Dark Eyes - Teil 7

Der Denker

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Unentschlossen wartete ich vor der tiefschwarzen, alles Helle verschluckenden Türe, die ungefähr drei Meter hoch vor mir aufragte. Oben wand sich ein gehörntes Wesen bis zum Oberkörper aus dem Türbogen und starrte stumm kreischend auf mich herab. Die Zeiten, in denen mir diese Fratze Angst gemacht hatte - die vielen Jahre, in denen ich voller Furcht vor der Türe stand und auf Lysera, die Hohepriesterin, wartete, immer mit absoluter Sicherheit erwartend, dass er sich von dort oben herabstürzen würde, um mich in die Schattenwelt zu zerren - waren schon lange vorbei. Doch diesmal fühlte ich mich wieder, wie das kleine Mädchen von damals. Wieder schüchterte er mich völlig ein und zermürbte mich schon im Voraus, bevor ich noch überhaupt ein einziges Wort mit Lysira gesprochen hatte. Ich hasste mich selbst dafür, dass ich in letzter Zeit so schwach und angreifbar war.
Als ich die Augen für einige Zeit schloss und mich darauf konzentrierte, dieses Gefühl zu unterdrücken, schaffte ich es, mich von ihm abzulenken und betrachtete die in die Türe eingeschnitzten Szenen aus den heiligen Schriften. Ganz oben waren auf der rechten und der linken Türhälfte je ein Halbkreis mit gezackter Schnittlinie eingearbeitet. Der Halbkreis auf der rechten Seite war leer, der linke ausgefüllt. Wenn die Türe geschlossen war, griffen die beiden Halbkreise ineinander und bildeten einen vollen Kreis. Sie symbolisierten Sheezua und Sheezurion, die Urgötter, die durch ihre Liebe Eles, die Einheit, geschaffen hatten, in dem alle Existenzen, von den sieben Untergöttern bis hin zum kleinsten Gewürm miteinander zu einer einzigen Lebensform verschmolzen waren. Als die Urgötter voller Freude erkannten, was ihre Liebe vollbringen konnte und sie weiterzogen, um im Universum noch mehr Leben zu erschaffen, entbrannte im Eles ein erbitterter und gnadenloser Kampf zwischen den Göttinnen El'ava Shee, der Nächtlichen, und Sawavidriel, der Strahlenden. In diesem heiligen Krieg, dem Torroshquor, der fast das Ende allen Lebens in der Einheit bedeutet hätte, zogen beide Göttinnen immer mehr Wesen auf ihre Seite und konzentrierten einerseits das Helle und Gute und andererseits das Dunkle und Böse um sich, bis Eles in die drei Teile gespalten wurde, die wir heute als Torras, Sheezua und Ysselle kennen. Die Einheit war auf der Türe deshalb als dreigeteilter Kreis direkt unter dem zweigeteilten zu sehen, der die Urgötter darstellte. In der linken Hälfte war der Mond abgebildet - zusammen mit der Sonnenfinsternis Symbol für El'ava Shee - es stellte die Schattenwelt Torras dar. Die rechte Hälfte umschloss das Sonnensymbol: Sawavidriel in ihrer Lichtwelt Ysselle. Sonne und Mond waren nicht einfach willkürlich gewählt, denn Dinge wie Tag und Nacht oder Licht und Schatten existierten im Eles erst seit der Dreiteilung und das auch nur in Sheezua. In regelmäßigen Abständen gewann in Sheezua einmal Torras, die Schattenwelt, die Oberhand und einmal Ysselle, die Lichtwelt. Daher gab es den Wechsel von Tag und Nacht. Im mittleren Teil des Kreises hing eine Waage drohend über Sheezua, der Mittelwelt, in der alles lebte, was in Torras und Ysselle keinen Platz fand - wie ich zum Beispiel -, um die Bewohner daran zu erinnern, dass sie nach ihrem Tode von Adwerfa - die Waage war zusammen mit der Sanduhr ihr Symbol - gerichtet werden. Adwerfa ist die Göttin der Zeit, die über Tod und Leben entscheidet und eben auch darüber, wo man nach seinem Ableben existieren wird. Denn der Tod bedeutet nicht das Ende der Existenz: war man eher ein guter Sheezuaner wird man forthin in Ysselle existieren; war man das eher nicht, dann wird Torras die neue Heimat sein. Adwerfa ist bekannt für ihre Unbestechlichkeit und Unnachgiebigkeit und deshalb auch gefürchtet.
Die Existenz im Eles kann teilweise recht kompliziert sein und eigentlich müsste ich meiner Herrin dankbar sein, wenn es nicht gegen meinen Glauben verstieße. Dankbar dafür, dass ich nicht für die Umerziehung der Kinder nach finsterem Glauben zuständig war. Denn alleine die Zahl all der Sprößlinge, deren Eltern das Glück und die Ehre zuteil wurde, als Opfergabe für die Göttin zu dienen, war schon beachtlich in diesem Jahr. Es versteht sich von selbst, dass Kinder bis zu einem gewissen Alter nicht geopfert werden, da sie in diesem Lebensabschnitt meistens noch zu den unschuldigsten Wesen in ganz Sheezua zählen. Wenn El'ava Shee oder auch Sawavidriel ein Lebewesen direkt in ihr Reich ziehen, entgeht es Adwerfas Richterstuhl, das heißt also, auch solche die für gewöhnlich eigentlich nach ihrem Tode nach Ysselle kämen, werden sich damit abfinden müssen, ihre Existenz für immer in Torras zu fristen, gleiches gilt allerdings auch umgekehrt. Doch in diesem unschuldigen Stadium ihres Lebens, könnte die dunkle Göttin die Kinder niemals unbemerkt direkt nach Torras ziehen. Adwerfa schätzt es nicht, wenn sie hintergangen wird und kann dann ziemlich ungemütlich werden. Da sie damit beschäftigt ist, sich um die Zeit zu kümmern und um das Leben und Sterben der Sheezuaner, bemerkte sie die Opferungen offenbar sonst nicht. Was mich schon immer sehr verwunderte: wie konnte eine Göttin das außerplanmäßige Sterben von so vielen Lebewesen nicht bemerken? Aber ich akzeptierte es als gegeben, denn es kam meiner Göttin ja nur zugute. Es lag aber hauptsächlich im Interesse der Sheezuaner, Adwerfa milde zu stimmen, denn Götterkriege wirken sich auf Sterbliche natürlich viel fataler aus. Der Nächtlichen und der Strahlenden war es vermutlich egal, wenn sie sie erzürnten - auch wenn dadurch wieder die Existenz des Eles gefährdet wäre. Deshalb werden die Kinder also zum Glauben an die dunkle Göttin umerzogen und werden eines Tages vielleicht Priester - oder später einmal doch geopfert, wenn sie das Potential zum dunklen Diener nicht aufweisen - um unbemerkt nach Torras geschickt zu werden, reicht es dann.
Unter dem Eleskreis waren die übrigen Götter entlang der Kreislinie angeordnet, was verbildlichen sollte, dass Alosiphale, die Göttin der Liebe, mit dem Symbol zweier sich umwindenden Schlangen, Smetteron, Gott der Natur und der Witterung mit dem Baumsymbol - manchmal auch durch einen Blitz verbildlicht-, Hashrem, der Gott des Krieges und des Kampfes mit dem Symbol eines Schwertes und einer Axt über Kreuz, und Mediphos, der Unwirkliche, Gott der Illusion und des Traumes, aber auch der Vision - vertreten durch das Auge -, sich keinen festen Platz im Eles gewählt hatten. Denn genausowenig, wie Liebe und Natur darauf Rücksicht nehmen, ob jemand eher gut oder eher böse ist, genauso gibt es im Krieg, genau wie in Traum und Vision, sowohl helle, als auch Schattenseiten.
Sonst waren noch allerlei andere Symbole und Szenen der heiligen Schrift visualisiert, aber der Künstler hatte sich sehr auf die Darstellung der Schöpfung konzentriert. Während ich nun also vor der Türe stand und eingehend die meisterhaft geschnitzte Türe bewunderte und mit der Hand über diverse Wölbungen und Furchen strich, als habe ich diese Türe noch nie gesehen, öffnete sich die linke Türhälfte und riss mich aus meinen Gedanken.
 
W

willow

Gast
tz tz tz...

Hallo lieber dede,

da hast du wohl gedacht, nur weil du keine Werbung gemacht (oder mir nicht eine kurze Nachricht geschickt hast) du könntest Teil VII vor mir verstecken, damit ich es erst dann finde, wenn du Teil VIII bereits gepostet hast? FALSCH!!! Ich will sofort Teil VIII.

Die Geschichte ist richtig spannend, vor allem, weil du in diesem Teil noch einmal ausführlich die Mythologie der Welt erklärst und uns einen Einblick in die Abgründe dieser "Religion" gewährst. Noch weiß ich allerdings nicht, wohin Jylassmes Weg sie führen wird...also beeil dich bitt, bevor ich vor Spannung schlecht schlafe :).

Sehe ich dich heute im Pub?

LG,

willow
 

Der Denker

Mitglied
Hi Willow,

genau das dachte ich. Verdammt! Jetzt hast du es doch gefunden! Ich muss es wohl doch besser verstecken, sonst findest du einfach immer wieder den nächsten Teil. :D

Hatte befürchtet, es wäre zu kompliziert und zu viel Information auf zu kleinem Raum. Praktisch das ganze Universum auf die Türbeschreibung zusammengequetscht. :)
Aber das beruhigt mich ungemein, dass es offensichtlich nicht so ist.
Mal sehen, ob ich den nächsten noch hinbekomme, bevor ich nach Berlin fahre. ;)
Aber bis wir erfahren (wir inklusive mir *grins*) wohin Jylassmes Weg führt, wird es noch ein Weilchen dauern. Wir sind noch am Anfang der Reise. Tut mir leid... schick mir einfach die Rechnung für die Schlaftabletten, ok? :D

Bis demnächst im Pub

dede
 



 
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