Das kleine rote Segelboot und die Muscheln

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hanky

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Das kleine rote Segelboot und die Muscheln​


Es begab sich eines Tages, daß ein kleines rotes Segelboot mit einer gemütlich eingerichteten Kajüte an Bord von einer Urlaubsfahrt nach Dänemark in seinen Heimathafen an der Nordsee zurückkehrte. Sein Eigner war durch die lange Fahrt braungebrannt und ziemlich erschöpft. Sie hatten viel gesehen und waren nun froh, wieder zurück zu sein. Der Mann vertäute das Segelboot sicher am Bootssteg und warf den übrig gebliebenen Müll einfach über Bord ins Meer, bevor er an Land sprang. Einmal noch drehte er sich um, dann schwang er den Seesack auf den Rücken und ging mit dem leicht schwankenden Gang eines Seemannes zu seinem Auto, dass er auf dem Parkplatz abgestellt hatte.
Der Müll schwamm noch eine Weile neben dem Boot und wurde dann durch die Strömung des ablaufenden Wassers aus dem Hafenbecken geschwemmt. Das kleine Segelboot war froh, nun wieder allein zu sein, um sich nach diesen langen Fahrt ausruhen zu können.
Langsam floß das Wasser aus dem Hafenbecken und das Segelboot senkte sich langsam den großen Muscheln im Schlick entgegen. Auch die Muscheln spürten das Boot näher kommen. Sie machten sich bereit und öffneten ihre kräftigen Klappen. Das kleine rote Segelboot sah es und wurde unruhig. Was mochte das bedeuten? Es zog an der Leine, mit der es fest am Bootssteg vertäut lag, konnte sich aber nicht befreien. Es fühlte eine unbestimmte Angst in sich aufsteigen und eine innere Stimme sagte ihm, daß sie nie wieder werde segeln können. Zentimeter um Zentimeter sank es tiefer herab und die Muscheln freuten sich auf den zukünftigen Spaß, den es machen würde mit einem lauten Knacken ihrer Scharniere.
Nun war es soweit, das Wasser war ganz aus dem Hafenbecken gelaufen und das kleine rote Segelboot legte sich wie in Zeitlupe auf die weit geöffneten Muscheln. Es knirschte mehrmals kräftig, dann saß das Boot auf Grund im Schlick. Ohne sich zu bewegen und ganz leise hielt das kleine rote Segelboot die Luft an. „Wenn ich mich jetzt ganz ruhig verhalte“, dachte sie, „dann wird mir bestimmt nichts passieren.“ Auch die Muscheln verharrten ohne eine Bewegung zu machen ganz still.
So blieb es für über zehn Stunden. Dann lief die Flut wieder auf. Zuerst langsam, dann immer schneller drängte das Wasser zurück in den kleinen Hafen. Der Kiel des kleinen roten Segelbootes wurde sanft von dem auflaufenden Wasser unterspült.
Sie hoffte nun, daß es so sein würde, wie sie es immer gewohnt war: das Wasser würde sie heben, damit sie auf dem Wasser schwimmen könne. Aber gerade als sie sich wieder aufrichten wollte, saugten die Muscheln, als hätten sie es miteinander abgesprochen, die Luft ein und klammerten sich damit an die Planken.
Sofort spürte das Segelboot den Druck an der Seite. Es schmerzte sie sehr. Nun war es also doch passiert! Sie hatte schon viel davon gehört, aber nie geglaubt, daß es sie einmal selbst betreffen könnte. Mit einer großen Anstrengung versuchte sie sich freizumachen. Aber es half nichts. Es blieb aber wie festgenagelt auf dem Schlickboden liegen, obwohl das Wasser inzwischen schon an den Bordwänden immer höher stieg. Nun begann langsam die Panik in ihr aufzusteigen. „Wenn ich mich nicht würde lösen kann“, dachte es voller Angst, „dann werde ich ertrinken.“
Die Aufgabe eines Segelbootes war, so hatte es es in all den Jahren gelernt, zu segeln und nicht abzusaufen. Mit hartnäckiger Zähigkeit hielten die Muscheln grimmig das Boot in ihrem Schicksal fest. Trotz der Panik versuchte sich das kleine rote Segelboot nochmals mit allerletzter Kraft vom Schlickboden loszureißen, denn das Wasser leckte schon über die Bordwand in die Plicht hinein. Es würde nicht mehr lange dauern, dann würde das Wasser auch in die Kajüte eindringen. Es strengte sich an und ächzte unter der Mühe sich von dem tödlichen Sog der Muscheln zu befreien. Aber vergeblich. Atemlos und wasserprustend mußte es einsehen, daß es sinnlos war, sich gegen diese natürliche Übermacht zu kämpfen.
Nur kurz konnte es sich ausruhen, denn schon spülte das Wasser in großen Schwallen in das Boot und jetzt auch in die Kajüte hinein. In Todesangst stemmte sich das kleine rote Segelboot nochmals in einem erfolglosen Kampf gegen ihr besiegeltes Schicksal, bevor es keine Kraft mehr hatte und aufgeben mußte. Langsam, aber unaufhaltsam versank es in den steigenden Fluten. Es spuckte und röchelte bis es keine Luft mehr bekam und überspült wurde. Das letzte, was von ihm noch zu sehen war, waren die Luftblasen, die aus der Kajüte an die Wasseroberfläche stiegen.
Als die Muscheln sahen, daß das kleine rote Segelboot ihren Lebens-kampf aufgegeben hatte und voll Wasser gelaufen war, lockerten sie zunächst zögernd, dann immer freigiebiger den Druck. Das Boot blieb nun auch ohne sie leblos auf dem Boden liegen und bewegte sich nur noch im Rhythmus der wogenden Wellen hin und her. „So“, dachten nun die Muscheln, „dieses Boot wird nicht mehr das Meer mit seinen Abfällen verdrecken.“ Dann zogen sie langsam weiter zum nächsten Boot.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hallo,

herzlich willkommen auf der leselupe.
nettes märchen, aber nicht jedes kann einfach nur Märchen heißen, darum hab ich es kraft meiner wassersuppe umbenannt.
viel spaß noch beim schreiben, lesen, bewerten und kommentieren.
lg
 



 
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