Dame mit Fuchs

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Vom Eise befreit ist im Botanischen Garten nur der Hauptweg vom Eingang zu den Pflanzenschauhäusern. Unter bleigrauem Mittagshimmel führt er leicht ansteigend durch eine karge, erstarrte Winterlandschaft mit wenig Schnee, zugefrorenen Wasserflächen, kahlem Geäst und schweigendem Immergrün zu den Glaskuppeln und –dächern auf der Höhe des Gartens. Und der visuelle Höhepunkt dort und des Tages überhaupt ist die Halle mit den Kamelien: rot, rosa, weiß, zweifarbig: rotweiß, rosaweiß. Es ist ein ganzer Kamelienblütenwald, mitten im Januar, mit Bordüren von Zwergrhododendren, die zeitgleich in denselben Farben erglühen.

Die Schauhäuser schließen im Winter früh, noch vor der Dämmerung. Aber jetzt ist keine blaue, nur eine tiefgraue Stunde. Abwärts führt der fast menschenleere Weg, vereist und nicht zu empfehlen die Seitenwege. Doch auf einem von ihnen wandelt allein vorsichtig, umsichtig eine Frau in mittleren Jahren, blickt vor sich, blickt um sich. Kurz vor Erreichen der Hauptpromenade macht sie kehrt. Scheut sie den letzten glatten Abstieg?

Überrascht bemerkt man, die Dame ist nicht allein unterwegs. Ein Wesen auf vier Beinen folgt ihr von der nahen Wiese, nimmt ihre Spur auf. Was sich da ganz wie ein Hund zu verhalten scheint, der ausgeführt wird, ist allerdings ein Fuchs, kenntlich am buschigen Schweif und dem typischen Schnüren. Dann geht es rasch, ist offenbar eingeübt. Die Dame entzieht sich den Blicken in einer Art Boskettlaube, das Tier verschwindet in dem sie umgebenden Gebüsch – und kehrt nach einer halben Minute zurück. Es trägt jetzt einen großen, fuchsmundgerechten Bissen im Maul und strebt mit dem Riesenhappen dem nächsten Wäldchen zu. Die Dame wird nicht mehr gesehen, es gibt so viele Wege dort, vereist oder nicht.

Früher, als Adenauer noch Kanzler war, legten Damen sich gern einen präparierten Fuchs als losen Kragen um den schönen Hals. Heute füttern sie Vulpes vulpes in öffentlichen Gärten. Sieht so zivilisatorischer Fortschritt aus? Das wird man ja noch fragen dürfen.
 

annagreta

Mitglied
Arno Abendschön hallo von annagreta.
Deine Idee ist gut. Aber ist es tatsächlich möglich, dass ein Fuchs in einen botanischen Garten gelangen kann? Meistens sind sie doch gegen ungebetene Gäste jeglicher Gattung eingezäunt, oder?

Beste Grüße
 
annagreta, von einer Idee meinerseits kann ja keine Rede sein, da alles gerade so vor vier Tagen beobachtet wurde. Selbstverständlich sind Füchse heutzutage auf den meisten Berliner Grünflächen unterwegs. Der Botanische Garten hat eine Außengrenze von ca. 2,5 km, das ist nicht hermetisch abzuriegeln.

Gerade habe ich im Netz einen Artikel in der BZ vom 20.3.2009 recherchiert. Schon damals wurde dort ein Fuchs gesichtet. Zitat: "Einen Fan-Club hat er auch. Ein paar ältere Damen kommen jeden Tag, um ihr Füchslein zu sehen." Von Füttern ist hier noch nicht die Rede. Tatsächlich ist das Füttern von Wildtieren im gesamten Stadtgebiet verboten (Geldbuße bis zu 5.000 Euro), bei Füchsen, Wildschweinen usw. mit gutem Grund.

Freundlichen Gruß
Arno Abendschön
 

Simone E.

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Hallo Arno,

eine nette kleine Anekdote. Deine Sprache, deine einfühlsamen Bilder gefallen mir sehr gut.
Sieht so zivilisatorischer Fortschritt aus?
Ich denke schon. ;-)

Verbesserungsvorschläge habe ich nicht, mir gefällt dein kleines Stück rundum. Kompliment!

Liebe Grüße

Simone
 
Vielen Dank, Simone. Das mit dem fraglichen zivilisatorischen Fortschritt will ich jetzt mal nicht vertiefen. Es wäre ein Thema fürs Forum Lupanum. Ich bin da skeptisch.

Bei der Gelegenheit zum Thema Wildtiere in der Stadt nur angemerkt: Gestern griff eine Rotte Wildschweine im Norden von Berlin Menschen an. Ich kenne den Platz sehr gut, bin oft da, eine Einkaufsgegend mit sehr viel Verkehr. Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, dort mit Wildschweinen rechnen zu müssen. Der Keiler hat dann zwei Kilometer weiter in einem Park noch mal Ärger gemacht, wurde von der Polizei abgeschossen. Insgesamt drei Verletzte, einer im Krankenhaus.

Freundlichen Gruß
Arno Abendschön
 

Wipfel

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Hi Arno,

so verändert hat sich die Tierwelt in den letzten 30 Jahren. Alles was sich früher in Richtung Mensch bewegt hat, wurde unter Tollwutverdacht abgeschossen. Dann kam die Zeit der Schluckimpfung für Füchse...

Von deiner Prot-Frau und ihrem Fuchs habe ich heute Nacht geträumt. Hat Erinnerungen geweckt.

Grüße von wipfel
 
Nun, Wipfel, an Tollwut denke ich heute kaum noch, da sie ja bei uns fast ausgerottet ist. Dennoch halte ich das Anfüttern beißfähiger Wildtiere für sehr unklug. Dabei habe ich gar nichts gegen Füchse in der Stadt an sich, z.B. auf Friedhöfen usw. Problematisch sind nur die, die ihre natürliche Scheu vor dem Menschen infolge Fütterung verlieren. Das gilt noch mehr für Wildschweine und Wölfe. Gerade als Bauernsohn nervt mich diese sentimentale Tier-"Liebe".

Freundlichen Gruß
Arno Abendschön
 

Wipfel

Mitglied
Warum haben die Wildtiere immer weniger Scheu? Das liegt an uns (und nicht an ihnen). 1786 hat sich möglicherweise der vorletzte Wolf an den Rand einer brandenburgischen Kleinstadt getraut, um dort ein Schaf zu reißen. Bären gab es da schon lange nicht mehr...

Und was wäre Schneeweißchen und Rosenrot ohne den Bären?

Grüße von wipfel
 



 
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