Da kotzt
doch so eine Hure in meiner Gegenwart. Ein anderer will mir
doch tatsächlich ... ." , ein kurzes, dunkles Lachen, „Was
soll’s. Junge, hierher."
Auf diesen Befehl hin tastete sich der Junge durch die
Dunkelheit. Er konnte nur düstere, schemenhafte Gestalten
erkennen. Er spürte ihre abgrundtiefe Bösartigkeit, doch er
empfand keine Angst, er war kein Mensch mehr.
Nun konnten sie ihm in aller Ruhe betrachten. Ein kleiner,
blasser Junge. Noch nicht ausgewachsen. Unsicher stand er
da. Mit seinen schwarzen Locken, die in sein bleiches
Gesicht fielen und eine Platzwunde verdeckten, eine kaputte
Trommel mit einer dünnen Hand umklammernd, ein Arm kraftlos
herabhängend, sein schmutziges, graues Leinenhemd noch mit
frischem Blut besudelt. Er war noch nicht lange tot. Wie
alt mochte er gewesen sein? Vielleicht zwölf. Vielleicht
vierzehn. Aber wem interessierte das schon. Der Statthalter
brach wieder das Schweigen.
„ Ein kleiner Junge. 7 mal haben sie zugestoßen, dann war
er tot. Dabei hatte er kein Geld bei sich. Die Trommel
haben sie ihm auch zerstört. Sie haben ihm damit auf den
Kopf geschlagen. Dreimal."
Er trug dies alles mit ruhiger, dunkler Stimme vor. Es
waren Daten, die er hier präsentierte. Nach einer Pause
fuhr er wieder fort.
„ Ich habe ihm neues Leben eingehaucht. Pfeifer, du
kümmerst dich um ihn."
Pfeifer nickte unterwürfig, auch wenn er nicht verstand
warum. Aber Begründungen oder gar Rechtfertigungen kannte
der Befehlende nicht. Der Statthalter der Niederhölle
blickte zum Himmel:
„ Es ist so weit."