Das Foto

Ich war auf die Vernissage eines Künstlerkollegen eingeladen worden, der ich unwillig Folge leistete. Meine Versuche, die Einladung auszuschlagen, waren nicht erfolgreich gewesen. Mein Bekannter hatte mich nach meiner ersten Absage mit Nachrichten und Anrufen so lange genervt, bis ich endlich aufgab und zusagte.

Wir pflegten eine sehr offene Kommunikation und so wunderte es mich nicht, dass er mir nach meiner zweiten Absage schon offenlegte, warum er mich unbedingt dabei haben wollte: „Ich erhoffe mir von Deiner Anwesenheit diese gewisse Form verruchter Publicity, wie nur du sie mir verschaffen kannst“. Ich antwortete nicht, ließ eine lange Pause entstehen, die er offenbar mit einer Vertiefung seiner Ausführung beenden wollte: „..komm schon, wenn der Lieblingsaktfotograf von Daphne Rimbling kommt, dann kommt auch dieses ganze junge Hipsterpublikum, die gar nicht warten können das Geld ihrer Valium-Oberschicht-Mamas für echte Kunst auszugeben“.

„Dir gehts also nur ums Geld?“ Ich ließ erneut eine künstliche Pause entstehen und seufzte dann völlig überzogen: „okay. Das kann ich verstehen. Ich mache es nur, weil Du mich ab und zu mit Jenna schlafen läßt“. Schockierte Stille am anderen Ende. „Das war ein Scherz EEvil, nur ein Scherz“. Edmund-Egon-Valentin, den wir alle nur EEvil nannten und der seine künstlerische Laufbahn wie wir anderen eher auf dem zweiten Bildungsweg, dem Weg der Straße, entdeckt hatte, keuchte erleichtert: „Hast du wirklich gedacht, ich würde mit deiner Transen-Freundin schlafen und es dir erzählen?“. Ich lachte ein letztes Mal laut auf und grummelte dann ins Handy „Also gut du Nervensäge. Ich komme. Bin heute Abend dabei. Aber ich bleib nur auf ein paar lobende Worte und einen Absinth“.

„Danke, Mann. Du bist ein echter Freund. Nicht so eine Konkurrenzkacke bei Dir. Find ich prima Dio. Vielen Dank!“ Ich nickte und legte auf und schob mir eine reife dunkelrote Kirsche vom Markt frisch aus der Papiertüte in den Mund. Im Grunde hatte EEvil meine volle Unterstützung verdient. Er und Jenna, eine sehr sinnliche junge Frau, die im Körper eines Jungen geboren worden war und sich nach und nach durch die Hormontherapie auch körperlich zu einem weiblichen Wesen hin entwickelte, hatten mich mehr als einmal aus irgend einer dunklen Kaschemme gezogen, als ich im Vollrausch von irgend einer Theke getorkelt war. Vordergründig ging es mir natürlich immer nur darum, neue Models für meine Aktfotografien zu suchen. Warum diese Suche immer besoffen in den Armen fremder Frauen endete, war mir damals egal. Ich wußte, wenn ich nicht mehr konnte, konnte ich immer noch EEvil und Jenna anrufen und die beiden würden schon kommen oder jemand schicken, der sich kümmerte.

Von daher war es für mich auch selbstverständlich, dass ich EEvil und seine abstrakte Malerei mitzog, als meine Fotos von einem jungen, aber wie ich später erfahren sollte, extrem erfolgreichen und bekannten YouTube-Sternchen entdeckt und gehypt worden waren. Eines Tages trudelte eine Email von einer gewissen Daphne Rimbling ein. Sie war recht kurz:

„Hi Dionysos, hab ein Foto von Dir bei einer Freundin gesehen und bin total begeistert. Ich will unbedingt, dass Du mich auch fotografierst. Ruf mich bitte mal an, um einen Termin zu vereinbaren. Xoxo Daphne Rimbling“.

Da ich zu dieser Zeit nichts besseres zu tun hatte und vom Erbe meines verstorbenen Großvaters Hamza-Dionysos mehr als auskömmlich leben konnte rief ich sie am nächsten Tag zurück. Von ihrem schwulen Manager, der den Hörer abnahm, erfuhr ich in einem nicht enden wollenden Monolog, dass Daphne eine der erfolgreichsten Youtuberinnen und Influencer in Deutschland sei und das jetzt die Chance auch für mich bestehen könnte, endlich etwas aus meinem sinnlosen Leben zu machen. Im Schatten von Daphne, die man wirklich, wirklich nur als Naturgewalt, als Genie, als "eine unter Millionen" bezeichnen konnte, so erfolgreich sei sie mit ihren 23 Jahren schon jetzt, würde jedes Unkraut wachsen und zu einer schönen Blume gedeihen können. Er selber habe das am eigenen Leib erlebt. Bevor er in den Dunstkreis von Daphne Rimbling aufgenommen worden sei, sei sein Leben nicht viel Wert gewesen, er selber nur ein Unbekannter, total unsicherer Schwuler voller Angst ein verspießtes Leben als Steuerfachangestellter führen zu müssen.

„Kommen Sie aber ja pünktlich Morgen dann zum Termin. Daphne hasst Unpünktlichkeit“ herrschte er mir noch entgegen, als wir uns verabschiedeten.

Ich hatte eingewilligt einen ersten Kennenlerntermin in der Villa der Influencerin in Berlin wahrzunehmen. Daphne, so erklärte mir ihr Manager, wolle immer gerne schnell die Dinge erledigt haben und um den Job für das Fotoshooting zu bekommen, müsste ich schon morgen in Berlin auf der Matte stehen. Eigentlich hatte ich ganz andere Pläne, denn morgen war der erste Samstag im Monat und zu dieser Zeit lud ich immer eine Gruppe ähnlich erfolgloser Junggesellen, die ich teilweise noch aus der Schule und dem Studium kannte, in meine Porzer WG ein, denn am ersten Samstag eines jeden Monats tagten schon seit Urzeiten „die Herren des ominösen Samstag“, verbrachten den Abend mit Wein, Musik, guter Salami und französischem Käse und immer einem Thema, das sich der Teilnehmer, der gerade an der Reihe war, aussuchen konnte.

Morgen war ich eigentlich an der Reihe gewesen und mein Thema hätte „die Zeit“ gelautet. Aufgrund der Verpflichtungen unserer Mitglieder hatten die Herren vom ominösen Samstag natürlich eine Regelung für solche Kollisionsprobleme. Diese wurde auch in meinem Fall angewendet und so würde die Runde dieses Mal ohne mich tagen. Vermutlich hatten sie sich bereits zum gemeinsamen Kochen getroffen, als ich samstags morgens in den Zug nach Berlin gestiegen war.

Sodann begann ich zunächst einmal meine Auftraggeberin zu recherchieren. Zunächst hatte Ich bei ihrem Künstlernamen an ein drittklassiges Pornosternchen gedacht. Schnell wurde mir aber klar, dass Frau Rimbling mit ihren gerade einmal 22 oder 23 Jahren schon ein kleines Imperium aufgebaut hatte: Erfolgreiche Influencerin für Reizwäsche, Aufbau einer Intimenthaarungskosmetiklinie, Investition in Immobilien, ein Blog über Ästhetik, Lust und Luxus.

„Interessant“ säuselte ich, während ich mir eine getrocknete Kirsche in den Mund fallen ließ und natürlich witterte ich sofort meine Chance auf einen „Breakthrough“ wie man in der Kunstbranche gerne sagte. Ich selber stammte ja ursprünglich nicht aus der Kunstszene, sondern war eher durch Zufall dort hineingerutscht. Nach dem Studium der Psychologie war mein von mir heiß geliebter Großvater, der Kölner Industrielle Hamza Dionysos von Enno im Alter von 101 Jahren in einem luxuriösen Altersheim gestorben, während er sich von seiner Krankenschwester sprichwörtlich zu Tode reiten ließ. Zu meiner anfänglich größten Freude hatte er mit dem Großteil seines Vermögens, den er bereits zu Lebzeiten in mehrere Stiftungen eingebracht hatte, seinen Lieblingsenkel Dionysos, der ja auch nach ihm benannt worden war, bedacht. Für mich bedeutete das, dass ich nie wieder würde anständig arbeiten müssen, was ich fortan auch nicht mehr tat. Statt dessen begann ich all die Dinge auszuprobieren, die mir einmal als Kind gefallen hatten. Schnell begann ich mich der Fotografie zuzuwenden. Meine Liebe zu allen Körperlichkeiten wies mir dann zielsicher den Weg zur Aktfotografie und hier, unter nackten Leibern alle auf gewisse Weise gleich und auf gewisse Weise einzigartig, fühlte ich mich mit meinem ästhetischen Empfinden angemessen abgegolten. So begann mein Einstieg in das Leben eines wahren Hedonisten.

Irgendwann auf dem Weg musste ich -mehr breit als nüchtern- auch die beste Freundin der besagten Influencerin Daphne Rimbling, abgelichtet haben und hatte beiden offenbar so sehr imponiert, dass sich die Freundin nun auch ein Werk des Künstlers wünschte.

Zufrieden ließ ich mich im Sitz zurückgleiten und lächelte versonnen aus dem Fenster: Was gab es denn schöneres, als dass ein 22jähriges Mädchen die Kunst eines Mittvierzigjährigen noch so attraktiv fand, dass sie ihn zu sich anreisen ließ, um die Pläne für ein -finanziell nicht gerade günstiges- Projekt zu besprechen.

„Der Preis spielt keine Rolle“, hatte mir der schwule Padawan am Ende der Leitung noch zugesäuselt und ich verabschiedete mich mit einem gekonnt-diskreten: „selbstverständlich“.

Ich nahm die S-Bahn nach Zehlendorf und stand bald schon vor der durchaus beeindruckenden Villa der Influencerin.

„Hi, ich bin Daphne. Cool, dass das du kommen konntest. Wir können doch DU sagen ?“

„Klar, ich bin Dionysos“

„Krasser Name. Ist das Rumänisch ?“

„Griechisch“, sagte ich

„Voll krass. Ich kam nur drauf, weil wir rumänische Gärtner hier beschäftigt haben. Kommst du denn aus Rumänien ?“

„Nein. Aus Köln“

„Cool. In Köln war ich schon ein paar Mal zu Drehs. Ne krass gechillte Stadt.“

Ich musste lachen

Wir ließen uns in ihrem Wohnzimmer nieder und sie kam auch recht schnell zur Sache, wie man es von einer umtriebigen, erfahrenen Geschäftsfrau erwartet hätte und nicht von einem Twen.

„Du ich muss dir was gestehen. Ich steh voll auf deine Kunst, auf die Fotos die du von Zoe und ihrem Ochsenfrosch Twiggy gemacht hast.. Oder sagt man da jetzt Ochsenfröschin.. hmm…egal jedenfalls die sind so.. so ..gechillt.. ne nicht gechillt.. die sind irgendwie weird.. ein bisschen cringe auch.. total intensiv… MEGA intensiv! Ich will dass du mich auch fotografierst ! Hier“ und dabei zeigte sie auf eine große schneeweiße Wand: „..hier will ich das Foto aufhängen: ich seh den Rahmen schon vor mir. Mega! Knallrot ! Ne Kussmundrot! Da kommt so eine Ausstrahlung rüber von deinem Foto. Sowas will ich auch. Das ist so eine Ausstrahlung.. so…Alive!“

„Alive?“ fragte ich

„Alive.. Ja klar.. lebendig. Mega Alive! Auf dem Fotos sieht selbst Twiggy aus wie eine frisch geschlüpfte Froschgöttin“

„Hmm“ machte ich: „so ein großes Foto braucht viel Arbeit, viel Geduld, viel Hingabe“

Sie nickte und steckte sich eine Zigarette an und hielt mir die Packung hin

Ich schüttelte den Kopf: „Nein danke.. hab schon lange aufgehört“.

"Hingabe kann ich“, kicherte sie neckisch, warf den Kopf zurück und blies einen kleinen Kringel in die Luft, als es plötzlich an der Tür klopfte.

Sie warf den Kopf wieder nach vorne und protestierte sichtlich: "Echt jetzt ? Oh mann Louis, ich hatte dir doch gesagt keine Störung! Ich arbeite hier mit einem Künstler an meinem Im.."

Das letzte Wort blieb ihr sichtlich im Halse stecken, als die Tür sich öffnete und ein furchtbar nervöser Assistent mit erhobenen Händen voran das Zimmer betrat gefolgt von drei vermummten Gestalten, die allesamt Helmut Kohl Masken trugen.

Der größte der Vermummten hielt eine Pistole geradewegs in den Rücken des sichtlich verstörten Assistenten während die anderen beiden sich etwas unbeholfen umschauten. Dann endlich sprach einer von ihnen und es hörte sich so an, als habe er sich vorher einen Tischtennisball in den Mund gestopft. Die Dämpfung durch die Maske machte die ganze Sentenz ungewollt komisch, fast schon lächerlich als er tatsächlich sagte: "Dach icht kein Überchall. Dach icht eine Geichelnahme. Kleiben Chie ruhig, kann chird ihnen nixxts Kekehen."

Während die anderen wie erstarrt in ihren Sitzen festklebten wußte ich, der schon viele Kneipengänge aus dem berüchtigten Köln-Kalk zur tiefsten Nachtzeit mitten in die City überlebt hatte, dass man niemals, aber wirklich niemals in das Auto eines Entführers einsteigen durfte. Man musste seine Chance, die einzige Chance die man überhaupt hatte, nutzen. Wenn man einmal auf den Rücksitz eingestiegen war, auf den Rücksitz, wo es keine Türen mehr gab, auf den Rücksitz wo die Türen verschlossen worden waren, auf den Rücksitz, wo die Fenster aus Blei waren, die Türgriffe aus Knete, war man verloren. Dann läuft es immer nach demselben Schema: Ted Bundy, Edmund Kemper, John Wayne Gacie: Erst vergewaltigen sie dich, dann töten sie dich ! Oder sie fressen dich gleich bei lebendigem Leibe auf: Jeffrey Dahmer!

Wie ein junger Panther sprang ich aus dem großen Sessel, der kußmundroten Lippen nachempfunden worden war, auf, in einer Eleganz, die es geradewegs so aussehen ließ, als habe eben dieser überdimensionale Mund ganz lässig bloß einen Kirschkern ausgespuckt und dabei „Love me Tender“ gesungen, also mit einer derartigen Grazie, als sei hier nicht ein drittklassiger Aktfotograf in einer im Schritt deutlich zu engen, pechschwarzen Slimfit-Jeans aufgesprungen -die dabei bedenklich gespannt worden war- sondern ein leibhaftiger Spiderman einem Marvel-Comic entstiegen!

Aus dem Augenwinkel konnte ich erkennen, dass die Geiselnehmer offensichtlich nicht damit gerechnet hatten, auf Gegenwehr zu stoßen. Helmut Kohl 1 und Helmut Kohl 2 sprangen nervös etwas nach vorne und Helmut Kohl 3, der auch den Tischtennisball im Mund zu haben schien, versuchte mir auszuweichen, indem er in die Knie ging und die Waffe bedrohlich in meine Richtung schwenkte. Dabei wuchtete er seinen gigantischen, fetten Körper, der in einem lächerlich engen Blaumann steckte, in einer beeindruckenden Halbdrehung um den vor ihm stehenden Eileen-Grey-Tisch und gab einen Laut von sich, der an das Husten eines Nilpferdes erinnerte.

Mit Nilpferden hatte ich als Kind schlechte Erfahrungen gemacht, weswegen mich der Schrei für einen kurzen Moment aus der Konzentration riß und bewirkte, dass ich -entgegen meines vorherigen Planes -den mitten im Raum stehenden stark gepolsterten Sybian der Influencerin als Sprungkraftverstärker zu nutzen, was ich besser getan hätte- auf den roten Teppich daneben auswich, welcher bedauerlicherweise nicht mit einem Teppichstopper untersetzt war, was nun dazu führte dass ich ins Trudeln geriet und meinen Karatesprung nicht vollenden konnte. Statt dessen krachte ich geradewegs in Helmut Kohl 1, riß diesen mit mir um und landete sodann so heftig auf dem Rücken, daß mir der Atem versagte und mein Bewusstsein erlosch.

Ich kam zu mir auf der Couch liegend, auf der mir die Influencerin eben noch gegenüber gesessen hatte, allerdings nun mit Seidenschals an Händen und Füßen gefesselt. Beim Anblick der Schals musste ich seufzen, weil ich unweigerlich an meine Romanze mit der wunderbaren Seidenschalbändigerin Zeynep K. Aus Köln Bayenthal denken musste .. und all die schönen Fotos! Doch dies ist eine andere Geschichte und muss ein anderes Mal erzählt werden.

Die Anwesenheit gleich dreier Helmut Kohls, von denen einer zwar nicht bis an die Zähne, aber immerhin mal grundsätzlich bewaffnet war, riß mich schnell wieder zurück in die bedrohliche Gegenwart. Neben mir saßen die ebenfalls gefesselte Daphne und ihr Diener Louis. Daphne diskutierte ziemlich wütend und aufgebracht mit Helmut Kohl 3, den man immer noch nicht verstehen konnte. Zwischenzeitlich war Helmut Kohl 1 offensichtlich aufgewacht und ich staunte nicht schlecht, als ich ein junges Mädchen erblickte, das eine zerrissene Helmut Kohl Maske in Händen hielt. Die kleine hatte raspelkurze, weißblonde Haare, einen fetten Nasenring und ziemlich viele Tattoos.

„Ich versteh kein Wort du Fettsack“, hörte ich Daphne schreien: „Nimm die verdammte Maske ab du fette Sau, sonst versteht Dich doch keiner!“

„Ey, kein Body-Shaming!“ protestierte die demaskierte Helmut Kohl 1, wurde aber von einer sichtlich wütenden Daphne niedergebrüllt. Louis hatte sich sitzend in sich selbst zusammengerollt und winselte ängstlich vor sich hin.

„Essssch chippt cheinen Chrunt für Beleichichunchen!“ Tönte es aus Helmut Kohl 3 heraus, der nun hektisch mit den Händen über seinem dicken Bauch gestikulierte. Dabei kam ihm immer wieder der viel zu kleine Blaumann in den Weg.

„Alter“ brüllte die Influencerin: „Alter merkst du was ? Man versteht kein Wort! Außerdem hat die Betty da gar keine Maske mehr auf! Wir können euch auch so identifizieren. Wenn Du was willst, nimm die scheiß Maske ab und rede normal mit uns. Man kann doch über alles sprechen, aber verständlich sprechen sollte man schon!“

„Ey ich heiß nicht Betty, klar Tussi“, schnauzte Helmut Kohl 1 und erhob drohend die flache Hand. Nun meldete sich Helmut Kohl 2 mit einer überraschend leisen, fast schon sanften Stimme und sagte: „Sie hat Recht. Maja hat doch eh schon ihre Maske runter. Mir ist auch total heiß unter dem Ding und dich versteht man leider wirklich nicht Reini.“

„Man Dede du sollst doch unsere Namen nicht nennen, bist du total verrückt ? Jetzt wissen die doch wie wir heißen!“, schnauzte der als Maja enttarnte, volltätowierte Helmut Kohl 1 .

Nachdem Helmut Kohl 3 völlig unverständlich grunzend und gestikulierend versucht hatte, hier für Ordnung zu sorgen und das offensichtlich so gar nicht funktionierte, riß er sich endlich die Maske vom Kopf und zum Vorschein kam ein munteres, sehr pralles aber nicht unfreundliches rosafarbenes Gesicht, das sich wie ein selbstaufblasbares Gummiboot entfaltete und dabei sichtlich entspannte. Helmut Kohl 3 musste furchtbare Qualen unter der Maske ausgehalten haben. Und dann passierte es tatsächlich: Helmut Kohl 3 spuckte einen Tischtennisball aus !

„Heilige Scheiße!“ Entfuhr es mir schlagartig: „Ein Tischtennisball! Ich wußte es! Ich wußte es von Anfang an! Ein gottverdammter Tischtennisball“ Anerkennend nickte ich mit dem Kopf, verzog aber sofort vor Schmerzen wieder das Gesicht, weil mir der ganze Rücken weh tat. Ich war beeindruckt.

Dieser Mann hatte offensichtlich über Stunden einen Tischtennisball in seinem Mund jongliert, während er sein viel zu massiges Gesicht in eine viel zu enge Helmut Kohl Maske gequetscht hatte und dabei noch rege zu sprechen, bzw. Laute auszustoßen, begonnen hatte! Das war eine nicht zu unterschätzende Alltagsleistung, die unter anderen Umständen mich dazu bewogen hätte, dem Subjekt der Bewunderung ein paar Kölsch in meiner Lieblingskneipe dem Leuchtturm im Veedel einzuflößen. Nun waren die Umstände allerdings andere, so dass ich ihn nur grimmig mustern konnte. Ich versuchte sogar kurzzeitig, den „Blick des Todes“ auf ihn anzuwenden, konnte mich aber nicht hinreichend konzentrieren, um ihn wirklich damit zu erledigen, was letztlich sein Glück gewesen war.

Nun begann Helmut Kohl 3 zu sprechen: „Guuut, dass ist jetzt etwas blöd gelaufen… Einmal von Dir Dede dass Du unsere Namen gesagt hast, aber auch von dir Maja weil du deine Maske verloren hast“

„Spinnst du jetzt total Reini ? Ich hab die Maske nicht verloren. Der Wichser da..“ und dabei zeigte sie mit ihren schwarz lackierten Nägeln, von denen der Lack schon absplitterte, zitternd auf mich: „der hat mich einfach umgeknallt. Ey ich bin voll hingeknallt! Voll auf den Rücken so. Fuck.. mir tut alles weh verdammt!!“ schrie sie empört und konnte gerade noch eine Träne verdrücken.

Der so angesprochene Helmut Kohl 3, der offenbar auf den sehr treffenden Namen Reini zu hören schien, zuckte mit den massiven Schultern und fuchtelte unbeholfen mit der Waffe in der Luft herum: „Herrje. Das ist jetzt alles ziemlich blöd gelaufen“ wiederholte er sich und grabschte in seiner Tasche herum, grabbelte schnaufend eine Brille hervor, die er sich stöhnend und schwer atmend auf die Nase schob. Dann wischte er sich den Schweiß aus dem Gesicht und räusperte sich: „Nungut hilft ja nun auch nichts mehr. Wir“ und dabei zeigte er mit der Waffe auf Helmut Kohl 1 und 2 und schließlich auf sich selbst: „..wir sind Thirsty for Fridays!“

Nachdem er das gesagt hatte, machte er eine künstliche Pause und grinste stolz und groß über die rosigen Bäckchen, offenbar um abzuwarten, welchen epischen Einschlagskrater diese Worte bei seinen Gefangenen hinterlassen würden. Louis war mittlerweile dazu übergangen wie ein Baby in Embriostellung auf der Couch hin und herzuschaukeln, während Daphne mich mit einem Blick ansah, den ich später unbedingt in einem Foto verewigen wollte: „Durstig nach Freitagen ?“ fragte ich ungläubig und konnte trotz der durchaus nicht ungefährlichen Umstände -immerhin hatte der als Helmut Kohl 3 getarnte Reini immer noch eine Waffe in der Hand- kaum ein Lachen unterdrücken.

Helmut Kohl 3 schien enttäuscht, fast beleidigt, dass wir nicht ehrfürchtig die Augen aufrissen bei dem mehr als lächerlichen Namen „Thirsty for Fridays“ und sah sich offenbar genötigt, näher zu erläutern: „Ja, wir sind durstig nach Freitagen.. Also das ist so ein Metapher-Ding.. Also wir sind eben durstig danach, dass die Leute auf die Straße gehen für ihre Rechte und für die Rechte ihrer Kinder auf eine intakte Umwelt auf die Straße gehen: an Freitagen eben… aber auch an Feiertagen oder auch an Arbeitstagen, also an sonstigen Arbeitstagen außer Freitagen! Wir wollen damit unser totales commitment mit Fridays for future ausdrücken und sind total besorgt wegen des Klimawandels!“

„Ja und wegen der ganzen anderen Sachen, Scheiße mann, wegen der ganzen anderen Scheiß Sachen halt auch mann, fuck, fuck !!“ raunte die tätowierte Kleine und Helmut Kohl 2 ergänzte mit seiner zarten, fast gehauchten Stimme: „Ja genau.. Mann, genau!!“.

Plötzlich begann das Sofa unwirklich zu vibrieren und ich dachte schon, Daphne hätte auf irgend eine magische Weise ihren gigantischen Sybian unter uns gewuchtet und würde nun -grausam Rache nehmend- mit dem kussmundroten Sofa aus dem der Gott der Sybians hämmernd, vibrierend und trommelnd aufsteigen würde alle Helmut Kohls zur Besinnungslosigkeit penetrieren, als ein fürchterlicher Schreckenschrei, von Daphne und Helmut Kohl 2 gleichzeitig entäußert, mich alle Schmerzen überwinden und mich aus dem Liegen hochstoßen ließ, um an Daphne vorbei zu schauen, wohin beide nämlich schreiend blickten.

Und da sah ich das ganze Drama: Louis, der treue Diener der Influencerin, der devote Louis, war offensichtlich ob der für ihn traumatisierenden Umstände in eine derartige Erregung verfallen, dass diese nun in einer Art Anfall geendet war. Zuckend und Schaum spuckend wälzte er sich mit aufgerissenen Augen auf dem Sofa hin und her und drohte wahlweise zu ersticken oder sich das Genick zu brechen.

„Macht ihn los! Verdammt - er stirbt!“ Schrie Daphne und augenblicklich sprangen alle drei Helmut Kohls auf und waren sofort bei dem Diener. Hektisch fuchtelten sie an den Seidenbändern herum, schienen diese aber nicht aufgeknotet zu bekommen, einerseits, weil Louis keinerlei Anstalten machte, seinen krampfenden Körper still zu halten, andererseits weil irgend einer der Helmut Kohls die Seidenschals so festgezogen hatte, dass sie mit normaler Technik nicht mehr loszumachen waren.

„Scheiße, ich krieg die Dinger nicht auf“ schrie ein sichtlich verzweifelter Helmut Kohl 2 und strich dem krampfenden und spuckenden Louis zitternd mit der Hand über den Kopf, weil es die einzige Geste menschlicher Nähe war, die ihm einfiel und Helmut Kohl 1 und 3 zerrten wie Verrückte an den Schals.

Meinen Umgang mit Seidenschals hatte ich von Zenyep gelernt, die ihrerseits diese Kunstfertigkeit von ihrem jüdischen Kindermädchen erlernt hatte. Wenn einer in der Lage wäre, diese Höllenknoten zu öffnen, dann ich, doch es gab ein Problem: Ich selber war ebenfalls derartig gefesselt worden!

Also nahm ich all meine Fingerfertigkeit zusammen und begann ein interdimensionales Bild des Knoten, mit dem meine Hände auf meinem Rücken fixiert worden waren, vor meinem dritten geistigen Auge entstehen zu lassen. Hierbei wiederum kam mir meine Beziehung mit einer japanischen Künstlerin namens Midori zu Gute, bei der ich den richtigen Umgang mit Fingern und Zunge einstmals erlernt hatte. Ich hatte sozusagen bei ihr den Waffenschein für diese unscheinbaren Werkzeuge tiefster Befriedigung machen dürfen, inklusive verschiedener Intensivworkshops bei denen wir Stellungen aus dem Kamasutra für Hand und Zunge abwandelten und neu interpretierten.

Die Krönung fand unsere Beziehung in einer öffentlichen Ausstellung, die bedauerlicherweise auch das Ende derselben einläutete. Es war nämlich diese Ausstellung gewesen bei der Midori ihren zukünftigen Ehemann Ralf kennengelernt hatte. Ralf war mit zwei Zungen und je sechs Fingern an jeder Hand geboren worden, was ihn auf der Schule und in der Schrauberbude, wo er gelernt hatte zu einem Freak, im künstlerischen Terrain von Midori allerdings zu so einer Art Halbgott gemacht hatte, dem ich nicht würdig war die Schuhe zu binden. Kurze Zeit später nannte er sich nur noch „Han-Zun“ und machte eine Karriere in der Tantraszene, wo ich den Kontakt zu ihnen dann auch ganz verlor. Bedauerlicherweise konnte ich meine Vermutung, dass „Han-Zun“ nichts weiter als eine profane, ja man möchte sagen, geradewegs einfallslose Abkürzung für „Hand-Zungen-Guru“ war daher nicht verifizieren.

Die Zeit drängte offensichtlich. Louis gab mittlerweile Geräusche von sich, wie sie kein Mensch entäußern können sollte. Was auch immer mit dem armen Kerl nicht stimmte, es stimmte offensichtlich in erheblichem Ausmaß nicht mehr und der arme drohte jeden Moment an seinem eigenen Schaum oder seiner eigenen Zunge zu ersticken. Gerade jetzt, wo um mich herum alle in Chaos und Wahnsinn zu verfallen schienen, mahnte ich mich dazu, ruhig zu werden und meinen inneren Jedi-Ritter zu kanalisieren. Ich atmete drei Mal ruhig ein und aus und dann begannen meine Finger ihren so gerühmten Zauber zu vollführen, wurden fast selbständig und meine Zunge begann, obwohl sie eigentlich gar nichts zu tun hatte, fast schon instinktiv aus meinem Mund heraus- und in der Gegend herumzuwandern, in der Luft herumzutanzen wie ein junger Flaschengeist, der zum ersten Mal drei Wünsche erfüllen durfte. Der erste Wunsch war meine Fesseln zu lösen, der zweite Louis Fesseln zu lösen und den dritten Wunsch wollte ich mir noch etwas aufheben. Ich war mir sicher, dass es noch schlimmer kommen würde.

Nachdem ich meine Entknotungskünste dank Zeynep voll entfaltet hatte, wir Louis in die stabile Seitenlage legen konnten und sein Anfall dann auch wieder so schlagartig vorbei gegangen wie er gekommen war, saßen die Helmut Kohls und wir anderen erschöpft um Daphnes Kussmundsofa herum. Daphne hatte auf den Schreck erstmal eine Flasche Schampus aufgemacht und ließ das Blubberwasser kreisen. Selbstverständlich hatten wir uns vorher vergewissert, dass Helmut Kohl 1 schon über 18 Jahre alt war und sie hatte Glück: gerade eine Woche vorher war die volltätowierte Helmut Kohl 1 nämlich tatsächlich 18 geworden.

Daphne kippte den Schampus wie Mineralwasser herunter: „Was sollte das ? Warum seid ihr hier einfach so bei mir eingedrungen ? Warum wolltet ihr uns kidnappen ?“

Zwei der drei Helmut Kohls schauten betreten zu Boden als Helmut Kohl 3 endlich das Wort ergriff: „Naja wir dachten, wenn wir unsere Botschaft über deine Kanäle verbreiten könnten, würden wir eine ganz andere Aufmerksamkeit für das Klimaproblem bekommen, als wenn wir immer nur in der Fußgängerzone herumstehen und Leute anquatschen. Also versteh das bitte jetzt nicht falsch, das ist nicht schlimm und macht uns auch nichts aus, aber das Klimaproblem ist ziemlich dringend und wir brauchen viel mehr öffentlichen Druck. Und da wollten wir dich als Geisel nehmen und dich so dazu bringen, die Botschaft zu verbreiten“.

Daphne hustete in die Zigarette von der sie gerade einen kräftigen Zug genommen hatte: „Und wieso fragt ihr nicht einfach ? Einfach mal random fragen ?“

„Ja man, wieso haben wir nicht einfach gefragt?“, sagte Helmut Kohl 2 und strich dem sichtlich erschöpften Louis durchs Haar. Dieser hatte zunächst gedacht, er sei gestorben und Helmut Kohl 2 sei in Wirklichkeit ein Engel gewesen. Das Gesicht des jungen, zierlichen Mannes, der unter der Helmut Kohl Maske gesteckt hatte, musste eine solche Wirkung auf Louis gemacht haben, dass er dachte dieser und nur dieser alleine habe sein Leben gerettet. Jedenfalls himmelte er ihn genauso an und der zierliche Helmut Kohl 2 lächelte ergriffen zurück!

Helmut Kohl 3, biss in die Marzipanwaffe und kaute nachdenklich darauf herum. Irgendwann rückte er sich die Brille auf der Nase zurecht und nickte: „Ja wir dachten halt, das macht man so. Auf die Idee zu fragen sind wir nicht gekommen“.

„Das macht man so“ raunte die Influencerin und schlug sich mit der Hand vor die Stirn: „Ok wenn ich euch richtig verstanden habe, wollt ihr gegen die Klimaausbeute protestieren und eine Botschaft der ökologischen Vernunft Über meinen Kanal in der Welt verbreiten ?“

Ich verschluckte mich an meinem Schampus, als ich sie das Wort „ökologische Vernunft“ völlig fehlerfrei aussprechen hörte. Hatte das dieselbe Person gesagt, die mich mit „Ey krass, chill, und Cringe“ begrüßt hatte ?

„Korrekt“ antwortete Helmut Kohl 3 knapp, schaute kurz auf, schaute wieder zu Boden und biss beschämt das letzte Stück des Marzipanrevolvers ab. Daphne ging zu ihrem Schreibtisch und holte ein regenbogenfarbenes Bändchen aus der Schublade und hielt es den Helmut Kohls unter die Nase.

„Wisst ihr was das ist ?“ Fragte sie

Die drei musterten das verschlissene Bändchen und blickten sich dann gegenseitig an. Dann schüttelten sie den Kopf.

„Das ist ein Fridays for Future Band. Da steht Friday - sehr ihr das, die schwarze Schrift auf dem Regenbogen ? Das hat jeder auf den Demos bekommen. Habt ihr auch so eins ?“

Die drei Helmut Kohls schüttelten betreten den Kopf.

„Ihr rennt bei mir offene Türen ein, ihr Idioten! Das ist das, was ich damit sagen wollte, ihr..ihr.. Helmut Kohls! Ich bin schon auf Friday for future Demos gegangen, da lag Greta Thunberg noch im Replikator und wartete auf ihre Batterie!“

„Greta Thunberg kommt aus einem Replikator ?“ Fragte Helmut Kohl 1 ungläubig: „Ne du verarscht uns doch oder ?“

„Und jetzt machen wir einen Deal. Ihr bekommt eure Sendezeit auf meinem Kanal aber ihr überlasst mir das reden! Dafür nehme ich eure Punkte auf und setz das, sagen wir mal, medial ansprechend um. Zum Dank dafür verteilt ihr meine Intimbereichenthaarungscremeaufkleber auf eurer nächsten Demo. Das ist alles 100% Öko zertifiziert. Das Zeug ist so gesund, das kann man sogar essen!“

Die Helmut Kohls nickten eifrig.

„Und ihr müsst euch natürlich noch angemessen bei meinem Freund Dirozeross entschuldigen, Er ist nämlich ein sehr berühmter Fotograf und er wird mich fotografieren, wie noch niemand mich fotografiert hat. Der Typ ist ein echtes Medium in das Elysium der fotografischen Ästhetik, nicht so ein Möchtegernprolet und ihr habt unsere heilige Séance gesprengt. Das ist nicht nur total unhöflich, der arme Dionisasos er hat ja auch fürchterliche Schmerzen durch den Sturz erlitten. Shit, kannst Du überhaupt noch knipsen ?“ Fragte sie, zu mir gewandt. Ihre großen Augen klebten geradezu auf meinem Steiß.

Ich verzog augenblicklich das Gesicht in Schmerz und Pein und nickte langsam: „Ja müsste gerade noch so gehen“. Dabei gab ich mir Mühe, dass jede Bewegung möglichst schmerzhaft aussah: „und das kostet extra.“

Daphne nickte: „ja klar, sag halt, was es kosten soll.“

„Kein Geld. Dafür kommst Du mit mir zu einer Vernissage von einem Kumpel und sagst auch deinen Hippen Geldsackfollowern Bescheid, damit die ihm eifrig seine echt schräg-geilen Bilder abkaufen“.

„Nach Rumänien ?“ Fragte die Influencerin ungläubig.

„Nach Köln.. Köln Ehrenfeld um genau zu sein“.

„Ok deal“. Sie nickte und nahm den letzten Schluck Schampus.

„So nun aber an die Arbeit“ sagte ich und klatschte in die Hände. Die drei Helmut Kohls schauten mich fragend an.

„Was glotzt ihr so ? Ihr seid jetzt Teil des Projektes geworden. Eben im Fallen kam mir die Erleuchtung, wie ich Daphne in Szene setze und zwar in Anlehnung an die Geburt der Venus von.. von .. na wer hat das gemalt ihr Klimachaoten?“ Ich blickte gespannt in die Runde: „Leonardo di Caprio ?“ Antwortete Louis, „Sigmund Freud ?“ Kam eine andere Antwort.

„Nein Herrschaften, es war Sandro Botticelli. Näheres dazu könnt ihr später in den Kommentaren zu diesem Stückchen lesen, wenn sich einer der Leser erbarmt ein paar Worte dazu zu sagen. Nun wird natürlich die wundervolle Daphne hier die Venus sein und ihr, ihr seid die Muschel und das Meer! Los, raus aus den Klamotten und an die Arbeit!“.

Es dauerte noch ein paar Gläser Champagner bis sich auch Helmut Kohl 3 getraut hatte, die Hüllen fallen zu lassen, aber das Ergebnis konnte sich am Ende mehr als sehen lassen. Ich hatte Daphne so inszeniert, dass die naive, fast infantile analoge Bräsigkeit, mit der sie mir eingangs begegnet war vollständig erhalten bleiben konnte, ohne die Grazie und Unschuld der weiblichen Digital-Göttin zu riskieren, die ganz wunderbar in der Erhabenheit des langen Halses und der leicht verschränkten Schenkel zum Ausdruck kam. Ihre schulterlangen Haare ließ ich offen in die rechte Gesichtshälfte fallen und mit dem Wind spielen.

Wie so oft im Leben, wo Komiker eigentlich depressiv sind, Schauspieler, die depressive Rollen spielen Frohnaturen, ernste Menschen im Grunde lustig und lustige Menschen häufig todernst, war auch die Verkäuferin von Intimrasurkosmetika beachtlich unrasiert, so dass ein wunderschönes naturgewachsenes Dreieck sich unter dem Sonnengeflecht ihres adeligen, kleinen Bauchnabels absetzen konnte, als sei es eine urzeitliche Grotte, die mit seltenen Kräutern und Heilpflanzen bewachsen war. Ich konnte mich gerade noch so beherrschen, nicht davon zu naschen.

Daphne hatte mit den drei Helmut Kohls einen Schlachtplan entwickelt und Louis und Helmut Kohl 2 hatten sich direkt am gleichen Abend fürs Museum verabredet, so dass ich mit ihr alleine in der großen Villa war. Sie hatte mir mehrmals angeboten, mich in ein Sternerestaurant einzuladen, doch ich hatte dankend abgelehnt. Mir war nach diesem ereignisreichen Tag nach Takeaway Sushi und einem oder zwei Glas guten Weins.

Die Gyoza schmeckten einfach himmlisch und passten ganz hervorragend zu dem schön kühlen Cloudy Bay, den wir uns dazu genehmigten.

„Man war das ein stranger Tag“, seufzte die Influencerin und biss genüsslich in ihre Katsu Springroll: „aber dieses Foto das du heute von mir gemacht hast ist einfach umwerfend gut geworden. Mega !Hat sich total gelohnt! Danke!“

Ich grinste und freute mich über ihre Anerkennung. Statt das übliche Geseiere und Arschkriechen bei dem man auf ein ernst gemeintes Kompliment mit einem nicht ganz so ernst gemeinten Gegenkompliment antwortet, bekam sie von mir die einfache Wahrheit: „Ich habe Dich als schamlose Venus gesehen und auch als solche festgehalten. Du bist wirklich eine Naturgewalt, eine Venus impudique. Du bist nicht Botticelli, Dein ganzer Vibe ist Steinzeit, Ursprung und deine ganze Oberflächlichkeit ist wie der Glanz auf den Flügeln einer Adlerin, die der echten Morgensonne aus einer Computerwelt entgegensteigt. Du bist so mächtig wie ein echter Sonnenstrahl, wenn du es sein willst und so radikal wie eine digitale Nacht“.

„WoW“ sagte Daphne: „das hat noch nie einer zu mir gesagt. Weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Willst Du Dich in mein Bett schleimen oder wie soll ich das verstehen ?“ Grinste sie.

„Naja“, erwiderte ich: „in Dein Bett und ganz nah an deine wunderschönen Schenkel“.

Sie grinste und funkelte mich mit den großen Augen an.

„Wenn ich solche Sachen wie heute erlebe denke ich mir manchmal, wie schnell alles vorbei sein kann, wie wenig Zeit wir eigentlich haben. Wie wir uns die Dunkelheit nicht vorstellen können und plötzlich ist sie einfach da! Wir glauben immer, alles im Griff zu haben, alles planen zu können und dann passiert so etwas, oder ein Unfall, oder ein Unglück, oder ein Unwetter.“

„..oder ein Lottogewinn“ sagte ich schelmisch

„Haha“ machte sie

„Ich hätte eigentlich heute Abend über die Zeit philosophieren sollen mit meinen Jungs. Statt dessen bin ich jetzt bei dir und wir haben zusammen mit den Helmut Kohls ein Meisterwerk geschaffen das alleine zählt doch! Weißt du, was ich glaube, was Zeit am Ende einfach ist ?“

Sie schüttelte den Kopf

„Bewegung. Alles bewegt sich. Es gibt nichts, das sich nicht bewegt. Zeit ist Veränderung und Veränderung ist Bewegung“

„Doch es gibt etwas, das sich nicht bewegt“ sagte sie zu meiner Überraschung: „Gedanken, Gefühle“

Da hatte sie einen interessanten Punkt gebracht, über den ich selber noch gar nicht nachgedacht hatte. Sicherlich bewegten sich die zu Grunde liegenden Neuronen, die elektrischen Impulse, die Neurotransmitter, der Druck auf der Haut, der Nervenreiz, der akustische Reiz, das Signal im Auge, alles Bewegung.. aber die Gedanken, die Gefühle ? Das emergente ?

„Oh man darüber muss ich nachdenken“ sagte ich, ehrlich beeindruckt. Sie nickte und rückte näher heran und flüsterte: „aber erst, nachdem wir uns etwas bewegt haben“.

Eevil fiel mir auf dem Männerklo immer wieder um den Hals: „Alter ich küsse Deine Augen! Fuck Alter, du hast Daphne Rimbling ja gleich mitgebracht. Alter wie geil ist das denn ? Die hat schon vier Bilder von mir gekauft! Und die ganzen Follower. Da sind sogar ein paar Mädels von der Bildzeitung dabei hat sie mir gesagt. Oh mann, jetzt komm ich doch noch raus mit meinen Sachen. Ich könnte dich knutschen Dio!“

„Pah geh weg von mir du Kraken!“ Rief ich und drückte ihn etwas fort: „deine Geldgier ist einfach ekelig, unwürdig und total Anti-Kunst. Ich hab nur eine Bitte“

„Alles was du willst, Alter“

„mal mir ein Bild in dem sich nichts bewegt, in dem keine Bewegung angedeutet oder angelegt ist, wo nicht einmal eine Bewegung zu erahnen ist okay? Mal mir ein vollkommen zeitloses Bild!“

„Ich hab zwar noch keine Ahnung wie ich das anstellen werde aber klar Alter, wenn es das ist, was du willst, dann kriegst du es, ist doch klar!“

„Wunderbar“ sagte ich: „geh schon vor, ich komm gleich nach“.

Sobald Eevil freudestrahlend wieder im Atelier verschwunden war, machte ich mich durch den Hintereingang davon auf der Suche nach einem neuen Model. Die schamlose Venus hatte mich nämlich auf eine total ausgefallene Foto-Idee gebracht.
 
G

Gelöschtes Mitglied 24777

Gast
Hallo Dionysos,

so, ich habe jeden Tag ein bisschen dieser Geschichte gelesen und bin jetzt nach drei Tagen fertig geworden. Was soll ich sagen? Es hat sich gelohnt! Es ist eine Story, die so gut geschrieben wurde, dass ich sie ohne Weiteres für das Werk eines Profi-Schriftstellers halten würde. Ich finde, die Geschichte ist extrem reif erzählt, sie ist spannend, originell und lustig und hat so gut wie keine Längen.

Besonders gut und orignell finde ich hier wirklich die Adjektive, die du verwendest. Mal ein paar Beispiele:

so dass ein wunderschönes naturgewachsenes Dreieck sich unter dem Sonnengeflecht ihres adeligen, kleinen Bauchnabels absetzen konnte, als sei es eine urzeitliche Grotte, die mit seltenen Kräutern und Heilpflanzen bewachsen war.
oder

Du bist so mächtig wie ein echter Sonnenstrahl, wenn du es sein willst und so radikal wie eine digitale Nacht
Klasse!

Und dazu kommt die gekonnte Zurschaustellung des Zeitgeistes, sei es die Youtube-Branche oder die Klimabewegung, die du aufs Korn nimmst - es ist einfach gut gemacht.

Du solltest allerdings noch einmal dringend den Text Korrekturlesen, es haben sich zahlreiche Fehler bezüglich der Interpunktion und der Groß- und Kleinschreibung eingeschlichen.

Fazit: Lob! Du scheinst nicht nur ein talentierter Lyriker zu sein, sondern auch ein begnadeter Geschichtenerzähler.

Liebe Grüße
Frodomir
 
Hi @Frodomir

wie schön, dass Dich die Geschichte nicht enttäuscht hat und Deine Lesezeit gut investiert war ! Wunderbar. Mehr kann man sich doch gar nicht wünschen. Freue mich auch sehr, dass das geplante Konzept mit der Geschichte gut rübergkeommen ist. Merci !

mes compliments

Dionysos
 



 
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