Das abgeleckte Messer

Hagen

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Das abgeleckte Messer

Neulich, als meine Herzensdame und ich, mal Pizzaessen waren, fiel mir eine längst vergessen geglaubte Episode aus meiner Kindheit ein: Genau wie in der Pizzeria in Haselünne waren die Messer derart stumpf, dass man ‘darauf mit dem blanken Mors hätte nach Hamburg reiten können’. (Zitat Alexander Friedrich Ladislaus Roda Roda)
In meiner Kindheit achtete mein Vater immer auf scharfe Messer und griff im Notfall sogar zur Flex. Anschließend konnte man ein vertikal gehaltenes Stück Papier mit dem Messer mühelos durchtrennen.
Eine meiner Aufgaben zuhause war den Tisch abzudecken und, da wir keinen Geschirrspüler hatten, Geschirr und Bestecke abzutrocknen, nachdem mein Vater abgewaschen hatte. Hätte ich ihm zum Abwaschen ein beschmiertes Messer gebracht, hätte ich sofort eins in den Nacken gekriegt.
Vor diesem Hintergrund saß ich mal mit meiner Lehrerin, Frau D., und der Klasse im Schullandheim beim Frühstück. Anschließend leckte ich in Ermangelung eines Stückes Brot mein Messer ab.
In diesem Moment nahm das Unheil seinen Lauf, denn Frau D. drehte sich um, sah mich bei dieser Reinigungsmaßnahme und hielt mir vor versammelter Klasse einen ausgiebigen Vortrag darüber, dass ich mich hätte schneiden können.
Ich ließ Frau D. ausreden und meinte dann ganz cool: „Liebe Frau D.! Dass Sie mich für ein wenig blöde halten, habe ich längst gemerkt. - Aber dass Sie mich für so blöde halten, dass ich mich mit derartigen Flacheisen, die Sie ‘Messer’ nennen, verletzen würde, betrübt mich!“
Frau D. schnappte nach Luft und meinte: „Noch so eine dumme Bemerkung und du darfst gleich nicht an unserer schönen Wanderung zum Klippenturm teilnehmen!“
„Hm“, meinte ich sodann, „bedenken Sie bitte, dass man beim Wandern stolpern und hinfallen, sich den Fuß verstauchen oder sich gar den Hals brechen kann! Die Wahrscheinlichkeit ist ungleich höher, als das ich mich mit diesen Flacheisen verletze!“
„Du bleibst zur Strafe hier!“, sagte Frau D. daraufhin, „da kannst du über deine dummen Bemerkungen noch mal nachdenken! Frau Hübner wird derweil auf dich aufpassen und dir zeigen wie man Unkraut zupft! - Da kannst du außerdem was lernen!“
Frau Hübner war eine der Begleitpersonen mit der Frau D. sich bei jedem Schullandheimaufenthalt gerne umgab. Damals wie heute bezeichne ich Spaziergänge von über einem Kilometer Länge als Landstreicherei. Ich wollte mich gerne, solange wie Frau D. mit den anderen Kindern im Wald rumlatschte, mit Hochliteratur (Jerry Cotton) beschäftigen, oder mit Frau Hübner Tischtennis, Skat oder wenigstens Mau-Mau spielen. Aber Frau Hübner meinte, dass Frau D. gesagt hätte dass ich draußen Unkraut jäten sollte, damit ich wenigstens an die frische Luft käme, was lernte und ein gesundes Verhältnis zur Natur bekäme.
Ich hatte als Flugzeugfreak natürlich keine Ahnung von Unkraut, harrte Frau Hübners Vortrag über Unkraut, denn ich war nicht abgeneigt was zu lernen. Konnte ich den gemeinen Ackerschachtelhalm nicht vom lieblichen Zitronen-Thymian unterscheiden, wusste aber dass, wenn man alles ausreißt, lediglich das wiederkommt was man gemeinhin als ‘Unkraut’ bezeichnet.
Nun ja, als ich mich gerade über einige gräuliche Becherprimeln hermachen wollte, erschien eine Fiat G.91R/3 am Himmel und drehte über dem Schullandheim eine Kurve. Ich stellte das Unkrautzupfen ein und sah mir das Flugzeug an.
Frau Hübner, die meine Gartenarbeit beaufsichtigte, schrie mich an, von Wegen ich sollte mir die Pflanzen angucken und nicht das blöde Flugzeug!
„Ich finde das Flugzeug nicht blöde!“, wagte ich zu antworten. „Die blöden Pflanzen sind nachher immer noch da, das Flugzeug aber weg! Es handelt sich übrigens um eine Fiat G.91R/3 genannt “Gina“! Die Fiat G.91 ist noch das wichtigste leichte Erdkampf- und Aufklärungsflugzeug der Bundesluftwaffe. Sie ist das erste nach 1945 in der Bundesrepublik gebaute Strahlflugzeug.“
„Das muss man nicht wissen! Aber dass du fast eine Becherprimel, eine wunderschöne Zierpflanze, ausgerissen hättest, ist schlimm!“
„Liebe Frau Hübner“, antwortete ich, „wie Sie sicher wissen, tobt zur Zeit der ‘kalte Krieg’! - Kürzlich lief sogar das Ding in der Schweinebucht, genannt ‘die Kubakrise’ ab. Ich sehe das so, dass dieser Konflikt äußerst bedrohlichen Charakter annehmen kann, sodass die Möglichkeit eines ‘heißen Krieges’ zwischen den Supermächten näher rückt. - Wie ich die Russen kenne, schicken die erst mal einige Mikojan-Gurewitsch MiG-21, NATO-Codename: Fishbed zu uns rüber um unsere Luftabwehr niederzuhalten! Ich hoffe, unsere Starfighter können sie rechtzeitig abfangen!“
„Wie Starfighter? - Das sind doch die Dinger, die immer abstürzen!“
„Ganz recht! Der Lockheed F-104 "Starfighter“ ist ein einstrahliges Kampfflugzeug aus US-amerikanischer Produktion. Ich bin da auch ein wenig skeptisch, denn der Starfighter ist konzipiert als reiner Tag- und Abfangjäger, ausgelegt für hohe Geschwindigkeiten und Steigleistung über dem sonnigen Himmel Kaliforniens! Dabei wurde jedoch das Einsatzprofil in der Bundeswehr häufig geändert. Nun dient der Starfighter als Allwetter-Jagdbomber. Die Politiker hätten das wissen müssen, denn das hat damals im Weltkrieg zwo auch nicht funktioniert, nur damals hieß das die “Eierlegende Wollmilchsau“ ...
„Ach, wen interessiert das schon!“
„Mich! - Nur für den Fall der Fälle: Wissen Sie eigentlich wie eine Mikojan-Gurewitsch MiG-21 oder eine Tupolew Tu-85, NATO-Codename „Barge“, ein viermotoriger, strategischer Langstreckenbomber der Russen, aussieht? - Nur damit Sie rechtzeitig eine Deckung aufsuchen können, falls eine MiG oder eine Tupolew am Himmel erscheint ...“
„Hör’ doch mit deinen blöden Flugzeugen, der Eierlegenden Wollmilchsau und der Schweinebucht auf!“, schnaufte Frau Hübner. „Das ist weit weg und Sache der Politiker! Der kalte Krieg wird schon nicht heiß werden! - Und nun zupf’ endlich ordentlich Unkraut, das ist viel wichtiger, denn du sollst ja was anständiges lernen!“
Bevor diese Sache eskalierte, wie es der Kalte Krieg fast getan hätte, weil Frau Hübner mir nicht sagte was Unkraut und was eine Nutzpflanze ist, kamen Frau D. und die Klasse vorzeitig von der Wanderung zurück, weil eins der Mädels beim Wandern gestolpert war und sich den Fuß verknaxt hatte. Das dieses Mädel damit eine ganze Klasse vom Wandern abhielt schien für Frau D. ohne Belang. Als ich kurz erwähnte das ich genau Dieses prophezeit hatte, drohte Frau D. mir weitere Repressalien an, denn sie hatte das Mädel schon ordnungsgemäß bedauert, einen Arzt angerufen und brachte Kühlelemente, essigsaure Umschläge, Sportsalbe, sowie elastische Binden auf, während Frau Hübner erzählte, dass ich wohl starke Renitenz an den Tag legen würde, zu blöde zum Unkrautzupfen war, und ihr statt dessen was von Flugzeugen, der Eierlegenden Wollmilchsau und der Schweinebucht erzählte.

Epilog: Während ich dieses Pamphlet schrieb, fiel mir ein, dass sich Soldaten, die sich während des Vietnamkrieges so oder ähnlich verhielten, damit rechnen mussten, das eine Rauchpatrone in ihr Zelt geflogen kam. Wenn sie sich nicht änderten folgte eine Handgranate ...
Ich bin natürlich weit davon entfernt Handgranaten zu werfen, habe aber viel gelernt, was Petzkatzen betrifft, die Halbwahrheiten verbreiten …
 
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Bo-ehd

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Hallo Hagen, deine Geschichte weckt Erinnerungen. Für einen Flugzeugnarren waren die 60er und 70er Jahre die interessantesten schlechthin. Atemberaubende Neuheiten mit wenig Elektronik (davon sieht man ja bei den modernen eh Jets nichts) und das fliegerische Können der Piloten konnten wirklich begeistern. Es war der endgültige Wechsel von den Propellermaschinen zu den Jets. Ich habe damals im Raum Frankfurt/Wiesbaden gewohnt und mir bei jeder Gelegenheit die neuesten Typen auf dem Flugfeld Erbenheim angeschaut. Zuerst die Sabre (G91), dann Super Sabre, danach F4. Den ersten Starfighter habe ich mir in Jagel aus der Nähe betrachtet. Die Amis sind ihn hier nie geflogen; die wussten warum.
Unkrautjäten und Flugzeugennachschauen vertragen sich nicht. Einmal Kopf runter, einmal Kopf hoch.

Schöne Geschichte für Leute wie mich. Leider sauviele Kommafehler.
Gruß Bo-ehd
 

Hagen

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Hallo Bo-ehd,
danke für die Beschäftigung mit meinem Text … und so das Übliche.
Die Frage, die sich mir aufdrängt ist die, wie eine Super Sabre nach Deutschland kam? Die Luftwaffe hat so einen Typen nie geflogen.
Interessant finde ich übrigens nach wie vor die Fairey Gannet. Die Fairey Gannet wurde 1946 im Auftrag der Royal Navy als erstes trägergestütztes, zur U-Boot-Jagd optimiertes Kampfflugzeug mit Turboprop-Antrieb von dem britischen Flugzeughersteller Fairey Aviation entwickelt. Triebwerk(e) 1 × Armstrong Siddeley Double Mamba-Turboprop-Triebwerk (bestehend aus zwei Armstrong Siddeley Mamba, die jeweils einen der beiden koaxial angeordneten Propeller gegenläufig antrieben) 2015 kW/2740 PS. Interessant ist zudem, dass dieses Flugzeug mit Schiffsdiesel flog! Da die Fairey Gannet als Trägerflugzeug konzipiert war brauchte man nicht zwei Sorten Kraftstoff mitnehmen.
Genial.
Was die Kommafehler betrifft: Ich habe sie eingebaut um zu überprüfen ob der / die geneigte Leser*in das Ding auch aufmerksam liest.
Nun denn, wir sehen uns in der ScheinBAR!
Zudem lesen wir uns weiterhin!
... und bleibt schön fröhlich, gesund und munter, guten Willens, sowie guter Dinge, moralisch einwandfrei, weiterhin positiv motiviert, denke keine negativen Gedanken sondern an Dein Karma und sei stets heiteren Gemütes und allzeit guter Dinge! Sei zudem stets von reiner Seele, tanze keine Regentänze mehr, lüg’ niemals und erzählt keine dreckigen Witze!

Herzlichst
Yours Hagen
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Merke: Nicht jeder, der Beine hat wie ein Kanarienvogel, singt auch wie ein Solcher!

 

Bo-ehd

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Hallo Hagen,
ja, die Gannet kenne ich auch noch. Habe sie sogar mal in einem Flugzeugmuseum irgendwo zwischen London und Swindon gesehen auf der Fahrt zum Air Tattoo nach Fairfield. Kreuzhässlich, das 'Ding, aber offensichtlich effektiv, denn die Navy hat sie bis weit in die Sechziger geflogen.
Die Sabre wurde von der Luftwaffe nie geflogen, da hast du Recht. Aber die Amis hatten sie in Wiesbaden-Erbenheim stationiert und zweimal im Jahr Tage der offenen Tür sowie Air Shows veranstaltet. Fiat hat sie später in Lizenz gebaut und anders bewaffnet.

Schönes Wochenende
Bo-ehd
 

Hagen

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Hallo Bo-ehd,
Ja, ja, da werden bei mir Erinnerungen wach! Sei doch mal so lieb und frag Tante Google nach Flugzeugtypen der Firma Fairy. Interessante Typenvielfalt! ( Fairy Rotodyne )z.B.
Außerdem hat es mich zu einem autobiographischen Roman inspiriert.
Hier ein Ausschnitt:

Es war verdammt lange her, dass ich mal einen Swordfish gesehen hatte. Die Herren Winterbotham und Hendersen hatten einen Fairy Swordfish restauriert und sogar geflogen. Das war damals, als ich noch den Nachtjäger Messerschmitt Bf 110 für den Film geflogen hatte. Lange her, verdammt lange und jetzt war ich Taxifahrer und meine Lizenz zum Fliegen verfallen.
Der Mann steckte die Gannet vorsichtig mit einigen Schaschlikspießen auf der Styroporplatte in dem Karton wieder fest, löste einen einmotorigen Doppeldecker und fuhr voller Begeisterung fort: „Hier, eine Fairy Swordfish! Flugzeuge dieses Typs waren maßgeblich an der Versenkung des Schlachtschiffs ‘Bismarck‘ beteiligt! – Hier, das ist eine Fairy Fox! Meiner Ansicht nach einer der schönsten Doppeldecker, die jemals gebaut wurden!“
„Faszinierend“, sagte ich.
„Ja, nicht wahr? – Hier, ich habe noch eine Rotodyne! Eine hoch interessante Maschine …“
„Entschuldigung, aber ich muss Sie unterbrechen. Darf ich mir die Flugzeuge später Mal mit mehr Zeit ansehen?“
„Ja, gerne. Wenn es Sie interessiert.“
„Sogar sehr. – Aber jetzt sollten wir aufbrechen.“
„Natürlich.“
Er stellte den Karton vorsichtig auf den Rücksitz, ich legte die Tüten in den Kofferraum und er knüllte Jacken und Anzüge hinterher.
„So!“ Er knallte die Kofferraumhaube zu, „dann können wir jetzt! Erst mal zum Kiosk und dann zu meiner Tante nach Röddensen.“

Soweit, so schlecht.
Nun denn, wir sehen uns in der ScheinBAR!
Zudem lesen wir uns weiterhin!
... und bleib schön fröhlich, gesund und munter, guten Willens, sowie guter Dinge, moralisch einwandfrei, weiterhin positiv motiviert, denke keine negativen Gedanken und sei stets heiteren Gemütes! Sei zudem allzeit von reiner Seele, tanze keine Regentänze mehr, lüg’ niemals und erzählt keine dreckigen Witze!
Herzlichst
Yours Hagen
___________
Merke: Stimme niemals ein Klavier in nassem Zustand!
 

Bo-ehd

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Hallo Hagen,
hochinteressant, das Ganze. Ich habe gar nicht gewusst, dass es noch eine flugbereite Me 110 gibt (oder nach dem Krieg gab). 109 und 262 gibt es ja nur noch ein einziges Mal; beide mit fremden Triebwerken.
Wenn dein Roman fertig ist, bitte unaufgefordert schicken. Bin für alles aus der Welt der Fliegerei zu haben - die Hollywoodstreifen ausgenommen.
Gruß Bo-ehd
 



 
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