Das letzte Haus vor der Brücke

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Der Neue

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Das letzte Haus vor der Brücke gibt vielleicht ein gutes Motiv ab. Ich lenke den Wagen in die Sackgasse. Hier bin ich noch nie gewesen.
Bis zum Discounter-Parkplatz herrscht noch Verkehr, dahinter wird es still und schattig. Ein Mann, der seinen Wein gleich auf dem Parkplatz geöffnet hat, lässt die Flasche sinken und sieht meinem Auto nach.
Eine junge Frau mit Plastiktüte dreht kurz den Kopf, als sie mich hört. Ich fahre an ihr vorbei bis zum Wendehammer, halte an und steige aus. Durch das Display meines iPhones betrachte ich zuerst die Brücke, in deren gläserner Lärmschutzwand sich hoch oben die Abendsonne spiegelt. Dann den Unrat auf den Bahngleisen darunter. Schließlich das Haus.
Ich knipse die bröckelnde Sandsteinfassade, den Müll auf dem Kopfsteinpflaster, die marode Haustür.
Während ich überlege, wie ich die Bilder untertiteln soll, #deadendstreet vielleicht oder #darksideofthecity, nähert sich die Frau mit der Tüte, kramt einen Schlüssel aus der Hosentasche, öffnet und trägt ihre Einkäufe ins Haus.
Sie lebt also hier. Kurz frage ich mich, wie das wohl sein mag.
Die Tür schließt sich. Ich steige ins Auto, drehe die Musik lauter und fahre zurück ins Helle.
 
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Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo Der Neue,

ich will nicht sagen, dass ich die Geschichte schlecht finde – dennoch hätte ich Fragen und Einwände.

Zunächst mal zu meinem Verständnis: Der Netto-Parkplatz liegt also in einer Sackgasse, die für Fußgänger durchgängig ist? (Wobei übrigens in früheren Jahren immer darauf hingewiesen wurde, keine Firmennamen zu verwenden, also vielleicht besser: der Discounter-Parkplatz.)

Dieser Text ist sehr artikellastig, z. B.
die Sackgasse
die Flasche
die Brücke
die Abendsonne
die Steinfassade
die Haustür
die Bilder
die Frau
die Tür
die Musik
was ihn für mich etwas dröge macht.

Sie lebt also hier. Kurz frage ich mich, wie das wohl sein mag.
Dieses „Sie lebt also hier“ finde ich überflüssig. Vielleicht könntest Du beide Sätze zusammenfügen:
Kurz frage ich mich, wie es wohl sein mag, hier zu leben.

Auch nicht so schön ist das zweimalige „schließt“ kurz hintereinander. Vielleicht ginge beim zweiten Mal
Die Tür fällt ins Schloss

Ich finde, Du solltest noch ein wenig daran feilen.

Gruß, Ciconia
 

Der Neue

Mitglied
Hallo Ciconia,

zunächst einmal danke für die Auseinandersetzung mit meinem Text.
Die Örtlichkeit hat man sich wie folgt vorzustellen: Der Supermarkt befindet am Anfang einer kürzeren Straße und der Wendehammer an deren Ende.
Die Frage nach den Fußgängern verstehe ich nicht.
Zum Sprachlichen:
Ich hatte zunächst tatsächlich auch „Discounter“ geschrieben, dachte aber, mit der Namensnennung würde die Darstellung authentischer und besser vorstellbar. Außerdem mag ich das Wort eigentlich nicht.
Aber das zu ändern ziehe ich auf jeden Fall in Betracht, das ist kein Problem.
„Sie lebt also hier“ ist für mich ein zentraler Satz, allenfalls das „also“ könnte weg, damit war ich mir selbst nicht ganz sicher.
Ich hatte eher gezweifelt, ob das folgende „Kurz frage ich mich, wie das wohl sein mag“ nicht schon zu offensichtlich ist, zu viel erklärt. Ich hätte eher diesen Satz weggelassen. Aber das finde ich natürlich sehr spannend, wie da die Ansichten differieren.
Was ich an den Artikeln ändern könnte, weiß ich jetzt nicht, damit werde ich wohl leben müssen.
Ach, fast vergessen: Für den Hinweis auf die zweimalige Verwendung von „schließen“ bin ich sehr dankbar; da überlege ich mir was.

Viele Grüße

Der Neue
 
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Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo Der Neue,

noch einmal zum beschriebenen Ablauf, den ich so verstanden habe:
Du lenkst den Wagen in die Sackgasse
Dann kommst du am Parkplatz vorbei
Du fährst an der Frau vorbei und parkst am Wendehammer der Sackgasse

Wo genau liegt dann das Haus? Direkt am Wendehammer? Ich dachte dahinter – deswegen meine Frage, ob für Fußgänger der Weg über den Wendehammer hinaus möglich ist - denn Du siehst die Frau ja plötzlich vor Dir.
Irgendwie bin ich mit der Szenerie überfordert.

Bestimmte Artikel könnte man z. B. in unbestimmte umwandeln: Ich lenke den Wagen in eine Sackgasse
oder ganz weglassen: In deren … sich Abendsonne spiegelt

Aber da will ich Dir nicht reinreden.;)

Gruß, Ciconia
 

Der Neue

Mitglied
Nochmals hallo Ciconia
„Eine junge Frau mit Plastiktüte dreht kurz den Kopf, als sie mich hört. Ich fahre an ihr vorbei bis zum Wendehammer, halte an und steige aus.“
Also der Ich-Erzähler überholt die vom Discounter kommende Frau und ist mit dem Auto natürlich schneller am Wendehammer. Bis er mit seinen Fotos fertig ist, ist sie dann auch zu Fuß dort angelangt, wo sich das Haus befindet.

Ich hatte eher mit kritischen Fragen zu den Lichtverhältnissen und der Höhe der Brücke gerechnet, aber das hier finde ich auch gut.
Viele Grüße
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Der Neue,

eine Alltagsgeschichte, die einen etwas nachdenklich zurücklässt.
Sehr gerne gelesen!

Liebe Grüße
Manfred
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo Der Neue,

wahrscheinlich habe ich mich durch den Titel beirren lassen: Das letzte Haus vor der Brücke suggerierte mir eine Häuserreihe entlang der Straße zu einer Brücke. Dann wurde ich in eine Sackgasse geleitet, an deren Ende am Wendehammer nun dieses Haus stand – wo war da die Brücke geblieben, die man nicht einmal zu Fuß erreichen konnte? Stand das Haus unter der Brücke? Dafür spräche die Lärmschutzwand „hoch oben“. Die „Bahngleise darunter“ sind dann auf welcher Höhe?

Du siehst, ich komme mit Deinen Schilderungen immer noch nicht klar, was durchaus an mir liegen mag. :rolleyes:

Gruß, Ciconia
 

Val Sidal

Mitglied
Die Idee ist ansprechend. Der Text leidet unter den unmotivierten Perspetivenwechseln. Die Raum- und Zeitordnung ist unruhig und schwer erkennbar.
Ich teile Ciconias Irritation.
Hier ein paar Hinweise, die auch stilistische Fragen berühren:
Das letzte Haus vor der Brücke gibt vielleicht ein gutes Motiv ab. Ich lenke den Wagen in die Sackgasse. Hier bin ich noch nie gewesen.
-> der Protagonist findet ein Motiv und handelt daraufhin. Ob er schon mal hier war oder nicht, spielt keine Rolle – es ist eine überflüssige Reflexion, die das Bild stört.
Bis zum Discounter-Parkplatz herrscht noch Verkehr, dahinter wird es still und schattig. Ein Mann, der seinen Wein gleich auf dem Parkplatz geöffnet hat, lässt die Flasche sinken und sieht meinem Auto nach.
Eine junge Frau mit Plastiktüte dreht kurz den Kopf, als sie mich hört. Ich fahre an ihr vorbei bis zum Wendehammer, halte an und steige aus.
->der Abschnitt ist perspektivisch, zeitlich, atmosphärisch und stilistisch unbefriedigend.
Wie wäre es hiermit:
"Ein Mann, der seinen Wein gleich auf dem Parkplatz des Billigladens geöffnet hat, lässt die Flasche sinken und sieht meinem Auto nach. Es wird still und schattig. Eine junge Frau mit Plastiktüte hebt kurz den Kopf während ich an ihr vorbei bis zum Wendehammer fahre und anhalte."
Durch das Display meines iPhones betrachte ich zuerst die Brücke, in deren gläserner Lärmschutzwand sich hoch oben die Abendsonne spiegelt. Dann den Unrat auf den Bahngleisen darunter. Schließlich das Haus.
-> das mit dem Unrat klappt so nicht … Entweder bewegt sich der Protagonist auf die Brücke zu (was er aktuell nicht tut), um den Unrat zu erkennen, oder der Satz kann gelöscht werden. Er lenkt eh nur vom Fokus des Bildes ab: Junge Frau, lebt in Armut im alten Haus.

Ich knipse die bröckelnde Sandsteinfassade, den Müll auf dem Kopfsteinpflaster, die marode Haustür.
Während ich überlege, wie ich die Bilder untertiteln soll, #deadendstreet vielleicht oder #darksideofthecity, nähert sich die Frau mit der Tüte, kramt einen Schlüssel aus der Hosentasche, öffnet und trägt ihre Einkäufe ins Haus.
Sie lebt also hier. Kurz frage ich mich, wie das wohl sein mag.
-> Wieder ein unnötiger, störender Perspektivenwechsel (Außenperspektive: Haus/Frau – Innenperspektive: innere Reflexion). Schöner und passender wäre sowas: „Sie lebt also hier. Während ich ins Auto steige schließt sich die Haustür hinter ihr. Ich drehe die Musik lauter. Im Rückspiegel verschwindet das letzte Haus vor der Brücke."

All das ist freilich auch Geschmackssache.
 

Der Neue

Mitglied
Hallo Val Sidal,

vielen Dank für die hilfreichen Anmerkungen. Die Idee, die Reflexionen ganz zu streichen, gefällt mir gut.
Dass die Schilderungen der Örtlichkeit nicht verständlich sind, ist anscheinend ein handwerklicher Mangel, an dem ich arbeiten muss.
Vermutlich ist auch der Titel „vor der Brücke“ irreführend. Er hatte mir vom Rhythmus her gut gefallen, als ich noch dachte, der Text wird vielleicht ein Gedicht. „Unter der Brücke“ wäre aber treffender, ich werde das wohl ändern.

Viele Grüße
 
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