Dammwache

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cecil

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Dammwache

Wenn das Hochwasser die Dammkrone erreicht
stellen die sich noch geschwollen hin
und schiffen das viele Altbier weg
gesoffen beim Warten auf den Alarm

Da werden dürre Felder überschwemmt
Wild ersäuft auf der Flucht
der Grundwasserspiegel steigt
verscharrte Leichen werden freigelegt
Rindviecher flüchten auf Sandbänke
eskortiert von einem Teppich aus Ratten

Wer schleppt nun die Sandsäcke
pumpt die Keller leer
zieht den Retriever aus der Flut
wenn doch alle nur noch brunzen
im Bogen mit offenem Overall
eine Hand an der Hüfte
und rotzen in die Bruchstellen
über der vollgesogenen Brache

Ein See in dem Kadaver treiben
ein leeres Floß überm Ruder ein Helm
während ein Paar Gummistiefel versinkt
mit dezentem Bäuerchen
und kein Containerschiffskapitän
Ausschau hält nach rettenden Ufern

Betroffen wird verlautbart
die Katastrophe folge einem Dienstvergehen
doch Freibier sei nun mal Volkstum
das Wetter aber tückisch
weil plötzlich und unerwartet
 

Tula

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Hallo cecil
Bei diesem würde ich gern mehr über den Hintergrund erfahren. Die verdichteten Bilder sind für mich überzeugend, nur verstehe ich das Motiv der gleichgültigen Altbier-Trinker auf den ersten Blick nicht.
Unter Umständen, eine mögliche Interpretation, dient die Szene als Metapher insgesamt, ähnlich den Feiernden auf einer Andrea Doria, die bereits am Sinken ist.

LG
Tula
 

cecil

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Hallo, Tula,

Du bist auf der richtigen Spur. Denke Dir eine Sintflut ohne zürnenden Gott. Helfer und potentielle Retter kommen ihren Aufgaben nicht nach, machen stattdessen Party und forcieren die Katastrophe, indem sie durch ihr (grotesk überzeichnetes) Brunzen den Pegelstand höher treiben, bis die Katastrophe eintritt. Keine Chance für die Betroffenen; auch die Dammwache ersäuft (worauf Helm und Gummistiefel verweisen). Eine rettende Arche existiert nicht. Am Ende sind die Verantwortlichen, wie üblich, schuldlos und verweisen aufs Wetter.

Nein, das ist nicht das nächste Corona-Gedicht. Auch mit der Flutkatastrophe im Ahrtal hat es nichts zu tun (es entstand bereits im Frühjahr 2021). Nimm es als Satire, bestenfalls als Parabel für schon längst bestehende Zustände; Systeme, die nicht mehr funktionieren, versagende Organisation, Verantwortungslosigkeit. Sei es ein Seilbahnunglück, ein einstürzendes Stadtarchiv, die Finanzkrise, der Klimawandel, die Reihe ist beliebig – wohl auch unser jeweils persönlicher Beitrag zu so vielem, was schiefläuft. Das Ganze ist natürlich schwer zu fassen, wenn man es in Literatur packen will, statt eine soziologische Studie draus zu machen. Die verfremdende Form soll Aufmerksamkeit erregen, die Bilder sollen beeindrucken, vielleicht wie ein grelles Gemälde.

Eigentlich erkläre ich meine Arbeiten nicht so gern, aber für Dich habe ich mich mal durchgerungen, denn ich schätze Dich als Autor und mag nicht zuletzt auch die respektvolle Art und Weise, wie Du dich mit den Texten der KollegInnen auseinandersetzt.

Beste Grüße, Cecil
 

revilo

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das hab ich fast befürchtet....ein gegenalles gedicht......gabs insbesondere in den achtzigern zu hauf.....hauptsache botschaft........die bösen und die guten....und zack- fertig ist die laube.....na ja, wer´s mag......
 

Tula

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Hallo cecil
Danke für deine Erläuterungen. Ja, bis ins letzte Detail sollte der Autor nicht alles erklären. Aber Textarbeit schließt ja inhaltliche Interpretation mit ein.

Für dich und @revilo: ich lese es als Parabel. Das 'gegen alles' erwächst nur aus der zusätzlichen Interpretation und nicht aus dem Gedicht. Ich finde die Bilder als Sintflut-Endzeit Warnung nicht übertrieben. Denken wir mal an Hieronymus Bosch bzw. einen möglichen Nachfolger der Moderne. Das Gedicht wäre Vorlage für ein großartiges Gemälde. Schade, dass ich nicht malen kann ;)

Mein Verbesserungsvorschlag ginge in diese Hinsicht: die Bilder noch gespenstischer, makabrer, grotesker usw. zu gestalten.

LG
Tula
 

cecil

Mitglied
Hallo, Tula,

mitunter fürchte ich, beim Beschreiben zu überzeichnen. Mitunter ist es wohl erforderlich. Es bleibt ein Balanceakt. Prima, dass Du auch an Bosch gedacht hast. Genau solch ein Monumentalgemälde, auf dem alles gleichzeitig passiert, hatte ich mir vorgestellt.

LG, Cecil
 

revilo

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Hallo cecil
Danke für deine Erläuterungen. Ja, bis ins letzte Detail sollte der Autor nicht alles erklären. Aber Textarbeit schließt ja inhaltliche Interpretation mit ein.

Für dich und @revilo: ich lese es als Parabel. Das 'gegen alles' erwächst nur aus der zusätzlichen Interpretation und nicht aus dem Gedicht. Ich finde die Bilder als Sintflut-Endzeit Warnung nicht übertrieben. Denken wir mal an Hieronymus Bosch bzw. einen möglichen Nachfolger der Moderne. Das Gedicht wäre Vorlage für ein großartiges Gemälde. Schade, dass ich nicht malen kann ;)

Mein Verbesserungsvorschlag ginge in diese Hinsicht: die Bilder noch gespenstischer, makabrer, grotesker usw. zu gestalten.

LG
Tula
das liegt natürlich immer im auge des jeweiligen betrachters.....ich mag diese gesinnungsgedichte nicht, vor allem wenn sich der autor oder die autorin deutlich unter wert schlägt..........solche werke gleichen sich wie ein ei dem anderen.....zunächst kommt eine düstere beschreibung und anprangerung und dann eine meist abfällige schlussfolgerung......das ist mir einfach zu banal und zu simpel.......LG

ich kann übrigens auch nicht malen.......:(
 



 
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