Das Gemälde

N.D.

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Zuhause. Mein Zuhause. Ich war schon lange nicht mehr hier. Doch ich bin es. Zuhause. Ich streife ziellos die Gänge entlang. Ganz in schwarz. Ganz allein.

Ich nehme etwas aus den Augenwinkeln wahr und gehe ein paar Schritte zurück. Das Gemälde meiner verstorbenen Eltern. Mutter und Vater. Sie starb in meinem achten Lebensjahr. Er vor zwei Wochen. Ich kann mich kaum an beide zusammen erinnern. Es ist zu lange her.

Das Bild bringt mir meine Erinnerungen leider nicht zurück.

Ich sehe mir das Bild genauer an. Im Hintergrund sieht man mein Zuhause. Urbino.

Davor stehen sie sich zugewandt.

„Mir fehlen sie auch“, sagt eine mir bekannte Stimme. Guidobaldo. Mein Bruder.

„Es tut mir leid für dich, Elisabetta“, sagt er wehmütig.

Was meint er ?

Ach ja. Stimmt. Mein Ehemann. Ich hatte ihn durch den Tod meines Vaters völlig ausgeblendet.

Dabei mochte ich meinen Vater nicht einmal. Er war einfach nur mein Vater gewesen.

Ich sollte meinem Ehemann dankbar sein, dass er mich aus dieser Familie, aus diesem Haus raus geholt hatte. Doch das bin ich nicht und das war ich nie. Das habe ich mich aber nie getraut zu sagen. Jetzt ist es zu spät. Jetzt ist er bei meinen Eltern.

„Ich verstehe, dass du trauerst.“

Von wegen trauern. Ich trauere nicht. Ich stehe zur Zeit nur neben mir. Ich habe das ständige Gefühl allein auf der Welt zu sein. So viele Menschen und doch allein.

„Aber du kannst nicht den ganzen Tag nur hier umherlaufen“, sagt er.

Er hat Recht. Aber was kann ich denn schon tun ? Einen Mann habe ich nicht mehr. Ich habe keine Kinder, um die ich mich kümmern könnte. Ich habe gar nichts. Ich wende mich von ihm ab.

Darüber wollte ich jetzt nicht sprechen.

„Elisabetta, du gehörst zu meiner Familie und meine Familie ist mir sehr wichtig. Doch du kannst nicht bleiben. Ich habe bereits Vorkehrungen getroffen. Du wirst morgen abreisen.“

„Wohin?“, frage ich. Guidobaldo sieht mich an. Anhand seines Blickes weiß ich was er jetzt sagen will. Das Kloster. Für eine achtzehnjährige Witwe gibt es auch keine andere Möglichkeit.

„Es tut mir leid, Elisabetta.“

Mein eigener Bruder schickt mich weg. Langsam laufen mir heiße Tränen die Wangen hinunter. Ein letztes Mal blicke ich auf und sehe verschwommen das Gemälde meiner Eltern. Mutter und Vater. Im Hintergrund sieht man mein Zuhause.
 
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Lichterfee

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Hallo N.D.!

Du springst ein bisschen in den Zeiten hin und her, schreibst mal in der Gegenwarts- und mal in der Vergangenheitsform

Er hat Recht. Aber was konnte ich denn schon tun ? Einen Mann habe ich nicht mehr. Ich habe keine Kinder, um die ich mich kümmern könnte. Ich hatte gar nichts. Ich wandte mich von ihm ab.
"Er hat Recht. Aber was kann ich denn schon tun? Einen Mann habe ich nicht mehr. Ich habe keine Kinder, um die ich mich kümmern könnte. Ich habe gar nichts. Ich wende mich von ihm ab."

Nur ein Beispiel. Vielleicht gehst du den Text nochmal genau durch und bringst die Zeitformen auf einen gemeinsamen Nenner.

Eine traurige kleine Erzählung.


LG
Lichterfee
 
Hallo N. D.,

mir gefällt diese traurige Geschichte, die eine Lebenssituation anspricht, die wir hier so nicht kennen - jedenfalls heutzutage nicht mehr. Ich glaube, im Mittelalter war es hier auch so, dass Brüder ihre verwitweten Schwestern ins Kloster abschieben durften und sie nichts dagegen machen konnten.
In welcher Zeit und in welchem Land spielt die Geschichte (den Vornamen nach tippe ich auf Italien oder Sizilien)?

LG SilberneDelfine
 

N.D.

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Hallo SilberneDelfine,

ich freue mich sehr, dass dir meine Geschichte gefallen hat. Du hast recht die Geschichte spielt in Italien und zwar im Jahr 1482. Ich musste für die Schule anhand eines Bildes eine Geschichte schreiben und habe dann etwas genauer nachgeforscht. Alle Personen, die hier vorkommen, gab es tatsächlich, nur habe ich Kleinigkeiten geändert um die Geschichte etwas... naja interessaner zu machen.
Das Bild heißt übrigens "Doppelbildnis des Federico da Montefeltro mit seiner Gattin Battista Sforza", wenn du es dir mal ansehen willst.

LG
N.D.
 
Hallo N. D.,

danke für den Hinweis, ich habe mir das Bild nun gerade angeschaut - und erst jetzt kapiert, dass die beiden auf dem (berühmten) Bild die Eltern der Ich-Protagonistin sind. Finde ich sehr interessant. Wenn ich mich mehr mit Gemälden auskennen würde, hätte wohl der Hinweis in der Geschichte auf Urbino genügt. So kam ich nicht von selbst drauf, aber das macht nichts - in der Geschichte reicht dieser Hinweis völlig.
Wirklich interessant dargestellt. Zeiten noch überarbeiten wie Lichterfee schon sagte, dann ist die Geschichte mE perfekt.

LG SilberneDelfine
 



 
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