Das Flugzeug im Moor Vol 2

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Hagen

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Nicht dass ich irgendwie baggern wollte, aber ich stellte es mir schon interessant vor, eine Frau kennenzulernen, die mich in der Leselupe persönlich auf den Online Nachrichten angeschrieben hatte, wegen des Flugzeugs im Moor, und mir sogar ihre Telefonnummer mitgeteilt hatte. Es folgte der richtige Name, sie hieß Myra, und die Adresse und ob ich nicht mal vorbeikommen wollte, bei einer Tasse Tee über Literatur, speziell über das ‘Flugzeug im Moor‘ plaudern, sagen wir heute Abend um acht, du wohnst ja nicht sooo weit weg?
„Ja, das passt mir. Klar heute um acht.“
„Fein“, sagte Myra, „ich freue mich drauf.“
Ich war gerade vom Job nach Hause gekommen, hatte schon geduscht und freute mich drauf, mit meinen Kumpels Billard zu spielen. Aber da Herzensangelegenheiten und Literatur grundsätzlich Vorrang haben, fuhr ich doch los, zu Myra, es waren ja nur hundertzwanzig Kilometer. Unterwegs besorgte ich noch schnell einen Strauß langstieliger Rosen und war pünktlich um acht bei Myra.
Myra bat mir herein und noch einen Moment zu warten, sie musste die Rosen noch ins Wasser stellen.
Ein hübsches Wohnzimmer hatte sie, harmonisch mit Pflanzen, exotischen Möbeln und zwei liebenswürdigen Katzen, die so taten, als würden sie mich und den anderen Sympathieträger, der auf der Récamière saß, obwohl genügend Sessel und Stühle vorhanden waren, und in einem Frauenmagazin blätterte, in ihrer Welt dulden.
Egal, aber gut sah er aus, solargebräunt wie eins der Models, die sich nicht schämen, für Herrenparfums, Waschpulver oder gar Weichspüler Werbung zu machen; - zudem stand ein deutlich prächtigerer Blumenstraß als die Rosen von mir auf dem Tisch.
Myra kam wieder rein, stellte meine Rosen dazu, meinte, wir sollten uns doch ein wenig unterhalten, und fragte, ob wir Pizza essen würden, sie hätte den Ofen schon vorgeheizt.
„Für mich bitte ohne Fleisch“, der andere legte das Magazin zur Seite, „du weißt, ich bin Vegetarier!“
„Ich esse alles, was von dir kommt“, sagte ich, „sogar Gummibärchen.“
Myra lachte und verschwand wieder in der Küche.
Na, gut, wir stellten uns artig vor, er hieß Bukowski und ich fragte ihn, ob er mit dem Schriftsteller Charles Bukowski verwandt sei.
„Häh? Kenn‘ ich nicht.“
Vegetarier war er auch noch und er hatte sich ausgerechnet auf die Récamière gesetzt! Wie kam der Kerl bloß auf den Bolzen, sich auf ein Möbelstück zu setzen, das grundsätzlich nur feinen Damen vorbehalten ist?
Egal. Wir schwiegen eine Weile vor uns hin und dann wollte Bukowski wissen, wie ich Myra denn kennengelernt hatte.
„Tja“, sagte ich gedehnt, „ich hab mal an der Uni gearbeitet…“
„Als was denn? Professor? Für was?“
Bukowski machte ein interessiertes Gesicht. Ich wollte ihn nicht unbedingt verarschen, ich fühlte mich nur herausgefordert, mir schnell eine möglichst originelle Geschichte ausdenken zu müssen.
„Wieso Professor? Ich hab das gebrauchte Geschirr in der Mensa zurückgenommen…“, Bukowski fielen die Gesichtszüge auseinander, „…da sind wir uns dann einmal am Tag begegnet, die Myra und ich. – Naja, sie hinterließ mir eines Tages ihre Telefonnummer auf dem gebrauchten Teller; - aus Nudeln geformt, es gab Spagetti Bolognese den Tag, wenn ich mich nicht irre, oder waren es Tagliatelle Tonno?“
Bukowski fand das gar nicht lustig, er merkte auch nichts, „und was machen sie jetzt?“
„Ich arbeite an einem sozialkritischen Roman. – Es geht darum, dass sich eine Comtesse in den Nassbaggerbetreiber verliebt, der den Schlossgraben soweit auszutiefen hat, dass der Herr Baron darauf für das jährliche Schnellbootrennen trainieren kann. – Gar nicht so einfach, das Ganze!“
„Ich lese ja nicht. Irgendwann wir das ja wohl mal verfilmt werden, wenn nicht, dann taugt es sowieso nichts. Ich gucke es mir dann im Fernsehen an. – Ich bin ja Friseur. – Damenfriseur.“
„Ah, toll. Dann sind sie also in der Lage, jeder Frau die entsprechende Frisur zu kreieren, die ihre Persönlichkeit unterstreicht?“
„Was? – Nein, sowas machen wir nicht! Wir kriegen vom Verband immer die jeweiligen Trendfrisuren vorgegeben und die schneiden wir der Kundschaft dann, wenn sie es wünscht. – Ich kann doch nicht einfache einer Kundin eine Frisur machen, die es gar nicht gibt, sowas geht doch nicht!“
„Ich dachte immer, sowas macht einen guten Friseur aus.“
„Das ist ganz falsch! Ein guter Friseur kann die jeweilige Modefrisur perfekt schneiden, Ich habe mal den dritten Platz bei Sommerfrisuren belegt.“
Bukowski erwartete offensichtlich Begeisterung.
„Ah, guck an. Sie machen also das nach, was sich andere Leute ausdenken. Befriedigt sie das eigentlich?“
„So müssen sie das nicht sehen!“
„Das müssen sie schon mir überlassen, wie ich das sehe! Ich werde eines Tages mal sterben müssen, das ist alles, was ich muss!“
Glücklicherweise kam Myra mit den Pizzas rein.
„Na, habt ihr euch ein bisschen angefreundet?“ Sie verteilte die Pizzas auf dem Tisch, „dann können wir beim Essen ja mal ein bisschen über Literatur reden.“
Bukowski verließ die Récamière und setzte sich auf einen Stuhl, Myra nahm Platz und ich auch. Duftete lecker, die Pizza, noch ein wenig mit Schinken und Käse angereichert, für sich hatte sie Pizza Hawaii gemacht und für Bukowski irgendwas Grässliches mit Spinat und Oliven.
Bukowski legte gleich los, während ich die Pizza ausgiebig lobte. Myra schenkte mir einen dankbaren Blick und meinte:
„Also, das mit dem Flugzeug im Moor hat mich irgendwie fasziniert. – Kann es die Seele wirklich zweimal geben?“
Wieder mal ging Bukowski dazwischen:
„Das sind doch nur ausgedachte Geschichten, die taugen sowieso nichts! Die besten Geschichten schreibt das Leben selbst. Auf RTL II laufen immer so Serien, die Episoden aus dem wahren Leben zeigen…“ er begann übergangslos von den Schwierigkeiten zu erzählen, bestimmte Haartypen zu föhnen, gab mir gute Ratschläge, was meine Frisur betraf, „völlig neben dem Trend…“ und wollte schließlich wissen, was ich denn für ein Schampon benutze.
Als ich ihm die Marke nicht nennen konnte, war er entsetzt und der Ansicht, dass die Wahl des richtigen Schampons das wichtigste überhaupt sei.
„Es gibt nichts schlimmeres als ein falsches Schampon“, sagt er mit erstem Gesicht.
„Finde ich nicht! Für mich gibt es nichts schlimmeres, als ein hängendes Billard.“
„Na, ich spiele ja eigentlich mehr Tennis, der weiße Sport, wenn sie verstehen, was ich damit meine?“
Ich wollte gerade erzählen, dass Billard ein Präzisionssport ist, was tennisspielende Grobmotoriker nicht verstehen, als Myra diesmal dazwischen ging. Sie erzählte etwas von sich und wir lauschten andächtig.
Maskenbildnerin war sie, geschieden von einem Alkoholiker; - und sie hatte die Absicht, zwei Liebhaber zu haben, ganz offiziell. Sie hatte gehofft, dass wir uns ein wenig anfreunden würden. Mich wegen meiner sensiblen Geschichten und Bukowski, weil sie ihn schon länger kannte.
„Ach was“, sagte ich und aß weiter, nach außen hin völlig unbeeindruckt, während Bukowski mit seinem Besteck auf dem Teller rumklirrte und der Ansicht war, dass Myra sich doch lieber für einen entscheiden sollte, er würde ihre Entscheidung ganz bestimmt respektieren.
Da überließ dieser Friseur doch tatsächlich jemand anderem eine Entscheidung über sich; - und dazu noch einer Frau!
Ich tat so, als wäre ich dem nicht abgeneigt. Wenn ein Mann sich entschließt, zwei Geliebte zu haben, ist das in Ordnung, vorausgesetzt er kann sie finanzieren. Oder zwei Freunde teilen sich eine Geliebte, ging das ebenfalls klar; - aus Sicht und Entscheidung das Mannes jedenfalls. Das gleiche Recht muss man natürlich auch einer Frau zugestehen; - ich würde mich allerdings niemals mit einem Typen anfreunden, der seine Berufung darin sieht, irgendwelchen Frauen die Haare zu frisieren.
In keinem und keinstem Fall!
„Eine etwas ungewöhnliche Situation“, bemerkte ich, „wir werden sehen! - Aber erwarte bitte keine Begeisterung! – Du willst doch keine ménage à trois, meine Liebe, oder? - Dann allerdings ohne mich.“
Bukowski wollte natürlich sofort wissen, was das denn ist, eine ‘ménage à trois’. Myra lächelte geheimnisvoll, sagte aber nichts.
„Dann sollten wir“, sagte ich, „zumindest was den heutigen Abend betrifft, zu einer Entscheidung kommen! Wie wär‘s denn, mein Lieber, wenn wir am Billard austragen, wer heute Nacht bei Myra bleibt, so richtig unter Männern; - anstatt des üblichen Einsatzes…“
„So schnell hatte ich mir das eigentlich nicht vorgestellt“, sagte Myra.
„Nicht?“ fragte ich, und Bukowski meinte, dass er nicht Billard spielen könne, und er es auch nicht täte, bei dem Einsatz.
“Wir können natürlich auch zu See gehen und uns duellieren. Hübsch ist das immer im Morgengrauen. Mit Pistolen auf zwanzig Schritte“, sagte ich mit mildem Lächeln.
„Das ist aber verboten“; sagte Bukowski ernsten Gesichtes, „und außerdem haben wir keine Pistolen.“
„Die besorge ich! Kein Problem. – Also ich finde ein Duell im Morgengrauen, zumal wenn es um eine schöne Frau geht, sehr romantisch.“
„Was ist denn daran romantisch, sich totzuschießen? Ich bin gegen Gewalt, deshalb werde ich auch nicht schießen! – Außerdem ist das verboten!“
„Ach du Scheiße! Ein Mann entscheidet selbst, was für ihn verboten ist! Dafür brauchen wir keine Paragraphenreiter. - Was sind sie fremdbestimmt, Bukowski!“
„Was? – Naja egal. – Ein Duell kommt jedenfalls für mich nicht in Frage! – Wir können ja Streichhölzer ziehen, oder einen Groschen werfen“, schlug Bukowski vor, und sah Myra an.
Die entschied sich, allerdings seufzend, für Streichhölzer ziehen.
„Ich hatte gehofft, dass ihr euch etwas anfreundet“, stöhnte sie und holte Streichhölzer.
Ach Myra, das hätte ich wirklich nicht von dir erwartet!
Den Weichspüler nach Hause schicken, du hingegossen auf der Récamière, ein wenig über Literatur plaudern und dann mal sehen, was sich noch so tut…
Aber Myra fummelte ein wenig hinter dem Rücken herum und hielt mir ihre rechte Hand mit zwei Streichhölzern entgegen.
„Das ist aber nichts Endgültiges! – Wer das kürzere Streichholz zieht gewinnt“, fuhr Myra mit rauchiger Stimme fort.
Ein Holz steckte etwas tiefer hinter ihrem Zeigefinger.
Sicher eine Falle!
Oder nur Zufall?
Ich zog das andere, und das war das Längere.
Bukowski grinste wie ein Stachelschwein.
War da nicht eben eine Spur Trauer um Myras Augen?
Aber die Entscheidung war gefallen, ich hatte mal wieder voll danebengegriffen!
„Tja“, sagte ich, „dann gehe ich mal. – Danke für die Pizza.“
„Moment, ich bringe dich eben noch mal zu Tür. – Ich hab das kurze etwas tiefer gesteckt“, sagte Myra leise als sie mich zur Tür brachte, „aber das mit dem Duell fand ich schon faszinierend…“
Sie küsste mich ausgiebig und mit massivem Zungeneinsatz, „und ich werde nicht mit Herrn Bukowski schlafen“, murmelte sie, „und außerdem habe ich das Gefühl, dass wir dem Flugzeug im Moor nochmal begegnen werden…“
 



 
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