Das Klassentreffen

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texxxter

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Die Stimmung war von Anfang an gedrückt gewesen. Wie hätte es auch anders sein können? Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir das Klassentreffen aufs nächste Jahr verschieben oder gleich ganz ausfallen lassen sollen.
Ich bin dann doch gekommen. Keine Ahnung warum. Aus Neugier? Oder aus Masochismus?
Insgesamt waren 18 Leute anwesend. Anfangs wollte das Gespräch nicht so recht in Gang kommen. Doch dann war der Alkohol ins Spiel gekommen und löste unsere Zungen. Wir unterhielten uns über schrullige Lehrer, alte Streiche oder frühere Liebeleien.


In einem Moment der Stille räusperte sich Mark. Er wirkte furchtbar verlegen. "Wir wollen natürlich nicht vergessen, wer heute aus tragischem Anlass nicht bei uns sein kann. Ein furchtbarer Unfall war das", sagte er und ließ danach betroffen die Schultern hängen.
"Von wegen Unfall!", dachte ich. Es passte überhaupt nicht zu diesem früheren Musterschüler, mit 220 km/h, unangeschnallt und mit einem Alkoholpegel von 2,1 Promille gegen einen Brückenpfeiler zu fahren. Patrick hatte sich das Leben genommen, das wusste ich sofort als ich die Meldung in der Zeitung gelesen hatte.

Patrick war ein fleißiger, intelligenter Schüler gewesen. Das einzig auffällige an ihm waren seine Schuppenflechte, wegen der er viel verarscht wurde. Er war eigentlich immer ein Außenseiter gewesen. Die Pausen verbrachte er nie mit uns zusammen auf dem Hof. Stattdessen lief er mit unsicherem Gang seine Runden über das Schulgelände, die Hände in den Hosentaschen und wartete sichtbar auf das Klingeln der Pausenglocke.
Ich habe mich manchmal gefragt, ob wir Patricks Selbstmord hätten verhindern können. Wenn wir ihn nicht ausgeschlossen, uns nicht über ihn lustig gemacht hätten. Aber andererseits war er auch früher schon ein komischer Kauz gewesen. Wirkte oft depressiv. Wahrscheinlich hatte er dazu eine genetische Veranlagung, dagegen kann man nichts machen.
Wir haben ihn im Grunde auch nie wirklich gemobbt. Es war ja nur im Scherz gemeint. Nur das eine Mal, da waren wir zugegebenermaßen zu weit gegangen.


Es war nach der Sportstunde gewesen. Patrick hatte sich gerade zum Duschen entkleidet und stand splitterfasernackt vor uns. Da packten einige Jungs ihn an den Beinen und Armen und warfen den nackten Patrick in die Mädchenumkleide. Die Mädchen hatten angefangen zu schreien und Patrick hatte wild gegen die verschlossene Tür gehämmert. Das ganze ging ein paar Minuten lang. Dann kam der Sportlehrer. Patrick ist dann direkt nach Hause geradelt und hat die Doppelstunde Mathe geschwänzt. Auch in den nächsten beiden Tagen ist er nicht zur Schule gekommen. Klar war das eine blöde Aktion von uns gewesen, wenn mein Sohn so was tun sollte würde ich ihm eine Klatschen. Aber andererseits waren wir erst vierzehn Jahre alt gewesen. In dem Alter macht man halt viel Blödsinn, da ist das Gehirn noch nicht ganz ausgereift, der Mensch noch nicht so richtig zivilisiert.


Mark fuhr mit seiner kurzen Ansprache fort. "Wir alle, die Patrick gekannt und geschätzt haben, wissen, dass er in unserem Herzen eine Lücke hinterlässt, aber dennoch sollten wir heute..." Er wurde von Hasan unterbrochen. "Bullshit", presste er zwischen zusammengedrückten Lippen heraus. Mark wirkte völlig perplex und schwieg. Hasan war damals Patricks einziger wirklicher Freund gewesen. "Was für einen riesigen Bullshit du laberst!", rief er jetzt voller Wut, packte seine Jacke, verließ den Raum und knallte die Tür hinter sich zu. Dort herrschte noch einige Minuten lang bedrücktes Schweigen. Dann ging man zur Tagesordnung über.
 
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Hallo texxxter,

hier fällt etwas auf:

Mark fuhr mit seiner kurzen Ansprache fort. "Wir alle, die Mark gekannt und geschätzt haben, wissen, dass er in unserem Herzen eine Lücke hinterlässt, aber dennoch sollten wir heute..."
Das zweite Mal sollte es sicher „Patrick" heißen.
Ansonsten eine gute, betroffen machende Geschichte.

LG SilberneDelfine
 



 
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