Dämonen des Steines 2. Kapitel

So,

Da ist mein zweites Kapitel, noch nicht überarbeitet, ich hoffe es gefällt euch trotzdem. Für Verbesserungsvorschläge bin ich dankbar!!!



2.

Die Schwärze um ihn war vollkommen. Es schien, als gäbe es absolut nichts um ihn herum, nur diese unglaublich finstere Leere. Er konnte nichts spüren, es war, als habe er seinen Körper verlassen und schwebe jetzt als körperlose Seele durch eine Welt die, ... ja .. was eigentlich war? Es war nicht die Realität. Das wußte er mit absoluter Sicherheit. Es war eine Welt irgendwo zwischen einem Bewußtsein und der Leere einer Bewußtlosigkeit. Es schien, als schwebe er zwischen beiden Welten, ohne zu wissen, wohin er sich wenden mußte. Er sah nur diese unglaubliche Schwärze. Nein, Schwärze war nicht einmal das richtige Wort. Es war eine völlige Leere, etwas, was er nicht beschreiben konnte, weil er nicht in der Lage war, sich etwas vorzustellen, wo nichts war. Nicht einmal Leere. Nicht einmal das Fehlen von Dingen wie Licht, Schwärze, Dunkelheit. Es war einfach nichts. Er konnte es nicht einmal richtig sehen, einfach, weil es nicht da war, weder greifbar noch spürbar. Nichts war da. Er wußte nicht, wohin er sich wenden sollte, vielleicht, weil es keinen Anhaltspunkt gab, vielleicht aber auch, weil es kein wohin gab. War das der Tod? Er wußte es nicht. Er wollte nur einen Weg finden, diese Welt zu verlassen, eine Welt, die nicht einmal eine Welt war, weil sie nicht da war. Er versuchte den Sturm seiner Gedanken zu bündeln, versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was vor dem Nichts gewesen war. Er konnte nicht sagen, wieviel Zeit verging, weil es hier nicht einmal Zeit gab. Immer wieder schweiften seine Gedanken ab, immer wieder brach ein Orkan durch seinen Kopf und erschütterte die Festen seiner Selbstbeherrschung. Verteidigung, dachte er. Es war nur ein Wort in seinem Kopf, aber es brachte Konzentration mit sich. Er versuchte, die Risse in der Festung seiner Gedanken mit etwas zu füllen, um sie gegen den Sturm, der draußen wütete, zu schützen. Er wußte nicht womit, aber er konzentrierte sich nur auf den Gedanken, den Stein zu finden, der die Mauer stützen konnte. Der Sturm wurde stärker, beinahe übermächtig. Seine Kräfte ließen rapide nach, und trotzdem versuchte er, sich weiterhin an diesem einen Gedanke festzuklammern. Ein Bild durchbrach plötzlich den Bann. Es war das Bild eines Mannes, in einem hellen, fast weißen Gewand. Auf der Brust des Mannes breitete sich plötzlich ein dunkler Fleck aus. Mit dem Bild schoß plötzlich ein Name durch seine Gedanken. Vagon von Durando.

Das erste, was Talon spürte, war ein Gefühl der Benommenheit, das seinen ganzen Körper ausfüllte. Alles schien taub zu sein. Panik erfasste ihn. Angst davor, nicht mehr in seinem Körper zu sein, sich gleich in jener entsetzlichen Welt wiederzufinden, in der nichts existierte. Dann spürte er den Schmerz. Schmerz, der irgendwo in seinem Nacken entstand und sich ausbreitete wie die Ringe im Wasser. Er schien durch seinen ganzen Körper zu gleiten. Wie ein Hammerschlag explodierte der Schmerz in seinem Kopf. Der Schmerz war so stark, dass er glaubte, sein Kopf platze auseinander. Wo ihn ein Schlag getroffen hatte, brannte seine Schläfe, glühende Nadeln stachen in seinen Schädel. Die gebrochenen Rippen schmerzten, er hatte das Gefühl, kaum noch atmen zu können. Es war als stände eine zentnerschwere Last auf seinem Brustkorb und presse langsam die Luft aus seinen Lungen. Sein gebrochenes Handgelenk machte sich schmerzend bemerkbar. Deutlich spürte er jetzt jeden noch so kleinen Kratzer, den ihm der Kampf um Durando eingebracht hatte. Seine Schulter pochte protestierend. Talon hustete gequält, und plötzlich war Blut in seinem Mund. Er stöhnte.
Ein kalter Hauch streifte seinen Körper, und er spürte, wie er zitterte. Talon versuchte, den Arm zu bewegen, aber es ging nicht. Stöhnend stützte er sich auf die Ellenbogen, mit dem Erfolg, dass ihm schlecht wurde. Zu dem Geschmack von Blut in seinem Mund mischte sich bittere Galle. Er bekämpfte die Übelkeit, drängte sie allmählich zurück und schlug die Augen auf. Er blickte an sich hinunter. Bis auf den Lendenschurz war er nackt. Es war kalt. Er versuchte erneut, den Arm zu bewegen, ohne Erfolg. Erst jetzt bemerkte er die Lederriemen, die sich um seine Hand- und Fußgelenke schmiegten und ihn an die Liege fesselten. Er bewegte das Bein und merkte, dass die Fesseln weich, aber trotzdem äußerst fest waren. Vielleicht hätte er sich von ihnen befreien können, aber nicht in diesem Zustand. Talon konzentrierte sich auf den Raum, in dem er sich befand. Von der Pritsche aus konnte er höchstens die Hälfte überblicken. Trostlose steinerne Wände, deren einzige Zierde starke Eisenringe waren. Die Beschaffenheit des Raumes und die Tatsache, dass der Gefangene nicht sehen konnte, was hinter ihm geschah, sagten ihm, dass er sich noch immer auf Durando befand. Die Tür zu diesem Kerker mußte irgendwo hinter ihm liegen. Plötzlich hatte Talon das sichere Gefühl, nicht allein zu sein. Jeder Gedanke an Flucht wich schlagartig aus Talons Gehirn. Zunächst einmal gab es da noch die Tür, die verriegelt war, aber mit einem Wächter in der Zelle war auch nur der Gedanke, sich von den Fesseln zu befreien, aussichtslos.
Mit einem Knarren wurde plötzlich der Riegel zurückgeschoben und quietschend öffnete sich die Tür. Talon hörte eine Stimme. „Der Feldherr, wie? Guter Fang! Rakh wird sicher erfreut sein.“ Im nächsten Moment wurde ihm eine schwarze Binde vor die Augen gelegt. Dann wurde er ziemlich unsanft zurück auf die Pritsche gedrückt. Er spürte, wie an Hand- und Fußgelenken die Fesseln sorgfältig überprüft wurden. Etwas kaltes, nasses klatschte auf seinen Körper, und jemand begann, seine Wunden zu säubern. Jede Berührung brannte wie Feuer. Nachdem seine Wunden grob gesäubert waren, ließ sich jemand neben ihm auf der Pritsche nieder. Kühle, kräftige Hände machten sich behutsam an seinen Verletzungen zu schaffen.

Nach einer scheinbar endlosen Zeitspanne, in der seine Wunden mit einer zähen, betäubenden Paste eingerieben und verbunden worden waren, schien der Heiler mit ihm fertig zu sein. Er irrte sich. Der Mann packte jetzt sein gebrochenes Handgelenk und begann, den Knochen zu richten. Talon biß die Zähne zusammen, aber der Schmerz war so schlimm, dass er ein Stöhnen nicht mehr zurückhalten konnte. Es tat unglaublich weh. Als der Heiler endlich zufrieden war, bestrich er auch das Handgelenk mit einer kühlenden Paste. Der Verband, den er dann darum wickelte, war fester als die anderen und verhinderte, dass sich die Knochen wieder verschoben. Die Wirkung der Salbe setzte praktisch sofort ein. Wie bei allen anderen Wunden betäubte sie den Schmerz und hinterließ nur ein angenehm kühles Prickeln auf seiner Haut. Nur in seinem Kopf wühlte noch immer dieser entsetzliche Schmerz. Talon war jedoch in seinem bisherigen Kriegerleben oft genug niedergeschlagen worden, um zu wissen, dass auch dieser bald vergehen würde. Der Heiler schien nun endgültig fertig zu sein, denn Talon vernahm ein dumpfes Klopfen an der Tür und bald darauf das Geräusch des Riegels. Es vergingen ein paar Sekunden, in denen Talon nur leise Schritte und geflüsterte Worte hörte, dann fiel die Tür mit einem dumpfen Knall ins Schloß.

Talon wußte, daß zumindest noch eine Wache im Raum war. Erneut prüfte er die Fesseln. Vielleicht konnte er sich von ihnen befreien. Aber selbst wenn, es blieben immer noch der Wächter und die Tür. Er schätzte, dass hinter dieser Tür ebenfalls Wachen standen. An eine Flucht war also nicht zu denken. Die Schmerzen waren fast verschwunden, statt dessen machte sich ein taubes Gefühl in ihm breit. Er war müde. Seit der Heiler gegangen war, war nicht viel passiert, die Wache war einmal abgelöst worden, und das war auch schon alles. Seine Lider wurden schwer. Nach einer Weile schlief er ein.
Das Geräusch des Türriegels weckte ihn. Er hörte die schweren Schritte mehrerer Männer. Er spürte, wie man seine Fesseln löste, kurz darauf griffen mehrere Hände nach ihm und zogen ihn hoch. Während er nun von einem Mann festgehalten wurde, drehte ihm ein anderer die Arme auf den Rücken und band sie zusammen. Das schwarze Band blieb vor seinen Augen. Wieder hörte er, wie die Tür entriegelt wurde. Es folgte ein andauerndes Quietschen. Eine Hand legte sich fest auf seine Schulter und schob ihn vorwärts. Hinter ihm fiel die Tür mit einem dumpfen Knall ins Schloß.
Talon hätte gerne gewußt, wohin man ihn brachte, aber keiner der Männer sagte ein Wort. Er ging ein paar Schritte weiter, dann brachte ihn die Hand auf seiner Schulter abrupt zum Stehen. Talon hörte das Rasseln eines Schlüsselbundes, ein Schaben von Metall auf Stein sagte ihm, dass eine Tür geöffnet wurde. Der Druck auf seiner Schulter wies ihn an, weiterzugehen. Talon begann seine Schritte zu zählen. Einhundertvierzig geradeaus, Drehung nach links, zehn Schritte, dann eine Treppe, siebzehn Stufen, dann ein Bogen nach rechts, weitere sechzehn Stufen. Talon mußte unwillkürlich lächeln. Er kannte diesen Weg.. Unter anderem war er als Feldherr nicht nur für die Soldaten zuständig, sondern auch für Gefangene. Vor allem für besonders wichtige Gefangene. Alle Zellentrakte auf Durando maßen zweihundert Schritt, außer dem einen, der sich eine Stufe über allen anderen Trakten befand. Allerdings galt gerade dieser Trakt als absolut ausbruchsicher. Talon hatte ihn selbst mehrfach überprüft. Siebzehn und dann sechzehn Stufen, das war nichts anderes als der Strafgang, wie ihn viele auf Durando nannten. Nur sehr wichtige Gefangene wurden hier festgehalten. Alle anderen Zellentrakte hatten siebzehn und siebzehn Stufen.
Es war beruhigend zu wissen, wo man sich befand, auch wenn es seine Lage eher noch aussichtsloser machte. Die Männer vor ihm blieben jetzt stehen, und die Hand auf seiner Schulter hielt ihn ebenfalls zurück. Wieder wurde eine Tür geöffnet. Sie stiegen eine weitere Treppe hinauf, diese mußte jedoch wesentlich schmaler sein als die erste, denn der Mann, dessen Hand auf Talons Schulter lag, ging nicht mehr neben, sondern hinter ihm. Erneut versuchte er die Stufen zu zählen, kam aber durcheinander und gab schließlich auf. Oben mußten sie wieder durch eine Tür, dann gingen sie ein ganzes Stück geradeaus. Sie blieben erneut stehen. Ein für Talon unverwechselbares Geräusch erklang. Dieses Geräusch machte nur eine einzige schwere Tür auf Durando. Talons Schulter pochte. Die Tür zum Thronsaal! Er hatte keine Zeit mehr, irgendwelche Schlüsse daraus zu ziehen, denn der Mann hinter ihm stieß ihn grob vorwärts.


*

Sie wachte auf. Sie konnte nicht sagen, was sie geweckt hatte, aber sie fühlte, dass etwas nicht stimmte. Sie seufzte und stand schließlich auf. Zögernd blickte sie sich in ihrem kleinen Quartier um. Norbihje mochte eine Festung sein, aber was Gastfreundschaft anging hatten die Leute ihrer Meinung nach noch viel zu lernen. Hier gab es lediglich ein recht schmales Bett, einen Stuhl und einen Tisch. An der Wand, die aus grauen Steinen bestand, waren lieblos ein paar einfache Haken angebracht. Der Raum ähnelte wirklich mehr einem Gefängnis. Sharatha hatte jedoch aufgehört, sich darüber zu ärgern. Eigentlich sollte sie sich glücklich schätzen, dass man ihr eine Schale mit frischem Wasser bereits auf den Tisch gestellt hatte. Sonst hätte sie jetzt hinunter zum Brunnen laufen müssen, um sich zu waschen. Das war der Vorzug, dass sie eine Frau war. Vermutlich der einzige Vorzug. Sie ging ans Fenster. Draußen war alles ruhig. Sharatha drehte sich erneut um. Sie hob das Kleid vom Stuhl, und ließ es in der gleichen Bewegung wieder fallen. Es war ihr gleichgültig, was der Burgherr von ihr hielt, sie würde dieses Kleid auf keinen Fall tragen. Sie war eine Zhahrgeweihte, eine Kriegerin. Sollte der Burgherr sie doch seiner Burg verweisen, sie hatte ohnehin genug von diesem Ort. Noch heute würde sie weiterziehen. Sie suchte Hose, Schuppenharnisch, Stiefel und Waffengurt zusammen. Sie begann sich anzuziehen. Innerhalb von Minuten war sie fertig. Sie war es einfach gewohnt, schwere Kriegskleidung zu tragen. Sharatha mußte lächeln. Diese Leute hier auf der Burg, die der Burgherr als seine „Armee“ bezeichnete, bräuchten wahrscheinlich Stunden, um einen solchen Schuppenpanzer richtig anzulegen. Wahrscheinlich hätte sie ebenso lange gebraucht, um das Kleid anzuziehen. Sie hatte einfach schon zu viele Schlachten geschlagen, um sich noch von einem Burgherrn, der wahrscheinlich nicht einmal wußte, was ein Dezhar war, sagen zu lassen, was sie anziehen sollte. Sie war zwar eine Frau, aber trotzdem ein Kämpfer. Sharatha band ihre langen, schwarzen Haare zusammen. Sie öffnete die Tür und trat ruhig auf den Gang hinaus. Wie es der Zufall wollte, stand auf dem Gang der Burgherr, blickte sie von oben bis unten an und öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Sharatha kam ihm zuvor. „Ihr seht ganz recht, mein Herr. Ich gehe mein Schwert holen. Danach werde ich Euch verlassen.“ Sie sagte diese Worte bewußt spöttisch, und die Reaktion des Burgherrn ließ keinen Zweifel daran, dass er sie genau so verstanden hatte. Er wurde rot vor Zorn. „Kein Weib wagt es, so mit mir zu sprechen!“ „Ich wage es!“ entgegnete Sharatha ruhig. Der Burgherr packte sie am Handgelenk, und versuchte, sie in die Knie zu zwingen, als wäre sie eine Dienstmagd, die ihm widersprochen hatte. Sharatha schlug zu. Sie traf ihn direkt auf die Nase, dann versetzte sie ihm noch einen deftigen Stoß mit dem Ellenbogen in die Rippen. Der tapfere Burgherr fiel auf die Knie und ließ sie los. Ein Gefühl des Triumphes überkam Sharatha, obwohl sie wußte, dass es falsch war. So ein kleiner Mann war kein Gegner für sie. Er mochte vielleicht in seinem Gürtel einen schweren Zweihänder tragen, aber Sharatha wußte, dass es nichts weiter war als Zierde. Wenn dieser Kerl versuchte, mit der Waffe auszuholen, würde er vermutlich hinten überfallen.
Sharatha überließ den Burgherrn seinem Schicksal und schlug den Weg zur Waffenkammer ein. Sie hasste es, ihr Dezhar nicht bei sich tragen zu können. Der Burgherr hatte allerdings darauf bestanden, dass sie ihre Waffen ablegte. Vermutlich hatte er Angst vor ihr. Im Waffensaal herrschte totales Durcheinander. Männer hasteten umher, schliffen Waffen oder machten Probestöße. Frauen polierten Klingen und flickten Rüstungen. Wie immer, wenn sie in voller Rüstung anderen Kämpfern begegnete, blickten viele der Männer ihr neugierig nach. Es kam schließlich nicht allzu oft vor, dass Frauen auf Bellwar Schwert und Rüstung trugen. Es gab einige Amazonen, meistens Einzelgänger, die große Gesellschaften mieden. Sharatha nicht. Sie war Söldnerin, wie auch die meisten ihrer männlichen Kollegen kämpfte sie sowohl im Heer als auch in kleinen Gruppen. Als Zhahrgeweihte zog sie meistens mit anderen Kämpfern durch Bellwar und erfüllte besondere Aufträge.
Sharatha ging zu einem Haken und nahm ihr Dezhar, das zweischneidige Schwert der Zhahrgeweihten ab. Wegen seiner zwei großen Widerhaken, die „Tigerzähne“ genannt wurden, war das Dezhar eine der gefürchtetsten Waffen auf Bellwar. Jeder, der ein Dezhar führte, ohne dem Kriegsgott Zhahr geweiht zu sein, hatte den Tod zu erwarten. Man wußte, dass die Geweihten bei der Anwendung dieses Gesetztes nicht gerade gnädig waren.
Der lederumwickelte Griff des Dezhar lag schwer in ihrer Hand, irgendwie ging ein vertrautes Gefühl von dem Schwert aus. Sie wurde sehr ruhig, schärfte die Sinne und spannte die Muskeln. Sharatha war kampfbereit. In dem Moment stürzte der Burgherr die Treppe zum Waffensaal hinunter. Seine Nase blutete heftig. „Packt dieses Weibsbild!“ schrie er aufgebracht, und zeigte dabei immer wieder auf Sharatha. Einige der Männer reagierten entsprechend und kamen tatsächlich auf sie zu. Sharatha hob in einer spielerischen Bewegung das Dezhar und nahm Kampfhaltung ein. Allein diese Bewegung ließ die Männer zurückweichen. Zumindest einige von ihnen wussten, was ein Dezhar zu bedeuten hatte. Sie waren bestimmt nicht müde geworden, ihren Kameraden zu erzählen, dass sich eine Zhahrgeweihte in der Burg befand. Es gab nur noch eine Kriegerkaste, die diese Männer mehr gefürchtet hätten. Das waren die Krieger der Löwen.
Sharatha trat auf das Regal zu und fand dort ihren Dolch, die Shuriken und die schmale Wurfaxt. Sie bewaffnete sich vollständig, ließ aber währenddessen keinen der Männer aus den Augen. Ihr Dezhar folgte jeder Bewegung. Noch einmal hob sie das Schwert drohend in Richtung des Burgherrn, bevor sie den Waffensaal verließ und den Weg zu den Ställen einschlug. Ahrjin, ihr schwarzer Hengst, erwartete sie bereits. Er schnaubte ungeduldig, als könne er es gar nicht erwarten, von hier zu verschwinden. Sharatha stimmte ihm zu. Sie war ebenfalls unruhig, und blickte sich noch einmal sichernd um. Keiner der Männer schien Interesse daran zu haben, sie zu verfolgen. Sie schwang Ahrjin den Sattel auf den Rücken, dann ging sie hinaus auf den Burghof. Ahrjin folgte ihr von selbst. Ein plötzlicher, unglaublich starker Windstoß peitschte ihnen entgegen, riß Sharatha wie ein Spielzeug mit sich. Sie wäre gestürzt, hätten sich ihre Finger nicht in Ahrjins Mähne gekrallt. Der Wind zerrte an ihren Kleidern, zerzauste ihre Haare. Mähne und Schweif des schwarzen Hengstes wurden so stark vom Wind mitgerissen, dass Sharatha Mühe hatte, sich festzuhalten. Dann, so plötzlich, wie der Sturm eingesetzt hatte, hörte er wieder auf. Aber er ließ etwas zurück. Alles war grau geworden. Überall hin war es gedrungen, in die Haare, den Kragen, in die Kleidung; es klebte auf ihrem Körper. Der schwarze Hengst wirkte jetzt eher grau, es bedeckte den ganzen Hof, jeden Stein, jeden Balken, jede Ritze im Kopfsteinpflaster. Sharatha lief es eiskalt über den Rücken. Dieses Grau ... war Staub.


Gegen Abend rastete sie. Seit ihrem Aufbruch von Burg Norbihje hatte sie keinen Halt gemacht. Sharatha war unterwegs nach Durando, denn ein Gefühl sagte ihr, dass dort etwas nicht stimmte. Außerdem freute sie sich darauf, Talon nach all den Jahren wiederzusehen. Als sie von Shirkah nach Djiron gekommen war, hatte sie erfahren, dass Talon der Wolf Vagon als Feldherr diente. Daraufhin hatte sie sich entschlossen, nach Durando zu reiten, war aber von einem Auftrag aufgehalten worden, der sie nach großen Umwegen schließlich nach Norbihje geführt hatte. Norbihje war etwa zweieinhalb Tagesritte von Durando entfernt. Sie konnte gar nicht schnell genug dorthin kommen. Die paar Tage auf Norbihje hatten ihr deutlich gezeigt, dass sie nicht für das geruhsame Leben zu haben war. Sie war eine Kriegerin. Wo Talon war, gab es meistens auch für Krieger eine ordentliche Beschäftigung. Sie sehnte sich danach, nicht mehr nur irgendwo zu sitzen und darauf zu warten, dass auf einer kleinen, unwichtigen Burg wie Norbihje etwas passierte. Sie hätte schon vor Tagen aufbrechen sollen.
Sie hatte einen abseits gelegenen Platz zum Rasten gewählt. In Richtung des Weges, den sie sowieso nicht benutzte, weil sie keine Lust hatte, Räuberbanden zu begegnen, die sowohl in den Wäldern von Licret als auch in den Norkahwäldern sehr häufig waren, standen hohe Bäume, auf den anderen Seiten machten zwei Meter hohe Büsche und Sträucher ein Durchkommen unmöglich. Somit war sie auf drei Seiten vor Angreifern geschützt. Ahrjin fand sofort Gefallen an dem dichten Gras, das den Waldboden überall da bedeckte, wo das Licht durch die Sträucher und Bäume sickerte. Sharatha hatte vor, nur kurz zu rasten, und dann noch ein oder zwei Stunden weiterzureiten, bevor sie ein Nachtlager aufschlug. Sie packte den Proviant aus und blickte dabei zum Himmel. Graue, schwere Wolken hingen herab, es würde bald Regen geben. Sie hoffte, nicht hier übernachten zu müssen. Bedrohliches Schwarz mischte sich in die Wolken, ein Windstoß fuhr durch die Bäume. Fast gleichzeitig mit einem Donnerschlag fuhr ein Blitz vom Himmel und gleich darauf setzte peitschender Regen ein. Sharatha fluchte, sprang auf und riß die Satteltaschen an sich. Die Büsche hatten weit überhängende Äste, die ihnen vielleicht etwas Schutz brachten. Sie warf die Satteltaschen unter die Büsche und sprang wieder auf. Ein weiterer Blitz krachte, begleitet vom Donner, vom Himmel. Ahrjin wieherte und bäumte sich auf, Sharatha jedoch ergriff die Zügel und zerrte ihn unter die Büsche. Irgendwann gab er auf und folgte ihr von selbst. Dann saßen sie da, unter den Büschen, durchnäßt und nicht gerade sehr erfreut. „Na, Ahrjin“, meinte Sharatha sarkastisch, „Das hat ja prima geklappt. Wenn wir so weitermachen sind wir in drei Wochen noch nicht auf Durando.“ Ahrjin blickte sie nur verständnisvoll aus seinen großen, dunklen Augen an. Aus dem Gewitter wurde ein Dauerregen. Die Büsche hielten das Wasser auch nicht mehr ab. Sharatha war inzwischen bis auf die Haut durchnäßt. Außerdem war ihr kalt. Seufzend stand sie auf, befestigte die Satteltaschen wieder am Sattel und führte Ahrjin unter den Büschen hervor. Sie schwang sich in den Sattel und ritt weiter. Es war bereits dunkel, als der Regen endlich aufhörte. Der Mond stand hoch am Himmel, und es drang noch immer genug Licht auf den Waldboden, um ein Weiterreiten zu ermöglichen. Sharatha hätte wahrscheinlich sowieso nicht schlafen können. Schlaf auf einer Reise zu finden, auf der man allein war, war ziemlich schwierig, vor allem, wenn man mit Überfällen rechnen mußte. Wachsamkeit war angebrachter. Vielleicht erreichte sie Durando auf diese Weise schneller, wenn auch wesentlich unausgeruhter. Sie war schon mit anderem fertig geworden, als nur mit ein bißchen Schlafmangel.


*


Khom ließ seinen Blick durch das provisorische Lager schweifen. Überall lagen Verletzte, die beiden Heiler hatten mehr als genug zu tun. Sie hatten es geschafft von Durando zu fliehen, aber um welchen Preis? Die meisten Soldaten waren tot oder schwer verletzt. Hier im Lager befand sich eine Gruppe von etwa einhundertvierzig Soldaten, aber Khom wußte, dass noch andere geflohen waren. Er weigerte sich einfach zu glauben, dass das ganze Heer sich von den Dämonen hatte abschlachten lassen. Immerhin waren alle ausgebildete Kämpfer, denn Vagon hatte Wert auf ein voll ausgebildetes Heer gelegt. Khom fragte sich, wie es jetzt wohl weiter ging. Sicher, sie konnten versuchen, mit den Männern zu einer der nächsten Burgen zu kommen. Vielleicht konnten sie es bis Norka, Licret oder Norbihje schaffen. Aber das würde den Dämonen, oder besser den Rakhyr Zeit geben, die Festung Durando vollständig zu besetzen und neu auszubauen. Außerdem gab es in den umliegenden Festungen zwar genug Soldaten, um ein Heer zu bilden, aber keiner von denen hatte es verdient, Soldat genannt zu werden. Es waren meist junge Leute, die stolz darauf waren in der Garde des jeweiligen Burgherrn zu sein. In einem richtigen Kampf würden sie vermutlich weinend zusammenbrechen und nach ihren Müttern schreien, geschweige denn im Krieg. Sie hatten jetzt Krieg. Einen erneuten Krieg mit den Rakhyr. Die Rakhyr hatten ihnen mit ihrem Angriff auf Durando den Krieg erklärt, und Khom war noch nicht bereit sich geschlagen zu geben. Er mußte jetzt angreifen. Jetzt, wo ein Großteil der Türme und Mauern zerstört war. Innerhalb von ein paar Wochen würde sich das ändern. Das Problem war, er hatte kaum genug Soldaten, um das Lager zu halten. Im Laufe der Nacht hatten sich viele Krieger im Lager eingefunden, die ebenfalls geflohen waren, und es kamen noch immer einige. Aber sie waren alle verletzt, und ein weiteres Problem waren die Waffen. Nicht wenige Schwerter waren bei den mächtigen Schlägen der Dämonen zersplittert wie Glas. Bei dem Gedanken warf er einen Blick auf seine Klinge. Sie war nahezu unversehrt. Als Angehöriger der Krieger der Löwen besaß er ein Schwert aus Sumpfstahl, der nahezu unzerbrechlich war. Es gab nur noch ein Material auf Bellwar, das diese Klingen überbieten konnte. Das war der Flammenstahl. Flammenstahl war das seltenste Metall auf Bellwar. Sumpfstahl war schon sehr schwer zu finden, aber Schwerter aus Flammenstahl gab es nur zwei oder drei. Talon der Wolf besaß so ein Schwert. Khom hatte seinen Feldherrn stets darum beneidet. Mit diesen Gedanken bemerkte Khom, wie sehr er Talon vermißte. In einer solchen Situation brauchte er ihn am meisten. Sicher, Khom war der Stellvertreter des Feldherrn, aber er hatte einfach nicht die Erfahrung die Talon besaß. Er seufzte. Nirkath war tot, verbrannt, Talon ebenso. Er allein trug die Verantwortung für die Krieger. Erst jetzt wurde ihm bewußt, wie schwer diese Last war.
Lauter werdende Stimmen rissen ihn aus den Gedanken. Die Späher kehrten zurück. Mit einem Wink forderte Khom einen der Männer auf, ihm Bericht zu erstatten. „Wir haben mehrere Gruppen gefunden, insgesamt etwa siebzig Männer. Sie werden bald hier eintreffen.“ Khom nickte. „Sag Akien, er soll seinen Spähtrupp fertig machen und den Wald westlich von hier nach weiteren unserer Männer absuchen. Du kannst gehen!“ Der Mann senkte kurz den Kopf und verschwand. Auf halbem Weg drehte er sich noch einmal um. „Herr, die Rakhyr schicken Späher aus.“ „Ich weiß“, sagte Khom kurz angebunden. Der Mann nickte und ging. Khom seufzte und machte sich auf die Suche nach Rahar. Die Truppen der Rakhyr würden sie mit Sicherheit irgendwann finden. Bis dahin sollten sie so gut wie möglich gerüstet sein. Ihr Lager befand sich auf einer Anhöhe, etwa eine Stunde von Durando entfernt. Über ihm befand sich ein Gipfel aus Felsgestein, der sanft anstieg, um auf der dem Lager abgewandten Seite fast senkrecht abzufallen. Der einzige Weg auf den Felsgrat führte durch ihr Lager. Sie benutzten ihn als eine Art Ausguck. Von der Spitze aus konnte man Durando erkennen. Durch die Lage auf der Anhöhe war das Lager leichter zu verteidigen. Wenn sie eine Art Palisade errichteten, konnten sie das Lager mit Pfeil und Bogen eine zeitlang halten. Sie hatten nur zu wenig Pfeile und Bögen. Überhaupt hatten sie zu wenig Waffen.
Khom hatte jetzt das andere Ende des Lagers erreicht und hielt weiter nach Rahar Ausschau. Er erblickte ihn oben auf der Felskuppe. Khom stieg hinauf. Rahar begrüsste ihn mit einem kurzen Nicken. Eine zeitlang standen sie nebeneinander und blickten auf das ferne Durando. Rahar wies auf die Festung. „Sie haben das ganze Tal verwüstet, die Felder und Höfe der Bauern verbrannt. Ein Angriff auf die Burg ist jetzt unmöglich, sie würden uns sofort entdecken.“ „Was ist mit den Spähern?“ „Kommen und gehen. Sie suchen den Wald im Umkreis der Burg ab, bisher nicht weiter als zwanzig Minuten von der Festung entfernt. Aber irgendwann finden sie uns.“ „Das Lager läßt sich halbwegs verteidigen, wenn wir Palisaden bauen. Holz gibt es hier ja genug.“ „Wir brauchen Waffen, Pferde und Nahrungsmittel.“ Khom dachte kurz nach. „Die Rakhyr auch.“ „Wie meinst du das?“ „Durando ist nicht Norbihje. Es gibt keinen Waffensaal, wo das Heer seine Waffen ablegt. Die Männer tragen ihre Waffen bei sich. Wir haben einen Großteil unserer Waffen, sofern sie noch zu gebrauchen sind, hier. Auch die Rakhyr haben Waffen und Männer verloren. Anscheinend können sie die Dämonen nicht ständig einsetzen, sonst wären wir schon tot. Also brauchen sie Nachschub. Den müssen sie durch den Wald herankarren.“ „Und du meinst, die könnten ja zufällig im Wald verschwinden.“ „Sowas soll vorkommen. Immerhin gibt es hier Räuber.“ Sie grinsten beide.
Im Lager entstand Tumult, als die ersten der siebzig Krieger eintrafen. Viele waren verletzt, aber insgesamt machten sie einen kampfbereiten Eindruck. Khom verließ den Felsgrat. Unten teilte er den Angekommenen Plätze zu. Er überprüfte die Waffen. Jeder der Männer hatte zumindest einen Dolch, die meisten verfügten über Schwerter oder Äxte. Viele trugen Shuriken oder Wurfmesser, etwa zwanzig besaßen noch Pfeil und Bogen, einige Speere waren auch vorhanden. Es war nicht unbedingt viel, aber mehr als Khom erwartet hatte. Außerdem verfügten die Krieger über fünfzehn Pferde. Als schließlich alle ihre Plätze eingenommen hatten, hatte sich die Größe des Lagers verdoppelt. Khom vermutete, dass es noch größer werden würde.
Die Krieger mit Speeren und Bögen schickte er auf die Jagd, mit der Anweisung, keinen Pfeil zu verschwenden. Er fand einige Krieger, die bereit waren, Pfeile und Bögen zu bauen. Er schickte sie ebenfalls aus, um die nötigen Materialien zu sammeln. Er wählte ein paar Krieger aus, die als Späher auf den Pferden nach gewissen Transporten Ausschau halten sollten. Den Rest der Männer teilte er zum Bau der Palisade ein.
 



 
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