Vagant
Mitglied
DAS JAHR DER BLENDER
An solch kalten Frühjahrstagen hatte der Saunagarten noch nicht viel zu bieten. Zwei schmucklose Mauern zur Straße hin, ein wenig gelbstruppiges Gras, welches dort bräsig überwintert hatte, mittig die achteckige Konstruktion der Blockhaussauna, daneben Freiluftdusche kalt, ein Rauchertisch samt Hocker und Mülleimer und etwas abseits, nahe einer hohen Hecke, die aussah als sei sie aus Bambus gemacht, ein paar Liegen.
Sieht aus wie Bambus, klingt bei Wind wie Bambus, also ist es Bambus, entschied er, legte sich auf eine der Liegen, zog den Bademantelkragen enger und kramte nach seinen Zigarillos.
Ein Pausoholiker sei er, ein Pausoholiker, wie er im Buche steht. Er schmunzelte kurz über diesen Gedanken und begann, diese, wie er meinte, treffliche Selbsteinschätzung durch entspanntes Rauchen und Lesen zu untermauern. Er nahm seine Mappe und begann mit den letzten Feinheiten an seiner neusten Storie für das Stadtmagazin zu arbeiten.‘Ohne Popcorn im Pornokino’ – klasse Titel schon mal, da war er sich sicher; ein paar Streichungen hier, einige Dialogstraffungen dort, und das Ding sei im Kasten.
?Nach wenigen Minuten hörte er eine Stimme neben sich.
„'?tschuldigung?“, klang es – und es klang so, wie Tiramisu schmeckt.
?Er hob den Kopf. ?Heilige Scheiße. Zwei makellos enthaarte Beine die in einem nackten Frauenschoß endeten.? Er ?wollte sich nun aber nicht die Blöße dieses verräterischen Moments geben, wollte seinen Blick nicht länger als nötig dort ruhen lassen und sah nach oben. Heilige Scheiße, noch mal. Er? ?schätzte sie so auf Mitte bis Ende Vierzig,? ?konnte sich aber da auch irren.? Es gibt Frauen, die kann man einfach nicht schätzen, und diese hier gehörte zweifelsfrei dazu. Sie war an verschiedenen Stellen dezent tätowiert, an den Schlüsselstellen dezent gepierct und ?trug dezent die alte Frisur der Minelli auf, die ihr gut stand. Alles in allem wirkte sie auf ihn ein wenig übertrainiert, so, als versprühe sie selbst frisch geduscht den Geruch von Gymnastikanzug und Pilatesmatte. ?
„?Ent–schul–di-gung?!“?,? ?sagte sie nun noch mal etwas lauter und zeigte auf die Packung Zigarillos,? “?dürfte ich mir mal eine schnorren?? ?Ich hab’s zwar schon vor’n paar Jahren aufgegeben,? ?aber wenn ich das Zeug rieche? ?werd?' ?ich schwach.”?
“?Sicher”,? ?sagte er.?
“?Ich hol?’ ?mir nur mal schnell? ‘?n Handtuch.?”
Das ist d?ie alte Augenklappe von Mosche Dajan,? dachte er, als sie wieder vor ihm stand, denn das Tuch um ihre Hüften taugte gerade mal dazu, zwei, drei ihrere Piercings vor der kalten Märzluft zu schützen, sodass er froh war?,? ?als sie sich endlich setzte.?
„?Was liest’n da eigentlich die ganze Zeit??“?,? ?fragte sie und deutete auf die Blätter in seiner Hand.?
„Eine Storie. Ich m?uss da noch?'?n bisschen dran arbeiten.?“
„?Selbst geschrieben??“
„?Ich versuch's.?“
„?Darf ich mal reinlesen??“?,? ?fragte sie,? “?hast Glück,? ?ich hab’ nämlich mal was mit Kunst studiert.?"
„Ach w?ie niedlich?“, sagte er.
„?Hat aber nichts gebracht. Das langt heut?' ?grad mal für'n Halbtagsjob in der Stadtbücherei.?“
„Na ja, w?er kann,? ?der kann?”?,? ?sagte er, reichte ihr die Zigarillos und ein Blatt aus der Mitte von ‘Ohne Popcorn im Pornokino’.?
?Sie fingerte ein Zigarillo aus der Box.?
Er gab ihr Feuer.
Sie nahm einen tiefen Zug,? ?lehnte sie sich zurück und blies den Rauch aus,? ?als wüsste sie mordsmässig Bescheid.? ?Dann begann sie zu lesen. ?
?
?Hinter der Mauer zur Straße fuhren ein paar Autos?; ?irgendwer ist wohl immer gerade auf dem Weg zu irgendwem, dachte er und begann damit, seinem Protagonisten mit ein paar Bleistiftnotizen ein bisschen mehr Profil zu geben.
Nach einigen Minuten sagte er: ?“Hör mal zu”, wie findest’n das hier ... ‘mit nem breitbeiniger Blick, der kaum verholen traurig in die Welt blickt, weil er weiß, wie es um seine Möglichkeiten bestellt ist’...was hällts’n davon? Kann man so schreiben, oder?”
?“Ein Blick der blickt, das würde ich anders schreiben”, sagte sie.
?“Na dann, dann... dann schaut er halt, der Typ.”
„Also, d?er Stil ist ja recht flüssig, aber irgendwie ist das so’n White-Trash.”
?Sie zog nochmal kräftig am Zigarillo und redete sofort weiter: “?Und dann der Protagonist! Ich meine, das gibt’s doch in keinem Russenfilm,? '?n Dödel hoch zehn ist das.? ?Der Kerl müsste mal ‘n bisschen aus’m Knick kommen,? ?wenn er irgenwann noch mal bei der Schnitte landen will.?“
Sie zog nochmal kräftig ?
„?Na warte doch?“?,? ?sagte er.?
"?Auf wen denn, kommt da noch einer??”
„Nein, aber '?s kommt ja noch was.? ?Der Bursche is?' ?halt irgendwie gehemmt...? ?irgendwie desillusioniert...? ?und im Grunde ist er nich?' ?wirklich ein Macher...? ?nich?' ?wirklich ein Draufgänger,? ?er ist eher so'n verdruckster Wichsertyp,? ?verstehste??"
„Verstehe, das Ganze ist also eher ?autobiographisch angelegt.?”
?Pause.
Sie schnippte die Asche in Richtung Wiese und las weiter; und wie sie das machte, das hatte Klasse.
„V?eröffentlichst Du denn irgendwo??“?,? ?fragte sie nach einiger Zeit.?
„?Ich hab?’ ?da eins,? ?zwei Seiten in? ei?ner kleinen Stadtzeitung?“?,? ?sagte er,? „die ?kommt so alle? ?acht ?Wochen,? ?je nachdem,? ?ob die Typen gerade was auf Tasche haben.? ?Na ja,? ?und ich kenn?' ?den Redakteur ganz gut, er sagt,? ?er wolle genau so'n Zeug, und ich könne ihm alles bringen,? ?sagt er,? nur keine? versteckten Botschaften,? keine ?Bekennerschreiben,? keine ?Erbauungstexte,? ?et cetera.? ?Sein Leute wollen unterhalten werden,? ?nich?' ?mehr,? ?nich?' ?weniger,? ?sagt er jedenfalls,? ?und ich denk?'?,? ?ich hab's drauf,? ?ihm genau so'n Zeug zu bringen.?“
„Dann b?ist also so etwas wie? '?ne Storienutte??“?,? ?sagte sie.?
„?Bingo.”?
?So lagen sie noch eine Weile in der kalten Märzluft, bliesen weiße Rauchfahnen in den grauen Himmel und er hatte den Eindruck, dass die Chemie zwischen ihnen nicht besser sein könnte. Irgendwann sagte er, sie könnten ja noch irgendwo irgendetwas trinken gehen – und sie gingen noch irgendwo irgendetwas trinken.?
?Dann kam der Sommer.? ?Anfang Juni stand sie morgens um? sieben ?mit zwei Taschen an seiner Tür,? ?strahlte ihn an,? ?schmiss die Taschen in den Flur und sagte:? „?Ich muss eins klarstellen, ist? ?nur,? ?weil's so praktischer ist.?“
„?Kein Ding?“?,? ?sagte er,? „ Du ?kennst dich hier ja schon ein bisschen aus.?“
?Morgens ging sie zur Arbeit in die Stadtbibliothek,? ?nachmittags half sie ihm seine Sachen ins Reine zu tippen, abernd tranken sie und in den Nächten vögelten sie,? ?was das Zeug hielt.?
?Seine Stories wurden nun immer besser und ?die Leute vom Maganzin fragten sich, wie ihm nur immer wieder so ein abgefahrenes Zeug einfallen könne. D?ie Typen machten von nun an ein kleines Vermögen mit seinen Sachen.?
?Nach dem matten,? ?resigniertem Grün des späten Sommers kam der Herbst mit seinen klatschnassen Tage .? ?Er saß nun oft einfach so rum, wusste nur wenig mit sich anzufangen und starrte lustlos und uninspiriert in die Nebel,? die sich draußen breitmachten.
?S?ie wirkte nun zunehmend tragisch,? ?übellaunig und genervt?; ?aber vorwiegend tragisch.?
?Eines Tages sagte sie,? ?dass da ein stadtbekannter Lyriker alle paar Tage zu ihr in die Bibliothek komme. Man könne? ?fast meinen,? ?der Bursche mache mir den Hof, so sie, worauf er meinte, dass er es dem Typen ja nicht mal verübeln könne.?
„Ein ?angemhmer Typ,? '?n bisschen älter zwar,? ?aber hat richtig was los”, sagte sie.?
„?So'n langer,? ?drahtiger??“?,? ?fragte er,? „ausgedünnter, ?grauer Zopf,? und ?sieht so aus,? ?als übertreibe er's ein bisschen mit'm Tempranillo??“
“Wieso fragst Du? ?Kennst Du ihn??“
„Ich denke schon”, sagte er, “i?s?' wohl ?der Schüttelreimsepp. Irgendwas mit Sebastian.? ?Hängt immer im? '?Gangbang?' ?ab,? ?starrt den Mädchen auf's Höschen und versucht seine schwulen Verse an'n Mann zu bringen.?“
?Sie schaute ihn an: „?Weißt Du, dieser Scheißhumor hängt mir langsam zum Hals raus. ? Und ob Du’s glaubst oder nicht, der kann wenigstens was, jedenfalls kann er anständig schreiben; Gedichte, Gedanken, Schönes – und nichts so’n unterirdischen Magazinscheiß.
?Sie zog einen kleinen,? ?zerknitterten Zettel aus der Hosentasche,? ?strich ihn glatt und legte ihn auf den Küchentisch.?
?Er las kurz drüber?; ?irgendwas über ein? ‘?Lagerhaus der Erinnerungen?’?,? ?und es hatte einen guten Punch,? ?soviel musste er dem Sepp zugestehen. Am besten gefiel ihm die dritte Strophe.
?"?bin zum lied des nebelhorns
auf blutigen schiffen gefahren?;
?für’n strahl vom mondlicht
und? ‘?nen seesack voller tang?”?,? ?las er,? ?musste grinsen und pinnte das Ding an die Kühlschranktür.?
„?Mal ehrlich?“?,? ?sagte er,? „?Du wirst doch nicht ernsthaft auf diesen alten Zausel reinfallen?? ?Der hat doch das letzte mal einen hoch bekommen? ?da war Acker Schröter noch Kanzler.?“
„Ach f?ick dich doch selbst?! Du h?ast auch nur eins im Kopf,? ?zu mehr reicht's wahrscheinlich nicht??"
?Von diesem Tag an wirkte sie nur noch übellaunig. ?
?Mit dem Beginn des Winters kam der erste Schnee.? ?Nur ein paar kleine Flocken,? ?die schmalbrüstig auf dem Fenstersims lagen und gegen das Verwehen ankämpften.?
Es war ruhig und still als er am Fenster stand und auf die Straße blickte um nach Spuren des vergangenen Sommers zu suchen – doch die Welt unter ihm war wie in Zinn gegossen;? ?keine Spuren,? ?nirgens und überall nur tristes Grau. ?
?Er ging in die Küche. Neben der Kaffeemaschine lag der Schlüssel, ?den er ihr einmal gegeben hatte und gleich? ?daneben ein kleiner Notizzettel.?
?ups,? ?wohne erstmal bei sebastian?
(?der mit den gedichten?)?.?
?ruf mich mal besser nicht an? !!!!
ich ?melde mich,? ?wenn ich mit der sache durch bin.?
?ps.? ?war aber irgendwie trotzdem? ’?ne schöne zeit. ?
?salü.?
?Er? ?legte den Zettel zur Seite und schluckte trocken?; ?zu mehr war gerade nicht fähig.? Als er sich umschaute blieb sein Blick an der Kühlschranktür hängen, dort, wo ihn die krakelige Handschrift vom Schüttelreimsepp seit Wochen an bessere Zeiten erinnerte.
“bin zum lied ?des nebelhorns
auf blutigen schiffen gefahren
für’n strahl vom mondlicht
und? ‘?nen seesack voller tang?”? ?
?So ein Arschloch, dachte er, Lagerhaus der Erinnerungen, dass ich nicht lache.
Er kannte diese Zeilen seit Ewigkeiten,? ?da war er sich sicher. Sie stammten von einem längst vergessenen, Tango-und-Wodka-beseelten, finnischen Poeten,? der irgendwann ein mal? in einem Wochenendmagazin veröffentlicht wurden, welches es nun auch schon Jahrzehnte nicht mehr gab.? Damals war er stolzer Besitzer einer dieser seltenen Ausgaben, aber d?er Schüttelreimsepp hatte sie ihm, als er einmal knappe bei Kasse war, für ein paar Gramm Shit abgeschwatzt.?
?Er nahm den Zettel von der Kühlschranktür,? ?schmiss ihn in den Müll und dachte,? ?dass ihm der Sepp in Sachen? ‘?Blender?’ ?nun aber wirklich das Wasser reichen konnte.? ?Aber wirklich?!?
An solch kalten Frühjahrstagen hatte der Saunagarten noch nicht viel zu bieten. Zwei schmucklose Mauern zur Straße hin, ein wenig gelbstruppiges Gras, welches dort bräsig überwintert hatte, mittig die achteckige Konstruktion der Blockhaussauna, daneben Freiluftdusche kalt, ein Rauchertisch samt Hocker und Mülleimer und etwas abseits, nahe einer hohen Hecke, die aussah als sei sie aus Bambus gemacht, ein paar Liegen.
Sieht aus wie Bambus, klingt bei Wind wie Bambus, also ist es Bambus, entschied er, legte sich auf eine der Liegen, zog den Bademantelkragen enger und kramte nach seinen Zigarillos.
Ein Pausoholiker sei er, ein Pausoholiker, wie er im Buche steht. Er schmunzelte kurz über diesen Gedanken und begann, diese, wie er meinte, treffliche Selbsteinschätzung durch entspanntes Rauchen und Lesen zu untermauern. Er nahm seine Mappe und begann mit den letzten Feinheiten an seiner neusten Storie für das Stadtmagazin zu arbeiten.‘Ohne Popcorn im Pornokino’ – klasse Titel schon mal, da war er sich sicher; ein paar Streichungen hier, einige Dialogstraffungen dort, und das Ding sei im Kasten.
?Nach wenigen Minuten hörte er eine Stimme neben sich.
„'?tschuldigung?“, klang es – und es klang so, wie Tiramisu schmeckt.
?Er hob den Kopf. ?Heilige Scheiße. Zwei makellos enthaarte Beine die in einem nackten Frauenschoß endeten.? Er ?wollte sich nun aber nicht die Blöße dieses verräterischen Moments geben, wollte seinen Blick nicht länger als nötig dort ruhen lassen und sah nach oben. Heilige Scheiße, noch mal. Er? ?schätzte sie so auf Mitte bis Ende Vierzig,? ?konnte sich aber da auch irren.? Es gibt Frauen, die kann man einfach nicht schätzen, und diese hier gehörte zweifelsfrei dazu. Sie war an verschiedenen Stellen dezent tätowiert, an den Schlüsselstellen dezent gepierct und ?trug dezent die alte Frisur der Minelli auf, die ihr gut stand. Alles in allem wirkte sie auf ihn ein wenig übertrainiert, so, als versprühe sie selbst frisch geduscht den Geruch von Gymnastikanzug und Pilatesmatte. ?
„?Ent–schul–di-gung?!“?,? ?sagte sie nun noch mal etwas lauter und zeigte auf die Packung Zigarillos,? “?dürfte ich mir mal eine schnorren?? ?Ich hab’s zwar schon vor’n paar Jahren aufgegeben,? ?aber wenn ich das Zeug rieche? ?werd?' ?ich schwach.”?
“?Sicher”,? ?sagte er.?
“?Ich hol?’ ?mir nur mal schnell? ‘?n Handtuch.?”
Das ist d?ie alte Augenklappe von Mosche Dajan,? dachte er, als sie wieder vor ihm stand, denn das Tuch um ihre Hüften taugte gerade mal dazu, zwei, drei ihrere Piercings vor der kalten Märzluft zu schützen, sodass er froh war?,? ?als sie sich endlich setzte.?
„?Was liest’n da eigentlich die ganze Zeit??“?,? ?fragte sie und deutete auf die Blätter in seiner Hand.?
„Eine Storie. Ich m?uss da noch?'?n bisschen dran arbeiten.?“
„?Selbst geschrieben??“
„?Ich versuch's.?“
„?Darf ich mal reinlesen??“?,? ?fragte sie,? “?hast Glück,? ?ich hab’ nämlich mal was mit Kunst studiert.?"
„Ach w?ie niedlich?“, sagte er.
„?Hat aber nichts gebracht. Das langt heut?' ?grad mal für'n Halbtagsjob in der Stadtbücherei.?“
„Na ja, w?er kann,? ?der kann?”?,? ?sagte er, reichte ihr die Zigarillos und ein Blatt aus der Mitte von ‘Ohne Popcorn im Pornokino’.?
?Sie fingerte ein Zigarillo aus der Box.?
Er gab ihr Feuer.
Sie nahm einen tiefen Zug,? ?lehnte sie sich zurück und blies den Rauch aus,? ?als wüsste sie mordsmässig Bescheid.? ?Dann begann sie zu lesen. ?
?
?Hinter der Mauer zur Straße fuhren ein paar Autos?; ?irgendwer ist wohl immer gerade auf dem Weg zu irgendwem, dachte er und begann damit, seinem Protagonisten mit ein paar Bleistiftnotizen ein bisschen mehr Profil zu geben.
Nach einigen Minuten sagte er: ?“Hör mal zu”, wie findest’n das hier ... ‘mit nem breitbeiniger Blick, der kaum verholen traurig in die Welt blickt, weil er weiß, wie es um seine Möglichkeiten bestellt ist’...was hällts’n davon? Kann man so schreiben, oder?”
?“Ein Blick der blickt, das würde ich anders schreiben”, sagte sie.
?“Na dann, dann... dann schaut er halt, der Typ.”
„Also, d?er Stil ist ja recht flüssig, aber irgendwie ist das so’n White-Trash.”
?Sie zog nochmal kräftig am Zigarillo und redete sofort weiter: “?Und dann der Protagonist! Ich meine, das gibt’s doch in keinem Russenfilm,? '?n Dödel hoch zehn ist das.? ?Der Kerl müsste mal ‘n bisschen aus’m Knick kommen,? ?wenn er irgenwann noch mal bei der Schnitte landen will.?“
Sie zog nochmal kräftig ?
„?Na warte doch?“?,? ?sagte er.?
"?Auf wen denn, kommt da noch einer??”
„Nein, aber '?s kommt ja noch was.? ?Der Bursche is?' ?halt irgendwie gehemmt...? ?irgendwie desillusioniert...? ?und im Grunde ist er nich?' ?wirklich ein Macher...? ?nich?' ?wirklich ein Draufgänger,? ?er ist eher so'n verdruckster Wichsertyp,? ?verstehste??"
„Verstehe, das Ganze ist also eher ?autobiographisch angelegt.?”
?Pause.
Sie schnippte die Asche in Richtung Wiese und las weiter; und wie sie das machte, das hatte Klasse.
„V?eröffentlichst Du denn irgendwo??“?,? ?fragte sie nach einiger Zeit.?
„?Ich hab?’ ?da eins,? ?zwei Seiten in? ei?ner kleinen Stadtzeitung?“?,? ?sagte er,? „die ?kommt so alle? ?acht ?Wochen,? ?je nachdem,? ?ob die Typen gerade was auf Tasche haben.? ?Na ja,? ?und ich kenn?' ?den Redakteur ganz gut, er sagt,? ?er wolle genau so'n Zeug, und ich könne ihm alles bringen,? ?sagt er,? nur keine? versteckten Botschaften,? keine ?Bekennerschreiben,? keine ?Erbauungstexte,? ?et cetera.? ?Sein Leute wollen unterhalten werden,? ?nich?' ?mehr,? ?nich?' ?weniger,? ?sagt er jedenfalls,? ?und ich denk?'?,? ?ich hab's drauf,? ?ihm genau so'n Zeug zu bringen.?“
„Dann b?ist also so etwas wie? '?ne Storienutte??“?,? ?sagte sie.?
„?Bingo.”?
?So lagen sie noch eine Weile in der kalten Märzluft, bliesen weiße Rauchfahnen in den grauen Himmel und er hatte den Eindruck, dass die Chemie zwischen ihnen nicht besser sein könnte. Irgendwann sagte er, sie könnten ja noch irgendwo irgendetwas trinken gehen – und sie gingen noch irgendwo irgendetwas trinken.?
?Dann kam der Sommer.? ?Anfang Juni stand sie morgens um? sieben ?mit zwei Taschen an seiner Tür,? ?strahlte ihn an,? ?schmiss die Taschen in den Flur und sagte:? „?Ich muss eins klarstellen, ist? ?nur,? ?weil's so praktischer ist.?“
„?Kein Ding?“?,? ?sagte er,? „ Du ?kennst dich hier ja schon ein bisschen aus.?“
?Morgens ging sie zur Arbeit in die Stadtbibliothek,? ?nachmittags half sie ihm seine Sachen ins Reine zu tippen, abernd tranken sie und in den Nächten vögelten sie,? ?was das Zeug hielt.?
?Seine Stories wurden nun immer besser und ?die Leute vom Maganzin fragten sich, wie ihm nur immer wieder so ein abgefahrenes Zeug einfallen könne. D?ie Typen machten von nun an ein kleines Vermögen mit seinen Sachen.?
?Nach dem matten,? ?resigniertem Grün des späten Sommers kam der Herbst mit seinen klatschnassen Tage .? ?Er saß nun oft einfach so rum, wusste nur wenig mit sich anzufangen und starrte lustlos und uninspiriert in die Nebel,? die sich draußen breitmachten.
?S?ie wirkte nun zunehmend tragisch,? ?übellaunig und genervt?; ?aber vorwiegend tragisch.?
?Eines Tages sagte sie,? ?dass da ein stadtbekannter Lyriker alle paar Tage zu ihr in die Bibliothek komme. Man könne? ?fast meinen,? ?der Bursche mache mir den Hof, so sie, worauf er meinte, dass er es dem Typen ja nicht mal verübeln könne.?
„Ein ?angemhmer Typ,? '?n bisschen älter zwar,? ?aber hat richtig was los”, sagte sie.?
„?So'n langer,? ?drahtiger??“?,? ?fragte er,? „ausgedünnter, ?grauer Zopf,? und ?sieht so aus,? ?als übertreibe er's ein bisschen mit'm Tempranillo??“
“Wieso fragst Du? ?Kennst Du ihn??“
„Ich denke schon”, sagte er, “i?s?' wohl ?der Schüttelreimsepp. Irgendwas mit Sebastian.? ?Hängt immer im? '?Gangbang?' ?ab,? ?starrt den Mädchen auf's Höschen und versucht seine schwulen Verse an'n Mann zu bringen.?“
?Sie schaute ihn an: „?Weißt Du, dieser Scheißhumor hängt mir langsam zum Hals raus. ? Und ob Du’s glaubst oder nicht, der kann wenigstens was, jedenfalls kann er anständig schreiben; Gedichte, Gedanken, Schönes – und nichts so’n unterirdischen Magazinscheiß.
?Sie zog einen kleinen,? ?zerknitterten Zettel aus der Hosentasche,? ?strich ihn glatt und legte ihn auf den Küchentisch.?
?Er las kurz drüber?; ?irgendwas über ein? ‘?Lagerhaus der Erinnerungen?’?,? ?und es hatte einen guten Punch,? ?soviel musste er dem Sepp zugestehen. Am besten gefiel ihm die dritte Strophe.
?"?bin zum lied des nebelhorns
auf blutigen schiffen gefahren?;
?für’n strahl vom mondlicht
und? ‘?nen seesack voller tang?”?,? ?las er,? ?musste grinsen und pinnte das Ding an die Kühlschranktür.?
„?Mal ehrlich?“?,? ?sagte er,? „?Du wirst doch nicht ernsthaft auf diesen alten Zausel reinfallen?? ?Der hat doch das letzte mal einen hoch bekommen? ?da war Acker Schröter noch Kanzler.?“
„Ach f?ick dich doch selbst?! Du h?ast auch nur eins im Kopf,? ?zu mehr reicht's wahrscheinlich nicht??"
?Von diesem Tag an wirkte sie nur noch übellaunig. ?
?Mit dem Beginn des Winters kam der erste Schnee.? ?Nur ein paar kleine Flocken,? ?die schmalbrüstig auf dem Fenstersims lagen und gegen das Verwehen ankämpften.?
Es war ruhig und still als er am Fenster stand und auf die Straße blickte um nach Spuren des vergangenen Sommers zu suchen – doch die Welt unter ihm war wie in Zinn gegossen;? ?keine Spuren,? ?nirgens und überall nur tristes Grau. ?
?Er ging in die Küche. Neben der Kaffeemaschine lag der Schlüssel, ?den er ihr einmal gegeben hatte und gleich? ?daneben ein kleiner Notizzettel.?
?ups,? ?wohne erstmal bei sebastian?
(?der mit den gedichten?)?.?
?ruf mich mal besser nicht an? !!!!
ich ?melde mich,? ?wenn ich mit der sache durch bin.?
?ps.? ?war aber irgendwie trotzdem? ’?ne schöne zeit. ?
?salü.?
?Er? ?legte den Zettel zur Seite und schluckte trocken?; ?zu mehr war gerade nicht fähig.? Als er sich umschaute blieb sein Blick an der Kühlschranktür hängen, dort, wo ihn die krakelige Handschrift vom Schüttelreimsepp seit Wochen an bessere Zeiten erinnerte.
“bin zum lied ?des nebelhorns
auf blutigen schiffen gefahren
für’n strahl vom mondlicht
und? ‘?nen seesack voller tang?”? ?
?So ein Arschloch, dachte er, Lagerhaus der Erinnerungen, dass ich nicht lache.
Er kannte diese Zeilen seit Ewigkeiten,? ?da war er sich sicher. Sie stammten von einem längst vergessenen, Tango-und-Wodka-beseelten, finnischen Poeten,? der irgendwann ein mal? in einem Wochenendmagazin veröffentlicht wurden, welches es nun auch schon Jahrzehnte nicht mehr gab.? Damals war er stolzer Besitzer einer dieser seltenen Ausgaben, aber d?er Schüttelreimsepp hatte sie ihm, als er einmal knappe bei Kasse war, für ein paar Gramm Shit abgeschwatzt.?
?Er nahm den Zettel von der Kühlschranktür,? ?schmiss ihn in den Müll und dachte,? ?dass ihm der Sepp in Sachen? ‘?Blender?’ ?nun aber wirklich das Wasser reichen konnte.? ?Aber wirklich?!?