Das Flugzeug im Moor Vol. 1

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Hagen

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Das sonore Heulen des nagelneuen Napir-Sabre-Motors vor mir ging übergangslos in ein polterndes Rumpeln über.
‘Kolbenfresser‘, dachte ich, ‘und das beim ersten Einsatz dieses Flugzeuges‘.
Obwohl ich vor Angst und Panik wie erstarrt war, nahm ich doch die Beschriftung der Instrumente vor mir wahr – und diese waren auf Englisch. Höhenangabe in Fuß, Drehzahl des Motors in rpm; - aber ich schien durch fremde Augen zu blicken, mit dem Gehirn eines anderen zu denken; - und dieses Gehirn dachte englisch.
Wirbelnde Gedanken in mir, Bilder tauchten auf; - riesige Panzer, die über alles rollten, was sich ihnen in den Weg stellte – und die ich mit diesem Flugzeug vernichten sollte.
Stattdessen duckte ich mich zusammen, meine rechte Hand um krampfte den runden Handgriff am Steuerknüppel und die Linke die kühle Metallkugel der Propellerverstelllung – aber waren das wirklich meine Hände?
Nein, es waren die Hände des Mannes, mit dessen Gehirn ich dachte. Dieses Gehirn nahm nun das polternde Geräusch vor mir wahr, die Augen, diese fremden Augen sahen, wie der Zeiger des Anzeigeinstrumentes für die Zylinderkopftemperatur gegen den Anschlag am Ende des roten Bereichs lief, wie die Drehzahl des sterbenden Motors langsam zusammenbrach…
Unter mir, nur wenige Meter, war Moor, ein Sumpfhuhn flatterte aufgeregt in einer flachen Kurve davon, und aus dem Moor erhob sich silberig-grau der Morgennebel.
Die Hand, die fremde, linke Hand, ließ die Kugel los, schob sich unter die Fliegerjacke und um krampfte ein Amulett, ein längliches, knotiges Stück Wurzelholz – und dieses Stück Holz begann warm zu werden…

Mein Schrei verhallte in dem kahlen Hotelzimmer.
Ich saß im Bett und meine verkrampfte rechte Hand umschloss ein zusammengedrehtes Stück Bettdecke wie einen Steuerknüppel – wie den Steuerknüppel eines Typhoon-Kampfflugzeuges aus dem zweiten Weltkrieg.
Doch meine linke Hand war heiß, sie lag unter der Pyjamajacke und hielt ein Amulett fest, ein Stück Wurzel einer Sumpfeiche.
In meiner linken Hand hatte sich eine Brandblase gebildet, als ich mich fertig angezogen hatte. Einige Biere unten in der Gastwirtschaft getrunken würden mich schon wieder schlafen lassen.
Stimmengewirr drang zu mir, als ich die schmale Treppe herunter stieg, kalter Tabakrauch schlug mir entgegen als ich den Schankraum betrat. Nur noch wenige Gäste waren dort, gestandene Moorbauern mit zerklüfteten Gesichtern und harten Händen; - Hände, die zupacken konnten an Arbeitsgeräten und Korngläsern.
Ich setzte mich zu ihnen und bestellte ein Bier. Ein schönes großes Bier und einen Korn dazu. Meine Hand tastete vorsichtig zu dem Amulett auf meiner Brust. Es war wieder kalt,
… und ich vermeinte die Stimme meiner Großmutter zu hören, als meine Fingerspitzen das Wurzelholz berührten:

‘Es wird dich nicht sterben lassen!
Wenn du in eine Situation gerätst, in der ein Mensch normalerweise stirbt, wird das Amulett warm werden und dich in eine totenähnliche Starre fallen lassen – vorausgesetzt, du befindest dich in einem geschlossenen Raum!
Die Starre wird anhalten, bis jemand den Raum öffnet.
Dein Großvater trug es dereinst – er wurde bei Verdun verschüttet; - und erst nach sieben Tagen fand man ihn und grub ihn aus – er hatte in einer totenähnlichen Starre überlebt.
Seine Kameraden, die mit ihm verschüttet waren, starben alle…‘

„Ihr Bier, mein Herr.“
Das von dem Wirt lieblos auf den Tresen geknallte Glas riss mich aus meinen Gedanken.
Bier. Der Magen vorher mit einem Korn angewärmt, meine Gedanken wurde wieder ruhiger, vereinzelt nahm ich Wortfetzen der Thekengespräche um mich herum wahr und begann den Alptraum mit Bier und Korn aus meinem Hirn zu spülen.
„Dort hinten, hinter der Baumgruppe ist er heruntergekommen, fast an der Stelle, wo der Ackerwagen vom Hansen damals innerhalb von fünf Minuten versunken ist… is einfach abgebuddelt, der Wagen…“
Der Mann hielt mitten in seiner Rede inne und sah mich an, hob sein Kornglas und kippte den Inhalt in einem Zug herunter.
„Wirklich! Ich hab ihn ’44 selbst gesehen, eine englische Typhoon, und sie war sofort im Moor verschwunden, der Pilot muss noch drin sein!“
Der Wirt unterbrach den Mann:
„Mensch Lühr, wir kennen die Geschichte alle! Immer wenn du einen im Timpen hast, quatschst du uns damit voll. – Und jetzt fängst du auch noch an, den Hotelgästen auf den Zwirn zu gehen. – Hier, trink noch einen Korn und geh nach Hause.“
„Nein, lassen sie man“, bat ich den Wirt, „das interessiert mich. – Geben sie dem Herrn noch ein Bier auf meine Rechnung. – Bitte erzählen sie mir mehr von dem Flugzeug im Moor.“
Ich wandte mich an den Mann, den der Wirt Lühr genannt hatte, hob mein Glas und prostete ihm zu.
Ein Lächeln umspielte das Gesicht des alten Mannes, ein glückliches Lächeln, und er begann von seiner großen Zeit und dem Flugzeug zu erzählen:
„…die haben auf die Straße hinter den Panzern geschossen, damit die Querschläger von unten in die Ölwanne gingen. Haben die ganz schnell rausgekriegt, die Burschen, die einzige ungepanzerte Stelle beim Tiger-Panzer, oder die Panzer mit Raketen geknackt. Da war natürlich nix zu machen, habe ich damals gewartet, die Tiger-Panzer, man das war der beste Panzer überhaupt, leider hatten wir zu wenig davon…“
Der Mann redete und redete, von Panzern und Flugzeugen, und wie sie „Vorsicht Typhoon!“ geschrien hatten und in Deckung gegangen waren, wenn sie das typische Heulen des Napir-Sabre-Motors vernommen hatten. „De het 24 Zylinder het. Aber dat Problem waren die hinteren Zylinder, die sind manchmal nicht richtig gekühlt worden.“ Schluck Bier. „Und schnell waren die! Wir konnten die Geschütze nicht so schnell ausrichten, weil die ganz tief ankamen. – Wenn die runtergekommenen sind, dann meistens wegen Schmierproblemen…“ Er nickte in eine unergründliche Ferne, „24 Zylinder schmieren, ist schon so eine Sache…“
Viele Episoden später ließ ich mich bierschwer ins Bett fallen, Bier und Korn taten ihre Wirkung und ein unruhiger, traumzerklüfteter Schlaf riss mich mit sich; - ich saß wieder im Cockpit der Typhoon Mk 1B. Ein nagelneues Flugzeug, es roch noch nach Lack und Farbe, aber die 24 Kolben polterten ungeschmiert und kraftlos durch den sterbenden Motor.
Für einen Absprung mit dem Fallschirm war ich zu tief, das Canopy ging nicht auf, ich konnte nur noch versuchen, das waidwunde Flugzeug an einer ebenen Stelle auf den Bauch zu legen.
Moor war unter mir, weiches, dunkles Moor, auf dem ein Bodennebel ruhte – weiß und ruhig wie ein Leichentuch.
Ich drängte meine Typhoon in eine lange Kurve auf die freie Fläche hinter einer Baumgruppe zu, zog den Notabwurf für die gläserne Haube über mir wieder und wieder, gab Klappen und wurde in den Gurten jäh nach vorne gerissen als das Flugzeug mit dem Ölkühler auf das Moor klatschte.
Einen Moment, einen winzigen Moment, nur wenige Atemzüge lang, blieb ich benommen sitzen. Ich hatte doch rein drillmäßig kurz vor der Bauchlandung den Abwurfmechanismus für das Canopy betätigt, aber das gläserne Halbrund wölbte sich noch immer über mir, und die Sonnenstrahlen spielten mit dem Qualm, der aus dem Motor aufstieg, malten Reflexe auf das Plexiglas und ließen mich in einen nie gekannten Fatalismus verfallen.
Wie durch eine halbtransparente Membran nahm ich wahr, wie das Flugzeug, mein Sarkophag aus Stahl, Aluminium und Leinwand langsam glucksend und schmatzend im Moor versank – wie das dunkle Moor langsam am Glas des Canopies empor kroch…
Das Amulett auf meiner Brust wurde wärmer und wärmer, die Dunkelheit um mich nahm zu, eine gelblich braune Dunkelheit nahm die Sonnenreflexe vom Glas des Canopies, und dann schlug das Moor über mir zusammen. Zwei Moorhälften schienen sich wenige Inches über mir zu umarmen. Das gelbliche Braun wurde zu einem weichen Schwarz, es wurde dunkler und härter und dann kroch Finsternis zu mir ins Cockpit.
Ich lehnte mich zurück und wartete – wartete bis eine totenähnliche Starre nach mir griff…

Mein Pyjama war schweißdurchtränkt als ich wieder mit einem Schrei hochfuhr. Das Amulett auf meiner Brust war heiß wie niemals zuvor, es war zwischen zwei Knöpfen durchgerutscht und lag außen auf dem feuchten Stoff – auf einem länglichen Brandfleck.
Ich duschte mir den Schweiß des Alptraumes vom Körper und legte mich nackt ins Bett, nur mit dem Amulett bekleidet, es ließ sich nicht abnehmen, weil der Verschluss klemmte.
Ich ließ es auf meiner Brust, ich hatte die Gewissheit dass es mir in dieser Nacht nicht mehr weh tun würde – und ich hatte das Gefühl, meinen Alptraum bewältigt zu haben.
Das Amulett würde mich morgen zu dem Flugzeug im Moor führen…

Als mich mein Reisewecker neben dem Bett aus dem Schlaf holte, sah ich als erstes die Reflexe der Sonnenstrahlen am Fenster – und die Reflexe kamen mir bekannt vor – Reflexe der Sonne über dem Moor – obwohl ich das erste Mal in diesem Leben in dieser Gegend war.
Ich hatte das Gefühl keine Sekunde geschlafen zu haben.

Das Moorwasser quatschte unter den geliehenen Gummistiefeln und die ebenfalls geliehene Schaufel lag ungewohnt in meiner Hand. Das Amulett auf meiner Brust verströmte Ruhe und Wärme, Wärme, die mir den Weg zu dem Flugzeug im Moor wies.
Der Nebel über dem Boden endete nur wenige Handbreit über der leise glucksenden Oberfläche aus gelblich-braunem Moorwasser, aus dem vereinzelt Grassoden ragten. Einige Schachtelhalme reckten sich aus dem milchig wabernden Weiß des Bodennebels und die Krüppelkiefern vor mir schienen direkt aus dem Nebel zu wachsen. Die Sonne hatte sich hinter Schlieren aus grau-hellen Wolken verzogen und spendete nur mattes, kraftloses Licht.
Ein mir unbekannter Vogel erhob sich von einer Grassode dicht vor mir, stieß einen anklagenden Schrei aus und tauchte wieder in den trägen Nebel ab.
Ich blieb einen Atemzug stehen und lauschte auf mein Amulett.
Irgendwo, dicht unter mir schien eine Seele zu erwachen, eine Seele, die lange Zeit geruht hatte; - meine Seele…
Es gab meine Seele vorübergehend zweimal – das hätte nicht passieren dürfen, nicht sein können; - aber es war geschehen…
Die Wärme ausmeinem Amulett steigerte sich, die Wurzel wurde heiß und als ich die Schaufel in den Boden stieß, gab es einen metallischen Klang…

Ich fand langsam wieder zu mir, als ein gedämpfter Ton durch mein Flugzeug kroch, ein Ton, als ob ein Stück Stahl gegen die Aluminiumhaut meines Flugzeuges gestoßen wäre, von trübem, dickflüssigem Moorwasser gedämpft…
Und dann verspürte ich Schritte auf dem Rumpfrücken meines Flugzeugs, etwas scharrte über das Plexiglas des Canopies, nahm das träge Moor mit sich und ließ das matte, fahle Sonnenlicht herein.
Geblendet schloss ich die Augen, und als ich sie wieder öffnete, sah ich zuerst die korrodierten Instrumente vor mir, und dann eine Hand, die sich an dem Außenöffner des Canopies zu schaffen machte. Ich wartete bis sich das gläserne Halbrund knirschend geöffnet hatte und richtete mich dann langsam auf.
Ich sah zuerst Gummistiefel, eine Anzughose, eine Jacke und blickte schließlich in eine Gesicht; - mein Gesicht…
Der Mann mit den Gummistiefeln und meinem Gesicht sagte etwas auf Deutsch zu mir, ich verstand ihn nicht.
Langsam, ganz langsam stieg ich aus dem Flugzeug, ging zu ihm, legte meine Hände um seinen Hals und drückte zu…
Dass der Krieg schon lange zuende war, konnte ich nicht wissen; - aber meine Seele hatte ich wieder für mich allein
wenn nur diese Alpträume nicht wären…
 
U

USch

Gast
Hallo Hagen,
eine sehr kreative Geschichte, die ich gern gelesen habe. Ich würde noch mal rübergehen und einige Dopplungen wie z.B.
Ich saß im Bett und meine verkrampfte rechte Hand umschloss ein zusammengedrehtes Stück Bettdecke wie einen Steuerknüppel – wie den [strike][red]Steuerknüppel [/red][/strike]eines Typhoon-Kampfflugzeuges aus dem zweiten Weltkrieg.
Da sind noch einige Wortwiederholungen innerhalb von zwei aufeinanderfolgenden Sätzen.

Stattdessen duckte ich mich zusammen, meine rechte Hand [red]um krampfte [/red]den runden Handgriff am Steuerknüppel und die Linke die kühle Metallkugel der Propellerverstelllung – aber waren das wirklich meine Hände?
umkrampfte wird zusammen geschrieben. Aber das sind nur Kleinigkeiten. Die nächsten Teile werde ich später mal lesen, denn die sind ja auch recht lang.
LG Uwe
 

Hagen

Mitglied
Hallo Usch,

das mit den Wortwiederholungen war gewollt, gekennzeichnet durch den Bindestrich.
Als Du 'um krampfte' beanstandet hast, kamst Du mir vor, wie eine Realschullehrerin, zu der es zu nichts anderem reicht, als auf Flüchtigkeitsfehlern herumzu reiten. Ich hoffe, Du hast das Wort trotzdem erkannt; - meine Standardantwort.

Trotzdem Danke für Deinen ansonsten positiven Kommentar.
Wir sprechen uns wieder, wenn Du das andere auch gelesen haben solltest.
Ich denke, Du wirst auf Deine Kosten kommen!

In diesem Sinne
Yours Hagen


_________
Nichts endet wie geplant!
 
U

USch

Gast
Hallo Hagen,
nichts für ungut. Also du willst keine "Rechtschreib"belehrungen (o.k. werde ich dann lassen), du armer Lehrerinnengeschädigter. Hast wohl nicht so gute Erfahrungen mit der Schule gemacht. Ich übrigens als Schüler auch nicht. Natürlich kann ich das mit deiner Abneigung auch als Erwachsener nachvollziehen, denn ich kenne viele solcher Lehrdamen, aber auch -herren, habe auch schon mit welchen zusammengelebt (Damen). Aber so pauschal würde ich es nicht sehen. Als Lehrer oder Lehrerin hat man halt den Job, den Schülern etwas beizubringen und sie gleichzeitig zu kontrollieren. Das färbt dann leicht mal ins Privatleben ab. Aber es stimmt, nervt manchmal.
Doch hier in der LL wird auch Wert auf Rechtschreibung gesetzt. Eine Geschichte muß gut sein in Inhalt [blue]und [/blue]Form.
Es sind noch mehrere Wiederholungen von Wörtern innerhalb von zwei Sätzen im Text. Da würde ich an deiner Stelle noch einmal durchgucken (ich hab´jetzt nicht die Zeit dafür) und gegebenenfalls Synonyme einsetzen. In dem Kommentar-Beispiel von mir mag es wohl noch angehen, das mit dem Bindstrich, wo du bewusst das wolltest.
Dir einen schönen Tag und liebe Grüße
Uwe
 



 
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