Dämonen des Steines 4.Kapitel

4.
Sharatha verbarg sich zwischen den Büschen und beobachtete den Konvoi. Etwa dreissig schwer bewaffnete Reiter bewachten fünf schwer beladene Wagen. Die Wächter schienen sehr aufmerksam zu sein, als befürchteten sie irgendeinen Angriff. Sharatha hatte das Gefühl, dass es besser war, nicht entdeckt zu werden. Sie hatte Ahrjin tiefer im Wald zurückgelassen. Sie war die ganze Nacht hindurch geritten. Jetzt war es später Nachmittag und bis Durando würde sie etwa noch eine Stunde brauchen. Aber irgendwie beschlich sie das Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung war. Dieser Konvoi war nicht der erste, dem sie begegnete, und sie schienen alle ein Ziel zu haben: Durando. Das erschien ihr recht ungewöhnlich. Deshalb hatte sie sich entschlossen, diesen Konvoi etwas genauer zu betrachten. Zu Fuß konnte sie sich vielleicht nahe genug heranschleichen, um ein paar Worte aufzuschnappen, mit denen sie etwas anfangen konnte.
Plötzlich bemerkte sie eine Bewegung etwa fünf Meter neben sich. Es war mehr ein Schatten, der sich dort bewegte. Sharatha wollte sich gerade umwenden, um eine bessere Deckung zu finden, als der Schatten sich hoch aufrichtete. Er blickte genau in ihre Richtung. Sie rollte unter einen Busch und versuchte, im dichten Gestrüpp zu verschwinden, um dann an anderer Stelle noch einmal ihr Glück zu versuchen. Vielleicht wäre ihr das gelungen, wenn der Schatten ein Mensch gewesen wäre. Sie erkannte, dass es sich um einen Dämon handelte, der nicht gerade gewillt war sie entkommen zu lassen. Er überwand die Strecke zwischen ihnen mit einem einzigen riesigen Sprung. Sharatha sprang jetzt auf und zog in der gleichen Bewegung ihr Dezhar. Der Dämon hatte jetzt plötzlich ein Schwert in der Hand. Sharatha sprang ihm entgegen. Das Dezhar wurde von dem Schwert so abgelenkt, dass es über die Schulter des Angreifers stach. Der Dämon hatte anscheinend keine Erfahrung im Kampf gegen Zhahr-Geweihte, denn er vergaß die Tigerzähne des Dezhars. Einer der Zähne durchschlug das Schlüsselbein des Dämons, hinterließ eine Schneise aus gerissenen Sehnen, blutigen Muskeln und zerfetztem Gewebe. Er durchschlug das Schulterblatt. Zuletzt rammte Sharatha dem Dämon den Knauf des Schwertes in die Schulter, wobei die eigentliche Klinge wieder herumschwang und von hinten durch das Genick des Angreifers schlug. Mit einem Ruck zerrte sie ihre Waffe wieder an sich. Der Dämon fiel zu Boden. Sharatha verbarg sich sofort wieder zwischen den Büschen und sah zu, wie der Dämon zu Staub zerfiel. Das Dezhar hielt sie noch immer kampfbereit in der Hand. Zwei Dämonen standen plötzlich wie aus dem Boden gewachsen da, wo vorher ihr toter Kamerad gelegen hatte. Sie sahen sich kurz und aufmerksam um. Ihren Blicken konnte Sharatha nicht entgehen. Der eine sprang sofort schreiend auf sie zu. Sie hob das Dezhar, kürzte mit einem Schlag die Äste der Bäume, dann sprang sie dem Dämon abwehrbereit entgegen. Das Schwert des Dämons schwang plötzlich herum. Sie schrie auf und warf sich nach hinten. Das Schwert riß eine tiefe Wunde zwischen ihre Rippen. Sie konnte von Glück schätzen, dass sie nicht erneut zwischen die Büsche geschleudert worden war. Sharatha rollte blitzschnell über die Schulter ab und war schnell wieder auf den Beinen. Sie ignorierte den Schmerz in ihren Rippen und stieß sich mit aller Kraft ab. Sie flog einem lebenden Geschoß gleich auf den Dämon zu, das rechte Bein angezogen, um gnadenlos zuzutreten. Der Dämon suchte sich mit den Beinen festen Halt und hob die Arme, um ihren Sprungtritt abzuwehren. Aber Sharatha trat nicht zu. Sie vollführte eine halbe Drehung im Sprung, wirbelte jetzt in einer sich windenden Spirale herum, das Dezhar wirbelte und zog seltsam geschwungene Kreise. Dann stieß sie zu. Das Dezhar blitzte, und sie konnte für einen Augenblick das verzerrte Gesicht des Dämons erkennen. Das Dezhar vollzog einen weiteren Kreis, zog mit der Spitze eine tiefe, gerade Linie in die Kehle des Dämons. Plötzlich war Sharatha an ihrem Gegner vorbei, verwandelte den Sprung in eine Rolle und stand auf den Füßen, bevor der Dämon in sich zusammenfiel.
Ihr blieben kaum Sekunden, bevor der Zweite angriff. Sie nahm das Dezhar in die linke Hand und einen Dolch in die rechte. Dann griff der Dämon an. Sie wich seinem Schlag aus, holte aus und schlug mit dem Dezhar zu. Das Schwert des Zhahr zerschmetterte den Schild des Angreifers, dann hieb ihm Sharatha den Dolch bis ans Heft in den Leib. Aber ihr Gegner lebte noch. Taumelnd griff er an, ihre Klingen trafen sich, Funken sprühten. Sharatha fing einen harten Hieb auf und spürte einen unglaublich Druck in den Schultern. Die Schläge prasselten nur so auf sie hinab, sie hatte Mühe, sie alle abzuwehren. Sie trat nach dem Dämon, traf auch, aber der Dämon zeigte keine Regung. Seine Faust explodierte an ihrer Schläfe, raubte ihr fast das Bewußtsein. In ihrem Mund war Blut. Sie fiel und versuchte abzurollen, aber es gelang ihr nicht. Das war ihr Glück, denn das Schwert des Dämons hämmerte dort in den Boden, wo sie gewesen wäre, hätte sie eine Rolle zu Ende geführt. Sie kam irgendwie auf die Füße, quälend langsam, wie es ihr schien. Der Fuß des Dämons traf sie erneut, warf sie zu Boden. Seine Klinge schlug mit einer unglaublichen Gewalt gegen ihre, prellte ihr das Dezhar aus der Hand. Der Dämon holte zu einem Schlag aus, der wohl der letzte sein würde.
Sharatha tastete verzweifelt nach irgendeiner Waffe. Sie schnitt sich an etwas und griff danach. Der Dämon blickte noch einmal schadenfroh auf sein wehrloses Opfer, aber plötzlich schoß etwas kleines, blitzendes hinauf. Sharatha sah den Feind zusammenbrechen, aus seinem Hals ragte noch der verzierte Griff ihres Wurfmessers. Schwer atmend blieb sie liegen. Dann richtete sie sich auf, sehr vorsichtig, denn sie wollte sich nicht durch das Rascheln eines Zweiges bemerkbar machen. Sie sammelte ihre Waffen zusammen. Sie blies den Staub von der Klinge des Dolches und des Wurfmessers.
Eine ganze Weile kroch sie unter den Büschen vom Kampfplatz weg. Erst dann wagte sie es, einen Blick auf die Wagen zu werfen. Ihre Ahnung war bestätigt worden. Irgendetwas stimmte auf Durando nicht. Eine Stimme in ihrem Kopf flüsterte, dass sie es von den Leuten auf den Wagen wohl nicht erfahren würde. Aber auch durch Beobachten konnte man einiges in Erfahrung bringen. Vorsichtig schlich sie sich näher heran.
Jeder Muskel in ihrem Körper war gespannt, in jedem Moment rechnete sie damit, erneut angegriffen zu werden. Inzwischen war sie nahe genug an den Wagen, um die Krieger, die sie bewachten, sehen zu können. Ihr blieb beinahe der Atem stehen. Um diese Karren herum bewegten sich Rakhyr, ihre grauschwarze Haut war einfach unverkennbar. Zwischen ihnen bewegten sich auch noch andere Gestalten. Sie waren dunkler, nicht ganz greifbar. Sie bewegten sich wie Schatten unter den Reitern, lautlos und doch noch aufmerksamer als jeder Mensch. Sharatha hatte nicht vor, die Dämonen noch einmal herauszufordern. Sie blieb unter den Büschen hocken, wagte kaum zu atmen, um bloß nicht entdeckt zu werden. Gegen einen oder zwei der Dämonen mochte sie eine Chance haben, aber nicht gegen dreissig Rakhyr und sieben Dämonen. Irgendetwas stimmte hier nicht. Die Rakhyr und auch die schattenhaften Wächter waren einfach zu aufmerksam. Es war, als wüßte jeder von ihnen, ... dass sie hier war.
Mit einem leisen Schrei warf sie sich zur Seite, der Pfeil eines der Rakhyr zischte dicht an ihr vorüber und drang mit einem knirschenden Geräusch in den Stamm eines Baumes. Die Reiter wendeten ihre Pferde, kamen auf sie zu. Etwa die Hälfte von ihnen war abgesprungen und kamen ihr jetzt mit gezückten Schwertern entgegen. Sie hob das Dezhar und dachte verzweifelt über einen Fluchtweg nach. Plötzlich traf sie ein harter Schlag von hinten in den Rücken. Sie taumelte hilflos auf die Angreifer zu. Blindlings schlug sie mit ihrer Klinge um sich, traf etwas. Schläge trafen sie. Sie spürte, wie etwas an ihr vorbeizischte, auf seinem Weg eine lange blutige Spur an ihrer Schläfe hinterließ. In das Keuchen der Rakhyr, die sie niederrangen, mischte sich immer mehr ein anschwellendes Rauschen. Der so vertraute Griff des Dezhars verschwand plötzlich aus ihrer Hand. Sie fiel zu Boden, von Schlägen und Tritten zermürbt. Immer mehr mischten sich feurige Ringe in ihren Blick. Sie wußte nicht mehr, was geschah. Die Krieger schlugen weiter auf sie ein. Sharatha wußte, dass man sie töten würde. Sie hatte einen Fehler begangen. Jetzt mußte sie dafür bezahlen.
Ganz plötzlich hörten die Schläge auf. Grob wurde sie hochgezerrt, um im nächsten Augenblick einen Tritt in die Kniekehlen zu erhalten, der sie schmerzhaft wieder auf die Knie sinken ließ. Mehrere Rakhyr hielten sie fest. Eine Hand hatte sich in ihre Haare gekrallt und riss ihren Kopf brutal ins Genick. Über ihr erschien ein von ihrer Schwäche grausam verzerrter Schatten. Ganz allmählich wurde ihr Blick besser. Sie konnte jetzt einen Rakhyr erkennen, der ohne Zweifel der Anführer dieser Gruppe war. Er blickte lange Zeit auf sie hinab. „Du schleichst schon eine ganze Weile hier herum, nicht war? Drei meiner Wächter hast du erledigt, das war nicht übel. Aber von einer Zhahr-Geweihten hätte ich etwas mehr Geschick erwartet. Zumindest hätte ich nicht gedacht, das man dich so leicht in eine Falle locken kann. ... Allerdings kann ich mir auf diesem Zug keine Gefangenen erlauben, auf Durando gibt es zwar noch freie Zellen aber... Du würdest uns sowieso nur aufhalten.“ Zu den anderen Kriegern gewandt sagte er kalt: „Schlagt ihr den Kopf ab!“ Sie wurde wieder zu Boden gestoßen und dort von mehreren Männern festgehalten, aus dem Augenwinkel konnte sie das Blitzen einer Klinge sehen. Sie schloß die Augen. Aber der Schlag, den sie erwartete, kam nicht. Statt dessen vernahm sie das Zischen eines Pfeiles und dann den Todesschrei eines der Männer. Der harte Griff der anderen lockerte sich unwillkürlich, und Sharatha nutze ihre Chance. Sie ließ sich vollends auf den Boden fallen, rollte halb herum und trat dem ihr am nächsten stehenden Mann zwischen die Beine. Die anderen hatten sie während ihrer Rolle losgelassen, und jetzt, als sie erneut zupacken wollten stand ihnen ihr Kamerad, der mit schmerzerfülltem Gesicht umherhüpfte, im Weg. Sharatha kam auf die Füße und suchte nach der ersten Waffe, die sie fand. Es war das Schwert des Mannes, der ihr Henker hatte werden sollen. Ein Pfeil steckte in seinem Hals, seine Augen waren ungläubig weit aufgerissen. Sie griff nach dem Schwert, und drehte sich um, um den Platz zu überblicken. Es herrschte heilloses Chaos. Aus den Büschen zischten Pfeile herab, und aus dem nahen Waldstück waren einige grüngekleidete Gestalten herausgesprungen, die die Rakhyr total überrascht hatten. Von den sieben Dämonen waren noch zwei übrig, die etwas abseits von ihr standen, und zwei der Gestalten in Grün in einen Zweikampf verwickelt hatten. Die beiden Männer waren bereits verletzt und konnten den Schlägen der Dämonen nicht mehr viel entgegensetzen. Sharatha brauchte nicht lange, um zu ihnen zu gelangen. Sie stieß sich ab, flog auf den Dämon zu, der ihr am nächsten stand. Ihr Feind drehte sich halb um, aber der Angriff der Zhahr-Geweihten kam so schnell, dass selbst seine übermenschlich schnellen Reflexe ihm nichts mehr nützten. Mit ihrem gewaltigen Sprungtritt brach sie ihm mehrere Rippen auf einmal. Die Luft wurde aus den Lungen ihres Gegners gepresst, und er versuchte verkrampft, einzuatmen. Er taumelte zurück. Sharatha hob das Schwert, sobald sie wieder einen sicheren Stand hatte, und schlug erbarmungslos zu. Der Dämon hob einen Arm, wie um den Hieb abzuwehren, allerdings hatte er keine Klinge mehr, mit der er parieren konnte. Der Schlag der Zhahr-Geweihten trennte seinen Arm dicht unter dem Ellenbogengelenk ab, traf mit ungeheurer Wucht seine Rippen, brach sie, und teilte dann sein Herz in zwei Stücke. Sharatha zog das Schwert aus dem Leichnam des Dämons. Sie blickte sich um. Der Mann, der gegen den zweiten Schatten kämpfte, war jetzt gestürzt. Sharatha war mit einem Satz bei seinem Gegner. Sie schlug mit dem Schwert zu. Der Dämon fuhr blitzschnell herum und parierte ihren Hieb. Er hob das Schwert, um seinerseits anzugreifen. Sharatha wich der heransausenden Klinge mit einer beinahe spielerischen Bewegung aus. Sie täuschte einen Schlag auf die Flanke des Dämons vor. Er fiel auf die Finte herein und drehte den Oberkörper, so dass ihr Schlag ins Leere gehen mußte. Sharatha ließ sich blitzschnell in die Hocke sinken, tauchte unter dem hoch erhobenen Schwert des Dämons hindurch und stach dann nach seiner ungeschützten Kehle. Der Schatten hob seinen freien Arm, um ihre Klinge beiseite zu schlagen. Er war nicht schnell genug. Das Schwert fuhr tief in seinen Hals. Blut spritzte hervor, traf Sharatha, dann fiel der Dämon zusammen. Sein Blut, das auf Sharathas Schuppenpanzer klebte, wurde wie er zu Staub und rieselte zu Boden.
Sie blickte sich nach dem Mann um, der zuvor gegen den Dämon gekämpft hatte. Er lag stöhnend am Boden. Sie blickte sich kurz um. Sie waren nicht in Gefahr. Neben dem Mann ließ sie sich in die Hocke sinken, und untersuchte seine Verletzungen. Plötzlich bemerkte sie, wie jemand neben sie trat. Es war der Mann, dem sie zuerst geholfen hatte, in dem sie den Dämon tötete. „Was ist mit ihm?“ fragte er leise. „Es sieht nicht gut aus. Er muß schnell behandelt werden.“ „Wird er es schaffen?“ „Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Habt ihr etwas zum Verbinden?“ Der Mann nahm seinen grünen Umhang und begann, ihn in lange Streifen zu reißen. „Könnt ihr mir helfen?“ fragte Sharatha ihn, während sie versuchte, die Wunden so gut wie möglich zu verbinden. Der Verletzte stöhnte. Sein Kamerad hielt ihn fest, während Sharatha ihn verband. „Seid ihr eine Heilerin?“ Die Kriegerin lachte. „Nein. Ich bin eine Zhahr-Geweihte. Mein Name ist Sharatha.“ „Ich bin Rahar“, stellte sich ihr Gegenüber vor. „Wird er es schaffen?“ fragte er dann mit einem Blick auf seinen verletzten Kameraden. „Das habt ihr schon einmal gefragt. In meinem Gepäck habe ich ein paar Heilkräuter. Wenn ihr wollt hole ich sie.“ „Ich werde bei ihm bleiben.“ Sharatha stand auf und lief los.
Sie kam nicht weit. Der Kampf dauerte noch immer an. Mehrere Rakhyr versperrten ihr plötzlich den Weg. Sharatha fluchte. Sie hatte das Schwert bei dem Verwundeten zurückgelassen. Leider hatte sie keine Zeit mehr, sich darüber zu ärgern. Mit einem Kampfschrei sprang sie auf den ersten Angreifer zu, war an ihm vorbei, ehe er mit seinem Schwert zuschlagen konnte und trat ihm von hinten in die Kniekehlen. Der Zweite hob sein Schwert und schlug zu. Die Zhahr-Geweihte wich aus, ballte die Hand zur Faust und schmetterte sie gegen die Waffenhand ihres Gegners. Sie hörte, wie das Handgelenk brach. Der Mann ließ die Waffe fallen. In der anderen Hand jedoch hatte er einen Dolch. Bevor er damit angreifen konnte, stach Sharatha mit Zeige- und Mittelfinger nach seinen Augen. Der Mann wandte den Kopf zur Seite, bot Sharatha damit seine Schläfe als Angriffsfläche. Sie nutzte diese Chance und schlug den Mann nieder. Der letzte Rakhyr stach so schnell mit dem Schwert nach ihr, dass sie keine Zeit mehr hatte, um auszuweichen. Die Klinge bohrte sich durch ihre Schulter. Fast gleichzeitig trat der Mann zu. Er traf sie und sie verlor den Halt. Sharatha fiel zu Boden. Sie war ihrem Gegner hilflos ausgeliefert. Er hob sein Schwert, um ihr den Todesstoß zu versetzen. Er führte die Bewegung nie zu Ende. Plötzlich sah Sharatha, wie sich eine eiserne Spitze durch den Leib des Rakhyr bohrte. Blut rann aus seinem Mund. Das Schwert fiel ihm aus den Händen. Er fasste sich an die Brust, dann fiel er zu Boden und begrub Sharatha unter sich. Aus seinem Rücken ragte der Schaft eines Speeres. Vom Blut des Rakhyr besudelt bemühte sich die Zhahr-Geweihte, den Leichnam ihres Gegners von sich zu wälzen. Es gelang ihr nach einigen vergeblichen Versuchen. Eine in grün gekleidete Gestalt streckte ihr die Hand entgegen. Es war der Krieger, der den Speer geworfen hatte. Sharatha ließ sich von ihm hochhelfen und bedankte sich bei ihm.
Der Kampf war inzwischen zum Erliegen gekommen. Überall lagen die Leichen der Rakhyr, Sharatha konnte keinen Toten erkennen, der ein grünes Gewand trug. Die Männer übernahmen jetzt Wagen und Pferde. Sie erreichte den Waldrand und stieß einen hellen Pfiff aus. Kurz darauf erkannte sie Ahrjins schwarzen Kopf zwischen dem jungen, grünen Laub des Waldes. Als ihr Pferd sie erreicht hatte, nahm sie es am Zügel und führte es zu dem Verwundeten. Rahar war gegen seine Behauptung nicht mehr da, statt dessen wurde sie von zwei anderen Männern erwartet. Sharatha brauchte eine Weile, um die Verbände zu lösen, Heilkräuter auf die Wunden zu legen und sie dann erneut zu verbinden.
Als sie fertig war, ließ sie die beiden Krieger ohne ein Wort bei dem Verletzten zurück. Sie fand Rahar schließlich bei einem der Wagen. Er erkannte sie und kam ihr ein paar Schritte entgegen. „Ich habe etwas für euch“ , sagte er. Er zog eine lange Klinge aus einem Bündel, das auf dem Wagen lag. Es war ihr Dezhar. Sie nahm es mit einem Kopfnicken entgegen und ließ es in die Scheide gleiten. „Wie geht es ihm?“ fragte Rahar. „Er kann nicht reiten“, entgegnete sie nur. „Wir werden ihn auf einen der Wagen legen.“ Er wandte sich an ein paar seiner Männer und wies auf die Stelle, wo der Verletzte lag. Ohne ein weiteres Wort gingen sie. „Ich muß mich bei euch bedanken. Ohne euch wären sowohl Shak als auch ich jetzt tot.“ Sharatha winkte müde ab. „Was mich nur interessiert...“ , begann Rahar zögernd. Sharatha zog fragend eine Augenbraue hoch. „Was macht eine Zhahr-Geweihte wohl in den Norkahwäldern?“ „Ich bin auf dem Weg nach Durando, zu Talon dem Wolf.“ Rahar schwieg lange, ehe er antwortete. „Durando ist nicht mehr das, was es mal war. Ich weiß nicht, ob Talon der Wolf noch am Leben ist. Ihr könnt mich aber gerne begleiten, ich gehöre zu Khom, dem Stellvertreter des Feldherrn.“ Sharatha nickte. „Habt ihr ein Pferd?“ fragte Rahar. Die Kriegerin stieß erneut einen Pfiff aus, und ein paar Minuten später saß sie in Ahrjins Sattel. „Ein wahrhaft prachtvolles Tier!“ bemerkte Rahar.


*

Khom wartete darauf, dass Rahar zurückkehrte. Die Späher hatten an diesem Morgen bereits einen Konvoi der Rakhyr gemeldet. Er hatte Rahar mit ein paar Männern ausgeschickt, um ihnen Nahrung und Waffen zu besorgen. Seit ihrem gestrigen Gespräch hatte er kaum ein Wort mit Rahar gewechselt. Irgendwie tat ihm das leid. Rahar war sein Freund, aber jetzt, wo er plötzlich die Verantwortung für all die Männer hatte, fühlte er sich immer mehr wie ein Feldherr gegenüber allen anderen. Vielleicht lag das daran, dass die Krieger ihn plötzlich mit „Herr“ anredeten. Sie sahen in ihm etwas, was er nicht war. Sie sahen in ihm einen Feldherrn, der sie in ihre Heimat zurückführen würde. Sie sahen in ihm das, was er immer in Talon gesehen hatte. Man achtete ihn, aber kaum einer wollte sein Freund sein. Alles was er jetzt gebraucht hätte war ein Gespräch mit einem Freund, aber alle um ihn hielten Distanz zu ihm. Rahar tat das wie alle anderen. Er gehorchte den Befehlen, die Khom ihm gab, beriet ihn, aber er verhielt sich nicht wie ein Freund. Khom hatte es satt, von allen nur als der große Feldherr betrachtet zu werden.
Die Rakhyr hatten mehr Späher ausgeschickt, und Khom hatte dafür gesorgt, dass die wenigsten von ihnen zurückkehrten. Jetzt waren sie etwas vorsichtiger. Das Lager war weiter gewachsen, jetzt befanden sich fast sechshundert Mann darin. Die Palisade stand jetzt so da, wie Khom sie sich vorgestellt hatte. Vor dem ersten hatten sie einen noch höheren Zaun gebaut, zwischen den beiden lag ein Graben, der etwa drei Meter breit war. Sie hatten ihn mit angespitzten oder geborstenen Stämmen gefüllt. Die Männer arbeiteten jetzt an einem Wehrgang. Dieser sollte sich über dem Graben befinden und beide Palisaden verbinden. Da die äußere Palisade höher war, bot sie den Männer noch ausreichend Deckung, wenn sie sich auf dem Wehrgang befanden. Ein anderer Teil der Männer arbeitete an einem Fluchtweg durch den Berg. Khom war recht zufrieden. Sie konnten dieses Lager zumindest so lange halten, bis die Männer durch den Fluchtweg entkommen waren. Sollte der Feind die erste Palisade überwinden, konnten sie den Wehrgang fallenlassen und die vordere Palisade abbrennen. Das würde die Angreifer eine Weile beschäftigen. Im Moment war ihr größtes Problem wohl die Versorgung der Männer. Ihre wenigen Vorräte waren erschöpft, bis auf ein wenig getrocknetes Fleisch hatten sie nichts mehr.
Khom hörte den dumpfen Schlag von Hufen auf dem weichen Waldboden. Er ging zum Tor. Es war Rahar. Zwischen seinen berittenen Leuten wurden fünf schwer beladene Wagen den Weg zum Lager hochgezogen. Neben Rahar ritt eine Gestalt, die Khom nicht erkannte. Erst als sie näher herankam sah er, dass es sich um eine junge Frau handelte, auch wenn sie im Moment nicht so aussah. Die eine Hälfte ihres Gesichtes war eine Maske aus geronnenem Blut, ihr Schuppenpanzer und ihre Hose waren mit Blut besudelt. Trotzdem ritt sie ruhig und selbstsicher ins Lager. Khoms Augen verengten sich. Dicht vor ihm zügelte die Frau ihr Pferd und stieg ab. Rahar folgte ihrem Beispiel und stellte sich zu ihnen. Khoms Blick glitt an der Gestalt der Frau hinab. Er erkannte an ihrem Schwertgriff das in den Knauf geprägte Schwert, das Symbol des Kriegsgottes Zhahr. Sie war eine Zhahr-Geweihte! „Ich grüße Euch!“ sagte er steif. „Du bist Khom?“ erwiderte sie. Es war eigentlich keine Frage, sondern eine Feststellung. Er nickte. „Ich muß mit dir reden“ Sie machte eine beinahe herrische Geste und wollte offenbar an ihm vorbei in Richtung des Lagers gehen. Khom hielt sie fest. „Halt. Ihr scheint genau zu wissen, wer ich bin, Zhahr-Geweihte. Ich kenne nicht einmal Euren Namen. Ich bin für diese Männer verantwortlich. Ich führe den Befehl in diesem Lager.“ Er prahlte nicht, sondern legte nur ein Tatsache dar. „Mein Name ist Sharatha“ , bemerkte sie eisig. Sie riß sich los und wollte bereits weitergehen, als Khom sie erneut festhielt. „Was wollt ihr hier?“ „Ich war auf dem Weg nach Durando, weil ich mit Ta... eurem Feldherrn reden mußte.“ Khom war das leichte Zögern in ihrer Stimme nicht entgangen. „Ihr seid befreundet?“ „Wir kennen uns.“ Ihre Augen blitzten wütend. Khom blickte sie eine zeitlang schweigend an. „Wir haben leider noch keine Zelte, weil wir auf hohen Besuch nicht eingerichtet waren. Aber wenn Ihr den Regen fürchtet, könnt Ihr Euch dort hinten unter die Büsche legen.“ „Nein, danke. Ich möchte Euch schließlich Euren Platz nicht streitig machen.“ Sie drehte sich auf dem Absatz um und ging in die Richtung der Lagerplätze. Ihr Pferd folgte ihr.
„Was guckst du so?“ herrschte Khom Rahar an. „Du warst wirklich unglaublich freundlich zu ihr.“ „Sie war auch unglaublich freundlich zu mir!“ Sie schwiegen eine Weile. „Was hältst du von ihr?“ Die Frage schien Rahar zu überraschen. „Na ja, sie ist eine recht gute Kämpferin, außerdem hat sie viel Erfahrung im Kampf, auch mit der Führung von größeren Gruppen... Sie kennt unseren Feldherrn. Sie hat erzählt, dass sie zusammen bereits einige Schlachten hinter sich haben.“ Er brach ab. Khom verwirrte ihn total. „Glaubst du, dass sie im Sold steht?“ fragte Khom nach minutenlangem Schweigen. Er sprach in einem seltsamen Tonfall, der Rahar sofort auffiel. „Du glaubst die Rakhyr haben sie als Spion geschickt?“ Khoms Schweigen war eine eindeutige Antwort. „Sie ist eine Zhahr-Geweihte! Keiner, der dem Kriegsgott geweiht ist, würde sich auf die Seite der Rakhyr stellen! Du, du musst total verrückt sein! Sie ist kein Spion! Sie steht auf unserer Seite.“ „Was ist alles auf diesen Wagen?“ fragte Khom. Er wollte so schnell wie möglich das Thema wechseln. Er war einfach dumm gewesen, so etwas zu vermuten, und er hatte nicht vor, es unbedingt breitzutreten. Rahar bemerkte das und beließ es zum Glück bei der Sache. „Vorräte, Rüstungen, Stoffbahnen...“ „Stoffbahnen?“ Khom konnte damit überhaupt nichts anfangen. „Für Zelte.“ Khom dachte darüber eine Weile nach. „Na ja, dann sag doch mal deinen Leuten, dass sie sie aufbauen sollen.“ Rahar lächelte pflichtschuldig und wandte sich dann mürrisch ab.


*

Er hing mehr in den Ketten, als das er noch stand. Die eiserne Strebe, gegen die sein schmerzender Rücken lehnte, war eiskalt. Seine Handgelenke waren mit schweren Ketten an das eiserne Gerüst gekettet. Das blinkende Metall war jetzt stumpf geworden, geronnenes Blut klebte daran, sein eigenes, und das des Paladins. Schmerzen pochten in seinem Körper. Er war kaum noch bei Bewusstsein. Eine Hand griff fest unter sein Kinn und hob seinen Kopf an. Vor sich sah er ein Gesicht, dass von seiner Schwäche verzerrt wurde. Es hatte eine riesige Narbe. Talon hörte eine Stimme, lauernd und fragend. Der Griff der Hand wurde fester, so fest, dass es fast weh tat. Sein Zahnfleisch begann zu bluten. Die Stimme fragte erneut. Er hörte eine andere Stimme, die stöhnte, oder eher röchelte. Er brauchte eine Weile, um zu erkennen, dass es seine eigene Stimme war. Die Gestalt vor ihm winkte mit der Hand. Irgendetwas zischte auf, und Schmerz durchzuckte seinen Körper. Vor seinen Augen sah er nur noch bunte, feurige Ringe. Jeder Muskel, jede Sehne in seinem Körper schien aus Schmerz zu bestehen. Wieder fragte die Stimme. Talon wußte, dass sie schon eine ganze Weile fragte. Schon sehr, sehr lange. Sie hatte nach Truppen gefragt, nach Soldaten, Kriegern und Gebäuden, dann nach einem König. Sein Name war Vagon, aber er wußte es nicht mehr genau. Irgendetwas schien dieser Name in ihm zu wecken. Er sah ein Bild vor sich. Einen König, auf dessen Gewand sich rasch etwas ausbreitete. Irgendwie wusste er, dass es Blut war. Der Schmerz, den das Bild mit sich brachte, war nicht dieselbe Art von Schmerz, wie die, die er die ganze Zeit ertrug. Er half ihm. Talon konzentrierte sich nur noch auf diesen Schmerz, und er vergaß all die Schmerzen, die man seinem Körper zufügte. Wieder traf ihn das Folterinstrument eines Rakhyr, aber diesmal blieb die verheerende Wirkung des Schmerzes aus. Er gab nicht auf. Der Schmerz schien ihn zu stärken. Die roten Ringe vor seinen Augen verschwanden, und schließlich konnte er die Gestalt vor sich genauer erkennen. Ihre Blicke trafen sich. Talon blickte in die furchterregenden, roten Augen des Rakhyr. Kälte durchfloß seinen Körper, aber die Hitze des Schmerz vertilgte sie. Er zwang sich, weiter hinzusehen. Auge in Auge. Schließlich, nach endlosen Minuten, war es Rakh, der wegsah.
Weitere lange Minuten verstrichen. Nach einer Weile blickte Rakh wieder auf. Talon war plötzlich nur noch müde. „Bringt ihn nach unten!“ sagte der dunkle Herrscher leise. Er drehte sich um, und ging auf den Thron zu. Er sah nicht mehr zurück, als seine Kämpfer den Feldherrn losmachten und aus dem Thronsaal trugen. Bewusstlos hing Talon zwischen seinen Wächtern.


*

Es war sehr früh am Morgen. Von der Ebene stieg Nebel in sanften Schleiern auf. Auf den langen, zähen Steppengräsern war Tau zu sehen. Die aufgehende Sonne warf rotes Licht über die karge Steppenlandschaft. Die Ebene erwachte. Zunächst war es nur ein Rascheln, so leise, dass ein menschliches Ohr es kaum hören konnte. Das Rascheln wurde lauter, und kurz darauf begann ein Summen von Tausenden von winzigen Flügeln. Bald stimmte ein Vogel mit ein. Er sang ein trauriges Lied. Eine fröhlichere Stimme antwortete ihm. Es klapperte zwischen den dicken, harten Gräsern. Die Schlangen der Steppe begannen zischend ihren Jagdtag. Erst jetzt wachten die Herren der Steppe auf. Das Gebrüll des Löwen ließ alle für einen Moment verstummen. Mit einem helleren Ton antwortete der Elefant. Erst dann ließ sich der wahre Herr der Steppe vernehmen. Ein dumpfer, tragender Ton, der immer schneller anschwoll, immer heller wurde, erzitterte die Nebel. Sie lösten sich vom Boden. Die Sonne durchbrach sie mit ihren hellen Strahlen. Dem Tyaardrachen gehörte der Tag.
Sheijh’la erwachte nun ebenfalls. Sie blickte sich um. Ihr Pferd ließ sich die langen Gräser schmecken, solange sie noch vom Tau frisch und kalt waren. Während sie versuchte, an den Traum zurückzudenken, stand sie auf und suchte sich etwas aus ihrem Proviant. Sie hatte den Shakra gesehen. Sie hatte die Wand aus Wasser gesehen, mit der der Shakra hinab ins Feelenmeer stürzte. In ihrem Traum hatte sie den Fluß von seiner Quelle bis hin zu diesem Punkt verfolgt. Der Tempel des Unerkannten musste in der Nähe des Ursprungs des großen Stromes liegen. Die Quelle lag im Gebirge, das seinen Namen von diesem Fluß erhalten hatte. Es würde ein langer Weg werden. Schnell sprang Sheijh’la auf und packte ihre Sachen zusammen. Zehn Minuten später saß sie auf dem Rücken ihres Pferdes. Sie schlug einen Weg ein, der sie in südöstliche Richtung führte; in die Norkahwälder.
Gegen Mittag wurde die Hitze so groß, dass sie eine Pause einlegen musste. Mit Hilfe ihrer magischen Fähigkeiten fand sie eine Wasserquelle, die nahe genug unter der Erde lag. Sie grub etwa einen halben Meter tief. Das Wasser sprudelte ihr ins Gesicht. Ihr Pferd schnaubte und kam sofort näher. Sie ließ es trinken, stillte dann auch ihren Durst und füllte die Wasserschläuche. Danach ritt sie weiter.
Im Laufe des Tages hielt sie nur kurz an, um zu trinken. Erst gegen Abend erlaubte sie sich eine längere Rast. Es wurde dunkel. In der Steppe war keine Nacht eine richtige Nacht, es blieb immer noch hell genug, um seine Umgebung zu sehen. Eine Nacht in der Steppe war keine Nacht im Wald, wo es so dunkel wurde, dass man nicht mehr weiterreiten konnte. Sheijh’la war kaum müde, und nachdem ihr Pferd sich etwas erholt hatte, ritt sie weiter.
 



 
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