Das Abenteuer

Das Abenteuer

Kapitel 1
Die Vorbereitung / Das Missgeschick


Nachdem Taff Besik und Dorahn Mavelius ihr Zimmer zugewiesen bekommen hatten, das sie die nächsten Jahre teilen würden, verkündete Meister Rasall, der Tutor der neuen Ebenenspringer, das ab heute drei Monate Ferien seien. So hatten die jungen Kadetten noch einmal die Gelegenheit, ihre Familien und Freunde aufzusuchen, um danach sorgenfrei mit dem Training beginnen zu können.
Da Dorahns Vater, Durian Mavelius, den Prinzen auf einer Auslandsreise begleitete, schloss Dorahn sich nach mehrmaliger Aufforderung Taff Besik an, der seine Heimatstadt Bamboon besuchen wollte. Laut Taff sollte es für Dorahn „eine kulturelle Erfahrung sein, die er nie vergessen werde“. So bereiteten sich zwei Männer auf die Reise vor, wie sie unterschiedlicher kaum sein konnten. Bamboon ist der Schmelztiegel allerlei düsterer Gestalten und Taffs vorrangige Sorge galt Dorahns Kleidung. In einfacher Kleidung fühlte Dorahn sich unwohl und tat das auch kund: “Ich bin ein Adeliger, kein Bauer!“ „Aber du kannst nicht in deinen Seidengewändern in Bamboon rumstolzieren, du würdest keine Minute überleben!“ erklärte Taff ihm. „Ausserdem stände es dir gut zu Gesicht, wenn du trotz meiner Kleidung meinen Titel als Lord berücksichtigen würdest!“ meinte Dorahn überheblich. Taff lächelte, verlagerte sein Gewicht, um loslaufen zu können und sagte zu Dorahn: „Oh, verzeiht mir, Dorahn, Lord der Gossenkinder!“ Taff rannte los, einen wutschnaubenden Dorahn hinter sich, der brüllte: „Taff Besik! Das ging zu weit! Wenn ich dich erwische…!“ Taffs Lachen hallte durch den gesamten Westflügel, was Dorahn noch wütender machte.

Taff, von beiden der ausdauerndere Läufer, neckte seinen Verfolger mit dummen Bemerkungen, um ihn bei Laune zu halten; was für ein Spass! Draussen, auf dem Vorplatz der Akademie bemerkte Taff, das es angefangen hatte zu schneien, die weisse Pracht erstreckte sich bis zum Haupttor und lag auf den Dächern der Stallungen, der Schmiede und sonstigen Gebäuden. Vereinzelt fielen noch kleine Flocken, es war schwer zu sagen, ob noch mehr folgen wollte. Der Schnee knirschte unter Taffs Sohlen und es war, wie er bald feststellte, stellenweise glatt unter der Decke. Er hatte damit weniger Probleme als Dorahn, der sein Gleichgewicht nur schlecht halten konnte. Es herrschte reger Betrieb: Burschen fuhren Karren mit Mist umher, überall exerzierten Ebenenspringer aller Grade und Schmied Garulf hämmerte ein Stück glühendes Metall, was einen hellen, gleichmässigen Klang erzeugte. Überhaupt war die Schmiede der einzige schneefreie Ort und deshalb wollte Taff dorthin. Er rechnete zwar nicht damit, das Dorahn seine Spuren von den zig anderen würde unterscheiden können, aber sicher war sicher. Dorahn hatte tatsächlich nicht die leiseste Ahnung vom Spurenlesen und es hätte ihm auch nichts genützt, da er schon genug Mühe hatte, sich durch das Gewühl zu kämpfen. Gerade, als er losrannte, weil er Taff hatte in der Schmiede verschwinden sehen, kreuzte ein Stallbursche mit einer Karre Schweinemist seinen Weg. Die Zwei prallten hart zusammen, Dorahn verlor auf dem Schnee das Gleichgewicht, fiel erst in die Karre und dann mit ihr um.
Im Umkreis von 10 Fuss fror das Geschehen ein, Kadetten, Ebenenspringer, Magieradepten, Tutoren und Burschen drehten sich nach Dorahn um, der sich aus dem stinkenden Mist freizukämpfen versuchte. Das plötzlich einsetzende Gelächter dröhnte in seinen Ohren und er schämte sich. Er hätte sehr viel für ein Loch im Boden gegeben, durch das er hätte verschwinden können. Seine einfache Bauernkleidung milderte die Peinlichkeit nur unmerklich ab.
Ein Magieradept kam auf den Stallburschen und ihn zu, tippte sich zur Begrüssung an seinen grossen, spitzen Hut und meinte: „Bursche, was hast du getan? Weißt du nicht, dass du Schweine vor dem Ausmisten erst woanders hinbringen musst? Schau, da war eines in deiner Karre!“ Alles gröhlte, abgesehen vom Burschen und Dorahn, der sich in Gedanken ausmalte, dem arroganten Adepten die Gurgel durchzuschneiden. Der Bursche enthielt sich eines Kommentars, er hatte gelernt, die Magier zu respektieren, egal, was sie von sich gaben, seit ein Freund einen Tag als Frosch verbringen musste.

Tutor Rasall trat schmunzelnd hinzu, verbeugte sich vor dem Adepten und stellte sich, überflüssigerweise, da jeder ihn kannte, vor: „Katos Rasall, Tutor an der ehrwürdigen Akademie zu Brelun, Ebenenspringerveteran. Und wer seid IHR?“
Der Adept war sichtlich nervös, Meister Rasall war einer der wichtigsten Männer in Brelun. Man munkelte, er gehöre dem purpurnen Kreis an, ein Komitee, das die Vergehen von Springern und Adepten prüft, Urteile verhängt und ausführt. Meister Rasall war die Ruhe selbst und zog so die meiste Aufmerksamkeit von Dorahn ab, der das Geschehen selbst neugierig beobachtete. Auf dem Platz war es sehr still geworden, sogar Garulf hatte zu schmieden aufgehört. „Nun? Ich warte!“ sagte Meister Rasall ungeduldig. Der Adept sagte gerade laut genug, das er gehört werden konnte: „Ulysses van Storm, Magieradept, Spezialisierung Elemente.“ Meister Rasall lächelte unergründlich. „Würdet Ihr mir aus Eurer Sicht beschreiben, was vorgefallen ist, Adept van Storm?“ Ulysses nahm seinen Mut zusammen, zeigt mit dem Finger auf Dorahn und antwortete: „Der Bauer rannte ungeschickt den Stallburschen um und muss dafür jetzt etwas leiden.“ Während ein Raumen durch die Menge ging, versuchte Bauer Mavelius aufzustehen, um seine Version wiederzugeben, doch Meister Rasall winkte ab. Er löste die Versammlung auf und ordnete an, den Bauern gründlich mit Seife abzuschrubben. Bevor Dorahn, die Nase über seinen eigenen Gestank rümpfend, hinter zwei Burschen herstaksen konnte, sagte Meister Rasall noch zu ihm: „Ihr werdet morgen früh den Schweinestall ausmisten, damit Ihr lernt, die zu respektieren, die niedere Dienste ausüben, Kadett Mavelius!“ Und an Ulysses gewandt, den er am Arm mit sich gezogen hatte, sagte er: „Und Ihr werdet ihm dabei behilflich sein, Adept van Storm. Euer Wissen der Nutztierhaltung wird von entscheidender Bedeutung sein!“ Die Beiden waren entlassen und zogen es vor, nicht zu widersprechen.

Erst am nächsten Morgen, als Dorahn und Ulysses in einfacher Burschenkleidung im Schweinestall standen, begannen sie den Umfang der Strafe zu erahnen. Ihr Rang galt an dem Tag nichts und da sie nicht wussten, wie ein Stall gemistet werden muss, waren sie weniger als ein Stallbursche! Den eingebildeten jungen Herren ging das gegen den Strich, zumal sie von den Burschen wie Kleinkinder behandelt wurden. Der Capo liess kein gutes Haar an ihnen und schikanierte sie, wo er konnte. Vor dem Stall hatten sich alle versammelt, die dienstfrei oder keine sonstigen Aufgaben zu betreuen hatten und äusserten teils aufmunternde, teils abfällige Bemerkungen. Dorahn empfand den Tag als Beschämendsten in seinem bisherigen Leben.
Widerwillig unterzog er sich danach Taffs Kleidungsvorschlägen und zeigte sogar so etwas Ähnliches wie Dankbarkeit für Taffs Bemühungen. Am Abreisetag schlüpfte Dorahn in die einfache Kleidung, als habe er nie etwas anderes besessen, wurde dann aber vor seiner geöffneten Waffentruhe unschlüssig. „Kurzschwert oder Langdolch?“ fragte er Taff, der sich gerade seinen jugendlichen Bart stutzte. „Langdolch! Unter den Dieben Bamboons ist der Dolch vertrauter, man wird dich im Zweifelsfall freundlicher behandeln, als wenn du das Kurzschwert trägst, die Standardwaffe der städtischen Garde.“ Das leuchtete Dorahn ein und er entnahm der Truhe einen in Samt eingeschlagenen Dolch. Vorsichtig wickelte er ihn aus und wog ihn in der Hand. Perfekt ausbalanciert. Taff bekam beim Anblick der mit Edelsteinen verzierten Stichwaffe erst Stielaugen und dann fast einen Herzinfarkt. Er riss Dorahn den Dolch aus der Hand, schlug ihn wieder in Tuch ein und legte ihn in die Kiste zurück.
„Willst du, dass man uns umbringt? Hier, nimm das!“ Er drückte Dorahn einen einfachen, abgenutzten wirkenden Langdolch in die Hand. Spitzbübisch grinsend fügte er hinzu: “Lass dich nicht von der Einfachheit täuschen, die hat Garulf geschmiedet, für jeden von uns einen, sind aus Adamant.“ Dorahn, vorsichtig mit den Fingern über die Schneide fühlend, wollte gar nicht wissen, wie Taff zwei Adamantdolche bezahlt hatte. In der Küche liessen die Beiden ihren Charme spielen und bekamen kostenlosen Reiseproviant, bestehend aus Breluner Brot mit Wurst und Käse, Obst, Gewürzwein und Schokolade. Gutgelaunt brachen die Abenteurer auf.



Kapitel 2
Die Reise / „Zum Fliegenden Schwein“


Eine Gruppe Breluner Falkenreiter nahm sie bis Santlan mit und Dorahn nutzte die Gelegenheit, Taff das Stadthaus seiner Familie zu zeigen. Zu Dorahns Enttäuschung beneidete Taff ihn nicht im Mindesten. “Gehört es dir oder deinem Vater?“ Dorahn meinte, es gehöre der Familie. „In Bamboon zäht nur, was du selbst besitzt!“ Mit dieser Sichtweise konnte und wollte Dorahn sich nicht anfreunden, bedeutete sie doch, dass er selbst etwas leisten musste. Auf dem Markt boten sich die Beiden als Eskorte eines Händlers mit seiner Frau an, die nach Bamboon reisten. Auf diese Weise boten sie Schutz und bekamen im Gegenzug Essen und Unterhaltung; ein gutes Geschäft für beide Seiten.
Je näher sie ihrem Zielort kamen, desto wärmer wurde es. Bamboon liegt inmitten einer Geröllwüste, im Umkreis von drei Meilen wächst und kriecht nichts, was der Grund sein könnte, dass die Stadt vor Überfällen weitestgehend verschont geblieben ist. Nach dieser „Sperrzone“ beginnt ein ausgestrecktes Waldgebiet, mit üppiger Flora. Die Ebene vor der Stadt wird „Ebene des Schmerzes“ genannt, heisser Wind fegt kleine Steine und Sand umher; der Boden ist vom Abrieb glatt. In einem dieser berüchtigten Stürme verlor die Gruppe ein Packpferd des Händlers, dessen Zügel sich gelöst hatten. Panisch wiehernd trieb es im Sturm davon und ward nicht mehr gefunden. Vor dem Stadttor angekommen, verabschiedete man sich voneinander, Taff und Dorahn drückten noch einmal ihr Bedauern um den Verlust des Pferdes aus. Die Garde, normalerweise jeden genauestens überprüfend, war mit den Verletzten des Sturmes und den Einreisewilligen derart überfordert, das sie sich keine Mühe machte und die Leute bloss durchwinkte.
Dorahn, mit solchen Städten nicht vertraut, liess sich bereitwillig von Taff führen. Recht zielstrebig und schnellen Schrittes steuerte dieser eine Taverne an, die den belustigenden Namen „Zum Fliegenden Schwein“ trägt. Dorahn erblickte auf dem Schild ein Schwein mit seitlich angebrachten rosa Flügeln und setzte zu einer Frage an, als Taff ihn zur Seite zog und erklärte: „Der jetzige Wirt war früher Bürgermeister dieser Stadt. Seine grösste Passion war das Langbogenschiessen und so veranstaltete er einmal im Jahr einen Wettbewerb, in dem er lange ungeschlagen blieb. Eines Tages schaffte es ein junges hübsches Mädchen namens Freya in die Finalrunde. Masek, so der Name des Bürgermeisters, hat vor allen Leuten gesagt, das ´ehe ihn eine Göre besiege wohl eher ein Schwein fliegen lerne!´ - Nun, den Rest kannst du dir sicher denken. Er gab sein Amt auf und wurde Wirt. Auf Druck der Diebesgilde, deren Einfluss sehr gross ist, musste Masek diesen Namen für seine Taverne wählen, um immer an seine Überheblichkeit erinnert zu werden.“ Dorahn war verblüfft, eine Frau sollte die beste Langbogenschützin hier in der Region sein? Er wusste, das viele Geschichten nicht einmal zur Hälfte der Wahrheit entsprachen, und daher machte er sich nicht allzu viele Gedanken darüber. Eine nette Legende, wie er fand, mehr nicht.

„Wenn du willst, besuchen wir Freya auf dem Rückweg. Sie lebt im Wald und lehrt den richtigen Umgang mit Pfeil und Bogen. Das willst du doch, eine junge Frau als Lehrerin, he?“ Taff grinste breit und Dorahn fing energisch an, zu protestieren. Taff winkte ab: „Lass es lieber. Je mehr du dich aufregst, desto mehr habe ich Recht. Weiss sowieso nicht, was du hast, ist doch nichts dabei.“ Dorahn, der den Mund geöffnet hatte, um erneut zu widersprechen, klappte ihn wieder zu und guckte verwirrt. Taff klopfte ihm lachend auf die Schulter und schob ihn in die Taverne. Drinnen schlug Dorahn ein Gestank aus Tabakrauch, Alkohol und Schweiss entgegen, der ihn unwillkürlich würgen liess. Wäre Taff nicht hinter ihm gestanden, er hätte das Weite gesucht. So aber musste er sich zusammenreissen und kämpfte sich durch die Menge bis zur Bar durch. Dort angekommen, wurde Taff herzlich von zwei zwielichtigen Gestalten begrüsst, denen Dorahn nicht einmal einen gebrauchten Handkarren abgekauft hätte. Seiner Meinung nach war ihr Geschäftszweig aber auch eher Raub und Hehlerei, doch das behielt er für sich. Taff stellte ihm einen jungen Mann vor, der einmal Opfer der Pocken gewesen zu sein schien; sein Gesicht war über und über vernarbt und als wenn das noch nicht gereicht hätte, trug der arme Kerl auch noch eine Hasenscharte.
„Darf ich dir meinen kleinen Bruder vorstellen? Dorahn, das ist Aritt.“ Junge, da hatte der Schöpfer was angerichtet! Aritt ist das genaue Gegenteil von Taff! Dorahn musste sich sehr anstrengen, zu verstehen, was Aritt ihm erzählte, denn aufgrund der Scharte sprach er sehr undeutlich. Aber er war nett, umgänglich und bestellte Dorahn und sich ein Bier, während Taff mit den zwei Kerlen in einem Nebenraum verschwand.
„Also, Besik, was willst du hier?“ fragte der grössere der Beiden. „Ich zeige einem Freund meine Heimatstadt, muss ich dich neuerdings um Erlaubnis ersuchen, Kobal?“ fragte Taff ruhig. „Es hat sich einiges geändert, seit du vor einem Jahr fort bist. Die Gilde wurde beschuldigt, die ´Rächerklinge´ gestohlen zu haben und wird seither von der Stadtgarde schikaniert.“

Die „Gilde“ ist eine aus Dieben der Stadt bestehende Interessengemeinschaft, die vom jeweils ältesten Dieb (oder Diebin) angeführt wird. Normalerweise wird vor grösseren Aktionen der Gilde die Stadtgarde geschmiert, damit sie ein bestimmtes Gebiet nicht patrouilliert oder allgemein wegsieht. Seit dem Verlust des Artekaktes jedoch weht ein anderer Wind in Bamboon. Die Stadtgarde und die Gilde misstrauen sich gegenseitig; irgendwo gab es ein Sicherheitsleck und keine Gruppierung will sich den schwarzen Peter zuschieben lassen.

„Pass auf, wenn du in den Strassen unterwegs bist, Besik. Gardehauptmann Resk kennt dich und möchte sich sicher noch immer gebührend für seine Scharfsicht bedanken, die er durch dich erlangt hat!“ Kobal zwinkerte ihm zu, klopfte ihm auf die Schulter und verliess, mit dem anderen zusammen lachend, den Raum. – Ausgerechnet Resk war Hauptmann geworden! Als er noch ein kleiner Sergeant war, erwischte er Taff beim Beutelschneiden auf dem Markt. Taff, an einer Verhaftung nicht sonderlich interessiert, nahm sein dünnes langes Messer und zog es durch Resks Gesicht. In der sofort entstehenden Verwirrung konnte er entkommen. Resk zeigte Taff zwar an, aber es gab plötzlich weder Beweise noch Zeugen, dafür hatte der Gildenführer, Alet Besik, Taffs Vater, seinerzeit gesorgt. Verständlicherweise schwor Resk Rache, mehr blieb ihm auch nicht. Und nun ist er Hauptmann? Taff schüttelte sich bei dem Gedanken, was Resk mit ihm anstellen würde, sollte er ihn in die Finger bekommen. Er verliess den Raum und kehrte an die Bar zu Aritt und Dorahn zurück.

„Gibt’s Probleme?“ fragte Dorahn, als er Taffs abwesenden Blick bemerkte. „Entschuldigst du mich, Bruder, ich habe mit Dorahn etwas zu besprechen.“ Taff lächelte Aritt an, der es gewohnt war, in Taffs Angelegenheiten nicht eingeweiht zu werden. Dorahn liess sich zu einem Tisch am Kamin führen, Taff bestellte Bier und erzählte, was er erfahren hatte.
„Die Klinge bedeutet der Gilde wohl sehr viel, hm?“ fragte Dorahn. „Sie bedeutet allen sehr viel! Der Gründer der Stadt, Ostin Bamboon, trug sie vor 3.200 Jahren im Kampf gegen die dämonische Horde! Jeder Bambooner ist stolz, sie im ´Gründerhaus´ bewundern zu dürfen. Ein absurder Gedanke, dass die Gilde mit dem Verschwinden zu tun haben soll.“ Der Wirt brachte das Bier, Dorahn schlürfte den Schaum herunter. „Kann es sein, das irgendwer die Gilde in Misskredit bringen will?“ Taff stutzte: „Du meinst, jemand könnte gewollt haben, das Unruhe entsteht? Aber wer?“ Dorahn kribbelte es, er war wieder einmal dabei, sich in fremde Angelegenheiten einzumischen; er fühlte sich wohl. „Wer profitiert am Meisten davon, wenn die Gilde sich in der Stadt nicht mehr frei bewegen kann?“ Taff stützte sein Kinn in die linke Faust und legte nachdenklich seine Stirn in Falten. „Der Handelsrat. Er vertritt die Interessen der Kaufleute hier in Bamboon.“ „Wir brauchen mehr Informationen. Kennst du jemanden, der sie uns geben kann und dem du vertraust?“ fragte Dorahn. Es dauerte eine Weile, bis Taff ihm antwortete, er ging leise flüsternd sämtliche Personen durch, die er kannte, bis…
„Freya! Freya Graurabe!“ sagte Taff strahlend vor Freude. „Wer?“ fragte Dorahn, dem der Name irgendwie bekannt vorkam. „Die Meisterschützin!“ Taff sprang auf, zog Dorahn vom Stuhl und eilte hinaus. „Lass los, ich kann alleine laufen!“ maulte Dorahn. Gemeinsam schlichen sie hinter die Taverne zu einem Gullydeckel. Geschickt und leise legte Taff den Zugang zum Abwasserkanal der Stadt frei. „Ich geh vor.“ flüsterte er. „Du glaubst doch nicht ernsthaft, das ich da runtergehe? Bist du völlig verrückt?“ flüsterte Dorahn aufgeregt. „Hier lang ist sicherer als durchs Stadttor. Resk hat von meiner Ankunft sicher schon erfahren.“ Es war weniger der Gestank, der Dorahn abschreckte, sondern vielmehr das Brennen in den Augen. „Du hast sie ja nicht alle, Taff Besik! Weißt du wenigstens, wohin der Kanal führt?“ fragte Dorahn ihn während des Abstiegs. „Wir kommen an einen kleinen Tümpel vor der Stadt raus.“ Unten angekommen, machte Taff in kurzen und knappen Worten klar, egal was passiere, keinen Mucks von sich zu geben. Dorahn nickte und sie wateten durch knöcheltiefes Wasser. Gelegentlich begegnete ihnen eine fette Ratte, deren Fell sich durch die Feuchtigkeit aufgestellt hatte und die dadurch strubbelig aussah. Das Tier blickte sie neugierig an und verschwand schnell wieder in den düsteren Tiefen des Abwasserschachtes. Ein gluckerndes Geräusch signalisierte das Ende der Wanderung und nach einer kleinen glitschigen Kletterpartie standen Taff und Dorahn am Ufer.

„´Tümpel´ ist eine sehr schmeichelhafte Bezeichnung für diese Kloake!“ stellte Dorahn fest, der angeekelt zusah, wie dicke Blasen an die Oberfläche aufstiegen und dort geräuschvoll zerplatzten. Er war sich sicher, tausend Krankheiten von dem Ausflug zu bekommen und schüttelte sich. „In manchen städtischen Abfallgruben sieht es schlimmer aus.“ murmelte Taff, der für Dorahns übertriebene Hygienevorstellungen kein Verständnis aufbrachte. Direkt vor ihnen lag der Wald, in dem irgendwo eine kleine Hütte stand, in der Freya wohnte.
Sie waren noch nicht gegangen, als Dorahn stürzte. Taff konnte sich nur mit Mühe ein Lachen verkneifen. „Pass auf die Baumwurzeln auf!“ Dorahn kam fluchend wieder auf die Füsse und bewegte sich fortan staksend durch den Wald, was zum einen sehr albern aussah und ihn zum anderen nicht vor einem weiteren Sturz bewahrte. „Zu blöd zum Gehen?“ fragte Taff breit grinsend. „Nein, Stadtmensch!“ antwortete Dorahn gereizt.

Nach etwa einer Stunde Marsch kamen sie auf einer Lichtung an, in der eine grosse geräumige Hütte steht. Ein Stapel Brennholz lag neben dem Eingang und aus dem Schornstein stieg Rauch auf. „Wir sind am Ziel! Gleich gehen dir die Augen über!“ frohlockte Taff lachend. Dorahn, schon etwas an Taffs seltsamen Humor gewöhnt, stellte sich eine alte klapprige Frau vor, kaum noch fähig, einen Bogen zu halten. Gerade in dem Moment, als Taff an die klopfen wollte, sirrte es und ein Pfeil schlug rechts im Türblatt ein. „In Deckung!“ rief Dorahn, warf sich hinter den Hackklotz und zog seinen Dolch, der ihm jetzt im Kampf gegen einen Bogenschützen lächerlich nutzlos vorkam.
Taff, keine Deckungsmöglichkeit in nächster Nähe sehend, sackte schluchzend an der Tür in die Knie und betete. Vermutlich zum ersten Mal in seinem Leben.

„Freund oder Feind? Gebt Euch zu erkennen!“ forderte eine Stimme sie auf. „Wir sind reisende Händler und suchen Freya Graurabe.“ Erklärte Taff mit brüchiger Stimme. Eine Gestalt löste sich aus einer nahe stehenden Holunderhecke und kam, die untergehende Sonne im Rücken, auf sie zu. Dorahn kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können, denn er war überzeugt, er unterliegt einer Sinnestäuschung. Vor ihm stand ein junges Mädchen von unglaublicher Schönheit, schlank im Wuchs, aber dennoch kräftig. Ihr dunkles Haar hatte sie hochgesteckt; als sie ihn anlächelte, bemerkte Dorahn ihre Grübchen. Sie wirkte schon jetzt sehr attraktiv auf ihn, was sich noch steigerte, als ihr eine Haarsträhne ins Gesicht fiel und sie schelmisch wirken liess. Dorahn, aus seiner Deckung aufgestanden, versuchte sich am Holzstapel abzustützen, da ihm die Knie weich wurden. Er stellte sich allerdings etwas ungeschickt an, verfehlte den Stapel und schlug hin. Das Mädchen grinste, während Taff die Augen rollte und Dorahn aufhalf. Plötzlich rannte das Mädchen auf Taff zu, der sich vor Angst fast in die Hosen machte. Durch das grelle Sonnenlicht wusste er nicht, wer sie war. Sie riss ihn zu Boden und sagte gespielt: „Taff Besik, du Schurke!“ Erst jetzt erkannte Taff, sehr zur seiner Erleichterung, seine langjährige Freundin Freya! Er streichelte ihr Haar und flüsterte: „Musstest du mir einen solchen Schrecken einjagen? Ich hätte mich fast nass gemacht!“ flüsterte er ihr zu. Sie küsste ihn auf die Wange, stand auf und ging auf Dorahn zu, dem das alles unheimlich wurde. Sie umarmte ihn und küsste ihn zärtlich, wie ein Sommerwindhauch, auf die Wange. Dorahns Gehirn wurde einer Notevakuierung unterzogen, als er ihre Brüste durch die Lederrüstung hindurch spürte. „Hmm…sei mir nicht böse, aber du riechst etwas streng!“ bemerkte sie.

Kapitel 3
Das Bad / Der Plan


Sie liess ihn los und Dorahn spürte die Hitze in sein Gesicht schiessen. Taff eilte erklärend herbei: „Wir sind durch den Abwasserkanal hergekommen.“ „So lasse ich euch nicht in meine Hütte!“ entschied Freya. „In der Nähe ist ein See, dort können wir baden.“ Sie verschwand in der Hütte und kehrte mit Seife, Tüchern und frischer Kleidung zurück. „Auf geht’s!“ Freya bewegte sich flink, Taff passte sich ihrem Tempo an. Allerdings mussten sie immer wieder pausieren, um auf Dorahn zu warten, der misstrauisch den Waldboden nach Wurzeln absuchte. Es grenzte schon an ein Wunder, das sie den See vor Einbruch des Winters erreichten. „Das Wasser ist ganzjährig sehr warm, da der See von einer heissen Quelle gespeist wird.“ Erklärte Freya, während sie und Taff sich auszogen, als sei es das Natürlichste auf der Welt. Dorahn begann zögerlich, sich bis auf die Unterhose zu entkleiden und stand verlegen da. Als Freya sich zu ihm umdrehte und ihn ansah, wurde er rot. Freya, nackt, kam auf Dorahn zu, der seine Augen nicht mehr von ihr abwenden konnte, stellte sich vor ihn und flüsterte: „Die Hose auch!“ Langsam ging sie in die die Hocke und streifte sie herunter. Panisch, sich fast noch in der Hose, die ihm um die Knöchel hing, verheddernd, sprang Dorahn ins Wasser. Er griff die Hose und warf sie ans Ufer, wo sie klatschend landete.
„Was sollte das denn?“ fragte er beleidigt und verwirrt. Eine Antwort blieb Freya ihm schuldig, sie und Taff grinsten sich nur an. Taff, ebenfalls ins Wasser gesprungen und etwas herumgeschwommen, seifte sich ein und gab das Stück an Freya weiter, die sich einen Spass daraus machte, sich mit dem Schaum stöhnend und seufzend zu massieren. Dorahns Wille war gebrochen; während sie ihn dabei ansah, bekam er ein mittleres Problem in der unteren Körperregion. Er wandte sich von ihr ab und versuchte krampfhaft, an etwas anderes zu denken. Plötzlich spürte er heissen Atem in seinem Nacken und zwei Hände, die ihn zärtlich einseiften. Er wollte etwas sagen, doch Freya flüsterte: „Schhhh… sei ganz locker, Dorahn.“ Er war steif wie ein Brett, die Situation überforderte ihn völlig. Sie tauchte kurz unter und kam wieder hoch. „Zumindest an einer Stelle passt die Steifheit ja!“ lächelte sie ihn an. Dorahn wurde, sofern das möglich war, noch roter. „Ich… mir… das ist mir sehr peinlich!“ stammelte er. „Aber warum denn? Ist doch nichts dabei!“ ermutigte sie ihn. „Ich habe keine Erfahrung, entschuldige.“ glaubte Dorahn, sich rechtfertigen zu müssen. Fragend schaute sie Taff an, der ahnte, was sie vorhatte und nickte. Sie schwamm um Dorahn herum, umfasste seine Brust und legte ihren Kopf an seine rechte Schulter. Während sie ihn sanft streichelte, flüsterte sie ihm zu: „Es ist alles in Ordnung.“ Dorahn spürte ihre Brüste an seinem Rücken und ihre Hände, die ihn streichelten; er seufzte. Es dauerte nicht lange und er verkrampfte sich kurz, einen Aufschrei unterdrückend. Leise keuchend und zitternd drehte er sich zu Freya um und sah sie an. „Alles in Ordnung mit dir?“ fragte sie. „Ja, danke, das war sehr schön.“ Freya küsste ihn auf die Wange und alle drei schwammen zum Ufer, wo sie sich die trockene frische Kleidung überstreiften. „Ich laufe voraus und mache uns etwas zu essen. Trödelt nicht zu lange!“ Sie zwinkerte Taff und Dorahn zu und war bald im Wald verschwunden.

Taff und Dorahn kleideten sich schweigend an und gingen langsam zur Hütte zurück. Auf dem Weg dorthin begann Dorahn eine Unterhaltung. „Sie ist eine tolle Frau.“ „Ja.“ Sagte Taff, „das ist sie. Hast du eigentlich noch nie…?“ „Nein.“ Taff zog die Augenbrauen hoch. „Dann kann ich es verstehen. Hör mal, es war nur eine freundschaftliche Geste von ihr, nicht das du denkst, sie liebt dich.“ „Ich weiss, es war trotzdem das Schönste, das ich bislang erlebt habe, Taff, ihr bin ich sehr dankbar dafür.“ Dorahn stellte sich vor, wie es wäre, mit Freya zu schlafen, einer so wundervollen und einfühlsamen jungen Frau. „Denk lieber nicht daran, denn es wird nie geschehen.“ erriet Taff seine Gedanken. „Hmm?“ „Ich weiss genau, wovon du geträumt hast, Dorahn Mavelius. Steigere dich nicht zu sehr hinein, sie wird bestenfalls eine gute Freundin!“ An der Hütte angekommen, bemerkten sie den Duft von Beeren, Kräutern, Kartoffeln und Fleisch und gingen grinsend hinein. Auf dem Tisch lagen bereits drei Löffel und Taff bestellte, nachdem er und Dorahn sich gesetzt hatten: „Zweimal von Eurem köstlichen Eintopf, Wirtin Graurabe!“ „Und wohin? In Eure hohle Hand etwa?“ konterte sie. Taff streckte ihr grinsend die Zunge heraus, stand auf und nahm zwei Steingutschalen aus einem Holzregal. Sie nahm sie ihm ab, füllte Essen hinein, stellte eine vor Dorahn ab und ass selbst aus der anderen. „Äh…und ich?“ fragte Taff. „Oh, ich dachte nicht, dass du etwas wolltest, du gabst mir nur zwei Schalen.“ Sagte sie ernst und Taff wusste, das jetzt nicht der Zeitpunkt für Spässe war. Er holte sich eine Schale und befüllte sie eigenhändig. Dorahn ass schweigend, er hielt es für angebracht, sich nicht einzumischen. Nachdem alle versorgt waren; Dorahn nahm dreimal Nachschlag, weil es ihm so gut schmeckte; wollte man ins Bett. Freya zog Dorahn noch etwas auf: „Willst du bei mir schlafen, Dorahn?“ Oh, er WOLLTE schon, aber er hatte Sorge, seine Hände nicht bei sich behalten zu können. Natürlich wusste sie, wie es um ihn stand. „Ich möchte deine Gastfreundschaft nicht missbrauchen.“ log er. „Ach was, wenn du zu weit gehst, schicke ich dich zurück zu Taff.“ Taff ging kopfschüttelnd zum Kamin, legte drei Scheite ins Feuer und legte sich auf das Bärenfell. Dorahn war zu lange unschlüssig. „Dann eben nicht, schade.“ An der Tür zu ihrem Schlafzimmer drehte sie sich noch einmal um und hauchte ihm einen Kuss zu.

Dorahn seufzte schwer, er hatte sich ernsthaft verknallt. „Wie oft muss ich es dir eigentlich noch sagen, ehe du es begreifst? Sie flirtet nur mit dir!“ hörte er Taff von hinten sagen. Dorahn reagierte, wie nicht anders zu erwarten, trotzig: „Du bist ja bloss eifersüchtig!“ Taff winkte ab, er war zu müde, um mit einem Sturkopf wie Dorahn zu streiten. Dorahn kauerte sich am Kamin zusammen, aus Protest wollte er nicht auf dem Fall bei Taff schlafen, lieber fror er.

Am nächsten Morgen, Streitigkeiten waren vergessen, fragte Taff während des herzhaften Frühstücks nach Informationen, die bei der Suche nach der ´Rächerklinge´ von Nutzen sein könnten. „Zwei Soldaten der Stadtgarde erzählten mir vor einigen Wochen voller Stolz ´wie schön die Klinge gearbeitet sei´ und ´wie geheimnisvoll die Runen aussähen, die eingraviert seien´. Ob es sich aber um Ostin Bamboons Klinge handelt, kann ich nicht sagen.“ „In welchem Distrikt sind die Soldaten stationiert?“ wollte Dorahn wissen. „Diebesviertel.“ nahm Taff an. Freya blinzelte verwirrt. „Woher weißt du das?“ Taff zuckte mit den Schultern. „Resk ist dort Hauptmann, er hasst die Diebe seit seiner Verletzung.“ Freya wehrte ab: „Er hasst euch, ja, aber er ist nicht intelligent genug für einen solchen Coup.“ „Wir hatten auch schon den Rat der Händler als Drahtzieher im Verdacht.“ räumte Taff ein. Freya wurden die Dimensionen jetzt doch etwas zu gross. „Jungens, ihr glaubt, der Rat der Händler arbeitet mit Hauptmann Resk und der Garde an der Demontage der Gilde?“ „Auf den Punkt gebracht: Ja.“ sagte Taff. „Sieh es doch mal so: Die Händler leiden unter den Dieben am meisten. Und Resk hat noch eine Rechnung mit den Dieben offen. Gelingt der Plan, kann man die Diebe aus der Stadt ausweisen, geht er schief, ist Resk der Sündenbock.“ „Davon ausgehend, das sich die Ratsmitglieder untereinander nicht vertrauen, bewahren sie das Schwert nicht in einem der Privathäuser auf. Die Soldaten wissen scheinbar etwas, daher kommt ein Milizgebäude in Frage. So kann der Rat auch jegliche Verbindung leugnen.“ argumentierte Dorahn. Taff guckte erstaunt. „Aber ja doch! Die Wache! Wieso bin ich nicht selbst darauf gekommen?!“ Er schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. „Wie wollt ihr da reinkommen?“ fragte Freya interessiert. „Wir dachten, du hilfst uns?!“ Taff und Dorahn tauschten einen vielsagenden Blick. Taff, der sich schon auf eine langwierige Diskussion mit Freya vorbereitet hatte, war von ihrer Antwort mehr als überrascht. „Klar! Bin dabei!“ sagte sie.

Die drei planten, wie sie unbemerkt in die Wache gelangen sollten. Taff überlegte laut: „Durch den Abwasserkanal zurück geht nicht, wir würden so streng riechen, dass uns sogar eine betrunkene Wache bemerkt. Einfach durch die Tür spazieren können wir auch nicht…“ „Also über das Dach!“ meinte Freya vergnügt, die ahnte, dass ihre Fähigkeiten gebraucht werden würden. Taff mahnte zur Ruhe: „Selbst, wenn es uns gelingt, ungesehen auf das Dach zu kommen, wie schaffen wir es dann in den Keller?“ „Wieso müssen wir eigentlich ALLE aufs Dach? – Entschuldigung, blöde Frage.“ murmelte Dorahn. Taffs und Freyas Gesicht hellten sich auf und sie grinsten sich an. Dorahn war etwas verwirrt: „Was denn?“ Taff knuffte ihm freundschaftlich an die Schulter. „Das ist es! Du Spitzbube!“ Dorahn hatte noch immer nicht begriffen, das er unbewusst die Lösung gefunden hatte und guckte blöd. Taff rollte die Augen und erklärte es ihm: „Freya schiesst mit einem Pfeil ein Seil von der Stadtmauer, auf die wir klettern werden, zur Wache. Du hangelst dich hinüber, Freya gibt dir, falls nötig, Feuerschutz. Ich gehe zum Eingang und locke Resk und seine Garde raus und lasse mich von ihnen durch die Stadt jagen. Resk wird mich haben wollen, das ist mal sicher. In der Zwischenzeit suchst du im Keller das Schwert, triffst dich mit Freya und ihr geht ins Gründerhaus zu Loval, dem Schwertwächter, um die ´Rächerklinge´ abzugeben. Soweit der Plan.“ Das waren viele Informationen auf einmal für Dorahn. „Was, wenn die Klinge nicht in der Wache ist?“ „Dann verschwindet ihr wieder und wir denken uns was Neues aus.“ „Wo bleibst du in der ganzen Zeit?“ fragte Freya Taff besorgt. „Ich lasse mich jagen, zwanzig Minuten etwa, und tauche dann bei Kobal unter. Er schuldet mir mehr als nur einen Gefallen.“ „Wird Loval uns nicht verhaften lassen, wenn er uns mit der Klinge sieht? Er könnte schliesslich denken, wir klauen das Schwert, damit wir besser da stehen, wenn wir es zurückbringen.“ äusserte Dorahn Bedenken. Doch Taff wusste auch darauf eine beruhigende Antwort: „Loval hat mit dem Rat und der Garde nichts am Hut. In seinen Augen sind es aufgeblasene Wichtigtuer, ohne deren ´Mithilfe´ die Dinge in Bamboon einfacher liefen.“ Er fingerte eine halbe Münze unbekannter Herkunft aus seiner Hosentasche. „Gebt ihm die halbe Münze, er hat die andere Hälfte.“ Freya und Dorahn sahen ihn neugierig an. „Das ist eine lange Geschichte, die erzähle ich ein anderes Mal.“ Enttäuscht zogen beide ein beleidigtes Gesicht. „Noch Fragen?“ Taff ging in der Rolle voll auf. „Wie viele Gardisten verbleiben in der Wache?“ wollte Dorahn wissen, damit er eine Vorstellung bekam, wie viele er ins Reich der Träume schicken musste. „Drei, einer auf dem Dach, einer am Eingang innen und einer im Keller. Wenn sie das nicht seit ich wegging geändert haben.“ erklärte Taff. Da weitere Fragen nicht geklärt zu werden brauchten, bereiteten die drei ihre Kleidung für die abendliche Aktion vor. Sommerlich frische Farben fielen dem Tarneffekt zum Opfer, einzig schwarz schien angebracht. Freya legte sich eine beschlagene, schwarze Lederrüstung zurecht und gab Dorahn ein wollenes schwarzes Wams, welches er anprobierte. Sowohl in Länge und Breite war es etwas zu gross, genauer gesagt schlabberte es ihm in den Kniekehlen. „Wer hat das vorher getragen? Ein Waldriese?“ fragte Dorahn irritiert. „Es gehörte meinem Bruder.“ Dorahn versuchte abzuschätzen, wie gross jemand sein musste, der dort hineinpasste. „Kobal ist die kleinere Version meines Bruders, wenn dir das weiterhilft.“ kicherte Freya. Kobal war muskelbepackt und seine Arme waren so dick wie Dorahns Oberschenkel. Er hob die Augenbrauen und pfiff anerkennend: „Respekt!“
Am Abend, die Kirchturmuhr schlug gerade 9, zog die Gruppe los.


Kapitel 4
Eindringlinge / Rächerklinge


Sie huschten durch den Wald wie Schatten, überquerten blitzartig die Ebene und fanden sich an der Stadtmauer wieder. Freya warf geschickt einen Haken mit Seil über die Brüstung und man kletterte leise daran hoch. Ausser dem Schaben der Stiefel am Mauerwerk war kein Ton zu hören. Oben gaben sie sich kurz die Hand und es ging los. Taff sprang von der Mauer auf die Strasse, duckte sich, horchte und lief gebückt los. Freya nahm den Haken, löste das Seil, band es an einem schweren Messingpfeil und legte ihn auf. Vorsichtig und kräftig spannte sie die Sehne ihres Langbogens, zielte und schoss. Der Pfeil sirrte durch die Luft und schlug mit sattem Geräusch im Dach der Wache ein. Freyas Arbeit war somit getan. Dorahn band das Sein fest und hängt sich daran, um zu sehen, wie weit es durchhängen würde. Zufrieden griff er es, schlug die Beine hinüber und hangelte sich zum Dach. Dort angekommen, hockte er sich in einen Gebäudeschatten und wartete ab. Ein Gardesoldat ging langsam auf die Brüstung zu und blieb wie angewurzelt stehen: „Ein Seil? Was zum…?“ Im selben Moment schlug Dorahn ihn nieder.

Taff hatte wenig Mühe, auf sich aufmerksam zu machen. Gröhlend, Hauptmann Resk aufs Übelste beleidigend, ging er vor der Wache auf und ab. Es dauerte nicht lange, bis dieser, zornesrot, aus dem Gebäude stürmte und glaubte seinen Augen nicht zu trauen: „Besik?“ Taff deutete auf sein Auge und lallte: „Hauptmann Einauge, welch´ eine Freude!“ Während Taff sich aus dem Staub machte, rief Resk seine Garde zusammen und liess ihn verfolgen. Diesen Fang wollte er sich nicht entgehen lassen! Dorahn und Freya verfolgten das Theater amüsiert von ihren Logenplätzen aus. Ohne Mühe erledigte Dorahn die völlig überraschte Wache am Eingang, die dem Treiben auf der Strasse zusah und nicht mit einem Angriff von innen gerechnet hatte. Dorahn schlich die Kellertreppe hinunter und hörte einen Gardiste“!n ein Selbstgespräch führen: „So eine schöne Waffe! Wundervoll!“ Gerade, als Dorahn ihn niederschlagen wollte, drehte der Mann sich um und trug, zu Dorahns grossem Erstaunen, einen Zweihänder in der Hand. „Wer seid Ihr?“ fragte der Gardist verwirrt. „Wer seid IHR?“ fragte Dorahn. Er setzte alles auf eine Karte: „Hauptmann Resk schickt mich, die Klinge ist hier nicht mehr sicher. Ich soll sie woanders hinbringen.“ Die Wache schaute misstrauisch. „Ihr haltet mich wohl für blöd?“ Dorahn konnte nicht anders: „Stimmt, die Garde von Bamboon ist das Dämlichste, das mir je untergekommen ist!“ Der Gardist stutzte, überlegte und lachte dann aus vollem Hals. Er legte den Zweihänder auf einen kleinen Tisch und kam auf Dorahn zu, der seine Chance sah und zu nutzen gedachte. „Da oben! Ein fliegendes Schwein!“ Unwillkürlich drehte der Soldat sich um und blickte nach oben; sein Kinn wie auf dem Silbertablett präsentierend. Dorahn schlug zu. Vorsichtig nahm er das Schwert an sich und schickte sich an, das Kellergeschoss zu verlassen, als er Schritte hörte. Fluchend quetschte er sich in eine Wandnische. Eine dunkel gekleidete Gestalt schlich die Treppe herunter und flüsterte: „Dorahn?“ Dorahn trat aus seiner Deckung. „Freya?! Was tust du hier?“ „Wo bleibst du denn? Taff ist abgetaucht, die Garde kommt gleich zurück!“ Gerade noch rechtzeitig schafften die beiden es hinaus zu kommen.

Schwerthüter Loval bekam grosse Augen vor Freude, als Dorahn und Freya ihm die Klinge zurückgaben. Die halbe Münze wies sie als Freunde aus und Loval wusste, das alles in Ordnung war. Voller Stolz hängte er ´Rächerklinge´ an ihren Platz zurück.

Der Rat tobte und auch Hauptmann Resk war unzufrieden, aber da Beweise fehlten, wurde der Fall ´Gründerschwert´ ad acta gelegt. Schwerthüter Loval dankte den Dreien für ihre Hilfe, die Gilde arbeitete nie wieder mit der Garde zusammen und der Rat wurde aufgelöst.
Die Soldaten der Bambooner Wache wurden auf Befehl des Kanzlers, Durian Mavelius, ans nördliche Eismeer strafversetzt. Einzig Resk durfte bleiben, degradiert zum Corporal versah er Schreibtischdienst.

Dorahn und Taff feierten mit den Mitgliedern der Gilde und Freya ein grosses Abschiedsfest, an deren Ende sich Dorahn in Freyas Bett wiederfand. „Ich bekomme immer, was ich will!“ hatte sie zu ihm gesagt, als sie das Kerzenlicht ausblies und unter der Bettdecke verschwand. Taff beteiligte sich derweil an diebischen Spielen wie Messerwerfen, Schlösser knacken und Trinken bis zum Umfallen. So kam jeder auf seine, beziehungsweise ihre Kosten.

Am nächsten Tag verabschiedeten sich ´die Helden von Bamboon´, wie sie genannt wurden, von allen. Dorahn war unschlüssig, ob er bei Freya bleiben oder an die Akademie in Brelun zurückkehren sollte. Es schmerzte Freya, sie mochte ihn sehr, dennoch riet sie ihm: „Geh mit Taff zurück und werde Ebenenspringer. In Gedanken bin ich bei dir! Vergiss mich nicht.“ Sie drehte sich um, damit Dorahn ihre Tränen nicht sah, und lief in den Wald. Dorahn wäre ihr gefolgt, doch Taff hielt ihn fest und schüttelte den Kopf. „Lass sie gehen, es ist besser so, glaub mir.“ Traurig, aber auch neugierig auf die Ausbildung, kehrten Dorahn und Taff an die ehrwürdige Akademie in Brelun zurück.

Ende

09. Februar 2003
© by Dorahn Mavelius
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