Das Buch

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Von all den Büchern über meinem Bett
betrachtete ich stets nur ein Gewicht:
Die Wichtigkeit des Textes, seine Form
und all das, was Lektüre mir verschönte.
Dazu gehören Bilder, Letterformen,
Papiergestalt und Umschlag, auch den Inhalt
will ich in dem Zusammenhang erwähnen.
So stopfte ich ein Buch und noch das nächste
und noch und noch und nöcher ins Regal,
nachdem ich es gelesen hatte, manches
auch nur, weil ich es dereinst lesen wollte.
Dabei war eines, ein besonders schweres
und spannendes, ich hatte es bekommen
nach langer Suche und in großer Hoffnung,
dass es mir kurzweilig die Sinne kitzle,
solange ich aus seinen Blättern saugte.
Dann war ich fertig und wie all die andern
schob ich auch jenes wunderschöne Stück
so zwischen den Gedichtband und den Duden
und legte mich in meinem Bett zur Ruhe.
Die Traumwelt wurde jählings unterbrochen,
das Buch, es stürzte ab, mir auf den Kopf,
ich sank alsbald in einen tiefen Schlaf
und weilte ewig in der Welt des Traumes.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, Karl, wie begründest Du das? Oder meinst Du es lediglich metaphorisch?
Böse bin ich Dir nicht, auch wenn ich denke, dass es ein Gedicht ist.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
laßt es uns denken

der gedanke ist fruchtbar: ob begrifflich-definitorisch einzuschränken ist, was ein gedicht sei. ob poesie eine schublade in der literaturkommode sei. ob die metrische gestaltung - die hier ja eindeutig ist mit dem fünfhebigen jambus - und die pointierte entwicklung - auch die zeigt sich deutlich - nicht ausreichen, um einen text als gedicht gelten zu lassen.

das extrem wäre: alles ist kunst, wenn der schöpferische impuls, das originale darin gefunden wird; alles ist musik, wenn es die zeit reflektierend gliedert; alles ist religion, wenn es das unaussprechliche berührt, alles ist poesie, wenn es die sprache der sprache öffnet.

oder der höchstmögliche anspruch definiert den poetischen reiz: es muß gut sein, oder besser als gut, bestenfalls unerreichbar: "es gibt nichts; und wenn es etwas gäbe, wäre es nicht auffindbar; und wenn es auffindbar wäre, wäre es nicht mitteilbar". das führt aber das problem mit sich - oder die lösung, (und dieses problem und seine lösung sind die gleichen wie beim vorhin genannten extrem): daß es im hörer liegt, ob er das reizende des textes oder der melodie oder des fundstücks empfindet. oder nicht.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
nun:

ich finde, es hat eine reizende doppeldeutigkeit, schon zu beginn mit der "gewichtigkeit", dem entsprechend seine "schwere", last but not least der traum, aus dem sein fall aufschreckt wie der traum, in den der getroffene, den es umgehauen hat, versinkt.
 
Lieber Bernd,
entschuldige, aber ich habe wohl zu schnell geurteilt. Mir ist der Rhythmus nicht sofort aufgefallen.
Ich hoffe, Du verzeiht mir.
Herzliche Grüße
Karl
 
Hallo Mondnein,
ich habe eindeutig zu schnell geurteilt. Siehe mein Kommentar an Bernd. Dennoch bin ich der Meinung, dass nicht alles, was Poesie sein kann, gleichzeitig auch ein Gedicht sein muss. Übrigens ein guter Prosaschreiber schreibt auch nicht ohne Rhythmen...
Herzliche Grüße
Karl
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Das ist alles klar, Karl.
Jedoch ist Rhythmus tatsächlich nicht alles.
Es ist heute (in der nachklassischen Zeit) schwer einzuschätzen, was kein Gedicht ist.
Das Gebiet wurde immer umfangreicher.
Ich habe hier ja gebundene Sprache verwendet, in einem "erhabenen" Tonfall, der im Kontrast steht zum trivialen Inhalt.
Der Inhalt selbst ist aber keineswegs "reiner" Inhalt, sondern mehr.
Es ist eine Metapher auf das Gleichgewicht und dessen Störung, wenn man es überlädt.
Und es enthält metasprachliche Paradoxien.

Und nochmals auch Danke an Mondnein.
 



 
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