lietzensee
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Das Fest
Der Staub folgte den Autos wie ein weißer Schleier. Eine Limousine nach der anderen parkte um den alten Familiengarten. Aus den sich öffnenden Wagentüren traten Männer in Anzügen und die Frauen in bunten Kleidern. Seidene Wimpel flatterten zwischen Torpfosten. Man begrüßte sich. Man bewunderte Putz und festliche Kleidung. Junge Leute blickten gelangweilt auf ihre Handys. Ein Kind weinte und alle warteten, bis die Hochzeitsgesellschaft vollzählig war. Als Musik zu spielen begann, schritten Familie und Freunde durch das geöffnete Tor.
Die Sonne schien. Der Himmel leuchtete blau. Weiße Stühle warteten auf einem Rasen, der grün schimmerte, aber in braun überging, wo der Rasensprenger ihn nicht mehr erreicht hatte. "Bombenwetter", sagte eine Tante. Es war heiß, sehr heiß. Die Männer schwitzten in ihren Anzügen. Die Frauen wedelten sich mit kleinen Fächern Kühlung zu.
Wer Platz fand, stellte sich in den Schatten zweier Pavillons und hielt nach dem Brautpaar Ausschau. Sie trug die Ärmel leicht gepufft. Kostbare Perlen schimmerten an ihrem Schleier. Sein Anzug war beige, mit heller Krawatte und Einstecktuch. Langsam schritten beide die freie Gasse zwischen den Gästen hinab, Hand in Hand, den Blick nach vorne gerichtet. "Die gehen aber ängstlich in die gemeinsame Zukunft", scherzte ein Onkel. Jemand lachte. Mit einem Damasttuch wischte der Brautvater sich den Schweiß von der Stirn und ein Kind wurde ermahnt, endlich ruhig zu sein.
Der Standesbeamte atmete tief durch. Auf der Brust trug er eine goldene Kette. Er las seine Rede aus einer roten Mappe vor. "... Kraft des mir verliehenen Amtes ..." Ein schwarzer Vogel flog durch die flirrend Luft. Sein Ruf hallte über dem trockenen Garten. " ... Eine Zukunft, die Freuden und Gefahren bringen muss, Triumphe und Katastrophen ..." Eine Großmutter sackte auf den schnell herbei gebrachten Stuhl. Wind kam auf und jagte einen abgerissenen Wimpel über die Köpfe hinweg. "... und Kinder! Die nächste Generation ..." Die Mutter des Bräutigams begann zu schluchzen. Eine Nichte reichte ihr Taschentücher.
"Ob der Kuchen die Hitze verträgt?", fragte diskret ein Kellner den anderen. Sie blickten zum Buffet, das den Schatten welker Obstbäumen suchte. Die weißen Hemden klebten an ihren Rücken.
Einer der Gäste rief etwas von heißer Liebe und dann küsste der Bräutigam die Braut. Konfetti. Blütenblätter. Die Gesellschaft jubelte. Triumphierend spielte die Musik auf und zusammen schritt das Brautpaar zwischen den Gästen zum offiziellen Foto. Alle klatschten. Jeder fotografierte. "Nehmt noch das Mädchen mit aufs Bild." Eine Mutter richtete ihrem Sohn die Krawatte. "Dreht euch nach rechts, sonst hab ich die kahle Weide mit auf dem Foto."
Als die zweite Festrede begann, griff der Onkel sein drittes Glas Champagner. Sie machte Durst, diese Hitze. Ständig hatte man eine trockene Kehle. Rückkoppelungen kreischten durchs Mikrofon. Da flammte am Horizont ein Blitz auf. Donner rollte über die schwitzenden Köpfe der Festgemeinschaft. "Ausgerechnet heute", seufzten zwei Tanten sich zu, "Aber der Garten kann Regen dringend gebrauchen." Fast gleichzeitig summten die Handys mit eingehenden Nachrichten.
Ein Halbbruder war der Schnellste. "Warnung vor extremen Unwetter", las er laut vor. Alle sahen sich an. Vögel kreischten im dunstig werdenden Himmel. Ein Kind begann, zu schreien.