Hallo Walther,
mein voriger Text war vielleicht doch etwas persönlich, wofür ich mich bei dir entschuldige, ich will versuchen, mich in meinem erneuten Kommentar streng auf den Text zu konzentrieren, und hoffe, dass du ihn nicht als Vernichtung deines Werkes betrachtest, sondern daraus deine Schlüsse für die weitere Arbeit am Sonett ziehst.
Es handelt sich um ein Sonett, formal nicht ganz einwandfrei, aber gerade das Sonett lebt von der formalen Strenge, das zumindest sollte der "routinierte" Sonett-Autor wissen, da gäbe es so einiges zu bemängeln. Ich komme darauf im weiteren.
Zum Inhalt:
Es geht um einen nervenkranken Menschen, dem man mit einiger menschlicher Bildung nachsehen müsste, wenn er sich nicht so wie der Durchschnittsbürger benimmt, das heißt, nicht benehmen kann. Das tut der Autor aber nicht, sondern macht sich mehr oder weniger in nicht gerade sympathischer Art lustig über seinen Protagonisten, das ist nicht zu überlesen. Dieses Sonett sagt, beim besten Willen, den Autor nicht "vernichten" zu wollen, sehr viel über die menschliche Reife des Autors aus, was aber der Leser bewerten muss. Ich halte mich da absichtsvoll heraus.
Dieser bedauernswerte nervenkranke Mann singt offensichtlich sehr gern, das haben auch gesunde Menschen oftmals an sich, aufgrund seiner Erkrankung aber trifft er wohl öfter nicht den "guten Ton", er singt viel zu laut, die Mitmenschen stöhnen und zweifeln, dass sie sich je daran gewöhnen können. Er wird, um es resümierend zu sagen, vom Autor als öffentliches Ärgernis hingestellt, worauf ja auch der Titel hinweist. Mit Fug und Recht könnte man auch bei sehr viel Sympathie für den Autor in diesem Text von Diskriminierung eines Nervenkranken reden. Das ist hierzulande, wo sogar Menschen wegen ihrer Hautfarbe diskriminiert werden, nicht ganz unüblich und fällt deshalb nicht wirklich vielen Menschen als negativ auf.
Zum Technischen:
Quartett 1: Die "scharfe Feder" ist mir nicht ganz verständlich bei dieser Erkrankung, der Autor meint wahrscheinlich, dass der Protagonist nicht genau einschätzt und es auch nicht kann, ob er die Proportionen einhält, das heißt, nicht übertreibt. Dem Kranken wurde zur Linderung ein Stent einoperiert, den trägt er nun im Herzen und außerdem ein Katheder, wie der Autor meint. Der Protagonist inszeniert sich gern, übersetze ich mir das Katheder. Metrisch und reimtechnisch gibt es hier von meiner Seite aus nichts zu kritisieren.
Quartett 2:
Hier vermutet der Autor, dass der Protagonist nicht im Bett, sondern vor dem Katheder geboren wurde, wo er über alles und jedes spricht. Metrisch habe ich auch hier nichts zu bemängeln, lediglich reimtechnisch, nämlich dass der Autor statt der männlichen nunmehr weibliche Kadenzen in Vers 2 und 3 benutzt und zudem zwei neue Reime einführt, die dem formalen Aufbau eines Sonetts zutiefst widersprechen. Es hat sich zudem eingebürgert, das zweite Quartett nicht als Anti-These zum ersten zu schreiben, sondern lediglich als Erweiterung, wie es hier geschieht, darauf möchte ich hinweisen.
Terzett 1:
Der Protagonist "nudelte seine Lieder, die er lautstark tönte", hielt sich dabei nicht an vorgegebene Regeln des Gesangs und mochte es sehr, wenn es "dröhnte". Technisch ist hier zu bemerken, dass der Versaufbau dem Formalen des Sonetts widerspricht, das nämlich drei unterschiedliche reimlose Verse verlangt, hier aber reimen sich bereits Vers 1 und 3.
Terzett 2:
Hier stelle ich eine auffällige Verletzung des Verspaares herunter - bunter im ersten Vers fest. Das Verspaar müsste sich im zweiten Vers und nicht im ersten Vers reimen. Jetzt stellt man fest, dass der vorgeschriebene dritte Reim fehlt.
Insgesamt, der Autor wird mir diese Einschätzung gestatten müssen, erscheint mir dieses Sonett aus den angeführten Gründen nicht glücklich gelungen, da er die vorgegebene Form des Sonetts mehrfach verletzt, welche Aussage meinerseits zudem vom inhaltlichen Gehalt kräftig unterstützt wird.
Noch ein Nachwort: Was die Terzette angeht, so wurde von sehr vielen, auch namhaften, Autoren damit herumexperimentiert, aber keinem, das kann ich einschätzen, ist es gelungen, die ursprüngliche klassische Form zu verbessern noch zu "erneuern". Im Zeichen der "Modernität", was meiner Ansicht nach bekanntlich aber nur auf technischem Unvermögen beruht, eifern viele Lyriker ihnen nach, im festen Glauben, sie hätten das Sonett neu erfunden. Man muss ihnen ihren Eifer nachsehen, sie wissen es nicht besser. Wie ich oben schon schrieb, ist es gerade die Einhaltung der vorgegebenen Form, die den eigentlichen Reiz des Sonetts ausmacht (Beispiel das Goethe-Sonett, in dem Goethe genau darauf hinweist). Und wer glaubt, er könne Goethe übertreffen, befindet sich vermutlich auf dem Holzweg.
Gruß, Fettauge