Dark Eyes - Teil 4

Der Denker

Mitglied
Jylassme erzählt...

Ebenso eilig wie ihr Auftritt, war auch ihr Abgang gewesen. Meine Herrin hatte die Einweihungszeremonie verlassen, um nach mir zu sehen, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass alles nach Plan lief. Nach unserem Gespräch musste sie jedoch schleunigst wieder zurückkehren. Auch wenn sie Ladmus voll und ganz vertraute, ließ sie solche Feierlichkeiten doch selten gerne in den Händen anderer. Außerdem war sie immer gerne zugegen, wenn die Nächtliche dem Orden die Ehre erwies und sich zu den Sterblichen herabließ. Ich wusste nicht, was ich von der ungewöhnlichen Aufmerksamkeit mir gegenüber halten sollte, aber es brachte seltsamerweise kein gutes Gefühl mit sich, von der Hohepriesterin bevorzugt behandelt zu werden.
Lange saß ich gedankenverloren in meinem kleinen, spärlich eingerichteten Zimmer mit den dunklen Steinwänden und starrte aus dem Fenster. Der Vollmond war nun kaum mehr zu sehen. Er war fast vollständig hinter den Baumwipfeln und den sich verdichtenden Wolken verborgen. Viele wirre Gedanken gingen mir durch den pochenden Schädel. Ich konnte jetzt beim besten Willen nicht schlafen, selbst wenn ich es versucht hätte.
Vor der schweren Holztüre meines Zimmers hörte ich eilige Schritte. Einige neugierige Priesterinnen und Priester machten sich wahrscheinlich auf den Weg zur Einweihungszeremonie, bei der die Anwärter und Anwärterinnen auf die Priesterschaft ihren Glauben an die Nächtliche unter Beweis stellen mußten.
Ein Blitz zuckte und erhellte mein Zimmer für einige Sekunden taghell. In das dumpfe Grollen des Donners, der darauf folgte, mischten sich ein paar helle Hornsignale und Gongschläge, die durch den Wind von den Ritualen auf dem Platz des Pentagramms zum Wohnhaus der Priesterschaft getragen wurden. Dann war eine Weile nichts als das Pfeifen des Windes und das Rauschen der Bäume zu hören. Es wurde so dunkel, dass selbst ihre geschulten Augen kaum mehr etwas erkennen konnten. Der Wind wurde merklich stärker und tobte von Minute zu Minute wilder. Er brachte die Fensterläden, die nicht befestigt waren, dazu, in einem gespenstisch regelmäßigen Takt auf- und zuzuschlagen. Ein Sturm kam auf, wie es immer geschah, zur Zeit der Einweihungszeremonien. El'ava Shee sorgte jedes Mal rechtzeitig für Ablenkung. So würde niemand die Schreie der Opfer hören. Niemand außer den Mitgliedern des Ordens der ewigen Finsternis.
Ich stand von meinem durchaus bequemen Sessel am Fenster auf und begab mich zu meinem noch bequemeren Bett. Erschöpft ließ ich mich mit einem Seufzen in mein kuscheliges Kissen sinken. Regen begann auf das Dach zu prasseln. Die Geräuschkulisse hatte etwas Beruhigendes, etwas Einlullendes. Ich spürte, wie mir die Augenlider trotz der Aufregung schwer und immer schwerer wurden. Plötzlich durchbrach Geschrei, das selbst den inzwischen tosenden Sturm durchdrang, die gemütliche Atmosphäre. Ich regte mich nicht. Wieder zuckten Blitze.
Und die Wände veränderten sich. Aus dem dunkelgrauen Stein wurde eine helle getünchte Wand. Sie war so unglaublich weiß, dass es mir in den Augen schon Schmerz bereitete. Durch das geöffnete Fenster schien die Sonne ins Zimmer und tauchte die Möbel in ein gleißend helles und völlig reines weißes Licht. Es schien, als brächte sie die Wände zum Leuchten, dort wo sie auf sie traf. Schon seit Jahren hatte ich die Sonne nicht mehr gesehen. Wie alle Anhänger der Nächtlichen war ich ihr, wann immer es möglich war, aus dem Weg gegangen, hatte tagsüber geschlafen und war nachts meinen Pflichten als Priesterin nachgegangen.
Als ich mich aufsetzte, um einen Blick aus dem Fenster zu werfen, wurde ich sofort von der Sonne geblendet. Meine Augen begannen heftig zu tränen und meine Haut brannte wie Feuer, dort wo die Sonnenstrahlen mein Gesicht berührten. Ich war dieses scheußlich grelle Licht nicht gewohnt. Schnell wandte ich mich ab und hielt den Atem an, während ich die Augen zusammenpresste und jeden Klagelaut unterdrückte. Es dauerte viele lange Minuten, bevor Haut und Augen aufhörten zu schmerzen und ich schappte mehrmals laut nach Luft. Mit den Handrücken wischte ich mir die Tränen aus den Augen.
Das Erste, das ich erblickte, als ich wieder etwas sehen konnte, war eine Vase mit einer Blume in der sonnenunbeschienenen Ecke des Zimmers, deren Blüte im Schatten leuchtete. Es war wohl eine Patau. In den Wäldern von Thal ud Morr wächst dieses gräßliche Gestrüpp wie Unkraut. Sie reagieren auf die Gefühle der Lebewesen in ihrer Nähe. Als ich sie betrachtete, wurde ihr Licht immer schwächer und erlosch schließlich völlig. Sie verwelkte und fiel tiefschwarz vom Stengel. Ich hasse dieses überflüssige Gewächs. Es ist geradezu für fröhliche gute Lebewesen geschaffen. Hass, Wut, Verachtung, solche Dinge kann es nicht ertragen. Gefühle dieser Art bringen ihr den Tod.
Daneben lag eine weiße Bürste mit goldenen Symbolen und Verzierungen. Sie sah aus, als sei sie zum Striegeln von Einhörnern gedacht. Ich fühlte schon, wie sich mir der Magen umdrehte, alleine bei dem Gedanken an diese Wesen.
Das Zimmer schien mir plötzlich so seltsam vertraut. War ich hier nicht schon einmal gewesen? Es war schon lange her.
'Zu Hause', schossen mir die Worte durch den Kopf.
"Zu Hause", wiederholte ich die Worte leise.
Da drang ein fürchterlicher Laut an meine Ohren. Ein derart unerträgliches Geräusch hatte ich schon so lange nicht mehr gehört und die wenigen Momente, in denen ich es hören musste, hatte ich geschickt verdrängt.
 
W

willow

Gast
Zu Hause scheint es wohl nicht immer am schönsten...

Hallo Dede,

Du weisst wirklich, wie man jemanden auf die Folter spannen kann, was?

Auf jeden Fall schaffe ich es nicht, die Werke ERST in meinen Ebookman herunterzuladen, um sie DANN zu lesen, sondern ich muss immer gleich gucken, wie es mit Jylassme weitergeht.
Und ich könnte es immer und immer wieder lesen...

So, und nun fieber ich Teil V entgegen - lass mich bitte nicht sooooo lange warten, ja?


LG,

Willow
 

Der Denker

Mitglied
Gugguggs Willow,

wie immer bin ich dir absolut unendlich dankbar, dass du noch immer meinen Worten lauschst und es dir gefällt und dass du mir das auch mitteilst. :)

Eigentlich schreibe ich nicht so, dass ich nach 900 Worten oder so einen guten Schluss habe für den Teil.
Ich schreibe, wie ich glaube, dass es für die Geschichte am besten ist. Aber zufällig scheine ich bis jetzt in dieser Wortzahlgegend immer auf ein passendens Ende zu stoßen. :)

Ich werde mich anstrengen und mein bestes geben, dich so kurz wie möglich warten zu lassen. ;)


Grüße
dede
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
die

geschichte ist sehr interessant und spannend erzählt. auch ich fiebere dem 5. teil entgegen! man liest sich. lg
 
S

Sohn des Rhein

Gast
Hallo Dede,

Menno, irgendwie schaffe ich es nie, das Ende des letzten Teils im Kopf zu behalten, werde ich wohl jetzt noch mal schnell nachschauen...

Was ich aber sagen wollte: Was hast Du gegen Einhörner? Und wie soll ich mir vorstellen, dass Einhörner Horn blasen? Könntest Du vielleicht eine Skizze eines Horn-blasenden Einhorns erstellen und mir zukommen lassen? ;) Den Klang von Hörnern mit etwas Negativem zu verbinden, da bricht mir einfach das Herz...

Viele Grüsse,
Matthias
 

Der Denker

Mitglied
ganz hin und weg

Hallöchen flammarion,

freut mich ungemein, dass es dir gefällt und mich das auch wissen lässt. Ich hoffe, ihr haltet das auch durch bis zum Schluss. *lach*



Tach SdR,

schön, dich auch hier begrüßen zu können :)

ähem, was die Einhörner angeht:
Ich weiß jetzt nicht, ob du mich hier jetzt nur auf den Arm nimmst, oder ob ichs tatsächlich so unverständlich formuliert habe, aber das ist so zu verstehen, dass die Anhänger El'ava Shees Einhörner fangen und ihnen die Hörner absägen, um Blasinstrumente daraus zu machen.

Zum Thema "was hat dede gegen Einhörner?":
absolut gar nichts, null, im Gegenteil, schöne Tiere.
Aber:Dieser Teil der Geschichte geht ja nicht um meine persönlichen Gefühle, sondern um die Ansichten eines 'bösen' Ordens. War das nun verständlich? ;)

Falls ihr noch Fragen habt, oder z.B. findet, dass irgendwas unverständlich ist oder einen Logikfehler findet, immer her damit. :)


Liebe Grüße,

dede

*kräftig zu kritzeln anfang*
 



 
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