*
ein Traum
Dark River
Nach langem Gehen komme zu einem Fluss.
Rechts und links um die flachen Ufer ... Wiesen.
Am Horizont schwarze Wälder.
Dark River.
Seine stahlgrauen Wasser...
Es ist elf Uhr morgens.
Die Sonne müsste bald im Mittag stehen. Doch ihr Glanz dämpft sich mehr und mehr, als sei sie gerade dabei, unterzugehen.
Am Ufer halten sie einen Trödelmarkt ab. Sonderbar - es gibt nur drei Stände. Dahinter stehen wenige Händler. Das Publikum fehlt.
Nichts als Unordnung ist zu sehen, leere Spanholzkisten und Pappkartons auf dem Boden verstreut. Tapeziertische voll mit zerknülltem Packpapier. Wo sind die Sachen, die hier feilgeboten werden sollen?
Und wo ist Erik, mein Sohn? Denn einer der Stände soll ja sein Schnubo-Stand sein, wobei 'Schnubo' der Markenname der Kerzen und Duftöle ist, die er mit so viel Erfolg verkauft.
Nein, ich sehe weder Erik, noch seine Waren.
Es müsste Sommer sein - zumindest sagt das der Kalender - es scheint aber nur ein verhangener Vorfrühlingstag. Niemand schwimmt im Fluss, doch ein paar Badende stehen bis zu den Knien im seichten Uferwasser, lächeln geduldig, als warteten sie auf etwas.
Als ich über den Strom schaue, gewahre ich, dass an der Oberfläche tausend kleine Brotstücke schaukeln.
"Die hat man für Möwen und Schwäne hinein geworfen", weiß ich.
Die Vögel sind aber nicht gekommen.
Da ... plötzlich – ich traue meinen Augen kaum - stürzt sich eine alte Frau mit schmutzigbraunen Klamotten und schweren Stiefeln eilig ins Wasser. Auf dem Rücken trägt sie ... einen riesigen Rucksack.
Was hat sie vor?
Mit schwachen Stößen durchschwimmt die seltsame Erscheinung jetzt den Strom. Der Sack auf ihrem Rücken ist so groß wie die Person selbst und scheint sie immer wieder unter Wasser zu ziehen. Zeitweise ist sie verschwunden, um dann ein ganzes Stück weiter flussabwärts, nach Luft ringend, aufzutauchen. Ich sehe bald zu meiner grenzenlosen Erleichterung, dass die alte Frau es schaffen wird, ans andere Ufer zu kommen, obwohl man sie zuerst für eine Ertrinkende hätte halten können.
Längst fingen die Leute auf der anderen Seite des Flusses zu kreischen an. Nun applaudieren sie: "Unglaublich ... schaut nur ... die Pennerin steigt wohlbehalten aus den Fluten."
Ich sehe durch mein Fernrohr ...jetzt stampft die Frau drüben aus dem Wasser heraus. Sie schüttelt sich wie ein nasser Biber, versprüht dabei tausend glitzernde Tropfen. Mit ihrer mächtigen Last - voluminöser als sie selbst - zieht sie bedächtig dahin, langsam wie eine Schnecke auf ihrer Spur.
Ich stehe noch immer am Ufer, dort, wo wenige Schritte entfernt der erfolglose Markt abgehalten wird. Ich warte. Ich weiß - von nun an werde ich häufiger herkommen. Es ist das merkwürdige gelb-grüne Zwielicht, es ist die Sonne - sie scheint warm, aber wie durch sonderbare Vorgänge verdunkelt - es ist die Verlorenheit dieser Gegend - keine menschliche Ansiedlung auf Meilen im Umkreis - eine unwirkliche Szenerie, die mich ... behext.
Bald gesellt sich einer der Händler zu mir und es dauert nicht lang, da beginnt er von Erik zu erzählen, wohl ohne zu vermuten, dass dieser mein Sohn ist.
„Ich habe vor einigen Wochen eine Kerze bei ihm gekauft, aber das würde ich nie wieder tun“, sagt er, „seine Ware ist schlecht und der Typ arrogant. Der ist anscheinend nicht erpicht darauf, etwas an den Mann zu bringen. Er hat mich während des ganzen Handels kaum angesehen, sondern - Kopf in den Wolken - mit Hilfe seines Handys die ganze Zeit nur hektisch herumtelefoniert. Ich wundere mich, was der hier verloren hat“, klagt der junge Mensch weiter, „denn Kerzen zu verkaufen, ist wohl überhaupt nicht sein Metier. Ob das etwa eine falsche Fährte ist, die er absichtlich legt?“
„Merkwürdig“, denke auch ich und Trauer fällt mich an. Es ist, als ob er von einem Schemen spräche und nicht von meinem Sohn.
Sooft ich mich dem verwaisten Schnubo-Stand nähere und nach Erik frage, sagen mir die Nachbarhändler
er wäre bald zurück,
sei nur kurz einmal davongesprungen,
müsse eigentlich längst schon wieder da sein.
So geht es mir den ganzen Tag lang. Man sagt immer, er käme gleich. Doch er kommt nie.
*
Copyright Irmgard Schöndorf Welch
23. 05. 2006
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ein Traum
Dark River
Nach langem Gehen komme zu einem Fluss.
Rechts und links um die flachen Ufer ... Wiesen.
Am Horizont schwarze Wälder.
Dark River.
Seine stahlgrauen Wasser...
Es ist elf Uhr morgens.
Die Sonne müsste bald im Mittag stehen. Doch ihr Glanz dämpft sich mehr und mehr, als sei sie gerade dabei, unterzugehen.
Am Ufer halten sie einen Trödelmarkt ab. Sonderbar - es gibt nur drei Stände. Dahinter stehen wenige Händler. Das Publikum fehlt.
Nichts als Unordnung ist zu sehen, leere Spanholzkisten und Pappkartons auf dem Boden verstreut. Tapeziertische voll mit zerknülltem Packpapier. Wo sind die Sachen, die hier feilgeboten werden sollen?
Und wo ist Erik, mein Sohn? Denn einer der Stände soll ja sein Schnubo-Stand sein, wobei 'Schnubo' der Markenname der Kerzen und Duftöle ist, die er mit so viel Erfolg verkauft.
Nein, ich sehe weder Erik, noch seine Waren.
Es müsste Sommer sein - zumindest sagt das der Kalender - es scheint aber nur ein verhangener Vorfrühlingstag. Niemand schwimmt im Fluss, doch ein paar Badende stehen bis zu den Knien im seichten Uferwasser, lächeln geduldig, als warteten sie auf etwas.
Als ich über den Strom schaue, gewahre ich, dass an der Oberfläche tausend kleine Brotstücke schaukeln.
"Die hat man für Möwen und Schwäne hinein geworfen", weiß ich.
Die Vögel sind aber nicht gekommen.
Da ... plötzlich – ich traue meinen Augen kaum - stürzt sich eine alte Frau mit schmutzigbraunen Klamotten und schweren Stiefeln eilig ins Wasser. Auf dem Rücken trägt sie ... einen riesigen Rucksack.
Was hat sie vor?
Mit schwachen Stößen durchschwimmt die seltsame Erscheinung jetzt den Strom. Der Sack auf ihrem Rücken ist so groß wie die Person selbst und scheint sie immer wieder unter Wasser zu ziehen. Zeitweise ist sie verschwunden, um dann ein ganzes Stück weiter flussabwärts, nach Luft ringend, aufzutauchen. Ich sehe bald zu meiner grenzenlosen Erleichterung, dass die alte Frau es schaffen wird, ans andere Ufer zu kommen, obwohl man sie zuerst für eine Ertrinkende hätte halten können.
Längst fingen die Leute auf der anderen Seite des Flusses zu kreischen an. Nun applaudieren sie: "Unglaublich ... schaut nur ... die Pennerin steigt wohlbehalten aus den Fluten."
Ich sehe durch mein Fernrohr ...jetzt stampft die Frau drüben aus dem Wasser heraus. Sie schüttelt sich wie ein nasser Biber, versprüht dabei tausend glitzernde Tropfen. Mit ihrer mächtigen Last - voluminöser als sie selbst - zieht sie bedächtig dahin, langsam wie eine Schnecke auf ihrer Spur.
Ich stehe noch immer am Ufer, dort, wo wenige Schritte entfernt der erfolglose Markt abgehalten wird. Ich warte. Ich weiß - von nun an werde ich häufiger herkommen. Es ist das merkwürdige gelb-grüne Zwielicht, es ist die Sonne - sie scheint warm, aber wie durch sonderbare Vorgänge verdunkelt - es ist die Verlorenheit dieser Gegend - keine menschliche Ansiedlung auf Meilen im Umkreis - eine unwirkliche Szenerie, die mich ... behext.
Bald gesellt sich einer der Händler zu mir und es dauert nicht lang, da beginnt er von Erik zu erzählen, wohl ohne zu vermuten, dass dieser mein Sohn ist.
„Ich habe vor einigen Wochen eine Kerze bei ihm gekauft, aber das würde ich nie wieder tun“, sagt er, „seine Ware ist schlecht und der Typ arrogant. Der ist anscheinend nicht erpicht darauf, etwas an den Mann zu bringen. Er hat mich während des ganzen Handels kaum angesehen, sondern - Kopf in den Wolken - mit Hilfe seines Handys die ganze Zeit nur hektisch herumtelefoniert. Ich wundere mich, was der hier verloren hat“, klagt der junge Mensch weiter, „denn Kerzen zu verkaufen, ist wohl überhaupt nicht sein Metier. Ob das etwa eine falsche Fährte ist, die er absichtlich legt?“
„Merkwürdig“, denke auch ich und Trauer fällt mich an. Es ist, als ob er von einem Schemen spräche und nicht von meinem Sohn.
Sooft ich mich dem verwaisten Schnubo-Stand nähere und nach Erik frage, sagen mir die Nachbarhändler
er wäre bald zurück,
sei nur kurz einmal davongesprungen,
müsse eigentlich längst schon wieder da sein.
So geht es mir den ganzen Tag lang. Man sagt immer, er käme gleich. Doch er kommt nie.
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Copyright Irmgard Schöndorf Welch
23. 05. 2006
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