Das Bild (Teil 2)

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jon

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Am nächsten Morgen wachte Mike von Kaffeeduft auf. Er brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, wo er war. Dann stand er auf und tappte ins Wohnzimmer.
[ 3]Carola war gerade dabei, Katja zu füttern. Sie sah kaum auf, als sie sagte: „Ich habe dir ein Handtuch ins Bad gelegt.“
[ 3]Er nickte matt. Aus irgendeinem Grund hatte er Kopfschmerzen. Die Dusche war eng – unglaublich, dass jemand das absichtlich so gebaut haben sollte. Er drehte das Wasser so heiß auf, dass es gerade noch zu ertragen war. Dann stellte er auf kalt. Der Schock schoss wie ein Messer in sein Hirn, aber als es abklang, war der Kopfschmerz vorbei.
[ 3]Mike stieg aus der Dusche, schüttelte sich das Wasser aus dem Haar und schlang sich das Handtuch um.
[ 3]Er tappte zurück ins Wohnzimmer.
[ 3]Caros Blick blieb auf seinem Körper hängen.
[ 3]„Wie spät ist es?“
[ 3]„Halb sieben.“
[ 3]Kein Wunder, dass er sich wie zerschlagen fühlte. Das war verdammt früh.
[ 3]„Ich wusste nicht, ob du ans Set musst.“
[ 3]„Keine Ahnung.“ Er rollte die Schultern.
[ 3]Caro sah ihm lächelnd zu. Katja begann zu quengeln. Caro wandte sich wieder zu ihr.
[ 3]„Du hast kein Telefon dabei, oder?“, fragte Caro. „Ich meine, damit sie dich anrufen können.“
[ 3]„Doch. Aber wenn jemand anruft, dann wird erwartet, dass ich zehn Minuten später am Bus bin.“
[ 3]„Verstehe. Soll ich dir noch ein Brötchen aufbacken? Ich habe aber nur Magarine und etwas Schinken dazu. Oder Babybrei. Karotte.“
[ 3]Er winkte ab und begann, sich anzuziehen. „Es ist sowieso zu früh zum Frühstücken. Ich esse nachher im Hotel etwas. Oder am Set, je nachdem.“
[ 3]„Am Set? Nobel!“
[ 3]„Manche von den Leuten sind 12 Stunden am Stück und mehr dort.“ Er stopfte das Hemd in die Hose und knöpfte es zu. „Hast du noch Kaffee?“
[ 3]„Ja. Draußen in der weißen Thermoskanne. Tasse steht schon da. Mach aber Milch rein, so auf nüchternen Magen.“
[ 3]„Ja, Mama.“ Er ging in die Küche. Der Kaffee war heiß und bitter. Sehr bitter. Er sah sich nach der Milch um. „0,3 %“ las er auf der Packung und vermutete, dass es der Fettgehalt war. Dafür, dass er Sahne bevorzugte, war das ein im wahrsten Sinne des Wortes mageres Angebot. Er hatte allerdings keine Wahl, also füllte er die Tasse bis zum Rand auf. Skeptisch kostete er und stellte überrascht fest, dass es gar nicht so übel war.
[ 3]Er ging zum Wohnzimmer zurück und blieb an der Tür stehen. Er sah Caro zu, wie sie sich um Katja kümmerte.
[ 3]„Was habt ihr zwei heute vor?“
[ 3]„Halb neun kommt der Babysitter, ich hab einen Termin heute.“
[ 3]„Einen Termin …“
[ 3]„Ja. Ich übernehme für meine ehemalige Firma manchmal Jobs.“
[ 3]„Was für Jobs?“
[ 3]„Wo Not am Mann ist.“
[ 3]Er gab auf, zu fragen, trank stattdessen seinen Kaffee aus. Die leere Tasse schaffte er in die Küche und stellte sie ins Spülbecken. Als er zurückkam, hob Carola gerade Katja aus dem Stühlchen. Sie waren mit sich beschäftigt.
[ 3]„Ich … eh… ich geh dann mal", sagte er.
[ 3]Caro nickte ihm zu. „Mach's gut.“
[ 3]„Ich könnte … dich heute nachmittag anrufen. Ich meine, ob…“ Er machte eine unbestimmte Geste.
[ 3]Sie nickte. „Klar.“
[ 3]„… kriege ich deine Nummer?“
[ 3]„Klar. Sicher.“ Sie ging, Katja auf dem Arm, ins Kinderzimmer und öffnete einen der Schränke. Er erwies sich als verstecktes Büro. Sie nahm einen Zettel und schrieb die Telefonnummer auf. Mike warf einen kurzen Blick drauf. Die Schrift war groß und wenig feminin. Er steckte den Zettel in die Hemdtasche.
[ 3]„Also ich geh dann.“ Er versuchte, Caro zu küssen, aber Katja tatschte nach seinem Gesicht. „Deine Tochter hat was dagegen“, stellte er fest.
[ 3]Caro lächelte entschuldigend.
[ 3]„Na dann … Macht's gut ihr beiden.“
[ 3]„Tschüß.“
[ 3]„Bis … nachher vielleicht.“
[ 3]„Vielleicht.“
[ 3]„Ich ruf an.“
[ 3]„Ja.“
[ 3]Er klopfte auf die Hemdtasche.
[ 3]„Mike …!“
[ 3]„Bin schon weg, Mama.“ Er drehte sich um. „Bin schon weg …“

Im Hotel hatte das Frühstücksbuffet gerade eröffnet. Mike griff nach Kaffee, nahm dann aber nur ein großes Glas Orangensaft und ein Croissant. Er setzte sich an einen Tisch in der hintersten Ecke. Nebenan saß einer der Techniker, er nickte ihm zu.
[ 3]Der Kopfschmerz kehrte zurück. Mike schloss die Augen und lehnte sich zurück. Hoffentlich setzte Lingner für heute keinen Dreh für ihn an. Für Stunts – harmlos oder nicht – fühlte er sich heute nicht fit genug.
[ 3]Ein Schatten fiel durch seine Lider, er beschloss, ihn zu ignorieren.
[ 3]Der Schatten akzeptierte das allerdings nicht. Er sagte: „Mike? Was für ein Zufall!“
[ 3]Widerwillig öffnete Mike die Augen. „Eric …?“ Er setzte sich aufrecht hin und reichte Newman die Hand. „Was machen Sie denn hier?“
[ 3]„Einen Freund besuchen. Und Sie?“
[ 3]„Beruflich.“
[ 3]Ein Kellner kam an den Tisch und fragte, was er bringen dürfe. Newman bestellte Kaffee und Eier und Speck. Der pure Klang dieser Worte ließ Mike das Gesicht verziehen.
[ 3]Newman, der das bemerkt hatte, fragte grinsend: „Schwere Nacht gehabt?“
[ 3]„Nein, nur eine kurze.“
[ 3]Newman war widerlich gut gelaunt. „Aber gut, hoffe ich.“
[ 3]Mike ging nicht darauf ein.
[ 3]„Geht mich nichts an“, stellte Newman fest.
[ 3]Mike nickte ein wenig.
[ 3]Der Kellner brachte das Frühstück. Es sah appetitlich aus.
[ 3]Mike zeigte auf den Teller und fragte: „Könnte ich auch sowas haben?“
[ 3]„Selbstverständlich. Auch Kaffee? Oder Tee?“
[ 3]„Kaffee. Kaffee ist gut.“
[ 3]Der Kellner wieselte davon.
[ 3]„Is schon kom'sch“, nuschelte Newman zwischen zwei Bissen.
[ 3]„Was?“
[ 3]„Dass wir ns ausrechnt hier…“, er schluckte, „dass wir uns ausgerechnet hier treffen. Wann war es zuletzt…?“
[ 3]„Vor drei Jahren. LA.“
[ 3]„Ihre Einweihungsparty, richtig. Ich dachte, ich würde Sie mal in Aspen sehen.“
[ 3]„Warum da?“
[ 3]„Ich weiß nicht. Weil da jeder irgendwann mal auftaucht.“
[ 3]„Klar“, behauptete Mike und lehnte sich zurück.
[ 3]„Und? Wie finden Sie Deutschland?“
[ 3]„Ich habe nicht viel gesehen davon.“
[ 3]„Verstehe. Drehstress.“
[ 3]„Auch.“
[ 3]„Sagen Sie…“ Newman wischte sich den Mund mit der Serviette ab, „… haben Sie dieses Bild eigentlich noch?“
[ 3]„Katharina?“
[ 3]„Ja, das meinte ich. Haben Sie es noch?“
[ 3]Mike nickte. „Ja. Klar.“ Er glaubte, etwas Lauerndes in Newmans Blick zu sehen. „Warum fragen Sie?“
[ 3]Der Kellner brachte Mikes Frühstück. Er nahm einen Schluck Kaffee. Er war schal.
[ 3]„Mein Angebot steht noch immer.“
[ 3]„Ihr …“ Mike verschluckte sich fast. „Ihr Angebot …“
[ 3]„Wegen des Bildes.“
[ 3]„Hören Sie …“
[ 3]„Siebenhundertfünfzig. Tausend natürlich.“
[ 3]Mike starrte ihn an.
[ 3]Newman trug ein Pokerface zu Schau.
[ 3]Mike rieb sich die Stirn und lachte leise. Dann sagte er: „Hören Sie, Eric … Die Sache ist die: Ich habe keine Ahnung, was an dem Bild Sie so fasziniert. Aber es war damals nicht verkäuflich und es ist heute noch weniger verkäuflich.“
[ 3]„Achthundert.“
[ 3]Das Wort blieb Mike im Halse stecken.
[ 3]„Eine Million.“
[ 3]Mike schnappte nach Luft. „Das … ist nicht Ihr Ernst!“
[ 3]„Doch. Absolut. Sie verstehen das sicher nicht, aber …“, Newman beugte sich etwas vor, dadurch wirkte es, als wollte er Mike beschwören. „… es erinnert mich an eine gute Freundin. Eine sehr gute Freundin.“
[ 3]„… mich auch.“
[ 3]„Ach.“ Newman schien überrascht. „An wen?“
[ 3]„Ich glaube nicht, dass Sie …“
[ 3]Newman winkte ab. „Nein, natürlich nicht. Es geht mich nichts an. Aber …“, er rückte noch etwas näher, „… eine Million, Mike! Ich meine es wirklich ernst.“
[ 3]„Sie … Sie sind verrückt!“
[ 3]„Wer ist hier der Verrückte? Der, der eine Million ausgeben würde, oder der, der sie nicht haben will?“
[ 3]Mike schüttelte fassungslos den Kopf.
[ 3]Newman lehnte sich zurück und breitete die Arme aus. „Es ist Ihre Entscheidung.“
[ 3]„Wenn Sie… so gute Freunde sind, warum haben Sie dann kein Foto von ihr?“
[ 3]„Sie hasste es, fotografiert zu werden.“
[ 3]„Hasste?“
[ 3]„Ja.“
[ 3]„Was ist passiert?“
[ 3]„Sie ist tot.“
[ 3]„Tut mir leid.“
[ 3]„Ja.“
[ 3]Sie schwiegen eine Weile. Während Newman offenbar Erinnerungen nachhing, stellte sich Mike eine Million Dollar vor. Nicht, dass er sie nötig gehabt hätte, aber es waren eine Million Dollar! Er versuchte, sich das Bild aus seinem Arbeitszimmer wegzudenken. Die Lücke fühlte sich wie eine Wunde an. Da konnte er genausogut Carola selbst verkaufen! Das wäre… Ihm ging auf, was er da dachte. Fassungslos lauschte er in sich hinein. Oh Mann! Sie war doch nur …
[ 3]„Was ist mit Ihnen?“, unterbrach Newman seine Gedanken. „Haben Sie kein Foto?“
[ 3]„Was?“
[ 3]„Haben Sie kein Foto von Ihrer Bekannten?“
[ 3]Mike schüttelte den Kopf.
[ 3]„Sie könnten sich eins geben lassen.“
[ 3]Mike lächelte gequält. „Ich glaube nicht, dass meine Frau das witzig fände.“
[ 3]„… verstehe.“
[ 3]Mike hob abwehrend die Hand. „Nein. Nein nein, ganz so ist es nicht. Ich… kenne sie erst seit vorgestern.“
[ 3]„Sie stammt von hier?“
[ 3]Mike nickte.
[ 3]„Und sieht aus wie … wie das Bild?“
[ 3]„Ja. Absolut.“
[ 3]„Sie ist Deutsche?“
[ 3]„Ja. Glaube ich zumindest.“
[ 3]„Sie glauben es …“
[ 3]„Nunja, sie spricht perfekt …“ Er bemerkte wieder dieses Lauern in Newmans Blick. „Warten Sie mal! Was soll das hier werden?“
[ 3]Newman setzte eine Unschuldsmiene auf. „Nichts. Ich fand es bloß interessant.“
[ 3]Mike beschloss, den Spieß umzudrehen. „Was ist mit Ihrer Bekannten? Sie muss ja beeindruckend gewesen sein.“
[ 3]Newman nickte. „Ja. Sie ist nun schon …“, er überlegte, „… über 17 Jahre tot, aber ich kann sie manchmal noch spüren. Nur an ihr Gesicht kann ich mich immer seltener erinnern. Das macht mir Angst.“
[ 3]Mike, überrumpelt von dieser Offenheit, schwieg.
[ 3]„Manchmal suche in ihrem Sohn nach Zügen von ihr.“ Newman lächelte müde. „Der Junge sieht allerdings aus wie sein Vater. Aber charakterlich, da kommt er ganz nach ihr.“
[ 3]„Wie alt ist der Junge?“
[ 3]„Oh, er ist längst erwachsen. Fast vierzig. Ich weiß nicht, er ist dieser Tage hier aufgetreten. Vorgestern. So eine Art Marktplatzkonzert.“
[ 3]„Ach ja? Ich war dort. Ein Weilchen jedenfalls.“
[ 3]„Dann haben Sie ihn vielleicht gesehen. Oder auch nicht, die Typen am Schlagzeug fallen selten auf.“
[ 3]Eine vage Erinnerung stieg in Mike auf. „Schlagzeug …“
[ 3]„Alex spielt so ziemlich alles, was auf der Bühne gebraucht wird.“
[ 3]„Alex. Er soll … eine ganze große Nummer in der Profiszene sein.“
[ 3]Newman nickte. „Interessieren Sie sich dafür?“
[ 3]„Nein, nicht übermäßig. Meine … Eine Freundin erzählte es mir.“
[ 3]Newman begann zu grinsen. „Die Freundin, oder?“
[ 3]„Ja. Carola ist wohl … na ja … vielseitig interessiert.“
[ 3]„Carola …“
[ 3]„Ja. Sie … Sie hat, glaube ich, ein Faible für Musiker.“
[ 3]„Die meisten Frauen haben das …“
[ 3]„Ja, aber die meisten Frauen belassen es dabei.“
[ 3]„Sie nicht?“
[ 3]„Sie hat ein Kind von einem der lokalen Rock-Größen. Bent oder Brent oder sowas.“
[ 3]„Bern?“
[ 3]„Ja, ja genau. Thomas Bern. Kennen Sie ihn?“
[ 3]Newman nickte.
[ 3]„Nicht, dass das falsch rüber kommt, Caro ist wirklich …“, er suchte nach dem passenden Wort.
[ 3]„Faszinierend?“
[ 3]„… das ist es nicht. Ich meine, eine … eine Diva ist faszinierend. Caro ist …“ Das Telefon unterbrach ihn. „Entschuldigung.“ Er ging ran.
[ 3]Thelma. „Ich versuche seit einer Stunde, dich zu erreichen. Wo bist du?“
[ 3]„Im Speisesaal.“
[ 3]„Seit wann? Ich habe im ganzen Hotel nachgefragt.“
[ 3]„Du hättest die Mobil-Nummer versuchen sollen …“
[ 3]„Ja, wie auch immer. Lingner hat für 10 den Bus bestellt, wir machen die Szenen …“
[ 3]Mike nahm das Telefon vom Ohr und hielt das Mikro zu. „Entschuldigen Sie“, raunte er Newman zu.
[ 3]Der nickte. „Klar. Job.“ Er trank seinen Kaffee aus und ging.
[ 3]Mike nahm wieder das Telefon hoch. „Sorry, Thelma, kannst du noch mal sagen, was dran ist? Ich war gerade etwas abgelenkt.“

Der Drehtag war angenehm. Sie nahmen ein paar ruhige Passagen auf, Mike hatte einiges zu tun und fühlte sich mehr und mehr in die Rolle gleiten. Gegen drei kapitulierte Lingner vor einem Hustenanfall und brach ab. Thelma flüsterte ihn noch etwas zu, Lingner nickte, und Thelma verkündete, dass der Dreh wie geplant morgen um neun weiterginge. Zur Not unter ihrer Regie. Ihr Vater hatte wohl Druck gemacht.
[ 3]Im Hotel angekommen, klingelte Mike bei Caro an. Niemand ging ran. Er beschloss, es später noch mal zu versuchen, und nahm eine Dusche. Er bemerkte, dass er sich auf das Treffen freute, und begann, vor sich hin zu pfeifen. Er rasierte sich, konnte sich eine ganze Weile nicht zwischen Hemd und Shirt entscheiden. Schließlich wählte er das graugrüne Hemd. Es passte zu Caros Augen. Bevor er ging, zwinkerte er sich im Spiegel zu. „Na dann, alter Junge …“
[ 3]Von der Lobby aus rief er noch mal bei Carola an, nebenbei suchte er im Hotelstore einen Plüschhund aus. Er wollte schon wieder auflegen, als Caro sich meldete.
[ 3]„Hallo“, antwortete er und bezahlte. „Wie geht's?“
[ 3]„Gut.“
[ 3]Der Verkäufer steckte den Hund in eine Tüte und reichte sie Mike. Er dankte nickend und ging.
[ 3]„Bist du für heute fertig?“, fragte Caro.
[ 3]„Yep. Ich bin schon auf dem Weg. Was hälst du von Ausgehen?“ Er winkte eines der Taxis heran, die vor dem Hotel warteten, und sagte dem Fahrer die Adresse.
[ 3]„Klingt gut. Hast du schon was im Blick?“
[ 3]„Du kennst dich besser aus. Schlag was vor. Irgendwas, wo die Kleine mitkann.“
[ 3]„Ich … Die Kleine ist versorgt.“
[ 3]„Dann haben wir den Rest des Tages für uns?“
[ 3]Sie lachte. „Naja, nicht den ganzen Rest …“
[ 3]„Ich nehme jede Minute, die ich kriegen kann. Bis gleich also!“

Sie waren nicht ausgegangen. Natürlich nicht. Als Mike neben ihr lag, stellte er fest, dass er sich daran gewöhnt hatte, dass das Bett so schmal war. Er hatte einen winzigen Moment lang sogar das Gefühl, dass er es vermissen würde. Er verscheuchte diese Idee sofort.
[ 3]„Wie lange seid ihr noch da?“, fragte Carola.
[ 3]„Zwei, drei Tage.“
[ 3]„Wirst du Zeit haben?“
[ 3]„Wohl eher nicht.“
[ 3]„Und? Wo geht's dann hin?“
[ 3]„LA.“
[ 3]Sie schwieg, schmiegte sich an ihn. „Ich bin schon echt neugierig auf den Film.“
[ 3]„Ich kann dir eine DVD schicken. Sobald er fertig ist.“
[ 3]„Echt?“
[ 3]„Ja.“
[ 3]„Ach na ja. Ich warte, bis er auf Deutsch zu haben ist.“
[ 3]Er blinzelte zu ihr herunter. „Tatsächlich?“
[ 3]Sie schüttelte den Kopf, ihr Haar kitzelte auf seiner Brust.
[ 3]„Gut. Ich dachte schon, du hast für die nächste Zeit genug von mir.“
[ 3]Sie antwortete nicht.
[ 3]„Warst du schon mal in LA?“
[ 3]Sie hob den Kopf und küsste ihn auf den Bauch.
[ 3]Er lachte auf. „Heißt das ja oder nein?“
[ 3]Sie schaute ihn an. „Weder noch.“
[ 3]„Und? Warst du schon mal da?“
[ 3]Sie machte: „M-m.“
[ 3]„Du könntest mich mal besuchen.“
[ 3]„Ganz sicher nicht.“
[ 3]„Warum nicht?“
[ 3]„Du meinst abgesehen davon, dass deine Frau nicht erfreut wäre?“
[ 3]„Wir … könnten uns ja einfach so kennen.“
[ 3]Sie neigte den Kopf. „Mike …!“
[ 3]Er breitete die Arme aus. „Was? Wäre doch möglich.“
[ 3]„Dein schauspielerisches Talent in allen Ehren, Mike, aber kannst du auch die Hand für meins ins Feuer legen?“
[ 3]Er schwieg.
[ 3]„Außerdem, was soll das bringen? Du bist süß, aber …“
[ 3]„Ich bin was?“
[ 3]„Du bist …“
[ 3]„Oh Gott!“ Er setzte sich auf. „Das hört ein Mann doch gern. Dass er …“ er zeichnete Anführungszeichen in die Luft, „… süß ist.“
[ 3]„Es war ein falscher Zungenschlag von mir, entschuldige. Du bist einfach… Eben der Typ, den man nicht von der Bettkante schubst.“
[ 3]Er atmete tief durch. „Sehr beruhigend. Wirklich.“
[ 3]„Ach komm!“, bat sie und strich ihm über den Bauch. „Das ist doch nicht das Schlimmste, was einem Mann passieren kann, oder? Dass man ihn sexy findet.“
[ 3]Er drehte sich zu ihr. „Du findest mich also sexy …“
[ 3]„Absolut“, erwiderte sie im Brustton tiefster Überzeugung. „Der neue Connery.“
[ 3]„Der neue was?“
[ 3]„Der neue Sean Connery.“
[ 3]„Du findest Connery sexy?“
[ 3]„Ja.“
[ 3]„Nicht dein Ernst! Er ist fast 70!“
[ 3]„Na und?“
[ 3]„Du hast ein Faible für Promis, was?“
[ 3]„Jeder hat ein Faible für Promis. Sei froh! Du bist schließlich einer.“
[ 3]Er lachte. „Oh Mann! Du bist echt verrückt.“
[ 3]Sie lächelte. „Nicht verrückter als ein Typ, der eine Million Dollar ausschlägt.“
[ 3]„Ich hänge nun mal an dem Bild.“
[ 3]„Sag ich doch: Total verrückt. Ich liiiiebe sowas.“ Sie küsste ihn. „Aber im Ernst: Glaubst du wirklich, es ist clever, das Bild zu behalten? Ich meine: eine Million! Wie willst du deiner Frau das erklären?“
[ 3]„So wie ich ihr die halbe Million erklärt habe. Ich hänge an dem Bild. Das ist alles. Ein Erinnerungsstück an die Zeit, als 5000 Dollar noch eine Menge Geld waren.“
[ 3]Sie schwieg, forschte in seinem Gesicht.
[ 3]„Was ist?“ Er hatte das Gefühl, etwas überhört zu haben.
[ 3]Sie schüttelte den Kopf und wandte sich ab.
[ 3]„Was?“, beharrte er.
[ 3]Sie lächelte, aber er sah den Schatten in ihrem Blick.
[ 3]„Alles in Ordnung mit dir?“
[ 3]„Nein. Aber das war es noch nie. Ich … Ich werde dich vermissen.“
[ 3]„Ich kann dir noch ein paar Filme schicken …“
[ 3]Sie schlug halbherzig nach ihm. „Idiot! Als ob es das besser machen würde!“
[ 3]Er zog sie an sich. „Ich weiß.“
[ 3]„Es ist nur … du … du bist irgendwie … wie ein Versprechen, verstehst du?“
[ 3]„Ja.“ Er dachte an das Bild. „Ich glaube schon.“
[ 3]„Siehst du? Genau das meine ich!“
[ 3]„Was?“
[ 3]„Ein Mann, der versteht. Der verdammt gut aussieht, charmant ist, sexy… und der einen auch noch versteht.“
[ 3]Er runzelte die Stirn. „Soll vorkommen.“
[ 3]„Nein. Das kommt nicht vor. Nicht … in dieser perfekten Mischung.“
[ 3]„Naja. Ich komme vor.“
[ 3]„Ja. Aber du bist nicht die perfekte Mischung.“
[ 3]„Ach nein?“
[ 3]„Nein. Du bist das Versprechen der perfekten Mischung.“
[ 3]Er wusste nicht, was er antworten sollte. Er sah sie nur an. Sie lächelte glanzlos. Katharina im Korsett …
[ 3]Es klingelte an der Tür.
[ 3]Caro stand auf. „Das wird Katja sein.“
[ 3]„Mit ihrem Babysitter hoffe ich doch“, sagte Mike und sah Caro nach, wie sie in ihr großes Shirt schlüpfte.
[ 3]Er hörte sie an der Tür. Das Baby krähte vergnügt, eine Männerstimme sagte etwas.
[ 3]Eine Männerstimme.
[ 3]Mike griff nach seiner Hose, stand auf und stieg hinein. Er trat ins Wohnzimmer. Draußen an der Tür flüsterte Caro mit jemandem. Mike ging in den Flur. Er sah gerade noch, wie Caro jemandem zulächelte – jemandem, der eindeutig größer war als dieser Thomas Bern – und dann die Tür schloss.
[ 3]Katja sah Mike und begann loszuplappern.
[ 3]Mike tippte ihr auf die Nase. „Hallo Prinzessin!“
[ 3]Katja jauchzte.
[ 3]„Wer war das?“
[ 3]„Wer?“
[ 3]„Eben. An der Tür.“
[ 3]„Der Babysitter.“
[ 3]„Ein Mann?“
[ 3]„Mike! Sei nicht albern! Wofür ist das wichtig?“
[ 3]„Letztens war es noch eine Frau …“
[ 3]Caro zog Katja das Jäckchen aus. „Stimmt. Und?“
[ 3]„Warum durfte er nicht reinkommen?“
[ 3]„Vielleicht weil in meiner Wohnung ein Typ halbnackt rumläuft, den jeder Paparazzo gern mal in so einer Situation ablichten würde?“
[ 3]Er musste zugeben, dass sie recht hatte. „Entschuldige. Ich dachte, es sein Bern. Ich weiß nicht, ich … mag ihn nicht.“
[ 3]„Du musst ihn nicht mögen.“
[ 3]„Ich weiß.“
[ 3]Caro holte mit einer Hand das Hochstühlchen aus dem Kinderzimmer.
[ 3]„Warte!“ Er half ihr, stellte den Stuhl neben die Couch. „Ok?“
[ 3]Sie nickte und setzte Katja hinein. „Kannst du mal einen Moment aufpassen? Ich mache ihr schnell das Essen.“
[ 3]„Klar doch.“ Ihm fiel der Plüschhund ein. Er holte ihn und hielt ihn der Kleinen hin. Sie staunte ihn mit großen blaugrauen Augen an. Mike wackelte mit dem Hund etwas hin und her. Prompt streckte Katja die Arme aus. Er gab ihr das Plüschtier. Sie biss hinein. Mike musste an seinen Sohn denken. Er vermisste ihn plötzlich.
[ 3]Carola kam zurück. „O-ha! Da kann ich mit meinen ordinären Karottenbrei natürlich nicht mithalten.“ Sie stellte das Gläschen auf den Tisch, zeigte Katja das Lätzchen. Die Kleine kaute weiter auf dem Hund herum.
[ 3]Mike richtete sich auf. „Sie ist bezaubernd.“
[ 3]„Noch. Das gibt sich. – Hey! Heute ist der letzte von den Filmen angekommen, die ich bestellt hatte. Hast du Lust? Oder ist es dir zu blöd, die eigenen Filme zu gucken?“
[ 3]Er lachte. „Du bist verrückt!“
[ 3]„Heißt das, du kuckst ihn mit mir?“
[ 3]„Ok!“
[ 3]„Aber nichts vorneweg verraten!“
[ 3]Er hob die Schwurhand.
[ 3]„Na dann …“

***​

Die Premierenfeier rauschte an ihm vorbei. Er hatte unzählige Hände geschüttelt, tausendfach Lob gehört und in hunderte mehr oder weniger erwartungsvolle Gesichter geblickt. Er war der Star des Abends, kein Zweifel.
[ 3]„Was ist los, Schatz?“, fragte Sarah.
[ 3]„Nichts. Ich bin nur etwas müde“, beruhigte er seine Frau.
[ 3]„Wollen wir gehen?“
[ 3]„Ja. Ich glaube, ich habe meine Schuldigkeit hier getan.“
[ 3]Sie schoben sich durch die Menge, wurden aufgehalten, er lächelte und erwiderte Grüße von Leuten, die er noch nie vorher gesehen hatte. Oder die er schon gesehen aber wieder vergessen hatte.
[ 3]Endlich saßen sie im Auto.
[ 3]Sarah blickte ihn besorgt an. „Ist wirklich alles ok?“
[ 3]Er lächelte ihr zu. „Ich glaube, ich habe mich einfach nur etwas übernommen.“ Er legte den Arm um sie und zog sie an sich. Ihr Duft, der unter den Partygerüchen, die sich in ihrem Kleid verfangen hatte, lag, hüllte ihn ein. Er war wie ein Versprechen, das Versprechen vollständiger Vertrautheit. Manchmal schmerzte es, dann, wenn ihm bewusst wurde, dass es nur das war. Ein Versprechen. Ein Bild weit entfernt von der Erfüllung …
[ 3]Als sie sich ihrem Haus näherten, sahen sie schon das Blaulicht zucken. Polizei stand am Eingang.
[ 3]„Was …?“, fragte Mike beim Aussteigen und sah sich nach jemandem um, der Antwort geben könnte.
[ 3]Ein Herr in Zivil kam auf ihn zu. „Mrs und Mr Henson, es tut mir leid, dass wir Sie von der Party wegholen mussten. Mein Name ist Garcia, ich leite die Ermittlungen. Sie …“
[ 3]„Was für Ermittlungen?“
[ 3]„Na wegen des Einbruchs. Hat man Ihnen denn noch nichts gesagt?“
[ 3]„Nein!“
[ 3]„Oh, tut mir leid. Ja also, es ist eingebrochen worden, Ihre Haushälterin hat es bemerkt, als sie ihren Kontrollgang machte. Wir wissen allerdings noch nicht, was alles fehlt …“
[ 3]„Wo?“, unterbrach ihn Mike und stieg die Treppe hoch.
[ 3]„Was wo?“ Garcia lief hinter ihm her.
[ 3]„Wo eingebrochen wurde!“
[ 3]„Soweit wir wissen nur im Arbeitszimmer.“
[ 3]Mike fuhr herum und sah Garcia an.
[ 3]„Ja. Es ist etwas unordentlich, aber es sieht so aus, als hätten die Täter gewusst, wo sie suchen müssen. Wir …“
[ 3]Mike stürmte ins Haus.
[ 3]An der Tür zum Arbeitszimmer hielt ihn ein Uniformierter auf. „Sir, wir müssen noch die Spuren sichern.“
[ 3]Mike nickte. Er sah es auch von hier aus. Es fühlte sich an wie eine Wunde.
[ 3]„Schatz?“
[ 3]Er wandte sich nicht um.
[ 3]„Was haben die gesucht?“
[ 3]Er griff nach seinem Telefon und tippte die Nummer ein, die sich ihm bei den vielen malen, da er sie angesehen aber nie angerufen hatte, eingebrannt hatte.
[ 3]„Schatz, dein Bild ist weg!“
[ 3]Er drückte auf Wählen.
[ 3]Sarah legte ihre Hand auf seinen Arm. „Das tut mir so leid. Aber …“
[ 3]Der Rufton wiederholte sich …
[ 3]„… vielleicht finden sie es ja wieder.“
[ 3]… und wiederholte sich…
[ 3]„Bestimmt finden Sie es wieder.“
[ 3]… und wiederholte sich.
[ 3]„Warum haben sie es mitgenommen, es war doch fast nichts wert?“
[ 3]Jemand nahm ab und sagte: „Hallo?“
[ 3]Mike drehte sich von seiner Frau weg. „Caro?“
[ 3]Die Stimme sagte etwas auf deutsch, was Mike nicht verstand.
[ 3]„Ich möchte mit Carola sprechen.“
[ 3]Die Antwort war ungehalten, es wurde aufgelegt.
[ 3]„Schatz? Wen hast du angerufen?“
[ 3]Er schüttelte den Kopf und steckte das Telefon ein. „Nicht so wichtig.“
[ 3]Die Haushälterin stürmte auf ihn zu. „Oh, Mr Henson! Bloß gut, dass Sie da sind. Die Diebe haben die schöne Schreibgarnitur mitgenommen, die schöne Schreibgarnitur!“
[ 3]Mike versuchte zu beschwichtigen. „Hauptsache, Ihnen ist nichts passiert, Emma.“
[ 3]„Ja, Gott sei Dank, nicht wahr? Wenn ich den Rundgang früher gemacht hätte, wer weiß … Solche Leute schießen ja immer gleich!“
[ 3]„Es ist ja nichts passiert“, erwiderte er und setzte sein beruhigendes Lächeln auf.
[ 3]Es wirkte zuverlässig. „Achja“, fiel der Haushälterin jetzt ein. Sie nahm ein Päckchen von der Konsole am Spiegel und reichte es ihm. „Das ist angekommen, kurz nachdem Sie weg waren.“
[ 3]Mike nahm das Päckchen.
[ 3]„Was ist das, Schatz?“
[ 3]Es waren die DVDs, die er Caro geschickt hatte.
[ 3]„Unbekannt verzogen“, las Sarah und sah auf. „Du schickst Päckchen nach Deutschland?“


(Ende)
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
oooch,

schade, schon zu ende? aber schön geheimnisvoll mit für platz für die fantasie des lesers.
lg
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Es ist also nicht zu mysteriös? Das ist ein bisschen mein Problem: Merkt Mike gar nichts – so wie es eigentlich geplant ist – dann fehlt der Story ein wenig die dem Leser erkennbare Existenzberechtigung. Merkt er zu viel, müsste ich ihn demnächst umbringen ( ;) ). Vor allem aber: Ich wollte wissen, wie es sich aus Sicht eines zufällig Reingestolperten "anfühlt"…

Ich weiß nicht, ob der Schluss nicht doch zu fett aufgetragen ist… Funktioniert das Ganze auch ohne, dass Mike soooo tief von seinem Seitensprung beeindruckt ist?
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
nee.

nur den leuten mit gewissen passieren die unglaublichsten sachen. wenn ines - schon wieder ne ines! - ihn nicht so an das bild erinnert hätte, gäbe es den seitensprung doch gar nicht. mike ist ausnahmsweise ein treuer schauspieler, basta.
wem es zu mysteriös ist, der soll nicht im bereich fantastik lesen.
lg
 

jon

Mitglied
Teammitglied
… ja, ich muss mal die Namen austauschen, ich bin in dieser Sache wirklich recht unflexibel.
 
P

Pete

Gast
Das ist ein klasse Kapitelschluss. Er schließt Klammern und ist gleichzeitig ein Cliffhanger.

Besonders angesprochen hat mich das "Versprechen", das zwei mal wirkungsvoll anklang und sich dadurch selbst verstärkt hat.

Das sind die Perlen, die ich in einem Text suche.
 

jon

Mitglied
Teammitglied
… jetzt bin ich aber wirklich fast tomatenrot vor Verlegenheit. Dankeschön
 



 
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