Das große Zemeki Revival

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lietzensee

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Das große Zemeki Revival​

Kunst spielt in unserer Gegenwart keine Rolle mehr und niemand merkt, wie schlimm das ist. Die großen Künstler werden vergessen. Zumindest an den Allergrößten muss ich euch endlich erinnern! Es gibt ja keine einzige Straße, die nach Klaus Zemeki benannt ist, keine Briefmarke, die sein Konterfei zeigt und keine postindustrielle Kleinstadt, die einen Kunstpreis mit seinem Namen vergibt. Nur ich halte die Erinnerung wach. Ich vermute, hier drücke ich mich bewusst vorsichtig aus, dass staatliche Stellen Zemeki vergessen wollen. Vielleicht passt er auch einfach nicht mehr in unsere Zeit. Seine Bilder haben nichts Hübsches, nichts Inspirierendes und sie sähen scheiße aus, würde man sie in sozialen Netzwerken posten. Sie haben überhaupt keine Botschaft. Das redet man sich zumindest ein, wenn man zum ersten Mal mit Zemekis Werk konfrontiert wird. Beim zweiten Mal aber packt es einen.
Ich weiß noch genau, wie ich auf ihn aufmerksam wurde. Es war im Kunstunterricht meiner Schule, natürlich nicht durch den offiziellen Lehrplan, auch in den 50ern vermied der es schon, den Geist Heranwachsender zu verunsichern. An einem heißen Sommertag aber, als der Klassenraum im alten Ziegelbau zu aufgeheizt war, um richtigen Unterricht zu halten, las Fräulein Schmidt aus Briefen von Otto Dix vor. Es war nur ein Nebensatz. Aber Dix brachte darin auf den Punkt, wie Zemekis Kunst das menschliche Herz berührt. Dix beschrieb, wie er privat ein Bild von Zemeki gezeigt bekam. Darauf fühlte er den unbändigen Drang, so schrieb er, die Leinwand mit einem Messer aufzuschlitzen.
Ich suchte Zemeki und fand ihn in einer Bahnhofsbuchhandlung. Sein Bild "Nebel" war dort in einem Magazin abgedruckt, das sonst nur Kitsch und Pornografie enthielt. Zuerst glaubte ich an einen Druckfehler. Ich schrieb sogar die Redaktion an. Aber nein, sie hatten den "Nebel" mit seinem korrekten Farbwert abgedruckt, CMYK: 20-18-18-11. Erst war ich enttäuscht. Dann begriff ich. Das Bild war komplett grau, weil Nebel eben grau scheint, wenn er sich über wildes Land legt. Aber Zemeki bannt auch die Gestalten auf der Leinwand, die unsichtbar im Nebel lauern. Sein Grau ist nicht öde, es ist erschreckend.
Das war mein erstes Mal mit Zemeki. Ich war begeistert. Aber es war auch der erste Schlag, den mir seine Kunst versetzte und ich taumelte weiter durchs Leben. Kurz danach lernte ich meine Frau kennen. Ich hatte gerade meine Lehre als Lackierer abgebrochen und wir gingen vor der Fabrikmauer spazieren. Sie war beeindruckt, was ich alles im Sonnenuntergang hinter den Schloten sah. Ich beschrieb ihr den Aufschrei der Farben und Formen. Dann küsste ich ihren überraschten Mund und hatte ein schlechtes Gewissen. Diese Farbempfindungen waren ja nicht meine eigenen. Ich hatte sie in Zemekis Bild "der Knall" entdeckt.
Mit Zemeki lernte ich die Welt sehen. Meine Frau aber bestritt dies. Ich lerne nicht, die Welt zu sehen, warf sie mir an den Kopf. Im Gegenteil, ich verlerne sie zu erkennen und sähe stattdessen nur noch Zemekis Bilder. Aber machte das einen Unterschied? Und wenn ja, war das ein Problem von mir oder war sie neidisch auf mich? Welcher Maler hatte denn so viel Wahrheit in Pinselstrichen gebannt? Picasso? Dass ich nicht lache! Zemeki malte, als würde er der Wirklichkeit die Haut abziehen und porträtierte ihr rohes Fleisch. Von seinem Werk raffte ich alles zusammen, was in Antiquariaten und bei bankrotten Sammlern noch zu finden war, "Die drei Schwestern", "Baum und Axt" und all die wilden Farbwirbel seiner Bonhoeffer Phase. Ich liebte sie alle, sogar "weiße Wand", das er als Triptychon für eine Osloer Kirche gemalt hatte. Niemand anders schien sich mehr an Zemeki zu erinnern. Seine Bilder sprachen nur noch zu mir und schließlich verkaufte ich sie schamlos weiter.
Ich gab Zemekis Werk für mein Eigenes aus und keiner merkte es. Dabei verpackte ich die Bilder nur notdürftig in Lieder und Gedichte. In denen brannte die Welt grün-lila. Menschliche Gesichter zerbarsten zu Zacken und bald nahm die Jugend genug Drogen, um das zu begreifen. Es war ein kurzer Rausch. Ich wurde ein Star. Ich bekam einen Tourbus. Meine Frau aber war neidisch, weil ich tiefer denn je in die Kunst eindrang. "Siehst du nicht, dass du unsere Ehe ruinierst? Ich passe dir wohl nicht mehr ins Bild?", rief sie. Nicht mehr ins Bild passen? Das war eine merkwürdige Metapher. Ich sagte ihr das und wir stritten wochenlang. An einem Dienstagmorgen konnte ich sie dann nicht mehr sehen. Ihre Kontur verschmierte plötzlich den Hintergrund, wie bei schlecht ausgeführter Nass-in-Nass-Technik. Übrig blieben hässliche Flecken.
Danach redete ein Richter auf mich ein. Ich schwieg. Er kannte sich mit Malerei nicht aus und für einen kurzen Moment zweifelte ich, ob Kunst wirklich der richtige Lebensinhalt war. Doch was blieb mir anderes übrig? Nicht der Tourbus, auch nicht das Haus und selbst meine Sammlung von Zemekis Werken nahm man mir weg. Hilflos musste ich ansehen, wie Leinwände in blaue Säcke gestopft wurden. Als Reaktion schlug ich meine Stirn gegen eine Wand. Es entstand ein roter Fleck, den ich genau betrachtete. Doch er konnte mich kaum trösten. Alles ging vor die Hunde. Die Kunst wurde mit Füßen getreten. Nur ein einziges Bild konnte ich retten und soweit ich weiß, ist das der letzte Zemeki, den es noch gibt. Ich habe ihn Jahrzehntelang studiert. So lange, dass ich das Bild nicht mehr betrachten muss, um es zu sehen.
Das letzte Bild heißt "Nacht" und bringt mein Herz zum Brodeln. Dieses kleine Bild zeigt einen unendlich großen Raum. In dem erblühen Katastrophen. Oh, die Eindringlichkeit dieser Malerei lässt das Blut in den Adern gefrieren. Das Bild ist die Zukunft. Vor Jahren hatte ich eine Kritik von Tucholsky gefunden. Darin verriss er das Bild als konturlos schwarz. Ach, Theobald Tiger, du hattest ja keine Ahnung. Die ganze Welt will vergessen, was Kunst ist. Aber dieser Künstler darf nicht vergessen werden. Sein letztes Bild werde ich allen zeigen. Ich habe Großes vor!
 

Matula

Mitglied
Hallo lietzensee !

Ein sehr ansprechender Text, der mich an den "Orkan der grauenvollen Farbe Drometenrot" im "Meister des Jüngsten Tages" von Leo Perutz und an Herman Melvilles "farblose allfarbige Welt ohne Gott" erinnert. Die Endzeitfarben also - und hier das konturlose Schwarz.
Der Text hat satirische Elemente, wird aber am Ende doch recht ernst. Ich finde ihn sehr gelungen.

Herzliche Grüße,
Matula
 

lietzensee

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Hallo Matula,
vielen Dank für deine Antwort und die interessanten Hinweise. Es freut mich sehr, dass dir der Text gefällt. Von Leo Perutz hatte ich noch nichts gehört. "Meister des Jüngsten Tages" klingt sehr interessant. Das kriegt jetzt Kandidatenstatus auf meiner Leseliste :)
Auslöser der Geschichte war übrigens, dass mir ein Bildband von Edward Munch in die Hände gekommen war. In die Kategorie Satire passt der Text sicher nur mit einem Bein. Ich hatte auch überlegt, ihn bei Horror einzustellen. Aber das hätte sicher auch falsche Erwartungen geweckt.

Viele Grüße
lietzensee
 



 
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