Das Klappern der Schlangen

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Mimi

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In dieser Welt, die in ihren Zwischentönen tausendfache Nuancen trägt, flackern die Schatten auf den Wänden der Gedanken. Mein Spiegelbild ist ein Fremder in einem vertrauten Zimmer, seine Konturen verschwimmen, als hätte jemand die Linien verwischt. Ein Gewirr von Geräuschen – ein Rascheln, ein Zischen, ein Flüstern – umgibt mich wie ein unsichtbares Orchester.
Zwischen allem höre ich das Klappern, das der Mann mit den strahlend weißen Zähnen erzeugt, wenn er den kleinen, durchsichtigen Plastikbecher, den er in der Hand hält, hin und her schüttelt. Gleich wird er die Tür öffnen.

In einem früheren Leben hätte ich sein Lächeln als schön und schmeichelhaft empfunden.
Vielleicht hätte mich das wohlige Gefühl erregt, mir vorzustellen, seine Lippen zu berühren und dabei seinen Duft einzuatmen.
Ich versinke im Widerhall der Geräusche, inmitten der Schritte auf dem Flur und mein Innerstes windet sich wie ein verwundetes Tier.
Das, was einmal ein Gesicht war, verschwimmt, und zerfällt in ein Mosaik aus Schattentönen, die sich aus den Ecken des Zimmers erheben.
Nein. Das bin nicht ich. Er ist nicht ich. Ich bin nicht er. Nein.
Das Beben in meiner Brust ist ein Kampf, den ich verliere. Das weiß ich, weil der Himmel ein Paradies, und die Erde eine Hölle ist.

Die Tür knarrt, als der Mann mit den strahlend weißen Zähnen sie öffnet und das Zimmer betritt. Das Quietschen der Schuhe auf dem gesprenkelten Linoleumboden verstummt für einen kurzen Augenblick. Die Welt verblasst zu einem düsteren Gemälde, auf dem sein Lächeln eine Grimasse, umrahmt von scharfen Fangzähnen ist.
Am Hals des Mannes stehen wulstartige, bläuliche Stränge hervor, die jeden Moment die Haut zu zerreißen drohen. Ich kann ihr pochendes Schlängeln bis in meine Fingerspitzen fühlen.
Draußen schreien die Krähen gegen das Fensterglas.
Im Plastikbecher tobt ein Sturm aus blauen und weißen Punkten. Und in mir das Klappern der Schlangen.
 



 
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