Kapitel 11
Und wieder erklang ein zweistimmiger Summton aus Pauls Jacke, jedoch ganz anders als bisher. Es war wohl eher ein Orgelton, der jetzt in Margrits feine Gehörgänge hinein vibrierte. Bald schien der ganze hintere Teil des Jambutos davon erfüllt zu sein und Munks Ohren zuckten, obwohl er inzwischen schlief. Nur George konnte ihn nicht hören. Der Ton drang bis nach draußen, arbeitete sich immer weiter vor und war für Margrit so störend, dass es ihr schwer fiel, sich dabei weiterhin auf die Geräusche von außen zu konzentrieren.
George bemerkte Margrits komische Nervosität. “Nur ganz ruhig bleiben!“ sagte er und hielt ihre Hände fest, weil sie mit denen wie verrückt an ihren Ohren herumgerieben hatte. “Mensch, was ist denn plötzlich mit dir los?“
„Los? Äh ... hm ... tja! Was soll denn los mit mir sein George?“ Ach, es war schrecklich, dass sie Danox Existenz immerzu geheim halten musste. He, was bezweckten wohl die beiden Teile mit diesem Krach? Und dann fiel ihr ein, dass der kleine Roboter erst gestern auf fast die gleiche Weise einen hajeptischen Satteliten begrüßt hatte, als der gerade hinter den Dächern Würzburgs zum Vorschein gekommen war. Also begrüßte er wohl auch jetzt das, was sich ihnen gerade nähern wollte freudevoll – wirklich verrückt so was!
„Ja, das habe ich dich eben gefragt!“ knurrte George verärgert.
„Oh, jetzt kann ich sie wieder hören!“ rief Margrit überrascht und das war auch nicht gelogen, denn Danox hatte plötzlich mit seiner komischen Orgelmusik aufgehört. “Puh, sie sind gerade furchtbar wütend!“
„Wer?“ knurrte George entnervt.
„Na, die Hajeps!“ wisperte Margrit, dabei wieder am ganzen Körper bebend. „Irgendetwas scheint bei denen wohl nicht so geklappt zu haben, wie sie das eigentlich erwartet hatten. Man, sind die schlecht gelaunt! Und nun erteilen sie Martin und Erkan irgendwelche Befehle. Hm ... hmmmm ... muss noch näher hinhören!“
George seufzte, manchmal konnte Margrit richtig hartnäckig sein.
„Ja, ich glaub jetzt hab ich´s verstanden .. die beiden müssen aussteigen, um den Laderaum von ihrem Jambuto auszuräumen!“
"Ach Unsinn Margrit!" George nahm ihr Gesicht behutsam zwischen seine großen, warmen Hände und fühlte ihre heißen Wangen. "Du hast gewiss Fieber und phantasierst, denn wenn es Hajeps wären, bräuchten Martin und Erkan ja gar nichts auszuräumen. Der Feind hat eine so gute Technik, weißt du, wenn der irgendetwas Verstecktes finden will, braucht er nur mit seinen Geräten unsere Jambutos von außen zu durchleuchten und in wenigen Minuten hat er es entdeckt. Die beiden sind ausgestiegen, ja, das höre ich zwar auch, aber das hat bestimmt einen anderen und stinknormalen Grund! “
Margrit schüttelte den Kopf. "Hörst du es nicht rumpeln und schurren? He, Erkan hat gerade mit dem Ausräumen angefangen . Er reicht die Kisten an Martin weiter, der bestimmt unten an der Laderampe steht. Die Hajeps sind ganz aufgeregt. Ach, sie wollen bestimmt den Jambuto nur deswegen etwas leerer haben, damit sie besser nach mir suchen können – oh Gott ... puh! Mann, man ... und das alles nur, weil ich gestern mit Owortep ein¬kaufen war!"
“Mit Owortep einkaufen!“ äffte George Margrit nach und verzog dabei spöttisch sein Gesicht. “Wohl etwas Schaum, was?“ setzte er grinsend hinzu
„Nein, davon hatte der leider selber genug! Hach, endlich willst du mir glauben!“ Margrits Augen leuchteten plötzlich erleichtert. „Du, dieser Owortep hatte ganz schön hart mit Pommi verhandeln müssen! Man, der Pommi kann aber auch ganz schön dickköpfig sein, wenn es um seine Preise geht!“ Margrit wollte wieder an ihren Ohren herum reiben, denn Danox hatte leider wieder zu orgeln angefangen. George hielt jedoch ihre Hände fest. Offensichtlich stand es schlimmer um sie, als er zunächst gedacht hatte.
„Margrit ...“, begann er daher langsam und deutlich und streichelte dabei ihre Hände, die immer wieder zu den Ohren hoch zucken wollten, „... das kann so nicht ganz ... äh ... gewesen sein, weil ... hm ... ein ... na ja ... so ein Owetep...“
„Owortep!“ verbesserte sie ihn.
„Weil Hajeps eben nicht Menschen beim einkaufen helf ...“ Das letzte Wort blieb ihm im Halse stecken, denn Pauls und Gesines erschrockene Stimmen von draußen veranlassten auch ihn wieder genauer hinzuhören. Die beiden mussten wohl jetzt ebenfalls aussteigen. He, plötzlich vernahm er sogar eilige Schritte, die Richtung Laderaum marschierten!
"Lebe wohl, George!" wisperte Margrit daher matt. "Die Zeit war schön mit dir!“ Und dann schnappte sie sich Pauls Jacke mit dem immer noch munter einherorgelnden Danox und versteckte sich hinter einer Reihe aufeinander gestapelter Kisten und warf dabei noch einige Decken über sich. „K ... kann man mich so sehen?“ keuchte sie bebend.
"Nein, Margrit!" sagte George immer noch verärgert, doch sein Herz schlug mit einem Male recht schnell, denn er meinte nun leider auch, den typischen singenden Klang der Hajepsprache heraus zu hören, während zum hinteren Teil des Jambutos gelaufen wurde. Es schienen erstaunlich viele Füße zu sein. Ein Gänseschauer lief George den Rücken hinunter. Er schüttelte sich. Margrit konnte einem wirklich ganz schön was einreden. „Reg dich doch nicht so entsetzlich auf!“ wisperte er Margrit zu. “Was auch immer geschehen sollte, die, wer immer das sind, suchen nicht nach dir, glaube es mir!"
„Doch, nämlich weil Owortep mit mir einkaufen war!“ nuschelte es undeutlich hinter einer der Kisten hervor.
„Quatsch!“ George lockerte mit zitternden Fingern lieber doch schnellstens den Verband an seinem Fuß, schob den Revolver, welchen er wie jeder Untergrundkämpfer immer im Gürtel trug, dort hinein, wickelte ihn wieder fest und krempelte das Hosenbein darüber. So sah alles aus wie ein gebrochener, geschienter Fuß, der dort unten vorlugte.
Da wurde auch schon die Tür des Jambutos aufgerissen und das grelle Tageslicht blendete nicht nur ihn, sondern auch Munk. Letzterer blinzelte verschlafen nur mit einem Auge unter dem karierten Deckchen hervor. Ja, er hatte sich auf die zwölf Eier gelegt, ohne auch nur eines dabei anzuknicken - da er satt war! Aber was machten diese recht übertrieben nach Seife riechenden Zweibeiner auf einmal hier? Munk war sehr verärgert über deren Benehmen.
"Amar?“ brüllte der Tjufat und Munk zuckte daher nochmals zusammen, aber niemand beachtete den kleinen Eierkorb mit dem bunten Deckchen neben der Tür.
„Kon wan ae Lumantiselari Marktstramm? "
George war so überrascht und erschrocken, dass er beinahe rücklings von der Kiste gefallen wäre, auf der er noch immer saß. Verdammt, das waren tatsächlich Hajeps!? Er glaubte nicht recht gehört zu haben, denn Marktstramm hörte sich ja fast an wie Margrit Schramm! Er schluckte. Donnerwetter, Margrit musste sich etwas ver¬heerendes geleistet haben, dass dieser sie deswegen jagte. Hinter jenem Tjufat scharrten sich noch weitere – etwa acht - behelmte Außerirdische in den typischen grau und lilafarbenen Uniformen. Es gab wirklich keine Chance zu entkommen. George versuchte sich zu beruhigen, aber vergeblich, sein Herz pochte stattdessen sogar noch wilder drauflos! Oh Gott, ganz gewiss wollten die Hajeps mit Margrit wieder eines der schrecklichen Exempel statuieren, um die Menschheit abzuschrecken, nur ja nichts dergleichen wie Margrit zu wagen. Hajeps waren schließlich für ihre übertriebenen Rachefeldzüge bekannt!
„Xorr, kir wan dos?“ fragte der Rekomp weiter und knirschte dabei mit den Zähnen. George meinte, rote Augen hinter der stark getönten Scheibe des Helms unruhig umher wandern zu sehen. “Wass ist loss, he?“
Aha, dieser Tjufat konnte also auch Deutsch sprechen. „Tja ... äh ... w...was sollte denn los sein?“ murmelte George und zuckte möglichst arglos mit den Schultern. Verdammt, was mochte Margrit wohl Dreistes in ihrer Not angestellt haben? Er nagte vorsichtig an der Unterlippe und musterte dabei den Feind unauffällig. Nein, diesen Tjufat kannte er wohl nicht und auch nicht die anderen dahinter. Es gab nur ein kleines Problem. Hoffentlich hatten nicht Nireneska oder Diguindi diesen Männern bereits Informationsmaterial über einen ´gewissen` George de Mesa zukommen lassen, dann war er womöglich gleich geliefert! Denn obwohl Georges Familie von Nireneska längst getötet worden war, suchte man vermutlich noch weitere Angehörige Roberts.
“Wo iss Frau?“
„Welche Frau?“ fragte George zurück. Schrecklich, plötzlich war er so kurzatmig.
„Na, die ...“ Der Tjufat holte nun ein etwa handgroßes, flaches und ovales Gebilde aus einer Tasche seiner Uniform und hielt es Richtung Laderaum. Er schaute dabei auf seinen Ärmel, wo ein winziger Bildschirm – ähnlich wie eine Uhr- befestigt war. Nach einigen Sekunden schien er ärgerlich zu werden, wohl, weil er darin nichts Besonders erkennen konnte. Er stellte das Ding kopfschüttelnd hier und da anders ein und machte danach mit ausgestrecktem Arm große kreisende Bewegungen in den Laderaum hinein. „Skirrco!“ fauchte er schließlich und war so wütend, dass er es nicht nur vor sich auf den Boden pfefferte, sondern auch noch mit den Füßen darauf eintrat. Als er sich einigermaßen beruhigt hatte, bückte sich jener Soldat, der direkt neben ihm stand und gab es ihm wieder. Ohne ein Danke und kopfschüttelnd, dabei Unverständliches wüst vor sich hin brabbelnd, ließ der Tjufat das Suchgerät wieder in seinem Hemd verschwinden.
„Munjafkurin, ima nenulon mai dendo … zioro!“ wendete sich der Tjufat an jenen Soldaten, der noch immer dicht neben ihm stand. “To juka notom!“
Der Angesprochene nickte.
„Lumantimann machert Platz!“ wendete sich der Tjufat wieder an George.
Munk blinzelte weiterhin ziemlich verdrießlich aus seinem Körbchen, denn die etwa zwölf Soldaten hinter dem Tjufat wirkten kaum ruhiger als der. Sie spähten über die Schultern ihres Oberhauptes aufmerksam in den Wagen und ihre Oberkörper schwankten dabei ungeduldig vor und zurück. Die mittägliche Sonne funkelte auf ihren nach oben spitz zulaufenden Helmen..
„Äh ... wieso eigentlich? “ krächzte George und breitete zur Unterstreichung seiner Worte hilflos die Arme zu beiden Seiten aus. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Margrit hinter ihrer Kiste bibberte wie Espenlaub. Der Tjufat musterte George scharf, besonders lange ruhte dabei sein Blick in dessen Gesicht.
„Lügst!“ behauptete der jetzt. „Marktschwamm is verstäckt hirr in deinimm Waginn!“
Verdammt, woher mochte er wohl so sicher sein, dass Margrit sich hier versteckt hatte? George mühte sich, jetzt bloß nicht blass oder gar rot im Gesicht zu werden. „Also, ich kenne keine Frau mit solch einem Namen und darum kann sie hier ja auch wohl schlecht versteckt sein“, schwatzte George einfach weiter drauf los, erhob sich aber sicherheitshalber von der Kiste, als habe er vor zu gehorchen. Der Tjufat musterte ihn dabei wieder sehr gründlich, dabei fiel dessen Blick auf Georges verbundenen Fuß, wo er erst einmal nachdenklich verharrte. George gab sich Mühe, nicht mit den Knien zittern. Schließlich machte der Tjufat nur eine knappe, gebieterische Armbewegung, die wohl eine Aufforderung war, dass er umgehend den Wagen zu verlassen hatte. Schweiß trat George auf die Stirn, denn er ahnte, dass man den Wagen jetzt gründlicher durchsuchen wollte. George taugte wohl nicht zum ausräumen, da der Tjufat erkannt hatte, dass er gehbehindert war. Draußen hörte er indes die aufgeregten Stimmen seiner Freunde Martin, Erkan und Paul. Sie schienen sich immer noch mit den anderen Hajeps auseinander zu setzen.
"Warum soll ich hier raus?" stammelte George und hob hilflos die Hände in die Höhe. "Was wollt ihr da draußen mit uns machen? Wir ... wir haben nichts getan ... wirklich nichts!"
Der Tjufat machte eine knappe Bewegung mit dem Kopf in Richtung seines Soldaten und dann zu George.
Der Befehligte kletterte daraufhin mit pantherähnlichen Bewegungen in den Lieferwagen, wohl um George gewaltsam aus diesem zu entfernen. Munk blinzelte deshalb wieder ziemlich verdrießlich. Ach, das war ja eine Unruhe heute, aber niemand achtete ja auf ihn.
George war so erschrocken, dass er für einen kurzen Augenblick überlegte, ob er die Waffe ziehen sollte. Da blickte er auch schon in die winzige Mündung einer recht seltsam ausschauenden Pistole. Der Kolben dieser außerirdischen Waffe war ziemlich flach, dabei quadratisch geformt und an den Ecken leicht abgerundet. Er lag sehr gut in der Handfläche des Soldaten überragte diese nirgendwo. Der Lauf war nur etwa drei Zentimeter lang und ebenso breit, doch in diesem steckte noch eine stiftförmige Verlängerung, die der Hajep ausgefahren hatte.
Der Soldat hatte nun mit der anderen Hand ein kleines, ebenso sonderbares Gerät hervorgeholt, mit dem er wohl Georges Kleidung durchleuchten wollte, aber es funktionierte nicht. Im Gegensatz zu seinem Oberhaupt probierte er nicht lange damit herum, klopfte nur mit der freien Hand George von oben bis unten ab. Dieser schwitzte dabei schier Blut und Wasser, besonders als die Hand schließlich zu den Füßen hinab und Richtung Verband wanderte. George war überrascht, nicht nur über die Flüchtigkeit, mit welcher diese außerirdischen Finger über den Verband huschten, auch über das schlechte Tastvermögen jenes Soldaten – konnte es an den Handschuhen gelegen haben? Jedenfalls richtete sich der Soldat ohne auch nur irgendein Zeichen der Verwunderung oder Skepsis einfach wieder auf. „Lumanti gehert, akir?" knurrte ihn die sonderbare Stimme nur recht ener¬gisch an. "Du verlasserst denn Waginn ... SOFORTA!“
George verspürte den spitzen, kleinen Lauf nun in seinem Rücken auch noch, als er längst an der Tür des Jambutos stand. „Springerere!“ fauchte der Soldat hinter ihm. George sprang hinunter und blickte kaum unten gelan¬det, schon in die Mündung der nächsten seltsam gestalteten Waffe. Er hütete sich, die Arme auch nur ein biss¬chen tiefer sinken zu lassen und der Tjufat winkte ihn mit dem Gewehr zu den anderen Menschen hinüber.
George schaute sich noch ein letztes Mal nach den beiden Jambutos um, während er über die Straße zu den anderen lief. Was hatten diese Hajeps vor? Würde dieser verdammte Trupp nun einen Menschen nach dem anderen hier auf diesem Parkplatz erschießen? Nur wenigen Menschen war es bisher vergönnt gewesen, Kontakte mit Hajeps zu überleben. Selbst Georges Familie, die immer für die Hajeps gearbeitete hatte, musste doch eines Tages dafür mit dem Leben büßen. Da war es vielleicht ganz egal, ob man heute oder Morgen starb! Er hatte sich nicht getraut, sich im inneren des Wagens noch ein letztes Mal nach Margrit um zu sehen, aber er hoffte inständig, dass sie endlich aufhören würde zu zittern! Noch immer hatte er seine Hände erhoben, während er zum Parkplatz getrieben wurden. Er spürte aber den Revolver in seinem Verband und das tröstete ihn seltsamer¬weise.
Wie George geahnt hatte, konnte Margrit gar nicht mehr aufhören zu zittern und erst recht nicht, als sie von ihrem Versteck aus auch noch erkennen musste, dass der hajeptische Soldat nun mit Hilfe eines weiteren Suchgerätes, wie es der Tjufat zuvor benutzt hatte, beginnen wollte Säcke und Kisten zu durchleuchten. Glücklicher¬weise hatte er auch damit keinen Erfolg und sie atmete erleichtert aus. Nein, das konnte nicht immer wieder Zufall sein. Margrit ahnte, dass die beiden Teile von Danox mit Hilfe von irgendwelchen Wellen für diese vie¬len Störungen in den hochempfindlichen Geräten sorgten.
Dankbar tastete sie nach den zwei Stücken in Pauls Jacke, während der Soldat damit begonnen hatte, einige Sachen hin und her zu schieben, wohl um zu schauen, ob sich jemand dahinter versteckt hielt. Er war dabei ziemlich bequem, denn er gab den Kisten manchmal auch nur einen Tritt, damit es schneller ging. Margrit gewann dabei den Eindruck, dass er nicht gerade mit großer Begeisterung seinen Auftrag erfüllte, denn immer wenn er Richtung Tür schaute, überging er einfach einige Stapel Kisten oder Säcke. Wenn er irgendwelche Kisten herunter heben musste, wippte die Spitze seines komischen Stiefels dabei zunehmend unlustiger.
Margrit dachte an den Spieltrieb, den sie bei Oworlotep beobachtet hatte, und holte - wenn auch weiterhin bibbernd - eine kleine Spieluhr aus einer der Kisten, neben ihr, und legte ihm diese in die Nähe seiner Hacken und zwar so, dass er dagegen stoßen musste, sobald er sich umdrehte. Wenig später hörte sie es auch schon schep¬pern. Sie schloss ergeben die Augen, würde er sich über das plötzliche Erscheinen der Spieluhr womöglich wun¬dern und dadurch herausfinden, dass sie ihm diese hingelegt hatte? Oder die Spieluhr kaum beachten, der viel¬leicht nur einen Tritt geben, damit sie fortrollte und einfach in ihre Richtung weitergehen?
Als sie die Augen öffnete sah sie, dass der Hajep bereits die Uhr von allen Seiten verwundert betrachtete. Er warf dabei seinen Kopf fragend von einer Seite zur anderen. „Zai?“ wisperte er dabei skeptisch. „Zaaaiiii?“ Schließlich tippte er die Kurbel kurz an und dann nach kurzem Zögern noch ein Mal. Er hatte dabei wieder zur Tür geschaut, die nur zur Hälfte geöffnet war. Etwa weil er sich vergewisserte, dass ihn sein Tjufat nicht beobachtete? Und dann drehte er plötzlich vorsichtig an der winzigen Kurbel der Spieluhr, wieder seinen Kopf dabei fragend schief haltend.
"Alle meine Ent ...", tönte es zu seiner großen Überraschung aus der Uhr. Er hatte sich so erschreckt, dass er nicht nur ins Taumeln geraten, sondern auch beinahe rückwärtig in die anderen Kisten gefallen wäre, "... schwimm ... dem See ... schwimm ... dem Se ...“, hörte er mit großen Augen weiter, „... in das Wasser ... chen ... öh!"
Leider war die Spieluhr nicht mehr so ganz in Ordnung, einige Plättchen fehlten, aber die Unvollkommenheit des Liedes schien den Hajep nicht sonderlich zu stören
Er wippte jetzt federnd - etwa vor Freude? – auf seinen Zehen.
„Nurrfi ... nurrfi!" hörte ihn Margrit dabei undeutlich nuscheln und dann kurbelte er von neuem das Ding an. Leise keuchend lauschte er der sanften Lumantimelodie, die ihn schier trunken zu machen schien.
"MUNJAFKURIN!" herrschte ihn der Tjufat indes von draußen ausgesprochen ärgerlich an. "Xorr, kir pin to ti? … to noto bruk unata?" Man hörte Schritte und nun spähte der Tjufat wieder zur Tür herein. Margrit machte einen langen Hals hinter ihrer Kiste. Nein, diesen Hajep kannte sie wohl ebenfalls nicht. Weder war er so stämmig wie Nireneska noch so schlank und hoch aufgeschossen wie Diguindi.
Der Soldat im Inneren des Wagens fuhr wie aus einem Traum erwacht zusammen und nahm Haltung an.
"Chajeto!" entschuldigte sich Munjafkurin erschrocken. "Chajeto! Noi jato pir nabarkion!" Er ließ die Spieluhr als Zeichen seines Gehorsams demonstrativ zu Boden fallen.
Doch sein Befehlshaber schüttelte nur missmutig den Kopf. Zu Margrits großem Erstaunen gab er ihm ein kurzes, aber unmissverständliches Zeichen, die Spieluhr wieder aufzuheben und sich ihm damit zu nähern.
Nun stand der Soldat in der Tür des Jambutos und sein Offizier starrte neugierig auf das ´Ding´ in dessen Hand. "Kir wan tes?" erkundigte der sich und nahm es ihm vorsichtig aus den Fingern. Einige seiner Männer waren neugierigerweise ebenfalls zurück gekommen, zeigten sich genauso fasziniert. Sie drängelten sich vor der Tür des Jambutos um ihr Oberhaupt.
Der Gefragte zuckte nun stumm die Achseln.
"Kon jati to tes namagunto?" wollte jetzt der Tjufat von Munjafkurin wissen.
Dieser sah sich im inneren des Wagens nach allen Seiten um . "Pla juka jat nadeba!" Er wies nicht ohne Stolz in die Richtung, wo er die anscheinend wertvolle Beute gefunden hatte.
Das Oberhaupt nickte und beleckte sich aufgeregt die Lippen
"Era nagat tes len kriba?" wollte es jetzt wissen und hielt die Spieluhr Munjafkurin mit ausgestreckter Hand entgegen.
"Pogo!" erklärte Munjafkurin höflich, beugte sich zu ihm hinab und fügte zögernd hinzu. "Bani noi?"
Der Offizier nickte auffordernd. "Akir! Guusio!"
Da packte der Soldat vorsichtig mit zwei Fingern die kleine Kurbel oben an der Spieluhr und begann die zu drehen. Alles, was hajeptisch war, lauschte daraufhin hingerissen. Selbst jene Soldaten, welche einen Kreis um die Menschen auf dem kleinen Parkplatz gebildete hatten. Erkan, George, Paul, Gesine und Martin blickten einander verwirrt an, denn sie vermochten es sich einfach nicht zu erklären, dass ´Alle meine Entchen´ eine solche Reaktion auslösen konnte.
"Hiat Ubeka!" riefen wenig später einige der hajeptischen Soldaten überrascht und andere murmelten anerkennend
"Nurrfi, nurrfi!"
Man federte nun gemeinschaftlich und ziemlich aufgeregt auf den Zehen. Ein gar seltsames, fast unheimliches Wippen ging wie in mehreren Wellen durch den ganzen Trupp, der sich rings um die beiden Jambutos geschart hatte. Erst nach einem ganzen Weilchen trat Ruhe ein. "Da tista! Da tista!" bettelte die Meute nun ihr Oberhaupt an.
Doch das schüttelte streng den Kopf. "Lerk!" sagte es und dann warf der Tjufat die Spieluhr demonstrativ einfach zurück in den Lieferwagen.
Munk war sehr empört, Was sollte das schon wieder? Die Spieluhr war nicht nur ziemlich dicht über sein Körbchen hinweg in den Laderaum hinein geflogen, sie hatte auch anschließend ziemlich laut gescheppert und zwar ganz in seiner Nähe, sodass er schon wieder wach geworden war. Nie konnten Zweibeiner etwas Vernünftiges tun. NIIIE!
"En tjuna tete oxina hi sri anu djepato!" unterbreitete der Offizier indes den ziemlich enttäuscht wirkenden Soldaten sein Tun. "Tubiton lumantijabol!" und er schüttelte dabei verächtlich die Hand Richtung Menschen aus.
Da fügten sich seine Soldaten gesenkten Hauptes.
Der Tjufat ging nun mit großen Schritten auf die Menschen zu, und die wichen vor Angst und Entsetzen vor ihm zurück. Oh Gott, was würde nun passieren? Würde man sie jetzt erschießen, wie das eigentlich sonst immer üblich war?
„Kennert Marktstamm?“ fragte der Tjufat aber nur schon wieder, was allerdings eher wie eine Feststellung als eine Frage klang.
Paul, Gesine, George, Martin und sogar Erkan schüttelten trotzdem ziemlich wild und gemeinschaftlich die Köpfe
"Ihr nischt gesähinn habt?“ fragte er jetzt.
Erneutes Kopfschütteln und George freute sich dabei insgeheim, wie solidarisch doch seine Freunde in höchster Not sein konnten.
„Ihr nunni genäu hinschauern musssert!" Der Offizier schlenkerte ein seltsames Gerät einmal kräftig hin und her und es kroch ein regenbogenfarbenes, wolkenartiges Gebilde aus dessen Öffnung. Die bunten Nebelschwaden fielen zunächst zu Boden, kringelten sich von dort wieder in die Höhe, verdichteten sich zu einem leicht transparenten holographischem Bild. Zur Zeit dieser Aufnahme war es wohl tiefste Nacht gewesen, denn es erschien alles ziemlich dunkel. Ein weiblicher Mensch lehnte zusammengekrümmt am Stamm eines mächtigen Baumes. Er wurde vom grellen Licht einer kleinen Lampe angestrahlt, und nun kam sogar Bewegung in das Bild. Die Person war eine ziemlich dürre Frau, deren Oberkörper zwar entblößt war, den sie sich jedoch mit den Händen verdeckte. Sie schien mächtig in Panik geraten zu sein und zitterte am ganzen Körper. Das Licht einer kleinen Lampe bestrahlte sie von oben bis unten und ging wohl von demjenigen aus, der nicht im Bild zu sehen war, welcher aber die Lampe irgendwo an seinem Körper befestigt hatte, denn der Schein schaukelte ständig hin und her. Und so war die Frau, die recht helle Haare zu haben schien - denn Margrit war ja schon ganz schön ergraut gewesen – nur sehr undeutlich zu sehen.
„Bitte eine winzig kleine Pause, ja?“ hörten sie alle Margrit und waren über ihre verzweifelte Stimme sehr erschrocken. Ganz besonders George schnürten Trauer und Zorn dabei regelrecht den Hals zu. Er meinte zu wissen, was sich hier abspielte, nämlich dass derjenige, welcher Margrit so aggressiv mit dem Licht bearbeitete, sie wohl gerade vergewaltigen und das auch noch filmen wollte, was ihm allerdings nicht so recht gelang, denn immer wieder zeigte sich zwischen diesen Bildern nichts als Schwärze. „Mir ist schlecht!“ schnaufte Margrit dann im nächsten Bild. George traten Tränen in die Augen. Ach, er hätte diesen Hajep dafür auf der Stelle erwürgen mögen. Armes Mädchen, was hatte sie wohl alles bereits durchmachen müssen mit diesem Typ – wie hatte der doch gleich geheißen? Owortep! - dass sie so fertig war! Na, den würde er sich aber merken. Ach, Margrit, was war sie doch für eine tapfere Frau. Die ganze Zeit hatte sie niemandem von ihnen auch nur ein Sterbenswörtchen darüber erzählt!
Selbst Gesine, die sonst eine ziemlich raue Natur besaß, nagte dabei die ganze Zeit an ihrer Unterlippe. Die Arme Margrit, das also war mit ihr gemacht worden! Nee, sie würde künftig nicht mehr so zickig zu ihr sein, sollten sie noch mal mit dem Leben davon kommen, jawoll! Das nahm sie sich ganz fest vor.
„Naa, was is?“ fragte der Tjufat und wies dabei auf das holographische Luftgebilde. “Bekannter Frau?“
Paul zuckte zur Antwort nur mit den Achseln und Gesine versuchte möglichst erstaunt dreinzuschauen.
„Reddet!“ verlangte der Tjufat. “Ihr kennert sie!“
„D ... die kennen wir nicht! " erklärte George nach dem ersten Schock.
"Wirklich nicht!“ bestätigte ebenso Paul.
Der Hajep schaute jedem von ihnen misstrauisch ins Gesicht und dann schritt er plötzlich näher an Gesine heran. Margrit hatte wohl durch diese Aufnahme, welche mitten in der Nacht gemacht worden war, jünger ausgesehen als sie eigentlich war und das graue, lange Haar mit den weißen Strähnen hatte im Lampenlicht wie blond ausgesehen.
Es nutzte nichts, dass Gesine vor dem Tjufat Schritt um Schritt zurück wich. "Xorr!" murmelte der Tjufat immer sicherer. "Aller Lumantis sichten verdammtig glaich aus!“ Er brach ab, wollte vergleichen aber inzwischen hatte der Wind das Nebelbild in einzelne zarte Schwaden zerrissen und wehte sie jetzt fort. "Du Marktstramm bist!" brüllte der Tjufat Gesine einfach an. "Und kommast jitzt hierherr ... HIERHERR!“ Er wies energisch mit dem Finger auf die freie Fläche direkt vor seinen Füßen.
"Nein! Das mache ich nicht!" schluchzte Gesine zu Tode erschrocken. "Denn ich bin ja gar nicht die Margrit!“
„Wirklich nicht!“ sagte schon wieder Paul, denn Erkan, George und Martin waren vor Schreck wie versteinert.
„Doch, doch!“ beharrte der Tjufat.
„Nein ... also, die sieht doch ... äh ... sah doch in diesem Bild doch viel älter aus als ich!“ stieß Gesine nun ziemlich atemlos hervor.
„D ... das stimmt!“ meldete sich auch wieder Paul. „Die ist ... hm ... war doch viel älter!“
„Pwi, das war eben einer gäns schlächte Aufnahme!“ erklärte der Tjufat eifrig. “Alzo Frauuu ... komm entelisch herr su mirr!“
„Nein, ich .. ich denke nicht daran!“ Gesine stampfte mit dem Fuß auf, war aber im Gesicht noch blasser geworden.
Georges Blicke flogen entsetzt von Gesine zum Tjufat und dann wieder zurück. Er war völlig fassungslos. Was konnte man jetzt nur machen? Er wusste nicht, ob da noch reden weiter helfen konnte. Ehe er noch reagieren konnte, kam der Tjufat noch näher heran, packte Gesines Zöpfe zu beiden Seiten, spielte ein bisschen damit herum und dann wickelte er die Flechten um Gesines Hals. Das Oberhaupt hob mit nur zwei Fingern das Gesicht des Mädchens an und zwang sie somit ihn anzublicken!
Gesine starrte entsetzt in diese feuerroten Augen hinter der Scheibe des Helms und ihre Lider füllten sich erneut mit Tränen. “Oh Gott ... oh Go-ott!“ ächzte sie.
"Nein, das bin isch leidar nischt!" erwiderte der Tjufat ein bisschen geschmeichelt. Er tätschelte Gesines blasse Wange. "Aba isch habere disch auserwählt und dasis verdammtig guuut, chesso?"
Gesine schüttelte den Kopf und ihre Lippen bebten. "Nein, das ist nicht gut!" wisperte sie. „Denn das ist alles ein Irrtum!" jammerte sie.
Er lehnte den Kopf auf die andere Seite und betrachtete sie eingehend . "Zaii ... zaaai, auch Irrtüümer habinn ihrinn Wert! Zo sum Beispielte irrte zisch eurerer Kohlbumbus mit Indien. Es war Amerrika!“ murmelte er auffällig leise um den kalten Klang seiner Stimme zu verbergen. “Schaditt alzo nischst, wenn wir disch nemmen mit!“
„Aber mir ... MIR schadet das!“ schniefte Gesine verzweifelt.
„Richtick! Abar daas macht nischtzz!“ erklärte der Tjufat zufrieden.
Da war es mit Georges Nervenruhe entgültig vorbei und .... vielleicht gab es ja noch eine letzte Chance, indem er den Tjufat einfach zu seiner Geisel machte? Er musste nur schnell genug handeln!
„Oh, mein Bein ... es schmerzt!“ ächzte er leise und verzweifelt. „Hm, ich glaube, der Verband ist zu eng ... werde ihn etwas lockern müssen!“ Erkan, Martin und Paul sahen einander verdutzt an. Was hatte George plötzlich vor?
Georges lange Finger tasteten nach dem Revolver in seinem Verband.
He, da fühlte er auch schon den Kolben, nur noch ein kurzer Ruck und dann ...! Noch ehe er die Waffe aus dem Verband hatte, fraß sich ein Feuerstrahl durch seine Hand und von dort sich noch ins Bein. Der Schmerz war so groß, dass er mit einem gellenden Schrei ohnmächtig zusammen brach.
„Jonkert! Tes gua to gelguma!“ brüllte der Tjufat hasserfüllt, ergriff sich Georges Waffe, betrachtete die jedoch für einen kurzen Moment verdutzt – bei Ubeka, welch ein altes Stück! Schließlich winkte er Martin zu sich heran, der ihm trotz mehrerer verzweifelter Ausreden schließlich doch zeigen musste, wie man damit feuern konnte. Für ein Weilchen ballerte der Tjufat dann ziemlich hirnrissig damit herum. Schließlich wendete er sich wieder dem leblosen George zu. Er visierte George mit dessen Waffe erst einmal spielerisch von der einen Seite und dann von der anderen an.
Martin, Paul und Erkan bissen dabei fest die Zähne zusammen, jeden Augenblick erwartend. dass es gleich knallen und mit George für immer vorbei sein würde. Da hörten sie alle aus dem Lieferwagen eine kleine Trommel und ein leises Rattern bis zu ihnen herüber tönen. Der Offizier schaute verdutzt nach hinten über die Schulter.
"MUNJAFKURIN!" brüllte er wieder entrüstet.
"A .. akir?" tönte es kleinlaut aus dem Jambuto, denn Margrit hatte ihm schon wieder etwas hingestellt.
"Kir wan dos? Xorr kir pin to ti?”
“Noi jato pir unata nabarkion!” erklärte Munjafkurin wieder.
“To pin mai fidiako!" Der Tjufat seufzte laut und vernehmlich. “To ujo notom dendo barkiona!”
"Chajeto!" Man hörte, dass Munjafkurin im Wagen schon wieder stramm stand und irgendetwas fiel zu Boden.
"Kos to foro bagsui tixim lehu?“ fragte der Offizier ziemlich ungehalten, während er wieder auf die geöffnete Tür des Lieferwagens zuschritt.
„Akir! Palta erkanotore! Omtka mira!“ log Munjafkurin einfach, um endlich mit dem lästigen Suchen fertig zu sein und versteckte dabei noch schnell das Spielzeug in seiner weiten Jacke, dann sprang er aus dem Wagen und stand stramm.
Doch der Tjufat war misstrauisch, holte rein gewohnheitsmäßig das Suchgerät hervor, schüttelte sodann den kopf und verstaute es gleich wieder. Dann tastete er Munjafkurin einfach ab und schon hatte er den kleinen, aufziehbaren Bären mitsamt Trommel gefunden. Der Tjufat wollte etwas Wütendes fauchen, betrachtete aber dann für einen Moment lang das putzige Spielzeug so verzückt, dass Munjafkurin sich vorwagte und ziemlich arglos fragte: „Bani noi tes tukestan?“
„Ka, ichto trunon to ... to millek!“ schnaufte der Tjufat zornig. und dann warf er den kleinen, aufziehbaren Teddybären - nicht nur sehr zur Enttäuschung Munjafkurins sondern auch all seiner Leute – ohne sich viel umzugu¬cken wieder einfach hinter sich zurück in den Jambuto.
Das Spielzeug sauste jedoch nicht über das Körbchen hinweg, sondern diesmal mitten hinein. Es knackte dabei laut ... und gelb-weissliche Masse spritzte! Munks Kopf fuhr völlig mit Ei besudelt hoch! Was sollte denn das, wo er doch überhaupt keinen Hunger hatte? Ach, er war jetzt richtig sauer! Nie, aber auch NIEE machten Zweibeiner irgendetwas richtig! Und dann begann er – leise dabei rülpsend - sich mit den Pfoten sein Gesicht sauber zu putzen.
Der Tjufat schraubte indes, über Munjafkurins Ungehorsam vor Wut schier berstend, einen kleinen Stab von seinem Gürtel und feuerte damit mehrmals auf seinen armen Untergebenen. Es waren allerdings nur irgendwelche ganz besonderen Stromstöße, denn man konnte dabei fast nichts aus der Waffe hinaus sausen sehen, außer einem komischen Flirren oder Flackern in der Luft, begleitet von zischelnden Geräuschen. Munjafkurin ging davon nicht zu Boden, doch die Ströme schienen ihm heftige Schmerzen zu bereiten. Stöhnend krümmte er sich bei jedem neuen Schuss zusammen, begleitet von wilden Schimpftiraden des Tjufats. Als sich das Oberhaupt endlich einigermaßen beruhigt hatte, schraubte es seine Waffe wieder an den Gürtel und dann lief er wieder mit seinen Leuten zum Parkplatz, wo die vier Menschlein sie schon mit großen, entsetzten Augen erwarteten, wei¬terhin dabei umzingelt von etwa dreiundzwanzig Soldaten, die mit ihnen dort gewartet hatten.
Der Offizier zog nach einer kurzen Absprache mit seinen engsten Vertrauten schließlich die Pistole von George wieder aus seinem Gürtel, um endlich den immer noch am Boden liegenden George als Exempel mit dessen eigener Waffe zu erschießen. Die zwölf Soldaten ringsum taten es ihrem Oberhaupt in sofern nach, dass sie plötzlich die Läufe ihrer sonderbaren Gewehre feuerbereit auf den zitternden Martin, Erkan und Paul richteten.
Die immer noch laut schluchzende Gesine hatten sie zuvor einfach auf ihre Seite genommen.
Paul, Erkan und Martin waren käseweiß im Gesicht. Sie tauschten dabei immer wieder Blicke mit der völlig fassungslosen Gesine aus und schließlich kämpften auch sie mit den Tränen, denn es war klar, dass sie in wenigen Sekunden nicht mehr leben würden.
“Lebt wohl, meine Freunde!“ wisperte Gesine ihnen zum Abschied zu.
Doch gerade als der Tjufat loslegen wollte, schrillte sein Kotaktgerät, welches er wie alle Hajeps in den Ohrkapseln verborgen hatte. Der Ton war wohl so laut und unangenehm gewesen, dass es hinter der Scheibe seines Helms zu sehen war, wie er das Gesicht verzog, während er zuhörte und zu begreifen suchte, welch merkwürdi¬ger Befehl ihm plötzlich erteilt wurde. Er war so erstaunt darüber, dass er erst einmal die neue Nachricht gedanklich verarbeiten musste, denn er stand für einige Sekunden wie versteinert da, hielt dabei allerdings immer noch die Waffe auf George gerichtet und seine Männer wussten daher nicht so recht, was sie jetzt machen sollten. Sie mucksten sich nicht, warteten nur, die Gewehre feuerbereit haltend.
„Menschinn alle auf diesser Errde kunftick darfern läbbin!“ sagte der Tjufat und diese Worte schienen ihm irgendwie schwer zu fallen.
Martin, Paul und Erkan waren nun genauso überrascht von dieser Nachricht wie zuvor der Tjufat, glaubten sich verhört zu haben! Denn das – nach all diesen Jahren der brutalen Verfolgungen - konnte doch fast nicht möglich sein, oder? Wer oder was hatte plötzlich diesen Gesinnungswandel ausgelöst?
“...for unbestümmter Zaaaiiit!“ setzte der Tjufat nun hinzu.
Ach so, also gab`s doch schon wieder eine Einschränkung!
„Könner nischt saginn for wie langer, verstandinn?“
Die drei Menschen nickten mit angehaltenem Atem.
„Aber das jitzt neuer Befell von Oten!“ fügte der Tjufat noch wie entschuldigend noch hinzu.
Trotzdem liefen den drei Menschlein vor Erleichterung die eben noch zurück gehaltenen Tränen über die Wangen, kaum dass sie das gehört hatten. Sie umarmten einander, waren dabei aber doch so ein bisschen misstrau¬isch ... zu Recht! Denn schon hörten sie aus dem Munde des Tjufats: “Und jitz nüüür nöch wir bräuchin einer mannliches Exemplar der Spezies Lumanti. Zoll haute ebenfalles zu uns kommern nach Zarakuma! Naaaah, wär von eusch will?“
Natürlich drängelte sich keiner dabei vor. Erkan, Paul und Martin wechselten wieder entsetzte Blicke miteinander. Wer von ihnen sollte jetzt als männliches Versuchstier in Zarakuma sterben? Verdammte Hajeps, hatten ihnen schon eine Freundin geraubt, aber das schien ihnen plötzlich nicht mehr zu genügen. Anscheinend wollten sie jetzt ein Pärchen, Mann und Frau mitnehmen. Aber wofür? Gleich mehrere Gänseschauer liefen ihnen dabei die Rücken hinunter. Ach, allen dreien waren die Kehlen wie zugeschnürt.
„Will keiner?“ fragte der Tjufat und seine seltsame Stimme klang dabei direkt ein bisschen enttäuscht, aber George Pistole verschwand wieder im Gürtel. Er bückte sich zu dem ohnmächtigen Menschen hinunter, hielt ihm etwas unter die Nase, woraufhin dieser hustend und prustend erwachte. "Stehe jitz auf!" erklärte er kalt.
George versuchte zu gehorchen, aber es ging nicht. Die Beine rutschten ihm weg und er fiel rücklings auf den Boden. Sein Bein und seine Hand brannten wie Feuer. Der Tjufat nickte Paul zu, weil der eben Anstalten gemacht hatte, George aufzuhelfen. Pauls Knie zitterten, als er George unter die Achseln griff, um ihn vom Boden hoch zubekommen.
Der Tjufat beobachtete Paul dabei sehr genau. „Pisst staaak!“ stellte der anerkennend fest, denn um den langen und muskelbepackten George hoch zu bekommen, dazu gehörte schon einige Kraft.
„Jedochen du zo fääät zom mitnämmin for Zarakuma!“ stellte der Tjufat nach eingehender Musterung weiter fest und Paul keuchte deshalb erleichtert.
Kaum stand George wieder – wenn auch von Paul fast dabei getragen - auf den Beinen, begutachtete der Tjufat auch diesen ziemlich gründlich von oben bis unten. Er schien die Menschen wohl plötzlich mit ganz anderen Augen zu sehen.
„Und der hier ... hinkte schon vor dem Schuss!“ erklärte Paul geistesgegenwärtig und war selbst erstaunt über seinen plötzlichen Mut.
Der Tjufat zögerte, aber dann nickte er seufzend und wendete sich den übrigen beiden Männern zu. Diese wollten zunächst wieder vor ihm zurück weichen, aber die Soldaten standen diesmal viel dichter hinter ihnen!
Während Martin geduldig den Kopf während der eingehenden Betrachtungen hängen ließ, ballten sich Erkans kräftige Hände zu Fäusten.
„Du ...“, sagte deshalb der Tjufat sehr begeistert, „... kommest mit!“
Erkan brach fast völlig in sich zusammen. „He, warum ausgerechnet ICH?“ krächzte er schließlich völlig grau im Gesicht.
„Weil, du pisst kraftig gebaut und weil du pisst zo herrlisch wüüüllld!“ Er schnalzte anerkennend mit der Zunge.
„Darüm du könnerst vill aushaltinn Versuche in Zarakuma!“
„Nein, nein, neiiiin!“ kreischte Erkan gellend auf, während ihn die außerirdischen Soldaten einfach packten, ihm die Arme umzudrehen versuchten. In diesem wilden Handgemenge zischelte es kurz und Erkan krümmte sich zusammen, denn der Tjufat hatte mit seiner seltsamen, stabförmigen Waffe nun auch auf ihn gezielt. Der Schmerz war dabei gar nicht mal so schlimm gewesen, denn der Tjufat hatte diesmal eine niedrigere Dosis eingestellt, doch Erkans Fäuste waren mit einem Male wie gelähmt. Schon schlossen sich ein paar weiche gummi¬artige Handschellen um seine Handgelenke.
Gesine und Erkan mussten schließlich in einen der fünf Mannschaftstransporter einsteigen, welche die Hajeps gleich neben der Straße auf den Wiesen geparkt hatten, und weil es gleich los gehen sollte, waberte schon mal von außen ein weicher, leicht transparenter Flossensaum um das wie ein riesiger Wels aussehende Ding von allen Seiten auf.
Die beiden Menschen waren so fertig, hatten mit ihrem Leben abgeschlossen, dass sie kaum darauf achteten, auf welch merkwürdigen Sitzen sie Platz nahmen. Nur als sich dann auch noch diese kleinen, flachen Schlangen – von denen man ihnen leider vorher nicht gesagt hatte, dass dies nur Haltegurte waren – in Wellen an ihnen hoch ringelten, kreischten sie doch.
Paul, Martin und George hörten aus dem seltsamen Gefährt die schrecklichen Schreie ihrer Kameraden bis zu ihnen herüber gellen und sofort wurde den dreien schlecht. Am schlimmsten ging es dabei Paul. Er würgte sich in einem fort, obwohl ihm Martin immer wieder tröstend auf die Schulter klopfte.
„Oh Mann!“ schnaufte Paul dabei. „Die arme Gesine, der arme Erkan! Schon jetzt machen sie Versuche mit denen.“
Der Tjufat hielt nun noch eine kurze Ansprache an seine restlichen Leute, und dann bewegten sich die Soldaten auf die übrigen, mit silbernen oder goldenen Schuppen verzierten Mannschaftswagen zu, mit denen es heimwärts gehen sollte. Sehr genau beobachtete das Oberhaupt dabei seine Soldaten und lümmelte sich währenddessen so ein bisschen an der offenen Tür des zweiten Jambutos. Margrit konnte von ihrem Versteck aus sehr gut sehen, wie dabei dessen verkrüppelte Hand - er hatte, um besser tasten zu können, sogar den Handschuh ausgezogen - suchend den Boden des Jambutos entlang trippelte. Die Fingerstumpen wanderten ziemlich zielstrebig in jene Richtung, wo wohl nach seiner Meinung der kleine, aufziehbare Bär mit der Trommel hätte liegen müssen, den er wohl heimlich mitnehmen wollte, wenngleich es strengstens verboten worden war.
Der Offizier suchte also - quasi blind - denn er schaute dabei keineswegs nach hinten über die Schulter zurück, weil er fürchtete sich dadurch zu verraten, und um gleichzeitig seinen Leuten vorzuspielen, dass er von hier aus nur sehr genau kontrollierte, dass sie in exakter Formation wieder davon brausten. Nur einigen wenigen war es erlaubt bei ihm zu bleiben und die störten den Tjufat mächtig, aber das konnte er denen ja nicht sagen.
Und so atmete er auf, als seine Finger endlich doch noch etwas rundes, glattes ertastet hatten. Es lag zwar in einem Körbchen und war wohl die Spieluhr! Diese fühlte sich zwar auch ein wenig warm an, doch wie bei allen Hajeps, stand es mit seinem Tastsinn nicht besonders gut, denn sonst hätte er bemerkt, dass er gerade Munks kahlen Schädel abtastete. Der Tjufat versuchte nun, die kleine Kurbel zu finden.
Munk war sehr empört, dass seine edle Denkerstirn ziemlich unrhythmisch betrommelt wurde. Also, er war ja schon recht gutmütig, hatte inzwischen sogar das dritte Ei aufgeschleckt und diesmal wirklich nur aus Reinlichkeit, aber das hier ging echt zu weit! Munks zwei, ihm noch verbliebene, aber immer noch recht spitze, Krallen fuhren deshalb ohne längeres Nachdenken ebenso unrhythmisch in die blassblaue Hajephaut.
Sofort zuckte der Tjufat vor der Tür des Jambutos zurück, einen kleinen spitzen Schrei dabei tapfer unterdrückend, denn bei Ubeka, was war das gewesen? Er konnte sich das einfach nicht erklären, aber durfte sich nicht mehr umschauen, denn seine Leute waren ungeduldig und kamen ihm gerade entgegen. Mit einem schnellen, verstohlenem Seitenblick auf den Handrücken stellte er fest, dass er dort aus zwei, recht merkwürdigen kleinen Wunden blutete? Ehe seine Leute nahe genug heran waren, hatte er sich auch schon den Handschuh darüber übergezogen und kam ihnen entgegen. Dann stiegen sie alle zusammen in den letzten der kleinen Mannschafts¬transporter und waren alsbald verschwunden.
Im Inneren des anderen Kleintransporters saßen die weinende Gesine und der vor Schreck erstarrte Erkan nun zwischen Munjafkurin, Emdekunka, Rubnirwor, Plinaskone, Rindabaska und weiteren fünf hajeptischen Soldaten, die sich noch nicht mit Namen vorgestellt hatten, auf weichen, mit Pelz gepolsterten Sitzen.
Und nach einem Weilchen hatten es sich die Hajeps sogar soweit gemütlich gemacht, dass sie sich nicht nur die obersten Knöpfe ihrer strengen Uniformen öffneten, sondern auch die lästigen Helme abnahmen. Wunderschönes, dichtes, blauschwarzes Haar fiel dabei zuweilen über anmutige Schultern. Obwohl Erkan noch immer wie zur Salzsäule erstarrt war, überraschte es ihn doch, Frauen unter diesen brutalen Soldaten zu entdecken. Er mus¬terte sie nun verlegen und von der Seite her, denn sie waren nicht nur blutjung, sondern auch wunderschön! Auch Gesines Augen wurden etwas größer, als sie sah, dass nicht nur die übrigen Soldaten, auch der muskulöse Munjafkurin plötzlich sein Hemd bis zum Bauch offen hatte – denn er schwitzte nicht so gerne und ihm war plötzlich heiß!
Zögernd wanderte Gesines Blick seinen Hals hinauf bis zu seinem Gesicht. Sie hielt den Atem an, denn Munjafkurin war ungewöhnlich schön! Ach, er war sogar der Schönste von allen Hajeps, die sich hier in diesem komi¬schen Flugzeug befanden. Scheu fiel ihr Blick von ihm ab, schaute sie auf ihre Hände, die sie vor sich auf ihre Knie gelegt hatte.
Doch Munjafkurin fasste Zutrauen und setzte sich neben Gesine auf den Sitz Sofa und dann löste er einen uralten kleinen CD-Player mitsamt Kopfhörern aus dem hinteren Teil seines Helms, welchen er vorhin im Jambuto gefunden und dort mit Hilfe eines Klebefilms, den er dort ebenfalls entdeckt hatte, im Helm festgeklebt hatte. Dieses komische Ding interessierte ihn nämlich sehr. Er ahnte zwar, dass man es irgendwie aufziehen konnte, wollte aber nichts verkehrt machen.
„Wie mann maaacht solschiss?“ fragte er sie.
Gesine schaute in diese eigenartigen Augen. Sie wirkten so gar nicht kalt, sondern der Blick war eher wie der eines fragenden Kindes. Sie hielt ihm die geöffnete Hand entgegen, auch wenn sie dabei heftig zitterte und er legte nach kurzem Zögern den Player in Gesines Handfläche.
“Siehst du“, sagte sie schließlich und schaltete dabei das Gerät an. “So einfach geht das!“ Ein uralter Rock`n roll tönte leise aus den Kopfhörern und sofort wippte die Stiefelspitze von Munjafkurin begeistert mit – leider überhaupt nicht im Takt. Aber das schien ihn nicht sonderlich zu stören.
“Nurrfi, nurrfi!“ ächzte er.
Die übrigen außerirdischen Männer und Frauen drängten sich plötzlich um Gesine und Erkan. Jeder wollte an den winzigen Kopfhörern wenigstens einmal kurz horchen und so wanderte der CD-Player alsbald von Hand zu Hand. Die jungen Frauen quietschten verzückt, kaum dass sie die ungewöhnlichen Töne vernahmen und die ebenfalls sehr jungen Männer schnauften aufgeregt dabei und zwar gleich durch sämtliche drei Nasenlöcher.
Schließlich herrschte solch eine heitere Stimmung in dem kleinen Trestin, dass sogar Gesine einmal laut auflachen musste. Da erstarb der Jubel so abrupt als wäre gerade eine Bombe explodiert! Alles, was außerirdisch war, starrte entgeistert auf Gesines Mund, denn niemand von ihnen hatte je solch ein seltsames Geräusch vernommen. Man wechselte aufgeregte Blicke miteinander. Konnte das gefährlich werden, was dieser Mensch soeben mit seinen Lippen fabriziert hatte?
Nur Munjafkurin war fähig – wenn auch nach einigen sehr heftigen Atemzügen - wieder klar denken zu können.
„Nöch einmal!“ verlangte er von Gesine.
Diese blickte ihn verwundert an.
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„Und du hast wirklich unsere Mami gefunden, stümms?“ hakte Julchen inzwischen doch so ein bisschen skeptisch nach, während sie der großen, schlanken Gestalt hinterher lief.
„Klar, hab ich das!“ erwiderte die etwa vierzigjährige Frau, welche ihr buntes Kopftuch ziemlich tief ins Gesicht gezogen trug. Struppige, dunkelblonde Haare lugte darunter hervor. “Wir sind ja gleich da! Seht ... nur noch in diese große Straße dort rein und dann hat sich alles erledigt!“
„Was hat sich dann erledigt?“ fragte Tobias, jetzt ebenso misstrauisch geworden und zog dabei den Schnodder in seiner kleinen Nase hoch, denn der letzte Satz hatte plötzlich recht eigenartig geklungen. Irgendwie begann er sich zu fragen, ob es nicht besser gewesen wäre, ruhig alleine weiter durch Würzburg zu laufen. Aber Julchen hatte ja andauernd Angst gehabt, dass sie gar nicht mehr aus dieser Stadt hinausfinden würden. Na ja, die Straßen hier sahen aber auch ziemlich gleich aus und hier waren sie noch nie gewesen. Tobias blickte sich nach allen Seiten um. Überall Häuser, die ihm die Sicht versperrten.
„Öööh, na einiges!“ krächzte die Frau verlegen und lachte dann meckernd wie eine Ziege.
Komisch, irgendwie kam Tobias diese seltsame Lache bekannt vor!
„Auweia!“ wisperte Julchen wohl auch aus diesem Grunde und begann an ihrem Ärmel zu nagen, während sie weiter liefen. Die Frau machte recht große Schritte, so dass die Kinder kaum nachkamen und schaute sich nur selten, und wenn, dann nur ganz kurz, nach ihnen um.
„Pah, die kann uns nichts tun!“ erklärte Tobias ebenso leise wie Julchen. Aber inwendig hatte er doch etwas Angst, denn die Frau in ihrem weiten, bauschigen Rock, den sie übrigens über einer engen Jeanshose trug, deren Hosenbeine immer wieder zu sehen waren, wirkte ziemlich drahtig. Womöglich, er schluckte bei diesem Gedanken, war sie sogar bewaffnet! Trug sie die Waffe gar unter diesem Rock? Warum war sie so schrecklich freund¬lich zu ihnen gewesen?
Vorhin hatte sie Tobias und Julchen durch ihr Fernrohr entdeckt, als die gerade aus einem der alten Fachwerkhäuser auf die Straße gestürmt kamen, in welchem sie die Nacht verbracht hatten. Sie hatte sich erst überrascht gezeigt und dann, als die Kinder Reißaus vor ihr nehmen wollten, ihnen hinterher gerufen, dass sie keine Angst zu haben bräuchten, sie würde ihnen sehr gerne helfen wollen, wieder nach Hause zu kommen.
Das war natürlich Musik in den Ohren der beiden Kleinen, denn viel zu lange schon waren sie durch die Stadt gegeistert und daher total erschöpft und mutlos. Schon nach kurzer Zeit hatten sie dann Vertrauen zu dieser netten Dame gefasst und ihr erzählt, wen sie suchen würden.
„Ja“, hatte die begeistert erklärt, „folgt mir nur weiter. Wir befinden uns ja schon am Rande der Stadt, müssen nur noch ganz hinaus, dann wird euch auch bald wieder eure Mami in die Arme schließen.“
Nun liefen sie allerdings schon ein ganzes Welchen dieser inzwischen recht mürrisch gewordenen Frau hinterher. Seltsamerweise kam ihnen die Straße, in welche sie nun einbogen, mächtig bekannt vor und tatsächlich, diese mündete wiederum in die alte Landstraße mit den Wiesen und zum Teil bearbeiteten Äckern dahinter. Ja, man konnte jetzt die sanften Hügel von hier aus bereits sehen. Recht enttäuschend, denn dann waren sie seit gestern ja gar nicht mal weit in die Stadt hinein gelaufen, hatten sich die ganze Zeit wirklich nur im Kreise bewegt.
´Schei....!´ wollte Tobias denken, als sie die letzten Häuser der Stadt hinter sich gelassen hatten, denn plötzlich sah er auch noch den Jambo, welchen Mike wohl schon die ganze Zeit hier geparkt hatte, um mit seinen Leuten diesen Teil Stadt nach Julchen und Tobias zu durchkämmen.
„Komm Jule, wir hauen ab!“ Tobias zwinkerte Julchen zu und schon flitzten sie los.
Die Frau riss fast gleichzeitig mit einem lauten Wutschrei ihr Kopftuch vom struppigen Haar und als Tobias über die Schulter zurück blickte erkannte sie auch schon.
“Trude!“ kreischte er erschrocken, denn die gehörte ebenfalls zu den Spinnen und war sonst immer ganz besonders garstig gerade zu Kindern gewesen.
Trude hatte derweil, um schneller laufen zu können, den lästigen, weiten Rock, mit dem sie sich verkleidet hatte um von den beiden Kleinen nicht erkannt zu werden, von ihren Jeans gefetzt und jagte nun Julchen und Tobias hinterher.
„Auweiauwei!“ ächzte Julchen verzweifelt. “Die schreckliche Trude, die ... die hat die ganze Zeit ganz doll anders geredet g ... ganz mit Absicht undwas machen wir nun?“
Obwohl die beiden ziemlich kurze ein Beinchen hatten, so waren sie doch im Laufen trainiert. Immer wieder konnten sie Haken schlagen und somit Trudes gierigen Fingern entwischen. Sie jagten über die Wiesen und Äcker, denn wieder in die Stadt hinein trauten sie sich nicht, weil sie dort Mike und die anderen Männer vermuteten.
Irgendwie musste sich Trude währenddessen mit ihren Kameraden in Verbindung gesetzt haben, denn zwischen den letzten Häusern der Stadt tauchten alsbald Mike und Jonas auf. Man konnte sehr gut sehen, wie sie auf die alte Landstraße zuliefen.
„Mike, Jonas ... so helft mir doch endlich!“ kreischte Trude inzwischen völlig entnervt, denn ihr schien langsam die Puste auszugehen.
Julchen und Tobias hatten sich gestern zwar ziemlich spät zur Ruhe begeben, jedoch bis Mittag gut geschlafen und daher eine ganz schöne Ausdauer. Wohin letztendlich ihre sportlichen Bemühungen führen sollten, wussten sie jedoch nicht. Denn vor aller Augen verstecken war ja wohl völlig sinnlos, oder? Gerade als sie doch noch eine Möglichkeit dafür sahen, nämlich hinter einer alten Mauer zu verschwinden, welche früher einen kleinen Hühnerhof eingefasst hatte, da sauste auch schon Frank von dort hervor – verdammt, mit diesem hatte Tobias nicht mehr gerechnet! - und ergriff sich den Jungen, der näher als Julchen war, von hinten bei den Schultern. Beide hatten solch einen Schwung dabei, dass sie zusammen in den schlammigen Matsch des Ackers plumpsten.
“Upps!“ ächzte Frank deshalb verdutzt. Tobias sagte dazu gar nichts. Ach, er hätte weinen können. Jetzt verzog er das Gesicht, denn sein Mund war voller Erde.
Nun kam auch Trude angeschnauft. Es nutzte nichts, dass Julchen gellend wie ein Schweinchen quietschte. Das Weib tat es jetzt Frank einfach nach und warf sich mit dem ganzen Gewicht auf die zierliche Juliane.
„Endlich hab ich dich, du ... du kleine Hexe!“ kreischte Trude triumphierend, während das Kind unter ihr niederstürzte. Sie begrub das Mädchen fast mit ihrem langen Körper. Auch Julchen lag mit dem Gesicht in schwarzer Erde.
Jetzt kamen noch Mike und Jonas hinzu. Mike war mit sich sehr zufrieden. Wie gut, dass er und seine Leute, nach dem sie bis Mittag im naheliegenden Dorf genächtigt hatten, doch nicht gleich nach Hause gefahren waren und stattdessen noch die Randbezirke Würzburgs nach den Kindern durchstöbert hatten. Seine Vermutung, dass derart kleine Kinder nicht allzu weit kommen würden, hatte sich also bestätigt.
“Das habt ihr ja fein gemacht!“ lobte Mike seine Freunde und grinste so ein bisschen schadenfroh darüber. “Liegt ihr auch schön weich?“
„Ja, Chef!“ Die beiden grinsten zufrieden zurück. Das würde bestimmt eine dicke Belohnung geben.
Man zerrte sowohl Julchen als Tobias schließlich wieder auf die Beine. Ach, die Kinder hatten ja solche Angst, wussten sie doch, gleich würden sie fürchterlich verdroschen werden, weil sie unartig gewesen, den Spinnen davon gelaufen waren. Man stieß die verschmutzten Rangen mit spöttischen Worten vor sich her und bald standen sie vor dem Jambo.
„Das hat uns mächtig viel Zeit gekostet und unnötig Arbeit gemacht, ihr zwei kleinen Schweinbacken.“ Mikes eisgraue Augen blitzten dabei die Kinder zornig an. „Ab Morgen habt ihr das alles für uns abzuarbeiten.“
„Sehr richtig!“ meldete sich auch Frank, der verärgert seine schmutzigen Hosenbeine betrachtete. „Und zwar ohne die vielen Pausen, die ihr sonst immer dazwischen gekriegt habt, ihr kleinen Pennratten!“
„Tja, aus ist`s mit der vielen Verwöhnerei! Das habt ihr euch selbst zuzuschreiben!“ setzte Trude noch hinzu und versuchte sich dabei ebenfalls den Schlamm herunter zu rubbeln. “Ist euch ohnehin bei uns immer viel zu gut
gegangen! “
Als Tobias völlig ermattet zu Jonas und Frank in den Jambo klettern wollte, hielt ihn Mike plötzlich von hinten am Arm fest. „Nix da!“ fauchte der. „Mein lieber Tobias, was für eine Strafe steht doch gleich auf türmen?“ Er schaute Tobias dabei wie ein gestrenger Lehrer stirnrunzelnd an. „Los, sag es!“
Der Kleine schluckte und versuchte die Tränen, die ihm kommen wollten, hinunter zu schlucken. „Ganz viel Haue, stümms?“ Er wischte sich mit dem dreckigen Ärmel über die Nase.
„Richtig!“ sagte Mike genießerisch, weil er auch Julchens blasses Gesicht dabei sehen konnte. “Seht mal, Frank holt schon mal die Peitsche aus dem Jambo, die wir extra für euch mitgenommen haben!“ Den letzten Satz hatte er beinahe gönnerhaft hinzu gefügt.
„Ihr habt Glück, dass wir euch nicht für dieses schlimme Vergehen töten!“ setzte Trude ebenfalls sehr eifrig hinzu. Frank war indes wieder von dem Jambo herunter.
„Los zieht eure Hemden aus!“ verlangte Mike und entrollte dabei schon mal die lange Peitsche.
Die Kleinen taten - zitternd am ganzen Körper – ganz wie geheißen.
„Ach, wollen wir nicht lieber damit warten bis zu Hause sind“, meldete sich plötzlich Jonas, der die ganze Zeit noch gar nichts dazu gesagt hatte, und seine alten, faltigen Augen funkelten mitleidig zu den Kindern hinunter.
“Die Rangen sind doch ganz erschöpft von den langen Strapazen. Nachher sterben sie uns weg an den vielen Verletzungen, die solch eine große Peitsche verursachen kann und wir haben keine so gut eingearbeiteten kleinen Grubenarbeiter mehr!“
Aber Mike und Frank winkten nur wütend ab.
„Wer soll zuerst?“ fragte Frank und grinste schon wieder..
„Na, der Bengel, denn der ist älter, hatte den meisten Verstand und das Mädel zu diesem Ungehorsam verführt!“ knurrte Mike vorwurfsvoll.
Frank packte also den Kleinen, der inzwischen so apathisch war, dass er es vollkommen aufgeben hatte dagegen zu protestieren. Tobias musste Mike den nackten vernarbten Rücken zuwenden und der holte erst einmal mit seiner Peitsche weit aus zum Schlag. In dem Moment rief Jonas oben vom Jambo aus einfach dazwischen.
„Schaut mal, da ... da vorne kämpft sich noch so ein Jambuto unsere Landstraße hoch.“
Alles, einschließlich Mike, blickten nun die Straße entlang. Und tatsächlich, schon nach ein paar Minuten stand der riesige Jambuto rumpelnd und schnaufend vor ihnen. Die Tür des Lastwagens sprang auf und Pauls Gesicht kam zum Vorschein.
„He, was macht ihr denn da?“ fragte er empört. „Ihr wollt doch wohl nicht im Ernst solch ein kleines Kind mit dieser langen Peitsche verdreschen?“
„Doch wollen wir! Tobias und Juliane haben das verdient!“ Trotzdem war das Ganze Mike so ein bisschen peinlich und daher rollte er den Lederriemen der Peitsche erst einmal ein.
„Juliane und Tobias? Das sind ja MEINE Kinder!“ hörte man eine Frauenstimme sehr aufgeregt und empört aus dem hinteren Teil des Jambutos und auch dort war die Türe aufgesprungen. „Oh George, dieser Hund will hier meine tapferen Kleinen fertig machen! Oh, ich hasse ihn!“
Nun kamen Tobias doch die Tränen. „Die Mama!“ krächzte er heiser, kaum dass er Margrits Stimme wiedererkannt hatte. Julchen nickte und dann schluchzte sie einfach lauthals los.
„Meine Kleinen!“ kam es wild und sehnsuchtsvoll weiter aus dem Wagen. „Nein George, halt mich jetzt nicht fest! Ich muss aussteigen ... muss zu ihm ... zu diesem ... Untier von Mensch ... ich ... he, willst du mich wohl loslassen? “
„Nein, wenn, dann gehe ich!“ hörte man nun auch eine dunkle Männerstimme.
„Aber?“ krächzte Margrit
„Ruhe“, fauchte die entschlossene Stimme, „denn vielleicht möchte Mike ja gerne mal wissen, wie das ist verdroschen zu werden?“
„He, was habt ihr denn plötzlich alle?“ knurrte Mike verdutzt und selbst Frank, der immer noch neben ihm stand, bekam plötzlich ´Muffensausen´. Es war nämlich bekannt, dass George zwar selten wütend wurde, wenn, dann aber ganz gewaltig. Es war nicht sehr gut, sich in solchen Momenten mit ihm an zu legen, da er ganz ausgezeichnet kämpfen konnte. Georges Stimme hatten alle eindeutig wieder erkannt, jedoch wussten sie nicht, dass der inzwischen hinkte und noch zusätzlich durch die Attacken der Hajeps schlimme Brandwunden davon getra¬gen hatte. George war deshalb kaum in der Lage aufzustehen und bis zur Tür des Laderaums zu laufen und erst recht nicht fähig, ohne Unterstützung aus dem Jambuto zu klettern. Margrit hatte jetzt dessen stumme Zeichen verstanden. Auch sie konnte wohl nicht mehr ins Freie, da sie so schrecklich entstellt aussah. Margrit ahnte, dass sich nicht nur die Kinder fürchterlich vor ihr erschrecken würden. Vielleicht würden die Spinnen sogar gleich mitsamt Tobias und Julchen im Jambo davon flitzen, sobald sie nur Margrit sahen? George, Margrit und Paul mussten sie also irgendwie geschickt bluffen. Die Frage war nur, wie?
Auch Paul hatte inzwischen begriffen, was George mit seiner Androhung bezwecken wollte. Es war nur Schade, dass Martin vorhin so schnell nach Hause gewollt und nicht darauf gewartet hatte, bis es Paul und Margrit gelungen war George richtig zu verarzten und anschließend in den Jambuto hinein zu manövrieren. Martin war ein starker Kerl und kampferprobt. Aber alleine würden sie es vielleicht auch schaffen!
Für einen Moment waren beide Parteien still, aber dann hatte sich Mike als erster wieder gefangen. „Diese Kinder werden von uns nur mit viel Aufwand zu vernünftigen Erwachsenen heran erzogen“, säuselte er wesentlich freundlicher, warf dabei aber Paul einen giftigen Blick zu, da der einfach ausgestiegen war und nun auf ihn zu marschierte. „He ... heee? Seid doch froh, dass diese Gören nicht irgendwo verwahrlosen oder gar verhungern! Der große Bund der Spinnen hat sich ihrer erbarmt, hat diese kleinen unnützen Fresser liebevoll aufgenommen und ...“, Mike schluckte, denn irgendwie hatte er keine Lust auf eine Schlägerei, denn Paul sah nicht gerade schmächtig aus, „... und das wisst ihr ganz genau!“ Er reichte die Peitsche erst einmal an Frank weiter. Dieser hielt sie etwas unsicher. Plötzlich schob Mike sein Kinn ziemlich energisch vor, auch wenn es ein wenig zitterte, seine Hand tastete dabei zur Pistole, die er in seinem Hosenbund trug. „He, ihr könntet diese Rotznasen ja haben, aber ihr wisst doch was wir dafür verlangen!“
Paul nickte ziemlich lässig, während er weiter näher kam.
„Habt ihr bestimmt nicht.“ Mike kicherte ungläubig. „Weiß ich ja ... wer sollte schon in diesen schrecklichen Zeiten zu so viel Mehl und erst recht Brot und ... na ja, und dann auch noch Medikamenten kommen!“
Auch Paul hatte die Hand – wenn auch unauffällig - am Revolver. Das sah Mike erst jetzt, als dieser dicht vor ihm stoppte.
„Wir haben alles dabei, Peitschenheini!“ knurrte Paul mit blitzenden Augen.
„Wie? Äh? Doch nicht wirklich ... oder?“ Mike machte nicht gerade das klügste Gesicht und dann lachte er plötzlich schrill und ungläubig los. Frank fand Pauls Bemerkung offensichtlich auch so saukomisch, dass er nur Sekunden später in dieses grässliche Lachen mit einfiel. Trude dagegen hatte wieder mal gar nichts kapiert und schaute deswegen nur verdutzt von einem zum anderen. Lediglich Jonas blieb ziemlich ruhig, er blickte nur abwartend von seinem Jambo auf Paul hinunter.
Da hörten sie wieder von hinten aus dem Jambuto. „Hier ... hier ist alles!“ Margrit hatte indes einen Sack nach dem anderen schon mal an die Türe des Lieferraums gestellt. Munk hatte zwar deswegen – denn er fühlte sich eingeengt – mehrmals gefaucht, aber es hörte ja keiner auf ihn.
Jetzt war Mike so neugierig, dass er gleich mit schnellen Schritten, dabei dicht von Paul gefolgt, zum Jambuto hinüber lief. Frank und Trude hatten sich die Kinder gepackt und blieben wartend mit Jonas zurück.
Kaum, dass Margrit Mike von draußen gehört hatte, flitzte sie zu George im Inneren des Wagens zurück. „George“, wisperte sie, “nur gut, dass es hier so dunkel ist.“ Sie zupfte ziemlich wild an ihrem Kopftuch herum. Du musst dich aufrichten, damit sie nicht merken wie es dir geht!“
Er setzte sich mit ihrer Hilfe wieder auf die Kiste und ächzte dabei entsetzlich, denn er schien Fieber zu haben. Doch kaum, dass er die Stimmen näher kommen hörte, war er still.
„Lass mich vor!“ knurrte Paul indes Mike an.
„Okay, okay“, Mike zucke mit den Schultern, „wenn du unbedingt möchtest!“ Denn er hatte den riesigen Schatten von George im Halbdunkel des Wagens gesehen.
Und dann reichte Paul Mike von oben einen Beutel nach dem anderen herunter. Dieser durchstöberte auch sogleich jeden sorgfältig, in der Annahme, dass man bestimmt irgendetwas dabei vergessen haben musste und schüttelte dabei immer wieder fassungslos den Kopf. Sogar den Zettel, auf dem alles aufgeschrieben war, hatte er gefunden und so konnte er gut vergleichen.
“Seid wann ist Pommi so großzügig geworden oder was für Reichtümer mögt ihr dafür gegeben haben, dass ihr das alles bekommenen konntet!“ krächzte er beinahe ehrfurchtsvoll, als er endlich mit seiner Suche beim letzten Beutel angekommen war. Doch dann entdeckte er das angebissene Brot. “Ha“, brüllte er freudevoll, „ihr habt es also doch nicht geschafft! Ein Brot ... ein ganzes Brot fehlt! Und dieses zerflederte nehm´ ich nicht!“ Er warf es einfach auf die Straße.
„Aber?“ stutzte Paul und sah sich ein wenig hilflos nach Margrit und George um. „Äh ... was nun?“
„Das kommt nach!“ erklärte George, jedoch hatte seine Stimme dabei ziemlich matt geklungen. Auch war Mike nicht entgangen, dass George, während er die Beutel durchsucht hatte, mehrmals beinahe von der Kiste herunter gerutscht und nach hinten kippt wäre, hätte ihn nicht Margrit, die auch ziemlich bleich aussah, dabei gestützt?
„Okay!“ erklärte Mike deshalb hämisch grinsend, pfiff Jonas wie einen Hund herbei und griff wieder in den Beutel, in der Hoffnung, noch etwas zu entdecken, was fehlen könnte. “Iiiih ... w ... was ist denn das Ekeliges?“ Seine Hand fuhr aus dem Beutel, an den Fingern klebte ein zum Teil in Papier gewickelter Lutscher. “Bäääh!“ schnaufte Mike und zupfte daran herum. „Das ist vielleicht klebrig! Orbs ... wer hat denn daran herumgenuckelt?“
„Ach, das war nur Owor ... äh ... ich!“ gestand Margrit ein und konnte sich dabei ein kleines Grinsen nicht verkneifen.
„Mächtig viel Spucke!“ Mike verzog das Gesicht, während er mit spitzen Fingern weiter daran herum zupfte und dann warf den Lutscher ebenfalls auf die Straße. “Nein, dafür bekommt ihr die Kinder nicht wieder!“
„Aber sicher doch!“ brüllte George mit letzter Kraft.
„Dann komm doch her! Komm schlag dich mit mir!“ Mike trippelte nun ziemlich alberlich umher und boxte dabei in die Luft. “Los, los, schlag dich!“
„Aber fair ist das nicht Chef!“ wandte Jonas ein, während er sich einige der Beutel ergriff. “Du hast doch fast alles erhalten!“
„Okay, bringt mir das Brot nach“, erklärte Mike begütigend und griff sich die übrigen Beutel, „doch auch erst dann sollt ihr die Kinder bekommen!“
„Ich ... ich will aber gesunde Kinder!“ rief ihm Margrit hinterher. „Keine Schläge mehr mit der Peitsche!“
Mike wandte sich nach ihr um, lief aber trotzdem dabei rückwärts weiter. “Okay, aber dann bekomme ich dafür noch einmal die gleiche Menge an Gütern ... iiiihh, puh ... was klebt denn plötzlich an meiner Sohle? Scheiße, scheiße, scheiße ... ich bin auf den verdammten Lutscher getreten! Jonas .... JONAS, zupf ihn mir ab! “
„Jawoll, Chef!“
„Das mit der neuen Fuhre an Gütern kann Mike doch nicht im Ernst gemeint haben, oder?“ wandte sich Paul in leiser Tonlage an Margrit und George.
„Doch, das ist sein vollster Ernst, schließlich kenne ich Mike wesentlich länger als du“, keuchte George und blickte dabei wieder auf seine Hand. Die Wundsekrete suppten bereits durch den Verband.
„D ... dieses Schwein!“ knurrte Paul. „Soll ich ihn erschießen? Ich könnte ihn von hier aus nämlich noch recht gut treffen!“
„Willst du einen Bandenkrieg?“ George versuchte die Hand in eine andere Lage zu bringen, in der Hoffnung, dass sich die Schmerzen dadurch besser ertragen ließen. “Außerdem sind die Kinder doch bei Frank und Trude! Meinst du, denn die gebärden sich netter?“
Schon hörten sie die Tobias und Julchen tief enttäuscht weinen, da sie in Mikes Jambo bugsiert wurden und danach den Motor aufbrausen und dann waren alle auf und davon.
Leise schnaufend legte sich George in einer Ecke des Jambutos zum Schlafen nieder, während auch Paul los fuhr.
“Ach, es ist ja alles so traurig!“ stöhnte George und eine Träne lief ihm die Wange hinab. „Zum Beispiel Gesine, ich habe sehr an ihr gehangen, musst du wissen, und auch Erkan war ein guter Freund von mir, beide sind nun für immer verloren und ...“, er schluckte, „nicht einmal deine Kinder konnten wir retten. Mann, was wir armen Menschlein auch tun, es scheint alles vergeblich zu sein!“
„Nein“, Margrit versuchte, den Klos in ihrem Hals herunter zu schlucken, „das darfst du so nicht sehen, George! Wir haben gestern und auch heute versucht etwas zu tun und gewiss dabei auch irgend etwas verändert, selbst wenn wir noch nicht sehen können, was es gewesen ist!“
Und wieder erklang ein zweistimmiger Summton aus Pauls Jacke, jedoch ganz anders als bisher. Es war wohl eher ein Orgelton, der jetzt in Margrits feine Gehörgänge hinein vibrierte. Bald schien der ganze hintere Teil des Jambutos davon erfüllt zu sein und Munks Ohren zuckten, obwohl er inzwischen schlief. Nur George konnte ihn nicht hören. Der Ton drang bis nach draußen, arbeitete sich immer weiter vor und war für Margrit so störend, dass es ihr schwer fiel, sich dabei weiterhin auf die Geräusche von außen zu konzentrieren.
George bemerkte Margrits komische Nervosität. “Nur ganz ruhig bleiben!“ sagte er und hielt ihre Hände fest, weil sie mit denen wie verrückt an ihren Ohren herumgerieben hatte. “Mensch, was ist denn plötzlich mit dir los?“
„Los? Äh ... hm ... tja! Was soll denn los mit mir sein George?“ Ach, es war schrecklich, dass sie Danox Existenz immerzu geheim halten musste. He, was bezweckten wohl die beiden Teile mit diesem Krach? Und dann fiel ihr ein, dass der kleine Roboter erst gestern auf fast die gleiche Weise einen hajeptischen Satteliten begrüßt hatte, als der gerade hinter den Dächern Würzburgs zum Vorschein gekommen war. Also begrüßte er wohl auch jetzt das, was sich ihnen gerade nähern wollte freudevoll – wirklich verrückt so was!
„Ja, das habe ich dich eben gefragt!“ knurrte George verärgert.
„Oh, jetzt kann ich sie wieder hören!“ rief Margrit überrascht und das war auch nicht gelogen, denn Danox hatte plötzlich mit seiner komischen Orgelmusik aufgehört. “Puh, sie sind gerade furchtbar wütend!“
„Wer?“ knurrte George entnervt.
„Na, die Hajeps!“ wisperte Margrit, dabei wieder am ganzen Körper bebend. „Irgendetwas scheint bei denen wohl nicht so geklappt zu haben, wie sie das eigentlich erwartet hatten. Man, sind die schlecht gelaunt! Und nun erteilen sie Martin und Erkan irgendwelche Befehle. Hm ... hmmmm ... muss noch näher hinhören!“
George seufzte, manchmal konnte Margrit richtig hartnäckig sein.
„Ja, ich glaub jetzt hab ich´s verstanden .. die beiden müssen aussteigen, um den Laderaum von ihrem Jambuto auszuräumen!“
"Ach Unsinn Margrit!" George nahm ihr Gesicht behutsam zwischen seine großen, warmen Hände und fühlte ihre heißen Wangen. "Du hast gewiss Fieber und phantasierst, denn wenn es Hajeps wären, bräuchten Martin und Erkan ja gar nichts auszuräumen. Der Feind hat eine so gute Technik, weißt du, wenn der irgendetwas Verstecktes finden will, braucht er nur mit seinen Geräten unsere Jambutos von außen zu durchleuchten und in wenigen Minuten hat er es entdeckt. Die beiden sind ausgestiegen, ja, das höre ich zwar auch, aber das hat bestimmt einen anderen und stinknormalen Grund! “
Margrit schüttelte den Kopf. "Hörst du es nicht rumpeln und schurren? He, Erkan hat gerade mit dem Ausräumen angefangen . Er reicht die Kisten an Martin weiter, der bestimmt unten an der Laderampe steht. Die Hajeps sind ganz aufgeregt. Ach, sie wollen bestimmt den Jambuto nur deswegen etwas leerer haben, damit sie besser nach mir suchen können – oh Gott ... puh! Mann, man ... und das alles nur, weil ich gestern mit Owortep ein¬kaufen war!"
“Mit Owortep einkaufen!“ äffte George Margrit nach und verzog dabei spöttisch sein Gesicht. “Wohl etwas Schaum, was?“ setzte er grinsend hinzu
„Nein, davon hatte der leider selber genug! Hach, endlich willst du mir glauben!“ Margrits Augen leuchteten plötzlich erleichtert. „Du, dieser Owortep hatte ganz schön hart mit Pommi verhandeln müssen! Man, der Pommi kann aber auch ganz schön dickköpfig sein, wenn es um seine Preise geht!“ Margrit wollte wieder an ihren Ohren herum reiben, denn Danox hatte leider wieder zu orgeln angefangen. George hielt jedoch ihre Hände fest. Offensichtlich stand es schlimmer um sie, als er zunächst gedacht hatte.
„Margrit ...“, begann er daher langsam und deutlich und streichelte dabei ihre Hände, die immer wieder zu den Ohren hoch zucken wollten, „... das kann so nicht ganz ... äh ... gewesen sein, weil ... hm ... ein ... na ja ... so ein Owetep...“
„Owortep!“ verbesserte sie ihn.
„Weil Hajeps eben nicht Menschen beim einkaufen helf ...“ Das letzte Wort blieb ihm im Halse stecken, denn Pauls und Gesines erschrockene Stimmen von draußen veranlassten auch ihn wieder genauer hinzuhören. Die beiden mussten wohl jetzt ebenfalls aussteigen. He, plötzlich vernahm er sogar eilige Schritte, die Richtung Laderaum marschierten!
"Lebe wohl, George!" wisperte Margrit daher matt. "Die Zeit war schön mit dir!“ Und dann schnappte sie sich Pauls Jacke mit dem immer noch munter einherorgelnden Danox und versteckte sich hinter einer Reihe aufeinander gestapelter Kisten und warf dabei noch einige Decken über sich. „K ... kann man mich so sehen?“ keuchte sie bebend.
"Nein, Margrit!" sagte George immer noch verärgert, doch sein Herz schlug mit einem Male recht schnell, denn er meinte nun leider auch, den typischen singenden Klang der Hajepsprache heraus zu hören, während zum hinteren Teil des Jambutos gelaufen wurde. Es schienen erstaunlich viele Füße zu sein. Ein Gänseschauer lief George den Rücken hinunter. Er schüttelte sich. Margrit konnte einem wirklich ganz schön was einreden. „Reg dich doch nicht so entsetzlich auf!“ wisperte er Margrit zu. “Was auch immer geschehen sollte, die, wer immer das sind, suchen nicht nach dir, glaube es mir!"
„Doch, nämlich weil Owortep mit mir einkaufen war!“ nuschelte es undeutlich hinter einer der Kisten hervor.
„Quatsch!“ George lockerte mit zitternden Fingern lieber doch schnellstens den Verband an seinem Fuß, schob den Revolver, welchen er wie jeder Untergrundkämpfer immer im Gürtel trug, dort hinein, wickelte ihn wieder fest und krempelte das Hosenbein darüber. So sah alles aus wie ein gebrochener, geschienter Fuß, der dort unten vorlugte.
Da wurde auch schon die Tür des Jambutos aufgerissen und das grelle Tageslicht blendete nicht nur ihn, sondern auch Munk. Letzterer blinzelte verschlafen nur mit einem Auge unter dem karierten Deckchen hervor. Ja, er hatte sich auf die zwölf Eier gelegt, ohne auch nur eines dabei anzuknicken - da er satt war! Aber was machten diese recht übertrieben nach Seife riechenden Zweibeiner auf einmal hier? Munk war sehr verärgert über deren Benehmen.
"Amar?“ brüllte der Tjufat und Munk zuckte daher nochmals zusammen, aber niemand beachtete den kleinen Eierkorb mit dem bunten Deckchen neben der Tür.
„Kon wan ae Lumantiselari Marktstramm? "
George war so überrascht und erschrocken, dass er beinahe rücklings von der Kiste gefallen wäre, auf der er noch immer saß. Verdammt, das waren tatsächlich Hajeps!? Er glaubte nicht recht gehört zu haben, denn Marktstramm hörte sich ja fast an wie Margrit Schramm! Er schluckte. Donnerwetter, Margrit musste sich etwas ver¬heerendes geleistet haben, dass dieser sie deswegen jagte. Hinter jenem Tjufat scharrten sich noch weitere – etwa acht - behelmte Außerirdische in den typischen grau und lilafarbenen Uniformen. Es gab wirklich keine Chance zu entkommen. George versuchte sich zu beruhigen, aber vergeblich, sein Herz pochte stattdessen sogar noch wilder drauflos! Oh Gott, ganz gewiss wollten die Hajeps mit Margrit wieder eines der schrecklichen Exempel statuieren, um die Menschheit abzuschrecken, nur ja nichts dergleichen wie Margrit zu wagen. Hajeps waren schließlich für ihre übertriebenen Rachefeldzüge bekannt!
„Xorr, kir wan dos?“ fragte der Rekomp weiter und knirschte dabei mit den Zähnen. George meinte, rote Augen hinter der stark getönten Scheibe des Helms unruhig umher wandern zu sehen. “Wass ist loss, he?“
Aha, dieser Tjufat konnte also auch Deutsch sprechen. „Tja ... äh ... w...was sollte denn los sein?“ murmelte George und zuckte möglichst arglos mit den Schultern. Verdammt, was mochte Margrit wohl Dreistes in ihrer Not angestellt haben? Er nagte vorsichtig an der Unterlippe und musterte dabei den Feind unauffällig. Nein, diesen Tjufat kannte er wohl nicht und auch nicht die anderen dahinter. Es gab nur ein kleines Problem. Hoffentlich hatten nicht Nireneska oder Diguindi diesen Männern bereits Informationsmaterial über einen ´gewissen` George de Mesa zukommen lassen, dann war er womöglich gleich geliefert! Denn obwohl Georges Familie von Nireneska längst getötet worden war, suchte man vermutlich noch weitere Angehörige Roberts.
“Wo iss Frau?“
„Welche Frau?“ fragte George zurück. Schrecklich, plötzlich war er so kurzatmig.
„Na, die ...“ Der Tjufat holte nun ein etwa handgroßes, flaches und ovales Gebilde aus einer Tasche seiner Uniform und hielt es Richtung Laderaum. Er schaute dabei auf seinen Ärmel, wo ein winziger Bildschirm – ähnlich wie eine Uhr- befestigt war. Nach einigen Sekunden schien er ärgerlich zu werden, wohl, weil er darin nichts Besonders erkennen konnte. Er stellte das Ding kopfschüttelnd hier und da anders ein und machte danach mit ausgestrecktem Arm große kreisende Bewegungen in den Laderaum hinein. „Skirrco!“ fauchte er schließlich und war so wütend, dass er es nicht nur vor sich auf den Boden pfefferte, sondern auch noch mit den Füßen darauf eintrat. Als er sich einigermaßen beruhigt hatte, bückte sich jener Soldat, der direkt neben ihm stand und gab es ihm wieder. Ohne ein Danke und kopfschüttelnd, dabei Unverständliches wüst vor sich hin brabbelnd, ließ der Tjufat das Suchgerät wieder in seinem Hemd verschwinden.
„Munjafkurin, ima nenulon mai dendo … zioro!“ wendete sich der Tjufat an jenen Soldaten, der noch immer dicht neben ihm stand. “To juka notom!“
Der Angesprochene nickte.
„Lumantimann machert Platz!“ wendete sich der Tjufat wieder an George.
Munk blinzelte weiterhin ziemlich verdrießlich aus seinem Körbchen, denn die etwa zwölf Soldaten hinter dem Tjufat wirkten kaum ruhiger als der. Sie spähten über die Schultern ihres Oberhauptes aufmerksam in den Wagen und ihre Oberkörper schwankten dabei ungeduldig vor und zurück. Die mittägliche Sonne funkelte auf ihren nach oben spitz zulaufenden Helmen..
„Äh ... wieso eigentlich? “ krächzte George und breitete zur Unterstreichung seiner Worte hilflos die Arme zu beiden Seiten aus. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Margrit hinter ihrer Kiste bibberte wie Espenlaub. Der Tjufat musterte George scharf, besonders lange ruhte dabei sein Blick in dessen Gesicht.
„Lügst!“ behauptete der jetzt. „Marktschwamm is verstäckt hirr in deinimm Waginn!“
Verdammt, woher mochte er wohl so sicher sein, dass Margrit sich hier versteckt hatte? George mühte sich, jetzt bloß nicht blass oder gar rot im Gesicht zu werden. „Also, ich kenne keine Frau mit solch einem Namen und darum kann sie hier ja auch wohl schlecht versteckt sein“, schwatzte George einfach weiter drauf los, erhob sich aber sicherheitshalber von der Kiste, als habe er vor zu gehorchen. Der Tjufat musterte ihn dabei wieder sehr gründlich, dabei fiel dessen Blick auf Georges verbundenen Fuß, wo er erst einmal nachdenklich verharrte. George gab sich Mühe, nicht mit den Knien zittern. Schließlich machte der Tjufat nur eine knappe, gebieterische Armbewegung, die wohl eine Aufforderung war, dass er umgehend den Wagen zu verlassen hatte. Schweiß trat George auf die Stirn, denn er ahnte, dass man den Wagen jetzt gründlicher durchsuchen wollte. George taugte wohl nicht zum ausräumen, da der Tjufat erkannt hatte, dass er gehbehindert war. Draußen hörte er indes die aufgeregten Stimmen seiner Freunde Martin, Erkan und Paul. Sie schienen sich immer noch mit den anderen Hajeps auseinander zu setzen.
"Warum soll ich hier raus?" stammelte George und hob hilflos die Hände in die Höhe. "Was wollt ihr da draußen mit uns machen? Wir ... wir haben nichts getan ... wirklich nichts!"
Der Tjufat machte eine knappe Bewegung mit dem Kopf in Richtung seines Soldaten und dann zu George.
Der Befehligte kletterte daraufhin mit pantherähnlichen Bewegungen in den Lieferwagen, wohl um George gewaltsam aus diesem zu entfernen. Munk blinzelte deshalb wieder ziemlich verdrießlich. Ach, das war ja eine Unruhe heute, aber niemand achtete ja auf ihn.
George war so erschrocken, dass er für einen kurzen Augenblick überlegte, ob er die Waffe ziehen sollte. Da blickte er auch schon in die winzige Mündung einer recht seltsam ausschauenden Pistole. Der Kolben dieser außerirdischen Waffe war ziemlich flach, dabei quadratisch geformt und an den Ecken leicht abgerundet. Er lag sehr gut in der Handfläche des Soldaten überragte diese nirgendwo. Der Lauf war nur etwa drei Zentimeter lang und ebenso breit, doch in diesem steckte noch eine stiftförmige Verlängerung, die der Hajep ausgefahren hatte.
Der Soldat hatte nun mit der anderen Hand ein kleines, ebenso sonderbares Gerät hervorgeholt, mit dem er wohl Georges Kleidung durchleuchten wollte, aber es funktionierte nicht. Im Gegensatz zu seinem Oberhaupt probierte er nicht lange damit herum, klopfte nur mit der freien Hand George von oben bis unten ab. Dieser schwitzte dabei schier Blut und Wasser, besonders als die Hand schließlich zu den Füßen hinab und Richtung Verband wanderte. George war überrascht, nicht nur über die Flüchtigkeit, mit welcher diese außerirdischen Finger über den Verband huschten, auch über das schlechte Tastvermögen jenes Soldaten – konnte es an den Handschuhen gelegen haben? Jedenfalls richtete sich der Soldat ohne auch nur irgendein Zeichen der Verwunderung oder Skepsis einfach wieder auf. „Lumanti gehert, akir?" knurrte ihn die sonderbare Stimme nur recht ener¬gisch an. "Du verlasserst denn Waginn ... SOFORTA!“
George verspürte den spitzen, kleinen Lauf nun in seinem Rücken auch noch, als er längst an der Tür des Jambutos stand. „Springerere!“ fauchte der Soldat hinter ihm. George sprang hinunter und blickte kaum unten gelan¬det, schon in die Mündung der nächsten seltsam gestalteten Waffe. Er hütete sich, die Arme auch nur ein biss¬chen tiefer sinken zu lassen und der Tjufat winkte ihn mit dem Gewehr zu den anderen Menschen hinüber.
George schaute sich noch ein letztes Mal nach den beiden Jambutos um, während er über die Straße zu den anderen lief. Was hatten diese Hajeps vor? Würde dieser verdammte Trupp nun einen Menschen nach dem anderen hier auf diesem Parkplatz erschießen? Nur wenigen Menschen war es bisher vergönnt gewesen, Kontakte mit Hajeps zu überleben. Selbst Georges Familie, die immer für die Hajeps gearbeitete hatte, musste doch eines Tages dafür mit dem Leben büßen. Da war es vielleicht ganz egal, ob man heute oder Morgen starb! Er hatte sich nicht getraut, sich im inneren des Wagens noch ein letztes Mal nach Margrit um zu sehen, aber er hoffte inständig, dass sie endlich aufhören würde zu zittern! Noch immer hatte er seine Hände erhoben, während er zum Parkplatz getrieben wurden. Er spürte aber den Revolver in seinem Verband und das tröstete ihn seltsamer¬weise.
Wie George geahnt hatte, konnte Margrit gar nicht mehr aufhören zu zittern und erst recht nicht, als sie von ihrem Versteck aus auch noch erkennen musste, dass der hajeptische Soldat nun mit Hilfe eines weiteren Suchgerätes, wie es der Tjufat zuvor benutzt hatte, beginnen wollte Säcke und Kisten zu durchleuchten. Glücklicher¬weise hatte er auch damit keinen Erfolg und sie atmete erleichtert aus. Nein, das konnte nicht immer wieder Zufall sein. Margrit ahnte, dass die beiden Teile von Danox mit Hilfe von irgendwelchen Wellen für diese vie¬len Störungen in den hochempfindlichen Geräten sorgten.
Dankbar tastete sie nach den zwei Stücken in Pauls Jacke, während der Soldat damit begonnen hatte, einige Sachen hin und her zu schieben, wohl um zu schauen, ob sich jemand dahinter versteckt hielt. Er war dabei ziemlich bequem, denn er gab den Kisten manchmal auch nur einen Tritt, damit es schneller ging. Margrit gewann dabei den Eindruck, dass er nicht gerade mit großer Begeisterung seinen Auftrag erfüllte, denn immer wenn er Richtung Tür schaute, überging er einfach einige Stapel Kisten oder Säcke. Wenn er irgendwelche Kisten herunter heben musste, wippte die Spitze seines komischen Stiefels dabei zunehmend unlustiger.
Margrit dachte an den Spieltrieb, den sie bei Oworlotep beobachtet hatte, und holte - wenn auch weiterhin bibbernd - eine kleine Spieluhr aus einer der Kisten, neben ihr, und legte ihm diese in die Nähe seiner Hacken und zwar so, dass er dagegen stoßen musste, sobald er sich umdrehte. Wenig später hörte sie es auch schon schep¬pern. Sie schloss ergeben die Augen, würde er sich über das plötzliche Erscheinen der Spieluhr womöglich wun¬dern und dadurch herausfinden, dass sie ihm diese hingelegt hatte? Oder die Spieluhr kaum beachten, der viel¬leicht nur einen Tritt geben, damit sie fortrollte und einfach in ihre Richtung weitergehen?
Als sie die Augen öffnete sah sie, dass der Hajep bereits die Uhr von allen Seiten verwundert betrachtete. Er warf dabei seinen Kopf fragend von einer Seite zur anderen. „Zai?“ wisperte er dabei skeptisch. „Zaaaiiii?“ Schließlich tippte er die Kurbel kurz an und dann nach kurzem Zögern noch ein Mal. Er hatte dabei wieder zur Tür geschaut, die nur zur Hälfte geöffnet war. Etwa weil er sich vergewisserte, dass ihn sein Tjufat nicht beobachtete? Und dann drehte er plötzlich vorsichtig an der winzigen Kurbel der Spieluhr, wieder seinen Kopf dabei fragend schief haltend.
"Alle meine Ent ...", tönte es zu seiner großen Überraschung aus der Uhr. Er hatte sich so erschreckt, dass er nicht nur ins Taumeln geraten, sondern auch beinahe rückwärtig in die anderen Kisten gefallen wäre, "... schwimm ... dem See ... schwimm ... dem Se ...“, hörte er mit großen Augen weiter, „... in das Wasser ... chen ... öh!"
Leider war die Spieluhr nicht mehr so ganz in Ordnung, einige Plättchen fehlten, aber die Unvollkommenheit des Liedes schien den Hajep nicht sonderlich zu stören
Er wippte jetzt federnd - etwa vor Freude? – auf seinen Zehen.
„Nurrfi ... nurrfi!" hörte ihn Margrit dabei undeutlich nuscheln und dann kurbelte er von neuem das Ding an. Leise keuchend lauschte er der sanften Lumantimelodie, die ihn schier trunken zu machen schien.
"MUNJAFKURIN!" herrschte ihn der Tjufat indes von draußen ausgesprochen ärgerlich an. "Xorr, kir pin to ti? … to noto bruk unata?" Man hörte Schritte und nun spähte der Tjufat wieder zur Tür herein. Margrit machte einen langen Hals hinter ihrer Kiste. Nein, diesen Hajep kannte sie wohl ebenfalls nicht. Weder war er so stämmig wie Nireneska noch so schlank und hoch aufgeschossen wie Diguindi.
Der Soldat im Inneren des Wagens fuhr wie aus einem Traum erwacht zusammen und nahm Haltung an.
"Chajeto!" entschuldigte sich Munjafkurin erschrocken. "Chajeto! Noi jato pir nabarkion!" Er ließ die Spieluhr als Zeichen seines Gehorsams demonstrativ zu Boden fallen.
Doch sein Befehlshaber schüttelte nur missmutig den Kopf. Zu Margrits großem Erstaunen gab er ihm ein kurzes, aber unmissverständliches Zeichen, die Spieluhr wieder aufzuheben und sich ihm damit zu nähern.
Nun stand der Soldat in der Tür des Jambutos und sein Offizier starrte neugierig auf das ´Ding´ in dessen Hand. "Kir wan tes?" erkundigte der sich und nahm es ihm vorsichtig aus den Fingern. Einige seiner Männer waren neugierigerweise ebenfalls zurück gekommen, zeigten sich genauso fasziniert. Sie drängelten sich vor der Tür des Jambutos um ihr Oberhaupt.
Der Gefragte zuckte nun stumm die Achseln.
"Kon jati to tes namagunto?" wollte jetzt der Tjufat von Munjafkurin wissen.
Dieser sah sich im inneren des Wagens nach allen Seiten um . "Pla juka jat nadeba!" Er wies nicht ohne Stolz in die Richtung, wo er die anscheinend wertvolle Beute gefunden hatte.
Das Oberhaupt nickte und beleckte sich aufgeregt die Lippen
"Era nagat tes len kriba?" wollte es jetzt wissen und hielt die Spieluhr Munjafkurin mit ausgestreckter Hand entgegen.
"Pogo!" erklärte Munjafkurin höflich, beugte sich zu ihm hinab und fügte zögernd hinzu. "Bani noi?"
Der Offizier nickte auffordernd. "Akir! Guusio!"
Da packte der Soldat vorsichtig mit zwei Fingern die kleine Kurbel oben an der Spieluhr und begann die zu drehen. Alles, was hajeptisch war, lauschte daraufhin hingerissen. Selbst jene Soldaten, welche einen Kreis um die Menschen auf dem kleinen Parkplatz gebildete hatten. Erkan, George, Paul, Gesine und Martin blickten einander verwirrt an, denn sie vermochten es sich einfach nicht zu erklären, dass ´Alle meine Entchen´ eine solche Reaktion auslösen konnte.
"Hiat Ubeka!" riefen wenig später einige der hajeptischen Soldaten überrascht und andere murmelten anerkennend
"Nurrfi, nurrfi!"
Man federte nun gemeinschaftlich und ziemlich aufgeregt auf den Zehen. Ein gar seltsames, fast unheimliches Wippen ging wie in mehreren Wellen durch den ganzen Trupp, der sich rings um die beiden Jambutos geschart hatte. Erst nach einem ganzen Weilchen trat Ruhe ein. "Da tista! Da tista!" bettelte die Meute nun ihr Oberhaupt an.
Doch das schüttelte streng den Kopf. "Lerk!" sagte es und dann warf der Tjufat die Spieluhr demonstrativ einfach zurück in den Lieferwagen.
Munk war sehr empört, Was sollte das schon wieder? Die Spieluhr war nicht nur ziemlich dicht über sein Körbchen hinweg in den Laderaum hinein geflogen, sie hatte auch anschließend ziemlich laut gescheppert und zwar ganz in seiner Nähe, sodass er schon wieder wach geworden war. Nie konnten Zweibeiner etwas Vernünftiges tun. NIIIE!
"En tjuna tete oxina hi sri anu djepato!" unterbreitete der Offizier indes den ziemlich enttäuscht wirkenden Soldaten sein Tun. "Tubiton lumantijabol!" und er schüttelte dabei verächtlich die Hand Richtung Menschen aus.
Da fügten sich seine Soldaten gesenkten Hauptes.
Der Tjufat ging nun mit großen Schritten auf die Menschen zu, und die wichen vor Angst und Entsetzen vor ihm zurück. Oh Gott, was würde nun passieren? Würde man sie jetzt erschießen, wie das eigentlich sonst immer üblich war?
„Kennert Marktstamm?“ fragte der Tjufat aber nur schon wieder, was allerdings eher wie eine Feststellung als eine Frage klang.
Paul, Gesine, George, Martin und sogar Erkan schüttelten trotzdem ziemlich wild und gemeinschaftlich die Köpfe
"Ihr nischt gesähinn habt?“ fragte er jetzt.
Erneutes Kopfschütteln und George freute sich dabei insgeheim, wie solidarisch doch seine Freunde in höchster Not sein konnten.
„Ihr nunni genäu hinschauern musssert!" Der Offizier schlenkerte ein seltsames Gerät einmal kräftig hin und her und es kroch ein regenbogenfarbenes, wolkenartiges Gebilde aus dessen Öffnung. Die bunten Nebelschwaden fielen zunächst zu Boden, kringelten sich von dort wieder in die Höhe, verdichteten sich zu einem leicht transparenten holographischem Bild. Zur Zeit dieser Aufnahme war es wohl tiefste Nacht gewesen, denn es erschien alles ziemlich dunkel. Ein weiblicher Mensch lehnte zusammengekrümmt am Stamm eines mächtigen Baumes. Er wurde vom grellen Licht einer kleinen Lampe angestrahlt, und nun kam sogar Bewegung in das Bild. Die Person war eine ziemlich dürre Frau, deren Oberkörper zwar entblößt war, den sie sich jedoch mit den Händen verdeckte. Sie schien mächtig in Panik geraten zu sein und zitterte am ganzen Körper. Das Licht einer kleinen Lampe bestrahlte sie von oben bis unten und ging wohl von demjenigen aus, der nicht im Bild zu sehen war, welcher aber die Lampe irgendwo an seinem Körper befestigt hatte, denn der Schein schaukelte ständig hin und her. Und so war die Frau, die recht helle Haare zu haben schien - denn Margrit war ja schon ganz schön ergraut gewesen – nur sehr undeutlich zu sehen.
„Bitte eine winzig kleine Pause, ja?“ hörten sie alle Margrit und waren über ihre verzweifelte Stimme sehr erschrocken. Ganz besonders George schnürten Trauer und Zorn dabei regelrecht den Hals zu. Er meinte zu wissen, was sich hier abspielte, nämlich dass derjenige, welcher Margrit so aggressiv mit dem Licht bearbeitete, sie wohl gerade vergewaltigen und das auch noch filmen wollte, was ihm allerdings nicht so recht gelang, denn immer wieder zeigte sich zwischen diesen Bildern nichts als Schwärze. „Mir ist schlecht!“ schnaufte Margrit dann im nächsten Bild. George traten Tränen in die Augen. Ach, er hätte diesen Hajep dafür auf der Stelle erwürgen mögen. Armes Mädchen, was hatte sie wohl alles bereits durchmachen müssen mit diesem Typ – wie hatte der doch gleich geheißen? Owortep! - dass sie so fertig war! Na, den würde er sich aber merken. Ach, Margrit, was war sie doch für eine tapfere Frau. Die ganze Zeit hatte sie niemandem von ihnen auch nur ein Sterbenswörtchen darüber erzählt!
Selbst Gesine, die sonst eine ziemlich raue Natur besaß, nagte dabei die ganze Zeit an ihrer Unterlippe. Die Arme Margrit, das also war mit ihr gemacht worden! Nee, sie würde künftig nicht mehr so zickig zu ihr sein, sollten sie noch mal mit dem Leben davon kommen, jawoll! Das nahm sie sich ganz fest vor.
„Naa, was is?“ fragte der Tjufat und wies dabei auf das holographische Luftgebilde. “Bekannter Frau?“
Paul zuckte zur Antwort nur mit den Achseln und Gesine versuchte möglichst erstaunt dreinzuschauen.
„Reddet!“ verlangte der Tjufat. “Ihr kennert sie!“
„D ... die kennen wir nicht! " erklärte George nach dem ersten Schock.
"Wirklich nicht!“ bestätigte ebenso Paul.
Der Hajep schaute jedem von ihnen misstrauisch ins Gesicht und dann schritt er plötzlich näher an Gesine heran. Margrit hatte wohl durch diese Aufnahme, welche mitten in der Nacht gemacht worden war, jünger ausgesehen als sie eigentlich war und das graue, lange Haar mit den weißen Strähnen hatte im Lampenlicht wie blond ausgesehen.
Es nutzte nichts, dass Gesine vor dem Tjufat Schritt um Schritt zurück wich. "Xorr!" murmelte der Tjufat immer sicherer. "Aller Lumantis sichten verdammtig glaich aus!“ Er brach ab, wollte vergleichen aber inzwischen hatte der Wind das Nebelbild in einzelne zarte Schwaden zerrissen und wehte sie jetzt fort. "Du Marktstramm bist!" brüllte der Tjufat Gesine einfach an. "Und kommast jitzt hierherr ... HIERHERR!“ Er wies energisch mit dem Finger auf die freie Fläche direkt vor seinen Füßen.
"Nein! Das mache ich nicht!" schluchzte Gesine zu Tode erschrocken. "Denn ich bin ja gar nicht die Margrit!“
„Wirklich nicht!“ sagte schon wieder Paul, denn Erkan, George und Martin waren vor Schreck wie versteinert.
„Doch, doch!“ beharrte der Tjufat.
„Nein ... also, die sieht doch ... äh ... sah doch in diesem Bild doch viel älter aus als ich!“ stieß Gesine nun ziemlich atemlos hervor.
„D ... das stimmt!“ meldete sich auch wieder Paul. „Die ist ... hm ... war doch viel älter!“
„Pwi, das war eben einer gäns schlächte Aufnahme!“ erklärte der Tjufat eifrig. “Alzo Frauuu ... komm entelisch herr su mirr!“
„Nein, ich .. ich denke nicht daran!“ Gesine stampfte mit dem Fuß auf, war aber im Gesicht noch blasser geworden.
Georges Blicke flogen entsetzt von Gesine zum Tjufat und dann wieder zurück. Er war völlig fassungslos. Was konnte man jetzt nur machen? Er wusste nicht, ob da noch reden weiter helfen konnte. Ehe er noch reagieren konnte, kam der Tjufat noch näher heran, packte Gesines Zöpfe zu beiden Seiten, spielte ein bisschen damit herum und dann wickelte er die Flechten um Gesines Hals. Das Oberhaupt hob mit nur zwei Fingern das Gesicht des Mädchens an und zwang sie somit ihn anzublicken!
Gesine starrte entsetzt in diese feuerroten Augen hinter der Scheibe des Helms und ihre Lider füllten sich erneut mit Tränen. “Oh Gott ... oh Go-ott!“ ächzte sie.
"Nein, das bin isch leidar nischt!" erwiderte der Tjufat ein bisschen geschmeichelt. Er tätschelte Gesines blasse Wange. "Aba isch habere disch auserwählt und dasis verdammtig guuut, chesso?"
Gesine schüttelte den Kopf und ihre Lippen bebten. "Nein, das ist nicht gut!" wisperte sie. „Denn das ist alles ein Irrtum!" jammerte sie.
Er lehnte den Kopf auf die andere Seite und betrachtete sie eingehend . "Zaii ... zaaai, auch Irrtüümer habinn ihrinn Wert! Zo sum Beispielte irrte zisch eurerer Kohlbumbus mit Indien. Es war Amerrika!“ murmelte er auffällig leise um den kalten Klang seiner Stimme zu verbergen. “Schaditt alzo nischst, wenn wir disch nemmen mit!“
„Aber mir ... MIR schadet das!“ schniefte Gesine verzweifelt.
„Richtick! Abar daas macht nischtzz!“ erklärte der Tjufat zufrieden.
Da war es mit Georges Nervenruhe entgültig vorbei und .... vielleicht gab es ja noch eine letzte Chance, indem er den Tjufat einfach zu seiner Geisel machte? Er musste nur schnell genug handeln!
„Oh, mein Bein ... es schmerzt!“ ächzte er leise und verzweifelt. „Hm, ich glaube, der Verband ist zu eng ... werde ihn etwas lockern müssen!“ Erkan, Martin und Paul sahen einander verdutzt an. Was hatte George plötzlich vor?
Georges lange Finger tasteten nach dem Revolver in seinem Verband.
He, da fühlte er auch schon den Kolben, nur noch ein kurzer Ruck und dann ...! Noch ehe er die Waffe aus dem Verband hatte, fraß sich ein Feuerstrahl durch seine Hand und von dort sich noch ins Bein. Der Schmerz war so groß, dass er mit einem gellenden Schrei ohnmächtig zusammen brach.
„Jonkert! Tes gua to gelguma!“ brüllte der Tjufat hasserfüllt, ergriff sich Georges Waffe, betrachtete die jedoch für einen kurzen Moment verdutzt – bei Ubeka, welch ein altes Stück! Schließlich winkte er Martin zu sich heran, der ihm trotz mehrerer verzweifelter Ausreden schließlich doch zeigen musste, wie man damit feuern konnte. Für ein Weilchen ballerte der Tjufat dann ziemlich hirnrissig damit herum. Schließlich wendete er sich wieder dem leblosen George zu. Er visierte George mit dessen Waffe erst einmal spielerisch von der einen Seite und dann von der anderen an.
Martin, Paul und Erkan bissen dabei fest die Zähne zusammen, jeden Augenblick erwartend. dass es gleich knallen und mit George für immer vorbei sein würde. Da hörten sie alle aus dem Lieferwagen eine kleine Trommel und ein leises Rattern bis zu ihnen herüber tönen. Der Offizier schaute verdutzt nach hinten über die Schulter.
"MUNJAFKURIN!" brüllte er wieder entrüstet.
"A .. akir?" tönte es kleinlaut aus dem Jambuto, denn Margrit hatte ihm schon wieder etwas hingestellt.
"Kir wan dos? Xorr kir pin to ti?”
“Noi jato pir unata nabarkion!” erklärte Munjafkurin wieder.
“To pin mai fidiako!" Der Tjufat seufzte laut und vernehmlich. “To ujo notom dendo barkiona!”
"Chajeto!" Man hörte, dass Munjafkurin im Wagen schon wieder stramm stand und irgendetwas fiel zu Boden.
"Kos to foro bagsui tixim lehu?“ fragte der Offizier ziemlich ungehalten, während er wieder auf die geöffnete Tür des Lieferwagens zuschritt.
„Akir! Palta erkanotore! Omtka mira!“ log Munjafkurin einfach, um endlich mit dem lästigen Suchen fertig zu sein und versteckte dabei noch schnell das Spielzeug in seiner weiten Jacke, dann sprang er aus dem Wagen und stand stramm.
Doch der Tjufat war misstrauisch, holte rein gewohnheitsmäßig das Suchgerät hervor, schüttelte sodann den kopf und verstaute es gleich wieder. Dann tastete er Munjafkurin einfach ab und schon hatte er den kleinen, aufziehbaren Bären mitsamt Trommel gefunden. Der Tjufat wollte etwas Wütendes fauchen, betrachtete aber dann für einen Moment lang das putzige Spielzeug so verzückt, dass Munjafkurin sich vorwagte und ziemlich arglos fragte: „Bani noi tes tukestan?“
„Ka, ichto trunon to ... to millek!“ schnaufte der Tjufat zornig. und dann warf er den kleinen, aufziehbaren Teddybären - nicht nur sehr zur Enttäuschung Munjafkurins sondern auch all seiner Leute – ohne sich viel umzugu¬cken wieder einfach hinter sich zurück in den Jambuto.
Das Spielzeug sauste jedoch nicht über das Körbchen hinweg, sondern diesmal mitten hinein. Es knackte dabei laut ... und gelb-weissliche Masse spritzte! Munks Kopf fuhr völlig mit Ei besudelt hoch! Was sollte denn das, wo er doch überhaupt keinen Hunger hatte? Ach, er war jetzt richtig sauer! Nie, aber auch NIEE machten Zweibeiner irgendetwas richtig! Und dann begann er – leise dabei rülpsend - sich mit den Pfoten sein Gesicht sauber zu putzen.
Der Tjufat schraubte indes, über Munjafkurins Ungehorsam vor Wut schier berstend, einen kleinen Stab von seinem Gürtel und feuerte damit mehrmals auf seinen armen Untergebenen. Es waren allerdings nur irgendwelche ganz besonderen Stromstöße, denn man konnte dabei fast nichts aus der Waffe hinaus sausen sehen, außer einem komischen Flirren oder Flackern in der Luft, begleitet von zischelnden Geräuschen. Munjafkurin ging davon nicht zu Boden, doch die Ströme schienen ihm heftige Schmerzen zu bereiten. Stöhnend krümmte er sich bei jedem neuen Schuss zusammen, begleitet von wilden Schimpftiraden des Tjufats. Als sich das Oberhaupt endlich einigermaßen beruhigt hatte, schraubte es seine Waffe wieder an den Gürtel und dann lief er wieder mit seinen Leuten zum Parkplatz, wo die vier Menschlein sie schon mit großen, entsetzten Augen erwarteten, wei¬terhin dabei umzingelt von etwa dreiundzwanzig Soldaten, die mit ihnen dort gewartet hatten.
Der Offizier zog nach einer kurzen Absprache mit seinen engsten Vertrauten schließlich die Pistole von George wieder aus seinem Gürtel, um endlich den immer noch am Boden liegenden George als Exempel mit dessen eigener Waffe zu erschießen. Die zwölf Soldaten ringsum taten es ihrem Oberhaupt in sofern nach, dass sie plötzlich die Läufe ihrer sonderbaren Gewehre feuerbereit auf den zitternden Martin, Erkan und Paul richteten.
Die immer noch laut schluchzende Gesine hatten sie zuvor einfach auf ihre Seite genommen.
Paul, Erkan und Martin waren käseweiß im Gesicht. Sie tauschten dabei immer wieder Blicke mit der völlig fassungslosen Gesine aus und schließlich kämpften auch sie mit den Tränen, denn es war klar, dass sie in wenigen Sekunden nicht mehr leben würden.
“Lebt wohl, meine Freunde!“ wisperte Gesine ihnen zum Abschied zu.
Doch gerade als der Tjufat loslegen wollte, schrillte sein Kotaktgerät, welches er wie alle Hajeps in den Ohrkapseln verborgen hatte. Der Ton war wohl so laut und unangenehm gewesen, dass es hinter der Scheibe seines Helms zu sehen war, wie er das Gesicht verzog, während er zuhörte und zu begreifen suchte, welch merkwürdi¬ger Befehl ihm plötzlich erteilt wurde. Er war so erstaunt darüber, dass er erst einmal die neue Nachricht gedanklich verarbeiten musste, denn er stand für einige Sekunden wie versteinert da, hielt dabei allerdings immer noch die Waffe auf George gerichtet und seine Männer wussten daher nicht so recht, was sie jetzt machen sollten. Sie mucksten sich nicht, warteten nur, die Gewehre feuerbereit haltend.
„Menschinn alle auf diesser Errde kunftick darfern läbbin!“ sagte der Tjufat und diese Worte schienen ihm irgendwie schwer zu fallen.
Martin, Paul und Erkan waren nun genauso überrascht von dieser Nachricht wie zuvor der Tjufat, glaubten sich verhört zu haben! Denn das – nach all diesen Jahren der brutalen Verfolgungen - konnte doch fast nicht möglich sein, oder? Wer oder was hatte plötzlich diesen Gesinnungswandel ausgelöst?
“...for unbestümmter Zaaaiiit!“ setzte der Tjufat nun hinzu.
Ach so, also gab`s doch schon wieder eine Einschränkung!
„Könner nischt saginn for wie langer, verstandinn?“
Die drei Menschen nickten mit angehaltenem Atem.
„Aber das jitzt neuer Befell von Oten!“ fügte der Tjufat noch wie entschuldigend noch hinzu.
Trotzdem liefen den drei Menschlein vor Erleichterung die eben noch zurück gehaltenen Tränen über die Wangen, kaum dass sie das gehört hatten. Sie umarmten einander, waren dabei aber doch so ein bisschen misstrau¬isch ... zu Recht! Denn schon hörten sie aus dem Munde des Tjufats: “Und jitz nüüür nöch wir bräuchin einer mannliches Exemplar der Spezies Lumanti. Zoll haute ebenfalles zu uns kommern nach Zarakuma! Naaaah, wär von eusch will?“
Natürlich drängelte sich keiner dabei vor. Erkan, Paul und Martin wechselten wieder entsetzte Blicke miteinander. Wer von ihnen sollte jetzt als männliches Versuchstier in Zarakuma sterben? Verdammte Hajeps, hatten ihnen schon eine Freundin geraubt, aber das schien ihnen plötzlich nicht mehr zu genügen. Anscheinend wollten sie jetzt ein Pärchen, Mann und Frau mitnehmen. Aber wofür? Gleich mehrere Gänseschauer liefen ihnen dabei die Rücken hinunter. Ach, allen dreien waren die Kehlen wie zugeschnürt.
„Will keiner?“ fragte der Tjufat und seine seltsame Stimme klang dabei direkt ein bisschen enttäuscht, aber George Pistole verschwand wieder im Gürtel. Er bückte sich zu dem ohnmächtigen Menschen hinunter, hielt ihm etwas unter die Nase, woraufhin dieser hustend und prustend erwachte. "Stehe jitz auf!" erklärte er kalt.
George versuchte zu gehorchen, aber es ging nicht. Die Beine rutschten ihm weg und er fiel rücklings auf den Boden. Sein Bein und seine Hand brannten wie Feuer. Der Tjufat nickte Paul zu, weil der eben Anstalten gemacht hatte, George aufzuhelfen. Pauls Knie zitterten, als er George unter die Achseln griff, um ihn vom Boden hoch zubekommen.
Der Tjufat beobachtete Paul dabei sehr genau. „Pisst staaak!“ stellte der anerkennend fest, denn um den langen und muskelbepackten George hoch zu bekommen, dazu gehörte schon einige Kraft.
„Jedochen du zo fääät zom mitnämmin for Zarakuma!“ stellte der Tjufat nach eingehender Musterung weiter fest und Paul keuchte deshalb erleichtert.
Kaum stand George wieder – wenn auch von Paul fast dabei getragen - auf den Beinen, begutachtete der Tjufat auch diesen ziemlich gründlich von oben bis unten. Er schien die Menschen wohl plötzlich mit ganz anderen Augen zu sehen.
„Und der hier ... hinkte schon vor dem Schuss!“ erklärte Paul geistesgegenwärtig und war selbst erstaunt über seinen plötzlichen Mut.
Der Tjufat zögerte, aber dann nickte er seufzend und wendete sich den übrigen beiden Männern zu. Diese wollten zunächst wieder vor ihm zurück weichen, aber die Soldaten standen diesmal viel dichter hinter ihnen!
Während Martin geduldig den Kopf während der eingehenden Betrachtungen hängen ließ, ballten sich Erkans kräftige Hände zu Fäusten.
„Du ...“, sagte deshalb der Tjufat sehr begeistert, „... kommest mit!“
Erkan brach fast völlig in sich zusammen. „He, warum ausgerechnet ICH?“ krächzte er schließlich völlig grau im Gesicht.
„Weil, du pisst kraftig gebaut und weil du pisst zo herrlisch wüüüllld!“ Er schnalzte anerkennend mit der Zunge.
„Darüm du könnerst vill aushaltinn Versuche in Zarakuma!“
„Nein, nein, neiiiin!“ kreischte Erkan gellend auf, während ihn die außerirdischen Soldaten einfach packten, ihm die Arme umzudrehen versuchten. In diesem wilden Handgemenge zischelte es kurz und Erkan krümmte sich zusammen, denn der Tjufat hatte mit seiner seltsamen, stabförmigen Waffe nun auch auf ihn gezielt. Der Schmerz war dabei gar nicht mal so schlimm gewesen, denn der Tjufat hatte diesmal eine niedrigere Dosis eingestellt, doch Erkans Fäuste waren mit einem Male wie gelähmt. Schon schlossen sich ein paar weiche gummi¬artige Handschellen um seine Handgelenke.
Gesine und Erkan mussten schließlich in einen der fünf Mannschaftstransporter einsteigen, welche die Hajeps gleich neben der Straße auf den Wiesen geparkt hatten, und weil es gleich los gehen sollte, waberte schon mal von außen ein weicher, leicht transparenter Flossensaum um das wie ein riesiger Wels aussehende Ding von allen Seiten auf.
Die beiden Menschen waren so fertig, hatten mit ihrem Leben abgeschlossen, dass sie kaum darauf achteten, auf welch merkwürdigen Sitzen sie Platz nahmen. Nur als sich dann auch noch diese kleinen, flachen Schlangen – von denen man ihnen leider vorher nicht gesagt hatte, dass dies nur Haltegurte waren – in Wellen an ihnen hoch ringelten, kreischten sie doch.
Paul, Martin und George hörten aus dem seltsamen Gefährt die schrecklichen Schreie ihrer Kameraden bis zu ihnen herüber gellen und sofort wurde den dreien schlecht. Am schlimmsten ging es dabei Paul. Er würgte sich in einem fort, obwohl ihm Martin immer wieder tröstend auf die Schulter klopfte.
„Oh Mann!“ schnaufte Paul dabei. „Die arme Gesine, der arme Erkan! Schon jetzt machen sie Versuche mit denen.“
Der Tjufat hielt nun noch eine kurze Ansprache an seine restlichen Leute, und dann bewegten sich die Soldaten auf die übrigen, mit silbernen oder goldenen Schuppen verzierten Mannschaftswagen zu, mit denen es heimwärts gehen sollte. Sehr genau beobachtete das Oberhaupt dabei seine Soldaten und lümmelte sich währenddessen so ein bisschen an der offenen Tür des zweiten Jambutos. Margrit konnte von ihrem Versteck aus sehr gut sehen, wie dabei dessen verkrüppelte Hand - er hatte, um besser tasten zu können, sogar den Handschuh ausgezogen - suchend den Boden des Jambutos entlang trippelte. Die Fingerstumpen wanderten ziemlich zielstrebig in jene Richtung, wo wohl nach seiner Meinung der kleine, aufziehbare Bär mit der Trommel hätte liegen müssen, den er wohl heimlich mitnehmen wollte, wenngleich es strengstens verboten worden war.
Der Offizier suchte also - quasi blind - denn er schaute dabei keineswegs nach hinten über die Schulter zurück, weil er fürchtete sich dadurch zu verraten, und um gleichzeitig seinen Leuten vorzuspielen, dass er von hier aus nur sehr genau kontrollierte, dass sie in exakter Formation wieder davon brausten. Nur einigen wenigen war es erlaubt bei ihm zu bleiben und die störten den Tjufat mächtig, aber das konnte er denen ja nicht sagen.
Und so atmete er auf, als seine Finger endlich doch noch etwas rundes, glattes ertastet hatten. Es lag zwar in einem Körbchen und war wohl die Spieluhr! Diese fühlte sich zwar auch ein wenig warm an, doch wie bei allen Hajeps, stand es mit seinem Tastsinn nicht besonders gut, denn sonst hätte er bemerkt, dass er gerade Munks kahlen Schädel abtastete. Der Tjufat versuchte nun, die kleine Kurbel zu finden.
Munk war sehr empört, dass seine edle Denkerstirn ziemlich unrhythmisch betrommelt wurde. Also, er war ja schon recht gutmütig, hatte inzwischen sogar das dritte Ei aufgeschleckt und diesmal wirklich nur aus Reinlichkeit, aber das hier ging echt zu weit! Munks zwei, ihm noch verbliebene, aber immer noch recht spitze, Krallen fuhren deshalb ohne längeres Nachdenken ebenso unrhythmisch in die blassblaue Hajephaut.
Sofort zuckte der Tjufat vor der Tür des Jambutos zurück, einen kleinen spitzen Schrei dabei tapfer unterdrückend, denn bei Ubeka, was war das gewesen? Er konnte sich das einfach nicht erklären, aber durfte sich nicht mehr umschauen, denn seine Leute waren ungeduldig und kamen ihm gerade entgegen. Mit einem schnellen, verstohlenem Seitenblick auf den Handrücken stellte er fest, dass er dort aus zwei, recht merkwürdigen kleinen Wunden blutete? Ehe seine Leute nahe genug heran waren, hatte er sich auch schon den Handschuh darüber übergezogen und kam ihnen entgegen. Dann stiegen sie alle zusammen in den letzten der kleinen Mannschafts¬transporter und waren alsbald verschwunden.
Im Inneren des anderen Kleintransporters saßen die weinende Gesine und der vor Schreck erstarrte Erkan nun zwischen Munjafkurin, Emdekunka, Rubnirwor, Plinaskone, Rindabaska und weiteren fünf hajeptischen Soldaten, die sich noch nicht mit Namen vorgestellt hatten, auf weichen, mit Pelz gepolsterten Sitzen.
Und nach einem Weilchen hatten es sich die Hajeps sogar soweit gemütlich gemacht, dass sie sich nicht nur die obersten Knöpfe ihrer strengen Uniformen öffneten, sondern auch die lästigen Helme abnahmen. Wunderschönes, dichtes, blauschwarzes Haar fiel dabei zuweilen über anmutige Schultern. Obwohl Erkan noch immer wie zur Salzsäule erstarrt war, überraschte es ihn doch, Frauen unter diesen brutalen Soldaten zu entdecken. Er mus¬terte sie nun verlegen und von der Seite her, denn sie waren nicht nur blutjung, sondern auch wunderschön! Auch Gesines Augen wurden etwas größer, als sie sah, dass nicht nur die übrigen Soldaten, auch der muskulöse Munjafkurin plötzlich sein Hemd bis zum Bauch offen hatte – denn er schwitzte nicht so gerne und ihm war plötzlich heiß!
Zögernd wanderte Gesines Blick seinen Hals hinauf bis zu seinem Gesicht. Sie hielt den Atem an, denn Munjafkurin war ungewöhnlich schön! Ach, er war sogar der Schönste von allen Hajeps, die sich hier in diesem komi¬schen Flugzeug befanden. Scheu fiel ihr Blick von ihm ab, schaute sie auf ihre Hände, die sie vor sich auf ihre Knie gelegt hatte.
Doch Munjafkurin fasste Zutrauen und setzte sich neben Gesine auf den Sitz Sofa und dann löste er einen uralten kleinen CD-Player mitsamt Kopfhörern aus dem hinteren Teil seines Helms, welchen er vorhin im Jambuto gefunden und dort mit Hilfe eines Klebefilms, den er dort ebenfalls entdeckt hatte, im Helm festgeklebt hatte. Dieses komische Ding interessierte ihn nämlich sehr. Er ahnte zwar, dass man es irgendwie aufziehen konnte, wollte aber nichts verkehrt machen.
„Wie mann maaacht solschiss?“ fragte er sie.
Gesine schaute in diese eigenartigen Augen. Sie wirkten so gar nicht kalt, sondern der Blick war eher wie der eines fragenden Kindes. Sie hielt ihm die geöffnete Hand entgegen, auch wenn sie dabei heftig zitterte und er legte nach kurzem Zögern den Player in Gesines Handfläche.
“Siehst du“, sagte sie schließlich und schaltete dabei das Gerät an. “So einfach geht das!“ Ein uralter Rock`n roll tönte leise aus den Kopfhörern und sofort wippte die Stiefelspitze von Munjafkurin begeistert mit – leider überhaupt nicht im Takt. Aber das schien ihn nicht sonderlich zu stören.
“Nurrfi, nurrfi!“ ächzte er.
Die übrigen außerirdischen Männer und Frauen drängten sich plötzlich um Gesine und Erkan. Jeder wollte an den winzigen Kopfhörern wenigstens einmal kurz horchen und so wanderte der CD-Player alsbald von Hand zu Hand. Die jungen Frauen quietschten verzückt, kaum dass sie die ungewöhnlichen Töne vernahmen und die ebenfalls sehr jungen Männer schnauften aufgeregt dabei und zwar gleich durch sämtliche drei Nasenlöcher.
Schließlich herrschte solch eine heitere Stimmung in dem kleinen Trestin, dass sogar Gesine einmal laut auflachen musste. Da erstarb der Jubel so abrupt als wäre gerade eine Bombe explodiert! Alles, was außerirdisch war, starrte entgeistert auf Gesines Mund, denn niemand von ihnen hatte je solch ein seltsames Geräusch vernommen. Man wechselte aufgeregte Blicke miteinander. Konnte das gefährlich werden, was dieser Mensch soeben mit seinen Lippen fabriziert hatte?
Nur Munjafkurin war fähig – wenn auch nach einigen sehr heftigen Atemzügen - wieder klar denken zu können.
„Nöch einmal!“ verlangte er von Gesine.
Diese blickte ihn verwundert an.
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„Und du hast wirklich unsere Mami gefunden, stümms?“ hakte Julchen inzwischen doch so ein bisschen skeptisch nach, während sie der großen, schlanken Gestalt hinterher lief.
„Klar, hab ich das!“ erwiderte die etwa vierzigjährige Frau, welche ihr buntes Kopftuch ziemlich tief ins Gesicht gezogen trug. Struppige, dunkelblonde Haare lugte darunter hervor. “Wir sind ja gleich da! Seht ... nur noch in diese große Straße dort rein und dann hat sich alles erledigt!“
„Was hat sich dann erledigt?“ fragte Tobias, jetzt ebenso misstrauisch geworden und zog dabei den Schnodder in seiner kleinen Nase hoch, denn der letzte Satz hatte plötzlich recht eigenartig geklungen. Irgendwie begann er sich zu fragen, ob es nicht besser gewesen wäre, ruhig alleine weiter durch Würzburg zu laufen. Aber Julchen hatte ja andauernd Angst gehabt, dass sie gar nicht mehr aus dieser Stadt hinausfinden würden. Na ja, die Straßen hier sahen aber auch ziemlich gleich aus und hier waren sie noch nie gewesen. Tobias blickte sich nach allen Seiten um. Überall Häuser, die ihm die Sicht versperrten.
„Öööh, na einiges!“ krächzte die Frau verlegen und lachte dann meckernd wie eine Ziege.
Komisch, irgendwie kam Tobias diese seltsame Lache bekannt vor!
„Auweia!“ wisperte Julchen wohl auch aus diesem Grunde und begann an ihrem Ärmel zu nagen, während sie weiter liefen. Die Frau machte recht große Schritte, so dass die Kinder kaum nachkamen und schaute sich nur selten, und wenn, dann nur ganz kurz, nach ihnen um.
„Pah, die kann uns nichts tun!“ erklärte Tobias ebenso leise wie Julchen. Aber inwendig hatte er doch etwas Angst, denn die Frau in ihrem weiten, bauschigen Rock, den sie übrigens über einer engen Jeanshose trug, deren Hosenbeine immer wieder zu sehen waren, wirkte ziemlich drahtig. Womöglich, er schluckte bei diesem Gedanken, war sie sogar bewaffnet! Trug sie die Waffe gar unter diesem Rock? Warum war sie so schrecklich freund¬lich zu ihnen gewesen?
Vorhin hatte sie Tobias und Julchen durch ihr Fernrohr entdeckt, als die gerade aus einem der alten Fachwerkhäuser auf die Straße gestürmt kamen, in welchem sie die Nacht verbracht hatten. Sie hatte sich erst überrascht gezeigt und dann, als die Kinder Reißaus vor ihr nehmen wollten, ihnen hinterher gerufen, dass sie keine Angst zu haben bräuchten, sie würde ihnen sehr gerne helfen wollen, wieder nach Hause zu kommen.
Das war natürlich Musik in den Ohren der beiden Kleinen, denn viel zu lange schon waren sie durch die Stadt gegeistert und daher total erschöpft und mutlos. Schon nach kurzer Zeit hatten sie dann Vertrauen zu dieser netten Dame gefasst und ihr erzählt, wen sie suchen würden.
„Ja“, hatte die begeistert erklärt, „folgt mir nur weiter. Wir befinden uns ja schon am Rande der Stadt, müssen nur noch ganz hinaus, dann wird euch auch bald wieder eure Mami in die Arme schließen.“
Nun liefen sie allerdings schon ein ganzes Welchen dieser inzwischen recht mürrisch gewordenen Frau hinterher. Seltsamerweise kam ihnen die Straße, in welche sie nun einbogen, mächtig bekannt vor und tatsächlich, diese mündete wiederum in die alte Landstraße mit den Wiesen und zum Teil bearbeiteten Äckern dahinter. Ja, man konnte jetzt die sanften Hügel von hier aus bereits sehen. Recht enttäuschend, denn dann waren sie seit gestern ja gar nicht mal weit in die Stadt hinein gelaufen, hatten sich die ganze Zeit wirklich nur im Kreise bewegt.
´Schei....!´ wollte Tobias denken, als sie die letzten Häuser der Stadt hinter sich gelassen hatten, denn plötzlich sah er auch noch den Jambo, welchen Mike wohl schon die ganze Zeit hier geparkt hatte, um mit seinen Leuten diesen Teil Stadt nach Julchen und Tobias zu durchkämmen.
„Komm Jule, wir hauen ab!“ Tobias zwinkerte Julchen zu und schon flitzten sie los.
Die Frau riss fast gleichzeitig mit einem lauten Wutschrei ihr Kopftuch vom struppigen Haar und als Tobias über die Schulter zurück blickte erkannte sie auch schon.
“Trude!“ kreischte er erschrocken, denn die gehörte ebenfalls zu den Spinnen und war sonst immer ganz besonders garstig gerade zu Kindern gewesen.
Trude hatte derweil, um schneller laufen zu können, den lästigen, weiten Rock, mit dem sie sich verkleidet hatte um von den beiden Kleinen nicht erkannt zu werden, von ihren Jeans gefetzt und jagte nun Julchen und Tobias hinterher.
„Auweiauwei!“ ächzte Julchen verzweifelt. “Die schreckliche Trude, die ... die hat die ganze Zeit ganz doll anders geredet g ... ganz mit Absicht undwas machen wir nun?“
Obwohl die beiden ziemlich kurze ein Beinchen hatten, so waren sie doch im Laufen trainiert. Immer wieder konnten sie Haken schlagen und somit Trudes gierigen Fingern entwischen. Sie jagten über die Wiesen und Äcker, denn wieder in die Stadt hinein trauten sie sich nicht, weil sie dort Mike und die anderen Männer vermuteten.
Irgendwie musste sich Trude währenddessen mit ihren Kameraden in Verbindung gesetzt haben, denn zwischen den letzten Häusern der Stadt tauchten alsbald Mike und Jonas auf. Man konnte sehr gut sehen, wie sie auf die alte Landstraße zuliefen.
„Mike, Jonas ... so helft mir doch endlich!“ kreischte Trude inzwischen völlig entnervt, denn ihr schien langsam die Puste auszugehen.
Julchen und Tobias hatten sich gestern zwar ziemlich spät zur Ruhe begeben, jedoch bis Mittag gut geschlafen und daher eine ganz schöne Ausdauer. Wohin letztendlich ihre sportlichen Bemühungen führen sollten, wussten sie jedoch nicht. Denn vor aller Augen verstecken war ja wohl völlig sinnlos, oder? Gerade als sie doch noch eine Möglichkeit dafür sahen, nämlich hinter einer alten Mauer zu verschwinden, welche früher einen kleinen Hühnerhof eingefasst hatte, da sauste auch schon Frank von dort hervor – verdammt, mit diesem hatte Tobias nicht mehr gerechnet! - und ergriff sich den Jungen, der näher als Julchen war, von hinten bei den Schultern. Beide hatten solch einen Schwung dabei, dass sie zusammen in den schlammigen Matsch des Ackers plumpsten.
“Upps!“ ächzte Frank deshalb verdutzt. Tobias sagte dazu gar nichts. Ach, er hätte weinen können. Jetzt verzog er das Gesicht, denn sein Mund war voller Erde.
Nun kam auch Trude angeschnauft. Es nutzte nichts, dass Julchen gellend wie ein Schweinchen quietschte. Das Weib tat es jetzt Frank einfach nach und warf sich mit dem ganzen Gewicht auf die zierliche Juliane.
„Endlich hab ich dich, du ... du kleine Hexe!“ kreischte Trude triumphierend, während das Kind unter ihr niederstürzte. Sie begrub das Mädchen fast mit ihrem langen Körper. Auch Julchen lag mit dem Gesicht in schwarzer Erde.
Jetzt kamen noch Mike und Jonas hinzu. Mike war mit sich sehr zufrieden. Wie gut, dass er und seine Leute, nach dem sie bis Mittag im naheliegenden Dorf genächtigt hatten, doch nicht gleich nach Hause gefahren waren und stattdessen noch die Randbezirke Würzburgs nach den Kindern durchstöbert hatten. Seine Vermutung, dass derart kleine Kinder nicht allzu weit kommen würden, hatte sich also bestätigt.
“Das habt ihr ja fein gemacht!“ lobte Mike seine Freunde und grinste so ein bisschen schadenfroh darüber. “Liegt ihr auch schön weich?“
„Ja, Chef!“ Die beiden grinsten zufrieden zurück. Das würde bestimmt eine dicke Belohnung geben.
Man zerrte sowohl Julchen als Tobias schließlich wieder auf die Beine. Ach, die Kinder hatten ja solche Angst, wussten sie doch, gleich würden sie fürchterlich verdroschen werden, weil sie unartig gewesen, den Spinnen davon gelaufen waren. Man stieß die verschmutzten Rangen mit spöttischen Worten vor sich her und bald standen sie vor dem Jambo.
„Das hat uns mächtig viel Zeit gekostet und unnötig Arbeit gemacht, ihr zwei kleinen Schweinbacken.“ Mikes eisgraue Augen blitzten dabei die Kinder zornig an. „Ab Morgen habt ihr das alles für uns abzuarbeiten.“
„Sehr richtig!“ meldete sich auch Frank, der verärgert seine schmutzigen Hosenbeine betrachtete. „Und zwar ohne die vielen Pausen, die ihr sonst immer dazwischen gekriegt habt, ihr kleinen Pennratten!“
„Tja, aus ist`s mit der vielen Verwöhnerei! Das habt ihr euch selbst zuzuschreiben!“ setzte Trude noch hinzu und versuchte sich dabei ebenfalls den Schlamm herunter zu rubbeln. “Ist euch ohnehin bei uns immer viel zu gut
gegangen! “
Als Tobias völlig ermattet zu Jonas und Frank in den Jambo klettern wollte, hielt ihn Mike plötzlich von hinten am Arm fest. „Nix da!“ fauchte der. „Mein lieber Tobias, was für eine Strafe steht doch gleich auf türmen?“ Er schaute Tobias dabei wie ein gestrenger Lehrer stirnrunzelnd an. „Los, sag es!“
Der Kleine schluckte und versuchte die Tränen, die ihm kommen wollten, hinunter zu schlucken. „Ganz viel Haue, stümms?“ Er wischte sich mit dem dreckigen Ärmel über die Nase.
„Richtig!“ sagte Mike genießerisch, weil er auch Julchens blasses Gesicht dabei sehen konnte. “Seht mal, Frank holt schon mal die Peitsche aus dem Jambo, die wir extra für euch mitgenommen haben!“ Den letzten Satz hatte er beinahe gönnerhaft hinzu gefügt.
„Ihr habt Glück, dass wir euch nicht für dieses schlimme Vergehen töten!“ setzte Trude ebenfalls sehr eifrig hinzu. Frank war indes wieder von dem Jambo herunter.
„Los zieht eure Hemden aus!“ verlangte Mike und entrollte dabei schon mal die lange Peitsche.
Die Kleinen taten - zitternd am ganzen Körper – ganz wie geheißen.
„Ach, wollen wir nicht lieber damit warten bis zu Hause sind“, meldete sich plötzlich Jonas, der die ganze Zeit noch gar nichts dazu gesagt hatte, und seine alten, faltigen Augen funkelten mitleidig zu den Kindern hinunter.
“Die Rangen sind doch ganz erschöpft von den langen Strapazen. Nachher sterben sie uns weg an den vielen Verletzungen, die solch eine große Peitsche verursachen kann und wir haben keine so gut eingearbeiteten kleinen Grubenarbeiter mehr!“
Aber Mike und Frank winkten nur wütend ab.
„Wer soll zuerst?“ fragte Frank und grinste schon wieder..
„Na, der Bengel, denn der ist älter, hatte den meisten Verstand und das Mädel zu diesem Ungehorsam verführt!“ knurrte Mike vorwurfsvoll.
Frank packte also den Kleinen, der inzwischen so apathisch war, dass er es vollkommen aufgeben hatte dagegen zu protestieren. Tobias musste Mike den nackten vernarbten Rücken zuwenden und der holte erst einmal mit seiner Peitsche weit aus zum Schlag. In dem Moment rief Jonas oben vom Jambo aus einfach dazwischen.
„Schaut mal, da ... da vorne kämpft sich noch so ein Jambuto unsere Landstraße hoch.“
Alles, einschließlich Mike, blickten nun die Straße entlang. Und tatsächlich, schon nach ein paar Minuten stand der riesige Jambuto rumpelnd und schnaufend vor ihnen. Die Tür des Lastwagens sprang auf und Pauls Gesicht kam zum Vorschein.
„He, was macht ihr denn da?“ fragte er empört. „Ihr wollt doch wohl nicht im Ernst solch ein kleines Kind mit dieser langen Peitsche verdreschen?“
„Doch wollen wir! Tobias und Juliane haben das verdient!“ Trotzdem war das Ganze Mike so ein bisschen peinlich und daher rollte er den Lederriemen der Peitsche erst einmal ein.
„Juliane und Tobias? Das sind ja MEINE Kinder!“ hörte man eine Frauenstimme sehr aufgeregt und empört aus dem hinteren Teil des Jambutos und auch dort war die Türe aufgesprungen. „Oh George, dieser Hund will hier meine tapferen Kleinen fertig machen! Oh, ich hasse ihn!“
Nun kamen Tobias doch die Tränen. „Die Mama!“ krächzte er heiser, kaum dass er Margrits Stimme wiedererkannt hatte. Julchen nickte und dann schluchzte sie einfach lauthals los.
„Meine Kleinen!“ kam es wild und sehnsuchtsvoll weiter aus dem Wagen. „Nein George, halt mich jetzt nicht fest! Ich muss aussteigen ... muss zu ihm ... zu diesem ... Untier von Mensch ... ich ... he, willst du mich wohl loslassen? “
„Nein, wenn, dann gehe ich!“ hörte man nun auch eine dunkle Männerstimme.
„Aber?“ krächzte Margrit
„Ruhe“, fauchte die entschlossene Stimme, „denn vielleicht möchte Mike ja gerne mal wissen, wie das ist verdroschen zu werden?“
„He, was habt ihr denn plötzlich alle?“ knurrte Mike verdutzt und selbst Frank, der immer noch neben ihm stand, bekam plötzlich ´Muffensausen´. Es war nämlich bekannt, dass George zwar selten wütend wurde, wenn, dann aber ganz gewaltig. Es war nicht sehr gut, sich in solchen Momenten mit ihm an zu legen, da er ganz ausgezeichnet kämpfen konnte. Georges Stimme hatten alle eindeutig wieder erkannt, jedoch wussten sie nicht, dass der inzwischen hinkte und noch zusätzlich durch die Attacken der Hajeps schlimme Brandwunden davon getra¬gen hatte. George war deshalb kaum in der Lage aufzustehen und bis zur Tür des Laderaums zu laufen und erst recht nicht fähig, ohne Unterstützung aus dem Jambuto zu klettern. Margrit hatte jetzt dessen stumme Zeichen verstanden. Auch sie konnte wohl nicht mehr ins Freie, da sie so schrecklich entstellt aussah. Margrit ahnte, dass sich nicht nur die Kinder fürchterlich vor ihr erschrecken würden. Vielleicht würden die Spinnen sogar gleich mitsamt Tobias und Julchen im Jambo davon flitzen, sobald sie nur Margrit sahen? George, Margrit und Paul mussten sie also irgendwie geschickt bluffen. Die Frage war nur, wie?
Auch Paul hatte inzwischen begriffen, was George mit seiner Androhung bezwecken wollte. Es war nur Schade, dass Martin vorhin so schnell nach Hause gewollt und nicht darauf gewartet hatte, bis es Paul und Margrit gelungen war George richtig zu verarzten und anschließend in den Jambuto hinein zu manövrieren. Martin war ein starker Kerl und kampferprobt. Aber alleine würden sie es vielleicht auch schaffen!
Für einen Moment waren beide Parteien still, aber dann hatte sich Mike als erster wieder gefangen. „Diese Kinder werden von uns nur mit viel Aufwand zu vernünftigen Erwachsenen heran erzogen“, säuselte er wesentlich freundlicher, warf dabei aber Paul einen giftigen Blick zu, da der einfach ausgestiegen war und nun auf ihn zu marschierte. „He ... heee? Seid doch froh, dass diese Gören nicht irgendwo verwahrlosen oder gar verhungern! Der große Bund der Spinnen hat sich ihrer erbarmt, hat diese kleinen unnützen Fresser liebevoll aufgenommen und ...“, Mike schluckte, denn irgendwie hatte er keine Lust auf eine Schlägerei, denn Paul sah nicht gerade schmächtig aus, „... und das wisst ihr ganz genau!“ Er reichte die Peitsche erst einmal an Frank weiter. Dieser hielt sie etwas unsicher. Plötzlich schob Mike sein Kinn ziemlich energisch vor, auch wenn es ein wenig zitterte, seine Hand tastete dabei zur Pistole, die er in seinem Hosenbund trug. „He, ihr könntet diese Rotznasen ja haben, aber ihr wisst doch was wir dafür verlangen!“
Paul nickte ziemlich lässig, während er weiter näher kam.
„Habt ihr bestimmt nicht.“ Mike kicherte ungläubig. „Weiß ich ja ... wer sollte schon in diesen schrecklichen Zeiten zu so viel Mehl und erst recht Brot und ... na ja, und dann auch noch Medikamenten kommen!“
Auch Paul hatte die Hand – wenn auch unauffällig - am Revolver. Das sah Mike erst jetzt, als dieser dicht vor ihm stoppte.
„Wir haben alles dabei, Peitschenheini!“ knurrte Paul mit blitzenden Augen.
„Wie? Äh? Doch nicht wirklich ... oder?“ Mike machte nicht gerade das klügste Gesicht und dann lachte er plötzlich schrill und ungläubig los. Frank fand Pauls Bemerkung offensichtlich auch so saukomisch, dass er nur Sekunden später in dieses grässliche Lachen mit einfiel. Trude dagegen hatte wieder mal gar nichts kapiert und schaute deswegen nur verdutzt von einem zum anderen. Lediglich Jonas blieb ziemlich ruhig, er blickte nur abwartend von seinem Jambo auf Paul hinunter.
Da hörten sie wieder von hinten aus dem Jambuto. „Hier ... hier ist alles!“ Margrit hatte indes einen Sack nach dem anderen schon mal an die Türe des Lieferraums gestellt. Munk hatte zwar deswegen – denn er fühlte sich eingeengt – mehrmals gefaucht, aber es hörte ja keiner auf ihn.
Jetzt war Mike so neugierig, dass er gleich mit schnellen Schritten, dabei dicht von Paul gefolgt, zum Jambuto hinüber lief. Frank und Trude hatten sich die Kinder gepackt und blieben wartend mit Jonas zurück.
Kaum, dass Margrit Mike von draußen gehört hatte, flitzte sie zu George im Inneren des Wagens zurück. „George“, wisperte sie, “nur gut, dass es hier so dunkel ist.“ Sie zupfte ziemlich wild an ihrem Kopftuch herum. Du musst dich aufrichten, damit sie nicht merken wie es dir geht!“
Er setzte sich mit ihrer Hilfe wieder auf die Kiste und ächzte dabei entsetzlich, denn er schien Fieber zu haben. Doch kaum, dass er die Stimmen näher kommen hörte, war er still.
„Lass mich vor!“ knurrte Paul indes Mike an.
„Okay, okay“, Mike zucke mit den Schultern, „wenn du unbedingt möchtest!“ Denn er hatte den riesigen Schatten von George im Halbdunkel des Wagens gesehen.
Und dann reichte Paul Mike von oben einen Beutel nach dem anderen herunter. Dieser durchstöberte auch sogleich jeden sorgfältig, in der Annahme, dass man bestimmt irgendetwas dabei vergessen haben musste und schüttelte dabei immer wieder fassungslos den Kopf. Sogar den Zettel, auf dem alles aufgeschrieben war, hatte er gefunden und so konnte er gut vergleichen.
“Seid wann ist Pommi so großzügig geworden oder was für Reichtümer mögt ihr dafür gegeben haben, dass ihr das alles bekommenen konntet!“ krächzte er beinahe ehrfurchtsvoll, als er endlich mit seiner Suche beim letzten Beutel angekommen war. Doch dann entdeckte er das angebissene Brot. “Ha“, brüllte er freudevoll, „ihr habt es also doch nicht geschafft! Ein Brot ... ein ganzes Brot fehlt! Und dieses zerflederte nehm´ ich nicht!“ Er warf es einfach auf die Straße.
„Aber?“ stutzte Paul und sah sich ein wenig hilflos nach Margrit und George um. „Äh ... was nun?“
„Das kommt nach!“ erklärte George, jedoch hatte seine Stimme dabei ziemlich matt geklungen. Auch war Mike nicht entgangen, dass George, während er die Beutel durchsucht hatte, mehrmals beinahe von der Kiste herunter gerutscht und nach hinten kippt wäre, hätte ihn nicht Margrit, die auch ziemlich bleich aussah, dabei gestützt?
„Okay!“ erklärte Mike deshalb hämisch grinsend, pfiff Jonas wie einen Hund herbei und griff wieder in den Beutel, in der Hoffnung, noch etwas zu entdecken, was fehlen könnte. “Iiiih ... w ... was ist denn das Ekeliges?“ Seine Hand fuhr aus dem Beutel, an den Fingern klebte ein zum Teil in Papier gewickelter Lutscher. “Bäääh!“ schnaufte Mike und zupfte daran herum. „Das ist vielleicht klebrig! Orbs ... wer hat denn daran herumgenuckelt?“
„Ach, das war nur Owor ... äh ... ich!“ gestand Margrit ein und konnte sich dabei ein kleines Grinsen nicht verkneifen.
„Mächtig viel Spucke!“ Mike verzog das Gesicht, während er mit spitzen Fingern weiter daran herum zupfte und dann warf den Lutscher ebenfalls auf die Straße. “Nein, dafür bekommt ihr die Kinder nicht wieder!“
„Aber sicher doch!“ brüllte George mit letzter Kraft.
„Dann komm doch her! Komm schlag dich mit mir!“ Mike trippelte nun ziemlich alberlich umher und boxte dabei in die Luft. “Los, los, schlag dich!“
„Aber fair ist das nicht Chef!“ wandte Jonas ein, während er sich einige der Beutel ergriff. “Du hast doch fast alles erhalten!“
„Okay, bringt mir das Brot nach“, erklärte Mike begütigend und griff sich die übrigen Beutel, „doch auch erst dann sollt ihr die Kinder bekommen!“
„Ich ... ich will aber gesunde Kinder!“ rief ihm Margrit hinterher. „Keine Schläge mehr mit der Peitsche!“
Mike wandte sich nach ihr um, lief aber trotzdem dabei rückwärts weiter. “Okay, aber dann bekomme ich dafür noch einmal die gleiche Menge an Gütern ... iiiihh, puh ... was klebt denn plötzlich an meiner Sohle? Scheiße, scheiße, scheiße ... ich bin auf den verdammten Lutscher getreten! Jonas .... JONAS, zupf ihn mir ab! “
„Jawoll, Chef!“
„Das mit der neuen Fuhre an Gütern kann Mike doch nicht im Ernst gemeint haben, oder?“ wandte sich Paul in leiser Tonlage an Margrit und George.
„Doch, das ist sein vollster Ernst, schließlich kenne ich Mike wesentlich länger als du“, keuchte George und blickte dabei wieder auf seine Hand. Die Wundsekrete suppten bereits durch den Verband.
„D ... dieses Schwein!“ knurrte Paul. „Soll ich ihn erschießen? Ich könnte ihn von hier aus nämlich noch recht gut treffen!“
„Willst du einen Bandenkrieg?“ George versuchte die Hand in eine andere Lage zu bringen, in der Hoffnung, dass sich die Schmerzen dadurch besser ertragen ließen. “Außerdem sind die Kinder doch bei Frank und Trude! Meinst du, denn die gebärden sich netter?“
Schon hörten sie die Tobias und Julchen tief enttäuscht weinen, da sie in Mikes Jambo bugsiert wurden und danach den Motor aufbrausen und dann waren alle auf und davon.
Leise schnaufend legte sich George in einer Ecke des Jambutos zum Schlafen nieder, während auch Paul los fuhr.
“Ach, es ist ja alles so traurig!“ stöhnte George und eine Träne lief ihm die Wange hinab. „Zum Beispiel Gesine, ich habe sehr an ihr gehangen, musst du wissen, und auch Erkan war ein guter Freund von mir, beide sind nun für immer verloren und ...“, er schluckte, „nicht einmal deine Kinder konnten wir retten. Mann, was wir armen Menschlein auch tun, es scheint alles vergeblich zu sein!“
„Nein“, Margrit versuchte, den Klos in ihrem Hals herunter zu schlucken, „das darfst du so nicht sehen, George! Wir haben gestern und auch heute versucht etwas zu tun und gewiss dabei auch irgend etwas verändert, selbst wenn wir noch nicht sehen können, was es gewesen ist!“