Kapitel 16
Fünf Wochen später brauste bei herrlichstem, nachmittäglichen Sonnenschein ein klappriger, verstaubter Mercedes die holperigen, schmalen Straßen und Wege entlang. Die Zäune waren zum Teil niedergerissen, nur wenige Kühe und einige Ziegen grasten auf den von Butterblumen und Gänseblümchen übersäten Wiesen. Hier und da sah man auch vereinzelt Campingzelte, aus denen dünner Rauch empor kringelte. Die Sandwege staubten mächtig, denn es hatte seit einiger Zeit nicht mehr geregnet, während der Wagen an den halb verrotteten Häusern, Stallungen, Garagen und Hütten vorbei kurvte.
Wildhühner flatterten auf, als der Mercedes schließlich vor dem wohl einzigen Haus in dieser Gegend, das noch einigermaßen gut im Stande zu sein schien, zum Halten kam. Der etwas liederlich angezogene Chauffeur stieg mit umständlichem Gehabe aus und lief zögernd die alten, steinernen Treppen des Hauses empor.
Er klingelte und schon öffnete eine schlanke, junge Frau mit langen, blonden Zöpfen die Tür und begrüßte ihn überrascht. Nach einem kurzen Gespräch rief sie einen Namen in den dunklen Flur des geräumigen Fachwerkhauses. Der Chauffeur brauchte nicht lange zu warten, denn sofort zeigte sich ein junger, hochaufgeschossener Mann im Eingang, der ihn neugierig und etwas skeptisch musterte.
Das Mädchen unterbreitete ihrem dunkelhaarigen Bekannten in knappen Worten und schwungvollen Gesten das Anliegen des Besuchers und so nickte George schließlich dem Chauffeur Günther Arendts freundlich zu und gemeinsam mit Gesine führte er den etwas korpulenten Mann zunächst in den Flur und dann erst nach weiteren, kritischen Befragungen hinab in den Keller.
Der Chauffeur musste sich bücken, sich möglichst schmal machen, um durch die Tür des bunten Küchenschrankes zu klettern und dann durch eine weitere in den von Hand betriebenen Fahrstuhl zu gelangen. Er seufzte erleichtert, als es endlich hinab ging in das ehemalige Kohlebergwerk, welches die Maden als recht gemütliche Wohnanlage ausgebaut hatten. Hoffentlich würde er das alles möglichst bald hinter sich haben, denn er litt unter Platzangst, wenn`s allzu tief hinab ging. Aber was tat man nicht alles für Günther Arendt.
Wenig später fand der Chauffeur jene Dame, die er noch heute zu seinem Chef bringen sollte, in einem kleinen, nur von einer einzigen Glühlampe beleuchteten Raum vor. Die schlanke, dunkelhaarige Frau trug zu seiner Überraschung ein Baby in den Armen, lief damit auf und ab, war wohl gerade dabei es in den Schlaf zu wiegen.
Leider hatte er die Tür ohne vorher anzuklopfen auf gerissen und so war Margrit vor Schreck zusammen gefahren, hatte dadurch Irmchen geweckt. Die Kleine schrie auch sofort herzerweichend und Margrit funkelnde Augen hefteten sich deshalb auf den für diese schrecklichen Zeiten ziemlich unpassend gekleideten Herrn.
„Äh ... tschuldigung!“ stammelte dieser betroffen, was allerdings im lauten Geschrei Irmchens unterging.
„Wie bitte?“ hakte Margrit deshalb nach und das konnte man hören, da Irmchen gerade ein ´Bäuerchen´ machte und somit für einen Moment Stille eingetreten war.
Der Chauffeur räusperte sich vorsichtig. „Entschuldigen Sie mein stürmisches Eindringen aber...“
„Wer sind Sie?" fiel ihm Margrit jetzt einfach ins Wort. Sie klopfte dabei der Kleinen beruhigend auf den Rücken. Verdammt, sie hatte eigentlich gar keine gute Ader für Babys, aber Renate war nun mal nicht da.
„Ach so, ja“, ächzte der Chauffeur abermals betreten. „Wie unhöflich von mir.“ Er deutete rasch eine Verbeugung an. „Norbert Kühne, mein Name!“ stellte er sich vor und dann klärte er Margrit über den Grund seines Kommens auf.
Als er geendet hatte knurrte Margrit verdrießlich: "Soso, Günther Arendt will mich also noch einmal sprechen! Das ist wirklich sehr interessant, dass er das überhaupt wagt...“ Margrit brach ab, um Atem zu holen, denn allzu heftig war deshalb plötzlich ihr Herzschlag geworden,“... nach alledem, was er mir bereits angetan hat!“ setzte sie jetzt hinzu und plötzlich hatte sie sogar Mühe, die Tränen zurück zu halten.
„Wieso? Äh ... ich verstehe nicht recht?“ ächzte der Chauffeur konsterniert.
„Sie scheinen nicht Bescheid zu wissen!“ zischelte Margrit, lief dabei wieder mit dem Kind auf und ab, dem ganz allmählich die Augen immer kleiner wurden.
„Allerdings!“ knurrte der Chauffeur nun auch etwas ungehalten.
„Nun, vor etwa vier Wochen schickte Günther Arendt den Anführer der Spinnen hierher...“
„Kenne ich, das ist der Mike!“ erklärte der Chauffeur und grinste, denn er mochte die „Spinnen“ eigentlich ziemlich gerne..
„Na, Mike hat dann auch sofort meine Kinder entdeckt. Irgend jemand muss Günther Arendt informiert haben!“ Irmchen war jetzt ganz eingeschlafen und Margrit blieb deshalb stehen.
„Ach, hatten Sie etwa hier ihre Kinder versteckt?“ warf der Chauffeur verdutzt ein, dann schüttelte er fassungslos den Kopf. “Da brauchen Sie sich nicht großartig zu empören. Kinder in unseren Organisationen sind nun wirklich nicht erlaubt!“
„Bei den Spinnen schon!“
„Das mag sein!“
„Aber ich hatte für den Aufenthalt meiner Kinder bezahlt!“ Margrit wischte sich – sehr vorsichtig damit Irmchen nicht wach wurde - mit der freien Hand eine Träne aus dem Augenwinkel.
„Ich glaube nicht, dass sich unser Oberhaupt bestechen lässt!“ entgegnete der Chauffeur jetzt in ziemlich scharfem Tonfall. Doch dann wurde seine Stimme gleich wieder freundlicher, denn eigentlich hatte ja Günther Arendt von ihm verlangt, sich bei Margrit irgendwie einzuschmeicheln. „Aber Sie machen mich neugierig. Wie ist denn diese Geschichte ausgegangen?“ setzte er daher möglichst interessiert hinzu.
„Glücklicherweise war gerade George zugegen gewesen und hatte sich schützend vor die Kleinen stellen können. Er hatte Mike erklärt, dass er die Kinder sofort zu meiner Mutter bringen würde, wenn Mike sie in Frieden ließe!“
„Und?“
„Wollte Mike natürlich nicht ... ach George, erzählst du jetzt den Rest, bitte?“ Margrit legte das Kind, das nun ganz fest eingeschlafen war, sehr behutsam in einen Korb, welcher auf dem Boden in einer ruhigen Ecke der kleinen Kammer stand.
Der Chauffeur unterdrückte einen Seufzer, denn eigentlich wollte er ja so schnell wie möglich aus diesen unterirdischen Tunneln verschwinden, und wendete sich George mit scheinbar aufmerksamer Miene zu.
„Okay!“ begann George. „Na ja, das Ganze war im Grunde gar nicht so schlimm!“
Abermals seufzte der Chauffeur unauffällig.
„Jetzt untertreib bitte nicht George, ja!“ Margrit putzte sich sehr gründlich die Nase mit Taschentuch, das sie gerade hervorgeholt hatte.
„Nun, es kam dabei zu einem kleinen Kampf“, erklärte George unwillig, „bei dem Mike unterlag!“
„Kleiner Kampf, hehe ... typisch George!“ kicherte Gesine.
„Und warum erzählst du ihm nicht die Sache mit dem Messer?“ fauchte Margrit. „Mike hatte doch plötzlich sein Messer gezogen, der hinterhältige Mistkerl, obwohl es verboten ist, untereinander mit Waffen zu kämpfen.“
„Nun mal ruhig Blut ja?“ fiel ihr der Chauffeur ins Wort.
„Margrit aber Recht!“ bestätigte Gesine ebenso aufgeregt. „He George, der Mike hätte dich mit diesem Messer echt verletzen können!“
George grinste schief. „Ja und? Hat der doch nicht geschafft! He, so ist Mike nun mal, kann eben überhaupt nicht verlieren.“
Gesine kicherte verwirrt, hingegen schienen Margrits Augen kleine Blitze nach George zu werfen.
„Ja und?“ beantwortete der Margrits Blicke. „Jetzt hat der halt eine weitere Narbe im Gesicht. Ist mir leider passiert bei diesem Gerangel ... tja, das hat er nun davon!“ George zuckte die breiten Schultern.
„Na, wenn die Kinder bei Ihrer Mutter sind“, meldete sich jetzt wieder der Chauffeur, „ist das wohl nicht allzu schlimm, oder? Sie können doch Ihre Kleinen jederzeit besuchen.“
„Da hat er nun wirklich Recht!“ mokierte sich Gesine.
“Aber“, Margrit schluckte, „ich sehe die Kinder jetzt nur noch gelegentlich, weil ich hier so viel zu tun habe und ... he, sie fehlen mir halt!“ setzte sie richtig trotzig hinzu.
„Entschuldige schon“, knurrte George jetzt ebenso verdrießlich wie Margrit, „aber du hast dich wirklich affig! Es geht doch sowohl deiner Mutter als auch deinen Kindern derzeit wirklich nicht gerade schlecht! Habe neulich sogar von deinen eigenen Lippen vernommen, dass sich Muttsch inzwischen sogar eigenhändig Fleisch zu erjagen versteht.“
Margrit runzelte nun erst recht die Stirn. „Na, das ist es ja gerade, was ich nicht begreifen kann. Seit wann ist Muttsch mit ihren schlechten Augen dazu fähig sich Wild zu schießen? He, und wie macht sie das Anschleichen mit ihren alten Knochen? Beim letzten Besuch ist mir sogar Munk untreu geworden. Der wohnt jetzt wegen der vielen Fleischreste ebenfalls bei Muttsch.“
„Wer ist denn hier Munk?“ erkundigte sich der Chauffeur verdutzt.
„Och, nur eine Katze!“ erklärte Gesine kichernd.
„Ein Kater!“ verbesserte sie George.
„Etwa deeer berühmte Kater, dieses total verjüngte Geschöpf?“ Der Chauffeur konnte nun auch ein kleines Schmunzeln kaum unterdrücken. „Aber was ist denn an der ganzen Sache so tragisch?“
„Ach, Muttsch und die Kinder tun inzwischen immer so geheimnisvoll“, jammerte Margrit. „Wenn ich sie auch nur irgend etwas frage, ist aus ihnen keine vernünftige Antwort mehr heraus zu bekommen!“ Margrit wischte abermals an ihren Augen herum. “Das ist doch alles irgendwie verrückt, oder? Also, ich sage euch, hier kommt man noch wegen der komischen Hajeps restlos durcheinander!“
George und Gesine konnten Margrit noch immer nicht so richtig zustimmen, dafür aber der Chauffeur. “Nun, eben wegen dieser hochgefährlichen und tückischen Hajeps schickt mich ja Günther Arendt zu ihnen, liebe Marina...“
„Margrit“, verbesserte sie ihn und schnäuzte nochmals in ihr Taschentuch. „Aber, was will er denn mit mir? Wobei soll ich ihm denn helfen?“
„Es geht um ihre letzte Begegnung mit Hajeps, insbesondere um Munjafkurin und Warabaku, dem Offizier einer nicht zu kleinen uns bekannten Einheit, die wir bei uns im Fachjargon mit ´H-1´ bezeichnen!" brachte der Chauffeur ziemlich aufgeregt hervor.
„Ha, Gesine, hast du etwa wieder alles herum erzählt?“ fauchte Margrit. „Also wirklich, manchmal hasse ich das richtig!“
Gesine senkte nun doch ein bisschen verlegen den Kopf.
„He, nehmen Sie doch Gesine mit“, schmetterte Margrit plötzlich zornesrot hervor, „die plaudert anscheinend
so gern!"
„Das ... äh ... haben wir bereits getan! Aber nun sind Sie an der Reihe!“
„An der Reihe!“ äffte Margrit ihn spöttisch nach. „Ich weiß gar nicht, was ihr habt. Günther Arendt hat doch so viele Menschen nach Zarakuma geschickt ... die dürften doch inzwischen einen immensen Berg an neuem Wissen über die Hajeps an unsere Wissenschaftler weitergereicht haben."
„Es war zwar viel, aber leider nur Unbedeutendes ... und das nutzt uns so gut wie nichts!"
„Tja, schlau sind sie eben, die Hajeps! Und was nun?"
„Eher tückisch! Kommen Sie mit! Es geht um unser Volk!"
„Soso, es geht schon wieder um unser Volk!“ knurrte Margrit. „Das sind eigentlich immer die typischen Worte, die unser werter Herr Präsident anwendet, wenn er erreichen will, dass ich mich doch noch dazu durchringe nach Zarakuma zu gehen.“ Margrits lebhafte Augen blitzten den Chauffeur richtig feindlich an. „Wenn er so etwas vorhaben sollte, sage ich ihnen gleich, dass Sie es sich sparen können mich mitzunehmen, denn ich bin nicht lebensmüde!“
„Nein, nein, dergleichen verlangt Herr Arendt natürlich nicht von ihnen“, wehrte er aufgeregt ab. „Es ... äh ... dreht sich wirklich nur um eine Auskunft. Na ja, so ganz genau weiß ich das natürlich nicht“, räumte er ein. „Wer kennt schon die Pläne unseres Befehlshabers!“
„Werde ich auch pünktlich wieder zurück gebracht?“ fragte Margrit skeptisch. „Denn George und ich wollten noch einige Besorgungen machen, bevor es dunkel wird.“
„Margrit, sei nicht so frech“, knurrte George jetzt echt verärgert. „Günther Arendt ist unser höchstes Oberhaupt. Auch wenn wir Menschen von den Hajeps besiegt worden sind, so hat er hier noch einige Macht. Du verdankst ihm deinen Aufenthalt hier und wenn er von dir verlangt, dass du umgehend bei ihm zu erscheinen hast, dann ist das wie ein Befehl, dem du Folge zu leisten hast, und die Besorgungen mache ich schon alleine. Ich werde mich bemühen, damit schnell fertig zu werden und dann brauchen Sie, mein werter ... äh ... wie war doch gleich ihr Name?“
„Och, könnt mich ruhig beim Vornahmen nennen, so wie hier alle. Bin der Norbert!“
„Also, Norbert, du brauchst Margrit nicht zurück zu bringen. Ich hole sie nämlich ab, ist für mich ein Abwasch sozusagen!“
„Na schön, wenn ihr euch so im Klaren seid, was ihr mit mir machen wollt, werde ich wohl gehorchen!" Margrit beugte sich noch einmal zärtlich zu Irmchen hinab. „Artig sein ohne mich!“ wisperte sie.
„Das wird sie ganz bestimmt!“ bemerkte Gesine. „Besonders, weil nun ich immer nach ihr schauen werde.“
„He, du Drückeberger, solltest du nicht eher dem Nölke beim Verziehen junger Salatpflänzchen helfen?“ Margrit zwinkerte Gesine zu, doch die schaute schnell weg. Margrit seufzte und deckte das Kind mit einer weichen Decke zu, die sie an den Zipfeln und am Korb festband, damit sich Irmchen nichts über den Kopf ziehen konnte.
„Gock, gooock, gock, du Glucke!“ machte Gesine und bewegte dabei ihre Finger, als wären sie ein Schnabel.
„Weißt du was? Das, was ich mache, geht dich einen feuchten Schmutz an! Sei lieber froh, dass ich hier bin!“
Margrit überhörte Gesine einfach. „Es wird aber nur ein kurzes Gespräch sein", wandte sich sie sich stattdessen wieder an den Chauffeur und machte dabei leise die Tür hinter sich zu, „ein GANZ kurzes, und es wird nicht viel dabei herauskommen!"
„Und wenn nicht viel dabei herauskommt, so wird es vielleicht mehr sein, als wir erwarten!" meinte der Chauffeur leise.
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Nach einer etwa einstündigen Fahrt war Margrit da. Es war ein wunderschönes Rathaus vor dem sie hielten, vor allem da dieses alte Gebäude mitten in Kitzingen noch völlig unbeschädigt war, ebenso sämtliche anderen Häuser in dieser herrlichen Stadt. Margrit atmete auf, denn das war für sie ein völlig überraschender, neuer Anblick. Wenn man hier so stand, mitten auf dem großen Platz, umgeben von kostbaren Säulen und Skulpturen, konnte man meinen, es gäbe keine Hajeps, die Erde wäre nie von Außerirdischen erobert worden. Es gab auch noch viele Läden, in denen Händler für Lebensmittel Sachen eintauschten und umgekehrt. Am teuersten, so erklärte der Chauffeur, wäre natürlich Treibstoff, denn die Versorgung mit dem, was in den Tanks in den verlassenen Städten und Dörfern übrig geblieben ist, wäre durch die stark zerstörten Straßen ziemlich aufwändig. Dann beklagte er, dass sein Handy nicht mehr richtig funktionieren würde. Es hätte zeitweilige Ausraster und niemand hätte Lust es zu reparieren. Die Arbeitskraft der Menschen war durch die ständige Angst gelähmt. Die Zahl der ungepflügten Äcker, verwahrloster, verlassener Häuser und herumliegender Müll, der in einigen Bezirken trotz der jetzt friedlichen Zeiten dem Betrachter ein beklemmendes Bild bot, wurde immer mehr. Hier aber - vor und im Rathaus - war es noch schön. Zwar war der Fahrstuhl defekt, aber die Trep¬pen waren mit weichen Teppichen ausgelegt und fast alle Lampen funktionierten noch.
Margrit keuchte und schnaufte ein wenig, als sie endlich in der obersten Etage angelangt war. Kaum, dass sie geklopft hatte, wurde die Tür auch schon aufgerissen und Günther Arendt begrüßte Margrit überschwänglich, indem er beide Arme ausbreitete und die schlanke Gestalt an sich drückte. „Ach, Margrit, Sie glauben ja gar nicht, welch ein Felsbrocken mir vom Herzen gefallen ist, weil ich Sie endlich vor mir stehen seh´!"
Mit einer knappen Handbewegung forderte er sie auf, ihm gegenüber am großen Schreibtisch in einem der tiefen Sessel Platz zunehmen, und er bot ihr sogar eine der selten gewordenen und daher kostbaren Zigaretten an. Margrit lehnte dankend ab, ließ sich aber wohlig in den Sessel zurückfallen und ihr Blick wanderte staunend durch den von großen Fenstern lichtdurchfluteten Salon.
„Ach das ist gar nichts gegenüber dem unvorstellbaren Prunk der Hajeps!" wehrte der Präsident bescheiden ab und lachte verkrampft. Er schien sich etwas unbehaglich Margrit gegenüber zu fühlen, die ihn aufmerksam und fragend ansah. Margrit wusste, dass in der Nähe Zarakumas etliche Städte noch völlig unversehrt waren und dass Günther Arendt von einer dieser Städte zur anderen zog und den Menschen auf diese Weise bewies, dass sie noch ein Oberhaupt hatten, an welches sie glauben konnten.
Er faltete ein wenig linkisch seine Hände über dem blankpolierten Tisch und stützte sein Kinn auf diese Faust, um sich besser zu konzentrieren und begann dann vorsichtig: „Sie werden sich vielleicht wundern, weshalb ich Sie so eilig herbestellt habe..."
„Allerdings!“ erwiderte sie knapp, denn sie war ihm eigentlich noch immer ein bisschen gram.
„Nun, ich bin nicht zufrieden, überhaupt nicht mit dem zufrieden, was sich in letzter Zeit so alles ereignet hat!“ begann Günther Arendt leise. „Auf der einen Seite sieht es zwar noch immer recht gut für uns aus, auf der anderen aber ganz und gar nicht! Nur ein kleines Beispiel dafür: Die Hajeps schweigen plötzlich, keinerlei Nachrichten! Verstehen Sie das? Ich meine, das ist doch irgendwie nicht normal!“
„Da bin ich ganz ihrer Meinung!“ Sie lehnte sich beinahe vorsichtig in dem weichen Sessel zurück. Welch ein herrliches, fast vergessenes Gefühl nach all diesen Jahren.
„Sehen Sie, Margrit, ich frage Sie...“, er brach ab, schob sich ziemlich nervös das strähnige Haar aus der gelichteten Stirn, ehe er weiter sprach. „... kann man einem Hajep trauen?“
Sie schaute noch immer ein wenig abgelenkt endlich in sein Gesicht, das ihr erstaunlicherweise nicht nur blass, sondern auch ziemlich unausgeschlafen erschien. „Nein!“ sagte sie stirnrunzelnd.
„Das war eine klare Antwort und die ist für mich sehr wichtig“, erklärte er laut. „Zwar sieht für den Normalbürger noch immer alles friedlich aus, jedoch ist es nicht direkt unnatürlich friedlich?“
„Weiß nicht.“ Sie löste ihre Augen von den herrlichen Mustern der Zimmerdecke.
„Die Hajeps haben den Überfall durch Loteken auf Zarakuma so locker weggesteckt, als wäre nichts gewesen. Allerdings haben sich die Loteken noch immer nicht völlig aus den hajeptischen Gebieten verzogen, verhalten sich aber still. Nach wie vor schicken wir Menschen nach Zarakuma, die noch immer reich beschenkt heimkehren. Es hat kein größe¬res Gefecht gegeben, in welches wir noch hätten mit hinein gezogen werden können. Das alles dürfte uns doch eigent¬lich sehr gefallen!“ Der Ministerpräsident ließ sich mit melancholischem Blick ebenfalls in seinen Sessel zurückfallen. „Natürlich bin ich in gewisser Weise froh, dass die Menschheit insgesamt für ein Weilchen Ruhe vor den furchtbaren Attacken der Hajeps hat, denn jeder Tag zählt, den wir leben können, doch wie geht es weiter?“
„Wieso fragen Sie sich das plötzlich?“
„Na, diese außerirdischen Biester planen doch irgendetwas!“ sagte er mit herabhängenden Mundwinkeln. „Es ist alles viel zu ruhig, wissen Sie.“ Er beleckte sich die trockenen Lippen. „Das Ganze ähnelt auffallend der Ruhe vor einem Sturm!“ er holte tief Atem. „Ich sage ihnen: Dieser Oten schätzt Überraschungen! Der holt ganz plötzlich aus und gibt nicht nur den Loteken und Jisken eine saftige Ohrfeige ... wir Menschen bekommen dabei auch eine, die werden wir allerdings nicht mehr überleben, denn er will uns ganz nebenbei ausrotten!“
„Uns Menschen auch?“ Ihr Herz krampfte sich zusammen und sie fuhr mit dem Oberkörper hoch. „Weshalb? Wir haben uns doch weder mit Jisken noch mit den Loteken verbrüdert, nicht mal entflohene Sklaven haben wir bisher bei uns versteckt! Welche Anzeichen gibt es dafür?“ fragte sie fassungslos.
Der Ministerpräsident richtete sich ebenfalls wieder auf, lehnte sich weit über den Schreibtisch zu Margrit hinüber und sah ihr trostlos in die Augen. „Manchmal denke ich: Günther, das alles, was du weißt und welches außer dir nur ganz wenige wissen, hältst du bald nicht mehr aus ... das wird dich eines Tages noch völlig zerreißen und die anderen, die es mit dir gewusst haben, ebenfalls! Tja, es gibt leider bereits die schrecklichsten Anzeichen dafür, Margrit!“ wisperte er, plötzlich wieder sehr leise, und kleine Schweißperlen traten dabei auf seine Stirn.
„Nananaaaa...“, Margrit streichelte beruhigend seine Hand, die jetzt einen Kugelschreiber ergriffen hatte und lauter kleine, fahrige Pünktchen auf dem oberen Rand eines Ordners malte, "... was haben wir denn auf einmal, hm?“ Aber er malte einfach weiter und schwieg beharrlich.
„Na los...“, flüsterte sie sanft, „... rücken Sie endlich raus damit! Das wird mich schon nicht umhauen, klaro?“ Sie dachte schließlich scharf nach und brachte dann endlich stockend hervor: „Ist vielleicht inzwischen ... irgendetwas Furchtbares mit den Menschen ... die Sie nach Zarakuma geschickt haben ... passiert?“ Ach, sie merkte, dass ihr dabei wieder dieser schreckliche Klos im Halse aufstieg. Und schon hatte sie auch wieder die furchtbaren Bilder Mariannas vor Augen.
Günther Arendt schaute Margrit immer noch nicht an, als er langsam und zögerlich nickte. „Die hajeptischen Wissenschaftler...“, keuchte er, während er die Punkte sorgfältig in große Kringel verwandelte, „... meinen, inzwischen end¬gültig erkannt zu haben, dass die Gene unserer Spezies sich absolut nicht mit denen der Hajeps verbinden lassen. Ihre ganze Mühe, die vielen Versuche und Tests waren also vergeblich!“
„Ja und?“ rief Margrit noch immer irritiert. „Das wissen wir doch längst und das ist doch wohl noch lange kein Grund, Menschen“, sie hielt inne, versuchte dabei vergeblich diesen schrecklichen Klos herunterzuschlucken, „die ganz friedlich nach Zarakuma kommen, schlecht zu behandeln!“ Ach, ihr Herz schlug plötzlich wieder wie rasend. „He, was ist denn mit diesen Leuten passiert?“
Seine Hand hielt endlich still, der Kugelschreiber fiel klappernd aus den schlaff gewordenen Fingern und rollte vom Tisch. Das kümmerte den Ministerpräsidenten wenig, er ließ sich wieder in den Sessel zurückfallen. Völlig in sich zusammen gesunken begann er endlich mit kaum hörbarer Stimme: „Margrit, ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, dass sich die Hajeps dazu bekennen kaum Gefühle zu haben.“
„Doch, das ist mir bekannt!“ entfuhr es ihr ebenso luftknapp. „Aber was hat das mit uns zu tun?“
„Aha, es ist schon mal gut, dass Sie das wissen.“ Er atmete tief durch. „Hajeps behaupten also, dass ihre Empfindungen nur auf ein Minimum beschränkt sind. George hatte mir das neulich so erklärt: Sie spüren nur sehr starke Reize und sie scheinen daher regelrecht neidisch auf andere Völker zu sein, weil sich die noch an Dingen zu erfreuen vermögen, welche die Hajeps längst als langweilig und eintönig abgetan haben. Phantasie zum Beispiel oder die zarten Gefühle bei Betrachtungen, etwa die Freude über die Schönheit der Pflanzen und Tiere, das Entspannen bei lieblicher Musik, das alles ist ihnen fremd. Hingegen harte Rhythmen, laute, schrille Töne, grelle Farben, scharfe Speisen, dazu möglichst massiv ausgelebter Zorn, lassen sie erst spüren, dass sie überhaupt leben.“ Der Ministerpräsident schwieg wieder für einen Moment und faltete die Hände in seinem Schoß. „So, und nun dürfen Sie raten, wie die Außerirdischen letzte Woche mit den Menschen, die nach Zarakuma kamen, umgegangen sind - na, was meinen Sie?“
Margrits Augen weiteten sich, ehe ihre Lippen die schrecklichen Worte formen konnten: “Begegneten sie ihnen etwa mit völlig grundlosem Hass?“
„Nun, als so grundlos sehen die Hajeps ihren Hass wohl nicht an. Außerdem hielten sie noch nie sonderlich viel von den Menschen und nun haben wir auch noch völlig versagt, weil wir ihnen bei der Züchtung neuer Kreaturen mit unseren Genen nicht helfen konnten.“
„Nein“, krächzte Margrit fassungslos, „es sind doch erst fünf Wochen vergangen, seit ich Munjafkurin und diesem Wara ... na ... Dings begegnet bin. Damals haben die noch darüber debattiert, dass sogar einige ihrer Hajeps und Hajepas sich nicht damit abfinden wollen, ihre Menschen für nur drei Tage haben zu dürfen.“
„Dieser Offizier von H1 heißt übrigens Warabaku und das, was Sie da sagten, mag es auch heute noch geben, aber die meisten dieses merkwürdigen Volkes sind der Lumantis inzwischen überdrüssig geworden. Margrit“, krächzte er, „bisher haben uns die Hajeps unseren Lebensraum genommen, dann unsere Technik, dann unsere Infrastruktur und nun auch noch unseren Stolz!“
„Stolz? Wieso Stolz? Was ... äh ... meinen sie damit?“ ächzte Margrit verwirrt.
„Na, es ist inzwischen schon eine große Ehre, Menschen für nur noch einen Tag nach Zarakuma schicken zu dürfen!“
„Waaas? Aber Sie schicken doch niemanden mehr dort hin, oder?“ ächzte sie verzweifelt.
Er schien nach Worten zu suchen und dabei irgendwie mit den Tränen zu kämpfen. „Doch, das tue ich, Margrit!" sagte er endlich.
Sie schluckte, doch dann wurde sie wütend. „Also, das kann ich einfach nicht begreifen!“ fauchte sie. „Warum machen Sie denn so etwas? Ganz im Gegenteil sollten die Menschen künftig gewarnt werden! Dann hätten Sie und ihre Leute auch endlich ihren Seelenfrieden und...“
Da begann der Ministerpräsident plötzlich wie ein Wahnsinniger laut und schrill zu lachen. Die mühsam zurück gehaltenen Tränen ließen sich nicht mehr aufhalten und liefen ihm über das erschöpfte, ausgemergelte Gesicht. Verstohlen wischte er sie sich schließlich von den Wangen und rang nach Luft. „Oh Margrit, Ihre Bemerkungen sind manchmal wirklich zu köstlich!“ Er räusperte sich energisch und sah sie nun finster und sehr zornig an.
„Inzwischen MÜSSEN wir nämlich immer wieder eine gewisse Anzahl Menschen nach Zarakuma schicken, sonst ist es mit der gesamten Menschheit aus!“
„Wer sagt das?“
„Die Obrigkeit Zarakumas! Sie drohen uns einfach und das können sie sehr gut, weil sie eben die besseren Waffen haben.“
„Ein Menschenopfer an die Hajeps, an die allmächtigen Götter also?“
Günther Arendt nickte verzweifelt.
Margrit wollte wütend von ihm abrücken, doch der Sessel war zu schwer, verhakte sich leider im Teppich.
„Was sollte ich denn sonst machen?“ ächzte er und ließ die Arme schlaff zu beiden Seiten seines Sessels baumeln. „Es ist so furchtbar, wehe es gelingt diesen Menschen nicht, unserem Feind Freude zu bereiten, dann sind sie für immer verloren!“ Er vergrub sein erhitztes Gesicht für einen Moment in seinen großen Händen und fuhr sich dann mit einer fahrigen Geste wieder über Stirn und Haar. „Ach, was habe ich inzwischen schon für entsetzlich zugerichtete Menschen gesehen und mit ihnen sprechen müssen.“ Seine Augen flackerten merkwürdig und die Lider schimmerten abermals feucht. „Die meisten sterben“, krächzte er, „kaum, dass man sie auf einer Bahre von Zarakuma abgeholt und zu mir gebracht hat.“ Er schluchzte nun wie ein Kind hinter seiner vor dem Mund gehaltenen Hand. „Die Augen dieser Menschen, ich werde sie nie vergessen, wie sie mich ansahen. Margrit, ich habe sehr wohl ein Gewissen, denn ich fühle mich wie ein Verbrecher und alles kam so plötzlich, ich hatte nicht mit solch einer Wandlung unseres Feindes gerechnet ... aber Sie haben Recht, ich hätte es mir denken sollen!“ Er lehnte den Kopf nach hinten, blickte starr zur Decke, die Hände zu Fäusten geballt und versuchte sich so zu beruhigen.
Margrit bemühte sich ebenfalls die Fassung zu behalten, aber irgendetwas in ihrem Magen rumorte unangenehm.
„Was ist mit Oworlotep?“ fragte sie schließlich.
„Oworlotep, Oworlotep!“ brabbelte er und fuhr mit dem Oberkörper hoch. Er blickte drein wie ein zorniger Junge. „Was haben Sie bloß mit dem! Ich weiß nur, dass er erst kürzlich mitten in Würzburg Begadam begegnet ist und den sofort eigenhändig aufgeknüpft hat.“
„Begadam?“ wiederholte Margrit erstaunt. „Er hat sich also den engsten Vertrauten und Freund Chiunatras geschnappt und gleich an Ort und Stelle ... er ... erhängt?“
„Richtig und zwar mitten in der Nacht und recht dekorativ! Begadam soll am nächsten Morgen irgendwie lustig ausgesehen haben, wie er da so baumelte. So haben mir das jedenfalls Mike und Jonas geschildert.“
„Furchtbar“, ächzte Margrit fassungslos. „Oworlotep ist wirklich der reinste Wüterich! Das hat er bestimmt aus Rache dafür gemacht, dass Chiunatra gemeinsam mit Begadam und Gulmur durch diesen mutigen Anschlag auf Zarakuma so viele Gefangene befreien konnten. Aber vielleicht war das ja auch gar nicht Oworlotep, der Begadam so einfach...“
„Sämtliche Gefangenen konnten sie übrigens nicht befreien. Die anderen waren nämlich in einem Gefängnistrakt tief unter der Erde eingesperrt, was weder Chiunatra noch Begadam gewusst hatten - aber warum reden sie sich Oworlotep schön, Margrit?“ Günther Arendt lehnte sich wieder umständlich über den Schreibtisch. „Stört es Sie etwa, dass er eine reißende Bestie sein könnte? Oworlotep scheint eine höchst gefährliche Kreatur zu sein und großen Einfluss in den hajeptischen Armeen zu haben, das sollten Sie wirklich wissen.“ Er ächzte plötzlich, denn sein Bein war eingeschlafen und er bewegte es hin und her. „Leider wissen wir noch immer nicht, welche Position er im hajeptischen Volke hat. Sie scheinen ihn zu mögen!“ setzte er plötzlich hinzu.
„Das nicht gerade, aber...“, sie brach ab.
„Aber?“ hakte er gespannt nach.
„Ich weiß nicht ... irgendwie sehe ich Hoffnung in ihm!“
„Ich denke, sie trauen keinem Hajep über den Weg? Verdammt, Margrit, Sie wiedersprechen sich ja völlig!“ Der Präsi¬dent kicherte plötzlich wieder hysterisch. „Ausgerechnet in Oworlotep noch irgendeine eine Hoffnung zu sehen ... tzissis!“
„Ich kann mir das auch nicht erklären ... aber ich denke ... ich meine ...“
„Wenn Sie so auf Oworlotep setzen, warum sind Sie dann nie nach Zarakuma gegangen?“ donnerte er plötzlich zornig los.
Sie senkte schuldbewusst den Kopf. „Ich ... also ... na ja“, Margrit ruckelte unruhig in ihrem Sessel hin und her
„habe eben irgendwie Angst vor ihm!“
„Sehr verständlich, die hätte ich inzwischen auch“, räumte er kleinlaut ein, „denn nach allem, was ich inzwischen so über ihn gehört habe, scheint er einen großen Einfluss in Scolo auszuüben und sogar von Pasua mehr als geduldet zu sein. Loteken und Jisken fürchten ihn gleichermaßen, denn er scheint nicht nur unberechenbar sondern auch ganz außerordentlich gefühlskalt zu sein. He, dass Sie damals ausgerechnet dem entwischen konnten, das wird ihm nicht gefallen haben!“
Sie überging seine letzte Bemerkung. „Sie meinen also Oworlotep ist Gnoa?“ erkundigte sie sich stattdessen neugierig.
„Das will ich damit nicht gesagt haben. Neueste Nachforschungen haben nämlich gezeigt, dass Atabulaka in Wahrheit der Oten ist.“
„Ata ... wer?“
„Atabulaka, Margrit!“
„Atabulaka!“ wiederholte Margrit verdutzt. „Wie kommt es, dass ich diesen Namen noch nie gehört habe?“
„Das ist doch klar und die ganze Zeit Absicht unseres Feindes gewesen, doch nun kommt dieser Name doch an die Öffentlichkeit. Atabulaka hatte ganz bewusst Gerüchte verbreiten lassen, die besagten, dass Oworlotep, jener Agol, das höchste Oberhaupt Pasuas wäre, weil sich Atabulaka damit gegen Attentate schützen will!“
„Also wissen noch nicht einmal die Jisken, geschweige denn die Loteken, wer nun wirklich der besagte Agol, der großartige Oten, ist und Atabulaka benutzt Oworlotep sozusagen als sein Schild?“ fragte Margrit einfach weiter
„Tja, so könnte man das nennen!“ Günther Arendt kratzte sich ein wenig linkisch hinter dem Ohr. „Wir werden uns immer sicherer, dass Atabulaka jener Kopf ist, von dem so viel gesprochen wird. Zwar hat er mehr und mehr Schwie¬rigkeiten mit den Jisken und Loteken, aber ich bitte Sie, wer hätte die inzwischen nicht? Wir haben es ja schon oft genug über die Nachrichten erfahren, sowohl die Jisken als auch die Loteken sind wie kleine Schmeißfliegen im Seidenmantel des Oten. So nach und nach sind dann auch die drei Mandios und sogar der Undasubo - mein Gott!“ Er sah plötzlich fragend und ratlos drein.
„Jaa?“ horchte Margrit gespannt.
„Wir wissen ja plötzlich gar nicht mehr, wer derzeit unser Undasubo ist! Gisterupa ist nämlich kürzlich abgesägt worden, angeblich, weil der heimlich mitgeholfen hatte, dass die Gefangenen aus Zarakuma entkamen ... na, egal - jeden¬falls dürfen Sie raten, wer die neuen Mandios eingewiesen hat ... na?“
„Oworlotep?“
„Mein Gott!“ schnaufte er. „Der natürlich nicht! Überall hatte Atabulaka seine Hände im Spiel und..."
„Aber im Schlepptau hatte er Oworlotep ... nicht wahr?"
Der Ministerpräsident musste lachen und diesmal klang sein Gelächter weich und entspannt. „Sie wollen unbedingt Oworlotep als Anführer ... warum?“
Margrit errötete, dann zuckte sie mit den Achseln. „Ich weiß auch nicht, aber ich hätte es irgendwie wirklich ganz gerne, das muss ich schon zugeben! Ich würde dann sogar der Menschheit eine Chance zum Überleben geben. He, wenn das so wäre, sollten wir mit Oworlotep und zwar ausschließlich NUR mit IHM sprechen!“
Er starrte sie erstaunt und fassungslos an. „Aber Margrit, was wollen Sie dem dann sagen? Wollen Sie ihm sagen, hi, da bin ich, die Margrit und nun sorge mal dafür, dass ihr endlich die Menschen für immer in Frieden lasst und die Erde - sagen wir mal, so morgen um acht - für immer verlasst?“ Er ließ sich wieder zurück in den Sessel fallen und lachte abermals für ein Weilchen komisch vor sich hin.
„Ja, so ungefähr!“ erwiderte sie trotzdem bockig.
„Das machen Sie mal mit dem!“ er wischte sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln. „Wissen Sie eigentlich, dass die Hajeps sich nach den strengen Regeln eines Kastensystems richten?“ Günther Arendt lehnte die Fingerspitzen seiner beiden Hände nachdenklich gegeneinander. „Die Menschen, welche wir nach Zarakuma schickten, durften bisher nur mit den untersten Kasten Kontakte haben. Ganz selten nur ließen sich auch Soldaten zu ihnen hinab. Sie durften sich nur in dem äußersten Ring der ersten Mauer Doska Jigons aufhalten. Es war ihnen nie erlaubt worden, in die nächsten Ringe oder gar bis in die Mitte Zarakumas zu gelangen. Gespräche wurden kaum geführt“, brabbelte er aufgebracht und seine Hand tastete nervös über den weichen Plüsch seiner Armlehne, “weil wir halt den hohen Maßstäben, nach denen die Hajeps andere Lebewesen zu beurteilen pflegen, in keiner Weise gerecht wurden. George hat mir das neulich so verständlich gemacht: Hajeps sehen Menschen als tierähnliche aber dennoch instinktlose Gattung an, mit zwar besonders sensiblen Qualitäten, die jedoch völlig ziellos ausuferten. Sie meinen, dass unsere viel zu wenig kontrollierte Art zu leben früher oder später eine große Gefahr für alles Leben und somit für den gesamten Planeten Erde bedeuten wird. Der Mensch an sich würde viel zu wenig über sich selbst, über seine Umgebung und über die Zukunft nachdenken - dies wäre ein untrügliches Zeichen für seine ´gejakin´ - Hirnrissigkeit!“
„So eine Frechheit!“ schnaufte Margrit empört. „Ha, das ist wieder mal typisch für Georges komische Übersetzungen und Auslegungen!“
Günther Arendt hob abwehrend die Hand. „Margrit, sagen Sie nichts gegen George. Der ist nämlich einer meiner besten Profiler.“
„Ach, auf einmal!“ grinste sie.
„Grinsen Sie nicht, außerdem gibt es nur noch einen, der ihm ebenbürtig ist.“
„Ach nein, und wer ist das?“ Margrit schaute sich dabei zynisch nach allen Seiten um.
Er räusperte sich fast feierlich, sah Margrit fest an, fuhr dann jedoch in sachlicher Tonlage fort. „Es ist der einzige Profiler den wir haben, der bis an die Spitze der Macht kommen könnte, wenn er nur wollte ... Margrit, ich setze auf Sie ... Sie sind unsere einzige Hoffnung, unsere Chance! Denn wer anderes könnte direkt in Lakeme, dem Sitz Pasuas und Scolos, also mitten ins Herz Zarakumas eindringen als Sie?“
Margrit runzelte die Stirn. „Sie fangen ja doch wieder mit diesem Thema an und ihr Chauffeur versprach mir...“
Günther Arendt hob abwehrend gleich beide Hände als wolle er sich ergeben. „Nichts für ungut Margrit, war ja nur eine kleine, launige Bemerkung von mir. Ich wollte Ihnen nur damit andeuten, was allein Sie vollbringen könnten.“
Sie schluckte. „Und wenn ich nicht lebend wiederkäme?“
„Dann ... tja ... dann...“, er zuckte hilflos mit den Schultern und seine roten umrandeten, unausgeschlafenen Augen begannen seltsam zu glänzen. Er ließ sich zurück in den Sessel fallen, schloss die Lider, versuchte ruhiger und ausgeglichener zu atmen. „Sie könnten es aber für uns tun, Margrit! Sie könnten die Hajeps stoppen, bevor sie mit ihren scheußlichen Manövern beginnen! Ich weiß, dass Sie das könnten. Sie haben die einzigartige Gabe, mit diesen sonderbaren Außerirdischen engeren Kontakt aufbauen zu können. Vielleicht könnte ich auch noch George schicken, der wohl eine ähnliche Gabe zu haben scheint. Und seien sie ohne Sorge, Munjafkurin würde ihnen dabei helfen!“
„Munjafkurin?“ krächzte sie hoffnungslos.
„Sehr richtig, Munjafkurin, aber auch noch einige andere Hajeps, die ich ihnen noch nennen werde, wollen sie dabei unterstützen! “
„Und woher wissen Sie das alles so genau?“
„Wie Ihnen sicher bekannt ist, hat Gesine ein recht enges Verhältnis zu Munjafkurin.“
„Treffen die beiden sich denn immer noch?“ entfuhr es Margrit erschrocken. „Wie leichtsinnig!“
„Das ist allein Gesines und Munjafkurins Sache. Jedenfalls bot ich eines Tages Gesine an, wenn sie mir alles über Munjafkurin erzählen würde, ihr das zweite Stück von Danox wieder zu geben.“ Günther Arendt stellte nun so ganz nebenbei zu Margrits Verwunderung ein kleines, sonderbares Behältnis vor sich auf den Schreibtisch, welches Margrit komischerweise irgendwie bekannt vorkam. “Sie haben gehört, Danox!“ wiederholte er dabei etwas energischer. „Der kleine Roboter ist jetzt leider zerbrochen und ich müsste Ihnen eigentlich dafür böse sein, dass Sie ihn mir damals nicht gleich gegeben haben als er noch ganz, noch völlig unbeschädigt gewesen war.“ Er drehte und wendete dabei das sonderbare Fläschchen im Licht hin und her und die Flüssigkeit darin änderte, je nachdem wie das Tagelicht darauf fiel, seine Farbe.
Margrit war überrascht, also hatte irgendjemand alles über Danox an Günther Arendt weiter erzählt. Ach, sie konnte sich schon denken, wer derjenige, oder vielmehr diejenige, gewesen war. Sie mühte sich, Günther Arendts Rüge zu überhören, außerdem faszinierte Margrit die komische Flasche. Was wollte der Ministerpräsident jetzt wohl damit?
Doch der schien gedanklich immer noch bei Danox zu sein. „Tja, und wegen Ihnen gibt es jetzt wohl drei Stücke von Danox“, fuhr er leise fort. „Wir Menschen haben nur zwei davon oder...?“ Er sah Margrit plötzlich scharf an. „Margrit, sollten Sie etwa das dritte besitzen und nur vor mir geheim halten?“ Seine langen Finger ließen endlich die Flasche los.
„N ... nein!“ stotterte sie entgeistert. Gesine hatte wohl nicht nur alles verplappert, sondern auch noch eine völlig falsche Vermutung geäußert. Verdammt, wie konnte sie ihn jetzt nur vom Gegenteil überzeugen?
„Lügen Sie mich auch nicht an?“ knurrte er und war dabei aufgestanden und um den Schreibtisch herum gelaufen.
„He ... warum sollte ich das tun?“ krächzte sie. Er näherte sich ihr nun von hinten. Komischerweise lief Margrit deshalb ein Gänseschauer den Rücken hinab. „Das ... äh ... dritte Teil wird wohl noch immer irgendwo im Walde herum liegen, nehme ich stark an!“ setzte sie ziemlich hastig hinzu.
„Kann ich Ihnen das auch glauben, Margrit?“ Ganz langsam legte er seine Hände auf ihre Schultern
“D .. doch, ich war bisher immer ehrlich!“ Unpassenderweise meinte sie jetzt auch noch, eine Tür in der Nähe klappen zu hören. “He, ganz im Ernst!“ ächzte sie. „Wenn ich dieses kleine Stückchen von Danox noch hätte, würde ich es ihnen ganz bestimmt geben ... nach all dem Schrecklichen, was Sie mir bereits erzählt haben.“
Vom Flur tönte inzwischen Stimmengeraune bis hierher und dann vernahm sie auch Schritte. Kamen Günther Arendt jetzt etwa auch noch Leute zur Hilfe? Warum hatte er die komische Flasche auf den Tisch gestellt? Was konnte er damit vorhaben?
„Und?“ fragte sie, um ihn irgendwie von diesem grässlichen Thema abzulenken. „Hatten Sie nun bei Munjafkurin Erfolg?“
„Sehr!“ Seine kalten Finger ließen überraschenderweise ihre Schultern los und er begann stattdessen, auf dem weichen Perserteppich rastlos hin und her zu laufen. Währenddessen wurde auch die Tür von dem Raum nebenan aufgerissen, das Stimmengemurmel wurde erheblich lauter. Irgendjemand wurde wohl begrüßt und dann klappte die Tür wieder zu. Margrit atmete erleichtert aus. Wieder fiel ihr Blick auf die komische Flasche. Was hatte Günther Arendt wohl damit vor?
„Zu meiner Freude erfuhr ich“, berichtete der Ministerpräsident derweil weiter, „dass nicht nur Munjafkurin, sondern auch viele seiner Kameraden ihr eigenes System hassen.“
„Wie das?“ fragte sie und rätselte still bei sich, was das wohl für eine merkwürdige Flüssigkeit in dem seltsamen Behälter sein könnte. „Warum hassen die Hajeps ein System, das ihnen ganz offensichtlich großen Luxus bietet und sie so mächtig gemacht hat?“
Günther Arendt blieb vor einem seiner großen Fenster stehen und schaute zum Park hinab. „Nun, zumindest Munjafkurin scheint wirkliche Gründe für seinen Hass zu haben“, sagte er leise.
Margrit beugte sich vor, um das flaschenartige Gebilde noch etwas gründlicher in Augenschein zu nehmen. „Sie dürfen übrigens diesen verrückten Behälter ruhig anfassen, Margrit!“ ermunterte er sie, doch sie schüttelte nur abwehrend den Kopf. Das Ding sah irgendwie gefährlich aus, andererseits ähnelte es irgendwie einem kleinen Nagellackfläschchen. „Oh Gott“, ächzte sie betroffen, „habe ich Ihnen dieses Ding nicht damals selber angeschleppt?“
„Sehr richtig!“ Er wendete sich vollends zu ihr herum und sah dabei ziemlich bekümmert aus. „Ich wollte Sie testen, Margrit. Schade, dass ihnen das wieder eingefallen ist!“
„Wieso schade? Das ist doch gut! He, dieses Fläschchen ... ich darf ich es doch ruhig so nennen?“
„Durchaus, denn es sieht ja, auch wenn es ein wenig seltsam geformt ist, eigentlich diesem verdammt ähnlich!“
„Also dieses Fläschchen kam von den Jisken“, fuhr sie aufgeregt fort. „Georges Cousin Robert hatte es unter die Menschen geschmuggelt und ich habe es Ihnen damals gegeben, doch Sie wussten nicht, wie man es öffnet, aber wohl schon, dass darin ein gefährliches Serum enthalten sein müsste, womit man die Hajeps infizieren könnte. Doch auf welche Weise, war Ihnen noch nicht so recht klar.“
„Donnerwetter, das wissen Sie also auch noch!“ rief er mit ehrlicher Anerkennung und nahm wieder im Sessel ihr gegenüber Platz. Er zog ein Schubfach auf. „Wie Ihnen sicher bekannt ist“, begann er dabei von neuem und legte eine schmale Pappschachtel zu dem Fläschchen auf den Tisch, „nennt das hajeptische Volk eine recht stabile Gesundheit sein eigen.“
„Das ist mir allerdings überhaupt nicht bekannt“, platzte sie einfach dazwischen. „Oworlotep verriet mir nämlich, dass Hajeps sonderbare Allergien quälen und sie scheinen unter einer furchtbaren Erbkrankheit zu leiden, die ganz allmählich ihre Hände verkümmern lässt.“
„Ja, das schon“, wehrte der Ministerpräsident ziemlich genervt ab, “aber sonstige Krankheiten, welche durch Bakterien oder Viren übertragen werden, wurden auf Hajeptoan bereits vor Jahrtausenden besiegt, denn die Asabs und Palivane der Hajeps sind nicht nur Ärzte, sie sind gleichzeitig Forscher und Wissenschaftler und wie Jäger hinter allem, was ihr Volk krank machen könnte, hinterher. Und immer, wenn es neue, fremde Planeten zu erobern galt, war es die oberste Pflicht, zuvor winzige Gen-Zellentierchen dorthin zu entsenden, die sofort die meisten Krankheitserreger aufnehmen, indem sie zum Beispiel in das Gefieder vogelähnlicher Wesen kriechen, oder zwischen die feinen Haare der Säuger. Kleine, am Boden liegende, als Steine getarnte Käfige senden dann nach einiger Zeit ein besonderes Duftsignal und fangen die Zelltierchen auf diese Weise wieder ein.“
„Und das alles hat Ihnen Munjafkurin mitgeteilt?“ staunte Margrit mit echter Bewunderung.
„Richtig und zwar über Gesine und noch einiges mehr, Margrit!“
„Reichlich geschwätzig das Mädchen. He, und wer sammelt dann nachher die komischen Steine ... äh ... Käfige wieder ein?“
„Roboter aus Biomaterial, habe sie erst neulich wieder in einem der vielen Filme bewundert, die wir mal vor Jahren gemacht haben. Interessante Wesen, wirklich! Sehen komischerweise irgendwie aus wie nackte, missgestaltete Kleinkinder mit schwarzen, sehr großen Glubschaugen! Na ja, und diese Roboter fliegen dann später mit ebenso kleinen Raumgleitern des Nachts zu einem Forschungszentrum, in unserem Fall zur Ganalea, das sich in der Nähe unserer guten alten Erde befinden soll.“ Er machte wieder eine nachdenkliche Pause ehe er fortfuhr. „Sie sehen also, meine Liebe, wie gut ausgerüstet Hajeps gegen Krankheitserreger sind, die sie über alles zu fürchten scheinen! Es ist daher so gut wie unmöglich, überhaupt noch Krankheitserreger gegen Hajeps zu erfinden! Daher danke ich dem jiskischen Forscher Balsaton wirklich sehr“, er ergriff dabei das Fläschchen, hob es hoch und betrachtete es mit glänzenden Augen, „dem dieses Kunststück endlich geglückt ist.“
„Und in diesem ... hm ... Fläschchen schwimmt also ... äh...?“
„Ein genmanipuliertes Virus!“ half er ihr und lächelte sehr zufrieden. „Das wird unsere Hoffnung, Margrit. Die Chance der Menschheit, diese außerirdischen Biester endlich für immer los zu werden!“
„Biester? Na ja, aber die werden davon nur krank, sterben nicht daran“, versuchte sie sich zu vergewissern.
„Margrit, Menschenskind, die Hajeps sollen doch daran sterben, natürlich nicht alle, nur die Jastra, deren oberste Kaste - und das hoffe ich sogar sehr!“
„He, wie kann denn Munjafkurin Leute seines eigenen Volkes derart hassen?“ Margrit runzelte die Stirn. „Und die Jisken sind aber auch...“, sie stoppte mitten im Satz und fügte dann hinzu, „... kein besonders edles Volk?“
„EDEL ist gut!“ der Minister lachte.
„Und zur Kaste der Jastra gehört also Atabu ... na ... dings und...“, sie zögerte einige Sekunden, ehe sie weiter sprechen konnte, „... und Oworlotep ... also deer doch wohl nicht so richtig, oder?“
„Natürlich, gehört der dazu! He, ja, ich weiß, Sie hängen irgendwie an ihm aber...“
„Ich hänge an dem nicht einfach irgendwie“, protestierte sie aufgeregt. „Es ist nur so, dass Oworlotep mir meine Jugend wieder gegeben hat. Wissen Sie, das ist ein wirklich großes Geschenk. Ich fühle mich ihm daher sehr zu Dank verpflichtet und ... “
„Aber Margrit!“ fauchte er. „Das war doch nur halb so uneigennützig wie es ausgesehen hat. Hajeps sind nun mal totale Egoisten. Das sollten Sie sich merken. Denn wie wir ja gesehen haben, wollten Pasua und Scolo mit Menschen eine neue Spezies erzeugen und jetzt dürfen Sie raten, weshalb Oworlotep Sie damals so sehr verjüngt hat.“ Er grinste sie jetzt ziemlich fies an.
„Sie meinen ... er wollte ...?“ Margrit schluckte und dachte dabei ganz automatisch an bestimmte Dinge mit Oworlotep und dann an seine roten Augen. Igitt, wo früher sogar schon winzigkleine Mäuse mit solchen Augen bei ihr Gänseschauer hatten erzeugen können. „Aber das hat er doch nicht wirklich gewollt?“ brachte sie, etwas heiser geworden, hervor. „Ich meine, dass er und ich ... hm ... also dass ich und er ... dass wir beide so einfach zusammen ...? und sie spürte, dass ihr bei diesem Thema mächtig heiß wurde. „Doch wohl eher nein ... oder?“
„Ich bitte Sie Margrit, Oworlotep selbst natürlich nicht!“ Günther Arendts Stimme klang fast empört ob dieser ungeheuerlichen Anmaßung. „Oworlotep ist nun mal ein Jastra und lässt sich nicht zu so etwas hinab. Das wissen wir inzwi¬schen ganz genau!“
„Ach so, tschuldigung!“ ächzte sie, knallrot im Gesicht.
„Macht nichts. Wer weiß das schon! Nein, man hätte Ihnen höchst wahrscheinlich nur mehrere Männer aus der untersten Kaste zugeführt....“
„Ach so! Gleich mehrere Männer ... hm ... äh ... nur!“ Komisch, Margrit hatte das Gefühl, als würde sie noch röter werden als sie es ohnehin schon war, darum wechselte sie ganz schnell das Thema. „Aber woher konnte ihnen Munjafkurin so genau erklären, was in diesem Fläschchen enthalten ist, wo er doch gar nicht zum Volk der Jisken gehört?“
„Keine so dumme Frage, Margrit. Vor langer Zeit führten die Jisken und Hajeps eine dramatische Schlacht um den bereits besiegten Planeten Shough. Dort sollen übrigens fast ausschließlich irgendwelche Wissenschaftler, Weltraumforscher und Philosophen gelebt haben.“
„Ein ganz und gar friedlicher Planet also?“
„Keine Ahnung....“
„Ich habe gehört, Danox stammt von diesem Planeten?“
„Ja, diese außergewöhnliche Waffe haben die Hajeps damals als Beute von Shough an sich gebracht.“
„Aber, wenn dort vielleicht nur friedliche Wissenschaftler lebten“, verbiss sich Margrit einfach hartnäckig weiter in dieses unpassende Thema, „könnte es doch auch gut sein, dass Danox in Wirklichkeit gar keine Waffe ist, sondern womöglich ein ganz anderes Geheimnis in sich birgt?“
„Meinen Sie?“ Er zuckte irritiert mit den Achseln. „Das Ding wird aber von allen Außerirdischen Waffe genannt. Ich weiß allerdings nicht, was Danox übersetzt heißt. Ist mir auch egal. Habe mir noch nie darüber einen Kopf gemacht. Jedenfalls, als am Ende die Hajeps am siegen gewesen waren, brachten die Jisken noch schnell Munjafkurin und einige seiner Kameraden ihre Gewalt, um sie als Geiseln zu nutzen. Munjafkurin soll mit seiner Einheit in ein Gefangenenlager gekommen sein, in dem die schrecklichsten Zustände herrschten. Auch auf die Androhung, sämtliche gefangenen hajeptischen Soldaten zu erschießen, reagierte Hajeptoan nicht. Pasua zog die Truppen aus den einst von Jisken besetz¬ten Gebieten Shoughs nicht ab, um sie wieder den Jisken zu überlassen. Da begannen die Jisken einen nach dem ande¬ren der Gefangenen vor laufender Kamera auf das brutalste umzubringen. Doch auch das konnte weder Pasua noch Scolo erweichen. Dann erhielten die Jisken aber die freudige Kunde, dass es endlich Balsaton, jenem jiskischen Palivan, von dem ich eben gesprochen habe, geglückt wäre, ein spezielles Genvirus gegen die Hajeps zu entwickeln, das er übri¬gens Refenin - Vernichtung - genannt hatte, wie sinnig!“ Er kicherte. „Nun wollte man die restlichen Geiseln heimlich damit infizieren und dann zu den Hajeps fliehen lassen. Munjafkurin hatte aber, weil ihm zuvor mitgeteilt worden war, als nächster hingerichtet zu werden, noch ein Mittel, das vorrübergehend den Herzschlag und die Hirntätigkeit aus¬schalten konnte, als wäre man klinisch tot, eingenommen. Die Jisken fielen darauf herein, ließen ihn einfach an Ort und Stelle liegen, weil sie es eilig hatten, die anderen zu infizieren und nahmen sich nacheinander jeden seiner Kameraden vor. Als Munjafkurin, der in diesem Raum lag, langsam zu sich kam, stellte er sich weiterhin tot und konnte unter leicht gesenkten Lidern sogar erkennen wie das Mittel aussah, dass sie sogar Adoraine, seiner besten Freundin, verabreichten. Wenig später floh dann Munjafkurin mit seinen Kameraden, die aber zu viel von diesem Mittel bekommen hatten und unterwegs an Herzversagen starben. Die Jisken hatten halt noch keine Erfahrung mit der richtigen Dosierung. Das Virus war einfach zu neu.“
„Oh Gott, wie schrecklich!“ ächzte Margrit und hielt sich dabei die Hand vor den Mund. „Jetzt kann ich aber doch Munjafkurins Hass begreifen!“
„Sehen Sie, lassen Sie mich aber trotzdem weiter erzählen. Später, als Munjafkurin schwerkrank von all den Strapazen in sein Raumschiff gebracht wurde, kümmerte sich niemand um seine Probleme. Nicht nur das, weil er nicht rechtzeitig voll funktionstüchtig sein konnte, reihte man ihn sogar in die unterste Kaste der Kutmats ein. Nur mit größter Energie gelang es ihm später, sich wieder hochzuarbeiten, und noch heute wird er damit verspottet, dass er einstmals so tief unten gewesen war. Das alles vergisst er Pasua und Scolo nicht.“
„Kann ich sehr verstehen, und dafür bekam er – äh, Gesine - dann von Ihnen den zweiten Teil von Danox?“ schmetterte sie ziemlich ungläubig hinaus, denn sie konnte sich nicht vorstellen, dass Günther Arendt ein solches Versprechen wahr machte.
„Nein, den bekam Munjafkurin für eine andere, viel wichtigere Auskunft.“ Er brach wieder sehr nachdenklich ab.
„Etwa für eine weitere Information über dieses Fläschchen?“
Der Präsident schwieg für ein Weilchen und betrachtete dabei die Flasche wieder von allen Seiten. „Ja, so war es!“
„Aha, und wie wirkt Refe ... na .. dings?“ fragte sie, schier zerberstend vor lauter Anspannung.
„Tja, eine nette Krankheit ist die wohl nicht gerade, Margrit.“ Er kratzte sich verlegen am Hals. „Lässt die Gedärme, den Magen, das Herz, die Lunge, alles Innere allmählich zusammen schrumpfen. Man bekommt wahnsinnige Schmerzen, weil im Laufe eines Tages nichts mehr arbeiten kann!“
Margrit erbleichte. „Was für furchtbare Dinge doch erfunden werden können! Und wie ist es möglich, dass sich dieses Virus verbreitet?" Mit klopfendem Herzen wartete sie die nächste Antwort ab.
„Refenin stimuliert!“ erklärte Günther Arendt, nun noch etwas verlegener als zuvor.
„Stimmu ... äh, wie? Ich meine ... in wiefern?“ Margrit trommelte das Herz bereits bis zu den Ohren.
Der Ministerpräsident gab sich einen Ruck. „Meine liebe Margrit, Refenin steigert ... na ja ... sexuelle Bedürfnisse. Es verbreitet sich über die Schleimhäute. Wer von Refeninviren befallen ist, wird versuchen, mit aller Macht mit möglichst vielen Personen Sex zu haben. Gelangen die tödlichen Viren über die Schleimhäute erst einmal ins Blut der Betroffenen, ist es um ihn geschehen!“
„Scheußlich!“ entfuhr es Margrit. „Wie kann Munjafkurin das wissen, wo doch damals alle seine Kameraden an Herzversagen gestorben sind?“
Nicht alle, Margrit. Andoraine lebte noch für ein Weilchen, wahrscheinlich hatte einer der Jisken plötzliche Skrupel bekommen und ihr daher nicht allzu viel gegeben.“
„Doch die paar Viren haben sich dann wohl vermehrt und....“
„Richtig, es war zufälligerweise die richtige Menge, Margrit, wodurch sie so funktionierte wie es sich Balsaton eigentlich gedacht hatte. Doch Andoraine wartete nicht ab, bis sie zu den Hajeps kam, konnte sie ja auch nicht, sondern stürzte sich sofort auf Munjafkurin. Gott sei Dank war er schon misstrauisch geworden. Es war ein mörderischer Kampf, bei dem Munjafkurin nicht anderes übrig blieb als seine beste Freundin zu töten.“
„Ganz furchtbar! Also, das ist wohl das Schrecklichste, was einem passieren kann ...“
„Das sage ich Ihnen!“
„Munjafkurin hat Andoraine sehr geliebt, nicht wahr?“
„Keine Ahnung! Hajeps behaupten jedenfalls immer wieder, dass sie nicht lieben können. He, es gibt in ihrer Sprache noch nicht mal eine Vokabel dafür! “
„Aber wissen die Hajeps nicht längst von diesem Mittel? Sie sind doch hochintelligent und haben deshalb bestimmt auch sehr gute Spione!“
„Oho, Margrit, unterschätzen Sie die Jisken nicht. Die können es nämlich durchaus mit den schlauen Köpfen der Hajeps aufnehmen. Natürlich waren die Jisken sehr vorsichtig. Nachdem das Attentat auf die Hajeps damals missglückt war, versteckten sie das Refenin erst einmal für längere Zeit in einem Schubor - einem Tresor. Sie hoben es sozusagen für ihre Erzfeinde über Jahre dort auf.“
„Warum? Weshalb bringen die Jisken erst jetzt dieses Mittel zum Einsatz? Das hätten sie doch schon längst vorher tun können?“
„Wohl nicht! Sie sollen sich erst bei diesem Streit um unsere Erde wieder sehr ´nahe´“, er grinste wegen dieses Wortes „gekommen sein!“
„Außerdem sind die Hajeps inzwischen auch recht leichtsinnig geworden“, fügte Margrit noch hinzu, „tragen keine Helme mehr, sind kontaktfreudiger!“ zählte sie weiter auf.
„Richtig, richtig! Aber das sind die Jisken inzwischen auch. Übrigens, sämtliche Leute, die einst an Refenin gearbeitet hatten, einschließlich Balsaton, wurden nach und nach getötet, damit die Hajeps von diesem Geheimnis nichts erfahren konnten.“ Er räusperte sich feierlich und warf dabei wieder einen fast verliebten Blick auf das kleine Fläschchen. „Ha, und nun ist endlich die Zeit gekommen, wo Refenin für uns alle arbeiten wird - für die Jisken, für die Loteken, für die rebellischen Hajeps, für all die unterjochten Völker und für uns, Margrit!“
„Ja, aber ...“ warf Margrit wieder ein „... können die Asabs oder Howane der Hajeps denn nicht sofort ein Gegenmittel
erfinden?“
„Margrit, es ist wahnsinnig schwer in so kurzer Zeit – bedenke Sie, Refenin tötet schon innerhalb EINES Tages - das Verhalten, den Aufbau eines derart komplizierten Virus zu erkennen“, seine nervösen Finger spielten dabei mit der Pappschachtel herum, “dann das passende, ganz sicher ebenfalls komplizierte Gegenmittel zu erfinden und noch rechtzeitig dem Patienten zu verabreichen.“
„Gibt es etwa noch gar kein Mittel dagegen? Haben denn die Jisken auch keins?“
Er ließ die Pappschachtel endlich los und zuckte ratlos mit den Schultern. “Keine Ahnung. Aber nach allem, was mir Munjafkurin über Gesine mitgeteilt hat, wohl nicht!“
„Aber dann ist es doch nicht nur für die Jastra gefährlich, sondern auch für UNS ... für die Loteken, für die entflohenen Sklaven ... für ALLE!“
„Niemand von den Infizierten wird aus Lakeme entfliehen können. Wir nennen das prächtige Gebäude im Herzen Zarakumas deshalb schon jetzt Todespalast. Sollte das Virus aber dennoch weiter wandern, tja, dann ist das halt unser Risiko, Margrit, denn morgen schon kommen aus der ganzen Welt sämtliche Oberhäupter aus der Kaste der Jastra nach Lakeme. Ein großer Kongress findet dort statt, um gemeinsam dem Tod Gisterupas, des Rebellen und seiner Getreuen hautnah mitzuerleben. Hajeps langweilen sich, wie du sicher weißt. Der langsame Untergang der Menschheit war zwar schon immer spannend für sie, aber den Tod der schlimmsten Feinde zu genießen, ist noch besser! Viele mächtige Oberhäupter werden darum dort eintreffen. Später, wenn alle Jastra von uns infiziert sind, werden die Türen von Lakeme heimlich von Munjafkurin und seinen Getreuen verriegelt werden. Natürlich erst, wenn vorher die Kontaktgeräte der Jastra zerstört wurden. Wenn sich die Jastra unter Krämpfen winden, können sie niemanden mehr zur Hilfe holen. Sämtliche Verbindungen zur Außenwelt werden unterbrochen sein. Sie werden alle elendiglich an Refenin ster¬ben.“
„Aber ...“, Margrit presste ihre kalt gewordenen Hände an die vor Aufregung heißen Wangen. „Das hört sich ja alles unvorstellbar grausam an.“
„Ich weiß nicht, was Sie haben, Margrit. Die Jastra selbst sind doch furchtbar und grausam. Die haben das doch verdient!“ Günther Arendts Blick flackerte plötzlich seltsam. „Zuerst muss natürlich Atabulaka mit Refenin infiziert wer¬den! Der Kopf der Schlange soll abgeschlagen sein! Erst dann sollte Oworlotep die tödliche Viere erhalten, denn der ist hinterhältig.“
„Und wie genau soll das dann vonstatten gehen?“ keuchte sie. „Ich meine ... das mit dem Infizieren? Denn wie Sie das so geschildert haben, wollen die Jastra keinen Sex mit Lumantis.“
„Nun, ich dachte mir ... na ja, zum Beispiel nur durch einen Kuss!“ Günther Dom zögerte für einen Sekundenbruchteil und sah dabei prüfend in Margrits Augen. „Ja, ja, ich weiß, denen scheint überhaupt kaum ein Austausch von Zärtlichkeiten bekannt zu sein. Es hat sich aber gezeigt, dass zumindest die unterste Kaste ziemlich neugierig und sehr interes¬siert daran war, so etwas zu erlernen! Doch die Jastra scheinen sich viel mehr und wesentlich schneller zu ekeln als die unterste Kaste. Außerdem haben sie eine geradezu höllische Angst vor Schmutz und Bakterien. Daher empfinden sie das Küssen als einen äußerst unhygienischen Akt. Viele Jastra haben außerdem einen so weiten Abstand zu uns Men¬schen, dass sie sich mit unseren Geflogenheiten noch nicht einmal gedanklich beschäftigen und daher auch gar nicht wissen, was überhaupt Küssen ist. Andererseits scheint gerade die höchste Kaste extrem neugierig und verspielt zu sein. Die Jastra kennen zwar Sex, ihre Art Sex zu haben eben. Aber wir haben eine Chance, Margrit, sie neugierig auf Zärt¬lichkeiten, auf heiße Küsse zu machen.“
„Doch wie soll das gehen, wo bisher noch keines Lumantis Fuß den großen Palast Zarakumas betreten durfte?“
„In diesem Fall schon, Margrit, denn ich habe über Munjafkurin und dieser über Warabaku und dieser über Nireneska dieser wiederum über Diguindi bis hin zu ... ha!“ rief er erleichtert. „Jetzt hab` ich endlich seinen Namen ... Quanzhulon heißt der neue Undasubo ... und dem hab` ich eine Überraschung versprochen!“
„Ach ... äh ... wie?“ Margrit war plötzlich wieder irgendwie furchtbar mulmig um die Magengegend herum. “Wie soll ich das verstehen?“
„Keine Angst, Margrit, das habe ich doch nur so an Quanzhulon bestellen lassen, um endlich die Neugierde der Jastra auf uns Lumantis zu entfachen! Quanzhulon ist sehr an Menschen interessiert. Er war ganz begeistert und kann Atabulaka gewiss überreden“, setzte er hastig hinzu. „Daher glaube ich, dass es tatsächlich klappen wird.“
„Wie .... klappen? Wenn die Jastra von Lumantis geküsst werden sollen, dann müssen diese Menschen doch vorher mit diesem komischen Virus infiziert worden sein. Doch es wird ja wohl kaum jemand so etwas mörderisches freiwillig einnehmen“, sprudelte es aus Margrit hervor und sie konnte nicht verhindern, dass ihr die Knie zitterten.
„Nun, dass das Ganze mörderisch sein wird, werde ich bestimmt nicht den neunzehn jungen Frauen und Männern vorher auf die Nase binden, die sich heute bei mir gemeldet haben.“ Günther Arendt zwinkerte dabei Margrit schelmisch zu.
Doch die saß jetzt nur da als hätte sie einen Stock verschluckt.
„Mensch Margrit, gucken sie nicht so komisch! Es gibt halt keinen anderen Weg für mich. Irgendetwas müssen wir schon für diese Idee opfern, aber ich verspreche ihnen, dass das diesmal garantiert die letzten Menschen sein werden, die ich nach Zarakuma schicke. Es werden aber auch die erfolgreichsten Menschen sein, mit denen die Hajeps jemals Kontakt gehabt haben, hehe! Und diese zwanzig Menschen werden dann, noch ehe der Tag anbricht, vor Zarakuma warten.“
„Zwanzig? Eben sagten sie noch neunzehn?“
Er überging diese Frage und grinste nur komisch. „Ein Asab und eine kleine Einheit Murake werden sie in Empfang nehmen.“
„Ein Asab ist auch dabei?“ ächzte sie verdutzt. „Ich denke, die Asabs und Howane sind Ärzte?“
Diesmal ging er wieder auf ihre Frage ein. „Das sind sie auch. Habe ich je etwas anderes behauptet? Die Jastra sind eben sehr misstrauisch, haben ja eine höllische Angst vor Bakterien, darum werden diese Menschen zuvor von diesem Asab genauestens untersucht.“
„Direkt vor Zarakuma?“
„Richtig!“
„Und trotzdem wird der Asab dieses Refenin nicht entdecken?“
„Nein, denn wir wissen nun, wie viel die Menschen nur bekommen dürfen. Es muss eine solch winzig kleine Menge sein, dass man sie selbst mit diesen hervorragenden Apparaten nicht sehen kann.“
„Reichlich riskant!“ bemerkte sie skeptisch.
„Tja, wer nichts riskiert, kommt nicht ins Zuchthaus ... hähä, kleiner Scherz! Aber wenn dann die ersten hajeptischen Politiker in Zarakuma eintreffen, können die bereits am frühen Morgen amüsant von diesen Menschen unterhalten werden.“ Günther Arendt konnte jetzt sein zynisches Lächeln kaum unterdrücken.
„Mensch, Margrit, machen Sie nicht so ein Gesicht. Die neunzehn Menschen werden kaum dabei leiden, denn gleichzeitig mit dem tödlichen Serum bekommen sie ein Schmerzmittel in die Vene gespritzt.
„WAS?“ kreischte Margrit aufgebracht und diesmal gelang es ihr sogar, mit dem Sessel vom Schreibtisch abzurücken. „Sie spritzen denen das so einfach in die Vene?“
„Aber, wohin denn sonst? Du meine Güte, Sie sind ja schon wieder ganz blass?“ Er tätschelte beruhigend ihre Hand. „Wir tun dies doch für eine wirklich gute Sache.“ Günther Arendt wirkte irgendwie hilflos. „Und wenn die Menschen es nicht wissen, ist es doch um so besser nicht wahr?“
„Das finde ich aber gar nicht!“ schnaufte sie zornig.
„Dennoch ist das völlig in Ordnung.“ Er räusperte sich. „Diese Menschen müssen dadurch nichts geheim halten! Nur Sie Margrit, kennen jetzt die volle Wahrheit, da ich Ihnen vertraue und fest daran glaube, dass Sie ein besonderer Mensch sind, jemand, der bereit ist, wissentlich sein Leben für die Menschheit zu opfern, da es keinen anderen Ausweg für uns gibt als diesen. Sie sind nämlich dieser zwanzigste Mensch, der dabei noch gefehlt hat!“
„Danke für diese Ehre!“ fauchte sie entsetzt. „Aber da haben Sie sich geschnitten, denn ich ...“ sie konnte plötzlich nicht mehr weitersprechen, sondern tippte sich nur verzweifelt an die Brust, aber dann gab sie sich einen Ruck, “... mache ganz gewiss nicht dabei mit und das wissen Sie ganz genau!“
Günther Arendt nickte. „Weiß doch, dass Sie das nicht wollen, meine Liebe! Und nach dem, was ich Ihnen so alles geschildert habe, natürlich erst recht nicht. Ich hatte ja gehofft, dass Sie das Refenin nicht wieder erkennen würden. Schade, ist leider doch passiert. Tja, so konnte ich Sie nicht mehr belügen, musste mit der vollen Wahrheit heraus. He, noch ehe Atabulaka und Oworlotep und all die anderen aus der Kaste der Jastra diesen Krieg beginnen können, sollten sie mit Refenin infiziert sein! Selbst wenn später die Türen Lakemes aufgebrochen werden sollten, selbst wenn die Jastra es dennoch geschafft haben sollten Hilfe zu holen. Jemand, der von rätselhaften Schmerzanfällen und Übelkeit gepeinigt wird, wird wohl kaum in der Lage sein, vernünftige Entscheidungen zu treffen, vor allem, wenn er so kluge Gegner wie die Loteken und Jisken hat! Er wird nur damit beschäftigt sein, Hilfe von Ärzten zu bekommen. Auf Deutsch, Scolo und Pasua werden dadurch mit einem Schlage kampfunfähig sein. Das wird UNSERE Chance, Margrit, und die Chance sämtlicher unterdrückten Kasten und Völker!“
„Aber nicht meine!“ erklärte sie verzweifelt und schon war sie von ihrem Sessel aufgesprungen und jagte durch den riesigen Salon Richtung Ausgang. Günther Arendt hingegen blieb ruhig, holte erst mal eine kleine Glocke aus dem Schubfach und läutete. „Herbert ... Achim!“ brüllte er und erst dann schob er sich am Schreibtisch vorbei.
„Halt!“ brüllte er Margrit hinterher. „Haaalt! Margrit, das ist ein Befehl! Sie bleiben sofort stehen!“
„Denke nicht daran!“ keuchte sie und schon drückte sie die Türklinke herunter.
„Aber Margrit, warum wollen Sie nicht einsehen, dass Sie auf diese Weise auch Ihre eigene Familie retten werden. Es war doch vorauszusehen, dass die Hajeps uns eines Tages völlig ausrotten wollen. Und so können wir das wirklich noch verhindern! Und diese Spritze tut kaum weh!“ versuchte Günther Arendt sie irgendwie zu beruhigen, indem er einfach zum Schreibtisch zurück lief. Margrits entsetzte Augen gewahrten nun die Spritze, welche er aus der schmalen Pappschachtel, die neben dem Fläschchen gelegen hatte, holte. „Es ist nur ein kleiner Pieks ... weiter nichts!“
Kaum hatte Margrit die Tür aufgerissen, da entdeckte sie auch schon in der Dunkelheit des Flurs zwei Schattengestalten. Die beiden Kerle packten Margrit sofort, drehten ihr die Arme auf den Rücken und schon befand sie sich wieder im Salon. „Ja, ihr könnt sie ruhig weiter festhalten, damit es leichter geht.“ Günther Arendt strich nachdenklich mit den Fingern über die noch leere Spritze. „Meine liebe Margrit“, krächzte er, ein wenig heiser vor Aufregung geworden, „niemand sonst wird wissen, was mit Ihnen geschehen ist und diese Tat wird nicht sinnlos sein. Ich habe Refenin ges¬tern Abend getestet. Die Krankheit verläuft tatsächlich so, wie es Munjafkurin geschildert hat.“ Er ließ sich nun in den Sessel zurückfallen und seine Augen schimmerten feucht. „Bronko und Aida, meine treuen Boxer - ich konnte leider keine anderen Tiere nehmen, das wäre aufgefallen - sind heute Mittag an Refenin verendet. Meine Leute haben sich zwar ein wenig darüber gewundert, aber schließlich nahmen sie an, sie hätten Rattengift gefressen.“ Er hielt den Atem an, ehe er weitersprach. „Ich hoffe, dass sich ihr Opfer gelohnt haben wird.“
„Ihre Hunde bedauern Sie!“ Margrit zitterte am ganzen Körper, während man sie mit aller Macht in den Sessel drückte. „Aber über Menschen wird hier gesprochen als wären sie nur hölzerne Majonetten, die man wegschmeißen und vielleicht morgen schon durch andere ersetzen kann!“
„Ja, das könnte vielleicht sein“, grinste er. „Klappt`s nicht, schicke ich vielleicht weitere Infizierte nach Zarakuma, habe schließlich genügend Refenin, weil nur winzigste Mengen genügen.“
„Ach, ich möchte nicht wissen, wie viele Leben Sie in Wahrheit bereits auf dem Gewissen haben, Sie ... Sie Arschgesicht!“
„Hoho, aber Margrit, wie reden Sie denn plötzlich mit mir. Das ist aber ganz und gar nicht das feine, brave Mädchen, das wir bisher kannten. Tja, so ändern sich manchmal die Leute“, sagte er mit einem leichten Bedauern und drückte dabei von oben mit dem Daumen auf die Flasche und dabei kroch ein kleines Röhrchen auf der einen Seite des komischen Behälters hervor. „Tja, so leid es mir tut, meine liebe Margrit!“ sagte er mit einem schwermütig klingenden Unterton und steckte dabei die Nadel der Spitze in dieses feine Röhrchen und saugte damit einige Tröpfchen auf. „Aber, wie heißt es doch so schön: Wo gehobelt wird fallen Späne!“
„Ich weiß, da fallen nun mal Späne, aber all diese Menschen werden ihnen blind vertrauen. Ach, man kann Menschen sehr gut belügen, besonders wenn sie idealistisch denken.“
„So und nun halten wir unser Plappermäulchen und machen den rechten Arm frei.“ Er hielt die Spritze gegen das Licht und überprüfte den Inhalt. „Es darf echt nicht zu viel sein, sonst wirkt es zu früh!“
In diesem Moment stieß sie ihre Beine mit einer derartigen Wucht gegen den Schreibtisch, dass der gegen Günther Arendts Bauch kippte und Günther Arendt deshalb vor Schreck beinahe die Spritze mit dem kostbaren Inhalt zu Boden fallen gelassen hätte. Doch dann kippte er den Schreibtisch, übers ganze Gesicht dabei grinsend, einfach wieder zurück.
Einer der Männer wollte Margrit dafür eine Ohrfeige geben, doch Günther Arendt winkte ab. “He, he, eben eine echte Guerilla“, sagte er anerkennend, „die sich nicht so einfach ergibt!“
„Das stimmt!“ fauchte sie. „Und darum sage ich Ihnen jetzt auch folgendes: Wenn Sie mir diese Spritze gegen meinen Willen verabreichen, werde ich später den Hajeps alles über dieses Refenin erzählen.“
Er jappste verdutzt nach Luft, aber dann sagte er: Meine beste Margrit, das würde dann Ihren Tod bedeuten. Wollen Sie so schnell sterben?“
„Sie meinen, entweder ich lasse mich spritzen oder sie bringen mich um?“
„Nun, so scharf will ich das nicht ausdrücken.“ Er hüstelte vorsichtig. „Doch das, was Sie hier machen, ist eine Befehlsverweigerung in einer lebensbedrohlichen Situation. Immerhin sind wir Guerillas und daher herrschen bei uns nicht gerade die sanftesten Sitten.“
„Wissen Sie was, es ist mir völlig Wurst, ob ich nun heute oder morgen sterbe!“
„Nun, man kann ja auch auf verschiedene Art und Weise sterben, nicht wahr? So zum Beispiel auch ... qualvoll!“
„Schön, dann haben Sie gesiegt und ich lasse mich spritzen, aber wer sagt Ihnen, dass ich nicht gelogen habe und dann vielleicht doch alles den Hajeps weiter erzählen werde?“
„Das werden Sie nicht tun!“
„Und wenn doch?“
Er sah ihr scharf in die Augen, aber sie zuckte mit keiner Wimper, schließlich keuchte er fassungslos. „Okay“, ächzte er. „Lasst sie los!“ Und er wischte sich den Schweiß.
„Aber Chef?“ stammelten die beiden Kerle fassungslos. „Sie werden doch nicht ...“
„Nachgeben? Doch das werde ich! Margrit muss wirklich wollen! Sie hat da ganz Recht, denn sie ist leider die wichtigste Person bei dieser ganzen Sache.“
Nur sehr unwillig gehorchten die beiden muskelbepackten Guerillas.
Mit immer noch zitternden Knien erhob sich Margrit vom Sessel. Ein wenig taumelig ergriff sie sich ihre Jacke vom Kleiderhaken, hatte es aber viel zu eilig, um sich diese auch noch anzuziehen und daher legte sie sich die einfach nur über den Arm. Drei funkelnde Augenpaare verfolgten sie dabei auf Schritt und Tritt. Doch kaum hatte sie die schwere, verschnörkelte Tür aufgerissen, hörte sie Günther Arendt vom Schreibtisch her: “Aber Margrit, wollen Sie mir denn nicht `Auf Wiedersehen´ sagen? Wo bleiben die Höflichkeiten?“
Erschrocken wandte sie sich nach ihm um. “Leben Sie wohl!“ nuschelte sie etwas undeutlich, denn ihre Zähne klapperten noch immer.
„Kaum“, erwiderte er kühl, “denn ich habe mir soeben etwas ausgedacht, womit ich Sie doch noch für diese Sache gewinnen werde!“
„Schön, dass Sie das glauben!“ gab sie ebenso spitz zurück.
„Chef, sollen wir ihr nicht endlich was vor den frechen Latz geben?“ maulte wieder einer der Männer, doch abermals winkte Günther Arendt ab.
Margrit hatte die letzten Sätze kaum gehört, denn schon war sie im Flur und donnerte, immer schneller werdend, die Stufen hinab. Unten angekommen stieß sie keuchend die schwere Eichentür auf, lief ins Freie und rannte beinahe an George vorbei, der schon seit einem ganzen Weilchen auf Margrit gewartet hatte. „Ich muss zu meiner Familie und zwar SCHNELLSTENS!" keuchte sie aufgeregt. Mit entschlossenem Gesichtsausdruck nahm Margrit neben ihm Platz. „Ja, aber willst du nicht erst zu uns? Was ist passiert?“ erkundigte er sich verdutzt. “Du siehst ja aus, als wäre der Teufel hinter dir her?“
„Keine Zeit mehr für Erklärungen, George!“ schnaufte Margrit. „Gott, ist mir schlecht!“
„Dir ist schlecht? Hast du denn etwas Verdorbenes gegessen?“ Doch schon heulte der Motor auf.
Günther Arendt stand indes am Fenster des prächtigen Flurs und schaute dem alten Jambuto kopfschüttelnd hinterher.
„He, Chef, ist ja mächtig frech, diese Margrit Schramm“, mokierte sich Achim, der eine der beiden Guerillas, die je rechts und links von ihm standen. „Ich will mich ja da nicht einmischen, aber wollen wir sie nicht einfach zurückholen, Chef?“
„Ich will Ihnen da auch nicht dreinreden, aber das wäre wirklich besser!“ stimmte ihm dessen Kamerad Herbert zu. “Nachher bleibt sie nicht bei den Maden, läuft unseren Organisationen noch weg, und dann ist es mit unserer großen Chance vorbei!“
„Nein, ganz und gar nicht“, sagte Günther Arendt in ruhiger Tonlage, aber innerlich ärgerte er sich über Margrit ebenso,
„denn sie wird noch heute ganz freiwillig wiederkommen, das verspreche ich euch.“ Und dann holte er sein Sprechfunkgerät hervor. „Norbert“, sprach er ins Mikro. „Nooorrbert! Himmel, sein Handy ist einfach schrecklich! Na, end¬lich! Wie bitte? Sprich lauter, kann kaum was hören! Nein, das sollst du jetzt nicht machen. Verdammte Nebengeräu¬sche! Was? Nein, habe ich dazu gesagt, verfolge lieber unauffällig George und Margrit. Die fahren nämlich gerade mit diesem alten Jambuto weg und sage Mike Bescheid. Soll irgendwo in seiner Nähe eine Hütte in den Wäldern geben, zu der die beiden euch hinführen werden, wenn ihr`s nur geschickt genug anstellt und dann bringt ihr mir die alte Frau mit den Kindern!“ Er grinste hämisch, als er sein Handy ausstellte.
Fünf Wochen später brauste bei herrlichstem, nachmittäglichen Sonnenschein ein klappriger, verstaubter Mercedes die holperigen, schmalen Straßen und Wege entlang. Die Zäune waren zum Teil niedergerissen, nur wenige Kühe und einige Ziegen grasten auf den von Butterblumen und Gänseblümchen übersäten Wiesen. Hier und da sah man auch vereinzelt Campingzelte, aus denen dünner Rauch empor kringelte. Die Sandwege staubten mächtig, denn es hatte seit einiger Zeit nicht mehr geregnet, während der Wagen an den halb verrotteten Häusern, Stallungen, Garagen und Hütten vorbei kurvte.
Wildhühner flatterten auf, als der Mercedes schließlich vor dem wohl einzigen Haus in dieser Gegend, das noch einigermaßen gut im Stande zu sein schien, zum Halten kam. Der etwas liederlich angezogene Chauffeur stieg mit umständlichem Gehabe aus und lief zögernd die alten, steinernen Treppen des Hauses empor.
Er klingelte und schon öffnete eine schlanke, junge Frau mit langen, blonden Zöpfen die Tür und begrüßte ihn überrascht. Nach einem kurzen Gespräch rief sie einen Namen in den dunklen Flur des geräumigen Fachwerkhauses. Der Chauffeur brauchte nicht lange zu warten, denn sofort zeigte sich ein junger, hochaufgeschossener Mann im Eingang, der ihn neugierig und etwas skeptisch musterte.
Das Mädchen unterbreitete ihrem dunkelhaarigen Bekannten in knappen Worten und schwungvollen Gesten das Anliegen des Besuchers und so nickte George schließlich dem Chauffeur Günther Arendts freundlich zu und gemeinsam mit Gesine führte er den etwas korpulenten Mann zunächst in den Flur und dann erst nach weiteren, kritischen Befragungen hinab in den Keller.
Der Chauffeur musste sich bücken, sich möglichst schmal machen, um durch die Tür des bunten Küchenschrankes zu klettern und dann durch eine weitere in den von Hand betriebenen Fahrstuhl zu gelangen. Er seufzte erleichtert, als es endlich hinab ging in das ehemalige Kohlebergwerk, welches die Maden als recht gemütliche Wohnanlage ausgebaut hatten. Hoffentlich würde er das alles möglichst bald hinter sich haben, denn er litt unter Platzangst, wenn`s allzu tief hinab ging. Aber was tat man nicht alles für Günther Arendt.
Wenig später fand der Chauffeur jene Dame, die er noch heute zu seinem Chef bringen sollte, in einem kleinen, nur von einer einzigen Glühlampe beleuchteten Raum vor. Die schlanke, dunkelhaarige Frau trug zu seiner Überraschung ein Baby in den Armen, lief damit auf und ab, war wohl gerade dabei es in den Schlaf zu wiegen.
Leider hatte er die Tür ohne vorher anzuklopfen auf gerissen und so war Margrit vor Schreck zusammen gefahren, hatte dadurch Irmchen geweckt. Die Kleine schrie auch sofort herzerweichend und Margrit funkelnde Augen hefteten sich deshalb auf den für diese schrecklichen Zeiten ziemlich unpassend gekleideten Herrn.
„Äh ... tschuldigung!“ stammelte dieser betroffen, was allerdings im lauten Geschrei Irmchens unterging.
„Wie bitte?“ hakte Margrit deshalb nach und das konnte man hören, da Irmchen gerade ein ´Bäuerchen´ machte und somit für einen Moment Stille eingetreten war.
Der Chauffeur räusperte sich vorsichtig. „Entschuldigen Sie mein stürmisches Eindringen aber...“
„Wer sind Sie?" fiel ihm Margrit jetzt einfach ins Wort. Sie klopfte dabei der Kleinen beruhigend auf den Rücken. Verdammt, sie hatte eigentlich gar keine gute Ader für Babys, aber Renate war nun mal nicht da.
„Ach so, ja“, ächzte der Chauffeur abermals betreten. „Wie unhöflich von mir.“ Er deutete rasch eine Verbeugung an. „Norbert Kühne, mein Name!“ stellte er sich vor und dann klärte er Margrit über den Grund seines Kommens auf.
Als er geendet hatte knurrte Margrit verdrießlich: "Soso, Günther Arendt will mich also noch einmal sprechen! Das ist wirklich sehr interessant, dass er das überhaupt wagt...“ Margrit brach ab, um Atem zu holen, denn allzu heftig war deshalb plötzlich ihr Herzschlag geworden,“... nach alledem, was er mir bereits angetan hat!“ setzte sie jetzt hinzu und plötzlich hatte sie sogar Mühe, die Tränen zurück zu halten.
„Wieso? Äh ... ich verstehe nicht recht?“ ächzte der Chauffeur konsterniert.
„Sie scheinen nicht Bescheid zu wissen!“ zischelte Margrit, lief dabei wieder mit dem Kind auf und ab, dem ganz allmählich die Augen immer kleiner wurden.
„Allerdings!“ knurrte der Chauffeur nun auch etwas ungehalten.
„Nun, vor etwa vier Wochen schickte Günther Arendt den Anführer der Spinnen hierher...“
„Kenne ich, das ist der Mike!“ erklärte der Chauffeur und grinste, denn er mochte die „Spinnen“ eigentlich ziemlich gerne..
„Na, Mike hat dann auch sofort meine Kinder entdeckt. Irgend jemand muss Günther Arendt informiert haben!“ Irmchen war jetzt ganz eingeschlafen und Margrit blieb deshalb stehen.
„Ach, hatten Sie etwa hier ihre Kinder versteckt?“ warf der Chauffeur verdutzt ein, dann schüttelte er fassungslos den Kopf. “Da brauchen Sie sich nicht großartig zu empören. Kinder in unseren Organisationen sind nun wirklich nicht erlaubt!“
„Bei den Spinnen schon!“
„Das mag sein!“
„Aber ich hatte für den Aufenthalt meiner Kinder bezahlt!“ Margrit wischte sich – sehr vorsichtig damit Irmchen nicht wach wurde - mit der freien Hand eine Träne aus dem Augenwinkel.
„Ich glaube nicht, dass sich unser Oberhaupt bestechen lässt!“ entgegnete der Chauffeur jetzt in ziemlich scharfem Tonfall. Doch dann wurde seine Stimme gleich wieder freundlicher, denn eigentlich hatte ja Günther Arendt von ihm verlangt, sich bei Margrit irgendwie einzuschmeicheln. „Aber Sie machen mich neugierig. Wie ist denn diese Geschichte ausgegangen?“ setzte er daher möglichst interessiert hinzu.
„Glücklicherweise war gerade George zugegen gewesen und hatte sich schützend vor die Kleinen stellen können. Er hatte Mike erklärt, dass er die Kinder sofort zu meiner Mutter bringen würde, wenn Mike sie in Frieden ließe!“
„Und?“
„Wollte Mike natürlich nicht ... ach George, erzählst du jetzt den Rest, bitte?“ Margrit legte das Kind, das nun ganz fest eingeschlafen war, sehr behutsam in einen Korb, welcher auf dem Boden in einer ruhigen Ecke der kleinen Kammer stand.
Der Chauffeur unterdrückte einen Seufzer, denn eigentlich wollte er ja so schnell wie möglich aus diesen unterirdischen Tunneln verschwinden, und wendete sich George mit scheinbar aufmerksamer Miene zu.
„Okay!“ begann George. „Na ja, das Ganze war im Grunde gar nicht so schlimm!“
Abermals seufzte der Chauffeur unauffällig.
„Jetzt untertreib bitte nicht George, ja!“ Margrit putzte sich sehr gründlich die Nase mit Taschentuch, das sie gerade hervorgeholt hatte.
„Nun, es kam dabei zu einem kleinen Kampf“, erklärte George unwillig, „bei dem Mike unterlag!“
„Kleiner Kampf, hehe ... typisch George!“ kicherte Gesine.
„Und warum erzählst du ihm nicht die Sache mit dem Messer?“ fauchte Margrit. „Mike hatte doch plötzlich sein Messer gezogen, der hinterhältige Mistkerl, obwohl es verboten ist, untereinander mit Waffen zu kämpfen.“
„Nun mal ruhig Blut ja?“ fiel ihr der Chauffeur ins Wort.
„Margrit aber Recht!“ bestätigte Gesine ebenso aufgeregt. „He George, der Mike hätte dich mit diesem Messer echt verletzen können!“
George grinste schief. „Ja und? Hat der doch nicht geschafft! He, so ist Mike nun mal, kann eben überhaupt nicht verlieren.“
Gesine kicherte verwirrt, hingegen schienen Margrits Augen kleine Blitze nach George zu werfen.
„Ja und?“ beantwortete der Margrits Blicke. „Jetzt hat der halt eine weitere Narbe im Gesicht. Ist mir leider passiert bei diesem Gerangel ... tja, das hat er nun davon!“ George zuckte die breiten Schultern.
„Na, wenn die Kinder bei Ihrer Mutter sind“, meldete sich jetzt wieder der Chauffeur, „ist das wohl nicht allzu schlimm, oder? Sie können doch Ihre Kleinen jederzeit besuchen.“
„Da hat er nun wirklich Recht!“ mokierte sich Gesine.
“Aber“, Margrit schluckte, „ich sehe die Kinder jetzt nur noch gelegentlich, weil ich hier so viel zu tun habe und ... he, sie fehlen mir halt!“ setzte sie richtig trotzig hinzu.
„Entschuldige schon“, knurrte George jetzt ebenso verdrießlich wie Margrit, „aber du hast dich wirklich affig! Es geht doch sowohl deiner Mutter als auch deinen Kindern derzeit wirklich nicht gerade schlecht! Habe neulich sogar von deinen eigenen Lippen vernommen, dass sich Muttsch inzwischen sogar eigenhändig Fleisch zu erjagen versteht.“
Margrit runzelte nun erst recht die Stirn. „Na, das ist es ja gerade, was ich nicht begreifen kann. Seit wann ist Muttsch mit ihren schlechten Augen dazu fähig sich Wild zu schießen? He, und wie macht sie das Anschleichen mit ihren alten Knochen? Beim letzten Besuch ist mir sogar Munk untreu geworden. Der wohnt jetzt wegen der vielen Fleischreste ebenfalls bei Muttsch.“
„Wer ist denn hier Munk?“ erkundigte sich der Chauffeur verdutzt.
„Och, nur eine Katze!“ erklärte Gesine kichernd.
„Ein Kater!“ verbesserte sie George.
„Etwa deeer berühmte Kater, dieses total verjüngte Geschöpf?“ Der Chauffeur konnte nun auch ein kleines Schmunzeln kaum unterdrücken. „Aber was ist denn an der ganzen Sache so tragisch?“
„Ach, Muttsch und die Kinder tun inzwischen immer so geheimnisvoll“, jammerte Margrit. „Wenn ich sie auch nur irgend etwas frage, ist aus ihnen keine vernünftige Antwort mehr heraus zu bekommen!“ Margrit wischte abermals an ihren Augen herum. “Das ist doch alles irgendwie verrückt, oder? Also, ich sage euch, hier kommt man noch wegen der komischen Hajeps restlos durcheinander!“
George und Gesine konnten Margrit noch immer nicht so richtig zustimmen, dafür aber der Chauffeur. “Nun, eben wegen dieser hochgefährlichen und tückischen Hajeps schickt mich ja Günther Arendt zu ihnen, liebe Marina...“
„Margrit“, verbesserte sie ihn und schnäuzte nochmals in ihr Taschentuch. „Aber, was will er denn mit mir? Wobei soll ich ihm denn helfen?“
„Es geht um ihre letzte Begegnung mit Hajeps, insbesondere um Munjafkurin und Warabaku, dem Offizier einer nicht zu kleinen uns bekannten Einheit, die wir bei uns im Fachjargon mit ´H-1´ bezeichnen!" brachte der Chauffeur ziemlich aufgeregt hervor.
„Ha, Gesine, hast du etwa wieder alles herum erzählt?“ fauchte Margrit. „Also wirklich, manchmal hasse ich das richtig!“
Gesine senkte nun doch ein bisschen verlegen den Kopf.
„He, nehmen Sie doch Gesine mit“, schmetterte Margrit plötzlich zornesrot hervor, „die plaudert anscheinend
so gern!"
„Das ... äh ... haben wir bereits getan! Aber nun sind Sie an der Reihe!“
„An der Reihe!“ äffte Margrit ihn spöttisch nach. „Ich weiß gar nicht, was ihr habt. Günther Arendt hat doch so viele Menschen nach Zarakuma geschickt ... die dürften doch inzwischen einen immensen Berg an neuem Wissen über die Hajeps an unsere Wissenschaftler weitergereicht haben."
„Es war zwar viel, aber leider nur Unbedeutendes ... und das nutzt uns so gut wie nichts!"
„Tja, schlau sind sie eben, die Hajeps! Und was nun?"
„Eher tückisch! Kommen Sie mit! Es geht um unser Volk!"
„Soso, es geht schon wieder um unser Volk!“ knurrte Margrit. „Das sind eigentlich immer die typischen Worte, die unser werter Herr Präsident anwendet, wenn er erreichen will, dass ich mich doch noch dazu durchringe nach Zarakuma zu gehen.“ Margrits lebhafte Augen blitzten den Chauffeur richtig feindlich an. „Wenn er so etwas vorhaben sollte, sage ich ihnen gleich, dass Sie es sich sparen können mich mitzunehmen, denn ich bin nicht lebensmüde!“
„Nein, nein, dergleichen verlangt Herr Arendt natürlich nicht von ihnen“, wehrte er aufgeregt ab. „Es ... äh ... dreht sich wirklich nur um eine Auskunft. Na ja, so ganz genau weiß ich das natürlich nicht“, räumte er ein. „Wer kennt schon die Pläne unseres Befehlshabers!“
„Werde ich auch pünktlich wieder zurück gebracht?“ fragte Margrit skeptisch. „Denn George und ich wollten noch einige Besorgungen machen, bevor es dunkel wird.“
„Margrit, sei nicht so frech“, knurrte George jetzt echt verärgert. „Günther Arendt ist unser höchstes Oberhaupt. Auch wenn wir Menschen von den Hajeps besiegt worden sind, so hat er hier noch einige Macht. Du verdankst ihm deinen Aufenthalt hier und wenn er von dir verlangt, dass du umgehend bei ihm zu erscheinen hast, dann ist das wie ein Befehl, dem du Folge zu leisten hast, und die Besorgungen mache ich schon alleine. Ich werde mich bemühen, damit schnell fertig zu werden und dann brauchen Sie, mein werter ... äh ... wie war doch gleich ihr Name?“
„Och, könnt mich ruhig beim Vornahmen nennen, so wie hier alle. Bin der Norbert!“
„Also, Norbert, du brauchst Margrit nicht zurück zu bringen. Ich hole sie nämlich ab, ist für mich ein Abwasch sozusagen!“
„Na schön, wenn ihr euch so im Klaren seid, was ihr mit mir machen wollt, werde ich wohl gehorchen!" Margrit beugte sich noch einmal zärtlich zu Irmchen hinab. „Artig sein ohne mich!“ wisperte sie.
„Das wird sie ganz bestimmt!“ bemerkte Gesine. „Besonders, weil nun ich immer nach ihr schauen werde.“
„He, du Drückeberger, solltest du nicht eher dem Nölke beim Verziehen junger Salatpflänzchen helfen?“ Margrit zwinkerte Gesine zu, doch die schaute schnell weg. Margrit seufzte und deckte das Kind mit einer weichen Decke zu, die sie an den Zipfeln und am Korb festband, damit sich Irmchen nichts über den Kopf ziehen konnte.
„Gock, gooock, gock, du Glucke!“ machte Gesine und bewegte dabei ihre Finger, als wären sie ein Schnabel.
„Weißt du was? Das, was ich mache, geht dich einen feuchten Schmutz an! Sei lieber froh, dass ich hier bin!“
Margrit überhörte Gesine einfach. „Es wird aber nur ein kurzes Gespräch sein", wandte sich sie sich stattdessen wieder an den Chauffeur und machte dabei leise die Tür hinter sich zu, „ein GANZ kurzes, und es wird nicht viel dabei herauskommen!"
„Und wenn nicht viel dabei herauskommt, so wird es vielleicht mehr sein, als wir erwarten!" meinte der Chauffeur leise.
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Nach einer etwa einstündigen Fahrt war Margrit da. Es war ein wunderschönes Rathaus vor dem sie hielten, vor allem da dieses alte Gebäude mitten in Kitzingen noch völlig unbeschädigt war, ebenso sämtliche anderen Häuser in dieser herrlichen Stadt. Margrit atmete auf, denn das war für sie ein völlig überraschender, neuer Anblick. Wenn man hier so stand, mitten auf dem großen Platz, umgeben von kostbaren Säulen und Skulpturen, konnte man meinen, es gäbe keine Hajeps, die Erde wäre nie von Außerirdischen erobert worden. Es gab auch noch viele Läden, in denen Händler für Lebensmittel Sachen eintauschten und umgekehrt. Am teuersten, so erklärte der Chauffeur, wäre natürlich Treibstoff, denn die Versorgung mit dem, was in den Tanks in den verlassenen Städten und Dörfern übrig geblieben ist, wäre durch die stark zerstörten Straßen ziemlich aufwändig. Dann beklagte er, dass sein Handy nicht mehr richtig funktionieren würde. Es hätte zeitweilige Ausraster und niemand hätte Lust es zu reparieren. Die Arbeitskraft der Menschen war durch die ständige Angst gelähmt. Die Zahl der ungepflügten Äcker, verwahrloster, verlassener Häuser und herumliegender Müll, der in einigen Bezirken trotz der jetzt friedlichen Zeiten dem Betrachter ein beklemmendes Bild bot, wurde immer mehr. Hier aber - vor und im Rathaus - war es noch schön. Zwar war der Fahrstuhl defekt, aber die Trep¬pen waren mit weichen Teppichen ausgelegt und fast alle Lampen funktionierten noch.
Margrit keuchte und schnaufte ein wenig, als sie endlich in der obersten Etage angelangt war. Kaum, dass sie geklopft hatte, wurde die Tür auch schon aufgerissen und Günther Arendt begrüßte Margrit überschwänglich, indem er beide Arme ausbreitete und die schlanke Gestalt an sich drückte. „Ach, Margrit, Sie glauben ja gar nicht, welch ein Felsbrocken mir vom Herzen gefallen ist, weil ich Sie endlich vor mir stehen seh´!"
Mit einer knappen Handbewegung forderte er sie auf, ihm gegenüber am großen Schreibtisch in einem der tiefen Sessel Platz zunehmen, und er bot ihr sogar eine der selten gewordenen und daher kostbaren Zigaretten an. Margrit lehnte dankend ab, ließ sich aber wohlig in den Sessel zurückfallen und ihr Blick wanderte staunend durch den von großen Fenstern lichtdurchfluteten Salon.
„Ach das ist gar nichts gegenüber dem unvorstellbaren Prunk der Hajeps!" wehrte der Präsident bescheiden ab und lachte verkrampft. Er schien sich etwas unbehaglich Margrit gegenüber zu fühlen, die ihn aufmerksam und fragend ansah. Margrit wusste, dass in der Nähe Zarakumas etliche Städte noch völlig unversehrt waren und dass Günther Arendt von einer dieser Städte zur anderen zog und den Menschen auf diese Weise bewies, dass sie noch ein Oberhaupt hatten, an welches sie glauben konnten.
Er faltete ein wenig linkisch seine Hände über dem blankpolierten Tisch und stützte sein Kinn auf diese Faust, um sich besser zu konzentrieren und begann dann vorsichtig: „Sie werden sich vielleicht wundern, weshalb ich Sie so eilig herbestellt habe..."
„Allerdings!“ erwiderte sie knapp, denn sie war ihm eigentlich noch immer ein bisschen gram.
„Nun, ich bin nicht zufrieden, überhaupt nicht mit dem zufrieden, was sich in letzter Zeit so alles ereignet hat!“ begann Günther Arendt leise. „Auf der einen Seite sieht es zwar noch immer recht gut für uns aus, auf der anderen aber ganz und gar nicht! Nur ein kleines Beispiel dafür: Die Hajeps schweigen plötzlich, keinerlei Nachrichten! Verstehen Sie das? Ich meine, das ist doch irgendwie nicht normal!“
„Da bin ich ganz ihrer Meinung!“ Sie lehnte sich beinahe vorsichtig in dem weichen Sessel zurück. Welch ein herrliches, fast vergessenes Gefühl nach all diesen Jahren.
„Sehen Sie, Margrit, ich frage Sie...“, er brach ab, schob sich ziemlich nervös das strähnige Haar aus der gelichteten Stirn, ehe er weiter sprach. „... kann man einem Hajep trauen?“
Sie schaute noch immer ein wenig abgelenkt endlich in sein Gesicht, das ihr erstaunlicherweise nicht nur blass, sondern auch ziemlich unausgeschlafen erschien. „Nein!“ sagte sie stirnrunzelnd.
„Das war eine klare Antwort und die ist für mich sehr wichtig“, erklärte er laut. „Zwar sieht für den Normalbürger noch immer alles friedlich aus, jedoch ist es nicht direkt unnatürlich friedlich?“
„Weiß nicht.“ Sie löste ihre Augen von den herrlichen Mustern der Zimmerdecke.
„Die Hajeps haben den Überfall durch Loteken auf Zarakuma so locker weggesteckt, als wäre nichts gewesen. Allerdings haben sich die Loteken noch immer nicht völlig aus den hajeptischen Gebieten verzogen, verhalten sich aber still. Nach wie vor schicken wir Menschen nach Zarakuma, die noch immer reich beschenkt heimkehren. Es hat kein größe¬res Gefecht gegeben, in welches wir noch hätten mit hinein gezogen werden können. Das alles dürfte uns doch eigent¬lich sehr gefallen!“ Der Ministerpräsident ließ sich mit melancholischem Blick ebenfalls in seinen Sessel zurückfallen. „Natürlich bin ich in gewisser Weise froh, dass die Menschheit insgesamt für ein Weilchen Ruhe vor den furchtbaren Attacken der Hajeps hat, denn jeder Tag zählt, den wir leben können, doch wie geht es weiter?“
„Wieso fragen Sie sich das plötzlich?“
„Na, diese außerirdischen Biester planen doch irgendetwas!“ sagte er mit herabhängenden Mundwinkeln. „Es ist alles viel zu ruhig, wissen Sie.“ Er beleckte sich die trockenen Lippen. „Das Ganze ähnelt auffallend der Ruhe vor einem Sturm!“ er holte tief Atem. „Ich sage ihnen: Dieser Oten schätzt Überraschungen! Der holt ganz plötzlich aus und gibt nicht nur den Loteken und Jisken eine saftige Ohrfeige ... wir Menschen bekommen dabei auch eine, die werden wir allerdings nicht mehr überleben, denn er will uns ganz nebenbei ausrotten!“
„Uns Menschen auch?“ Ihr Herz krampfte sich zusammen und sie fuhr mit dem Oberkörper hoch. „Weshalb? Wir haben uns doch weder mit Jisken noch mit den Loteken verbrüdert, nicht mal entflohene Sklaven haben wir bisher bei uns versteckt! Welche Anzeichen gibt es dafür?“ fragte sie fassungslos.
Der Ministerpräsident richtete sich ebenfalls wieder auf, lehnte sich weit über den Schreibtisch zu Margrit hinüber und sah ihr trostlos in die Augen. „Manchmal denke ich: Günther, das alles, was du weißt und welches außer dir nur ganz wenige wissen, hältst du bald nicht mehr aus ... das wird dich eines Tages noch völlig zerreißen und die anderen, die es mit dir gewusst haben, ebenfalls! Tja, es gibt leider bereits die schrecklichsten Anzeichen dafür, Margrit!“ wisperte er, plötzlich wieder sehr leise, und kleine Schweißperlen traten dabei auf seine Stirn.
„Nananaaaa...“, Margrit streichelte beruhigend seine Hand, die jetzt einen Kugelschreiber ergriffen hatte und lauter kleine, fahrige Pünktchen auf dem oberen Rand eines Ordners malte, "... was haben wir denn auf einmal, hm?“ Aber er malte einfach weiter und schwieg beharrlich.
„Na los...“, flüsterte sie sanft, „... rücken Sie endlich raus damit! Das wird mich schon nicht umhauen, klaro?“ Sie dachte schließlich scharf nach und brachte dann endlich stockend hervor: „Ist vielleicht inzwischen ... irgendetwas Furchtbares mit den Menschen ... die Sie nach Zarakuma geschickt haben ... passiert?“ Ach, sie merkte, dass ihr dabei wieder dieser schreckliche Klos im Halse aufstieg. Und schon hatte sie auch wieder die furchtbaren Bilder Mariannas vor Augen.
Günther Arendt schaute Margrit immer noch nicht an, als er langsam und zögerlich nickte. „Die hajeptischen Wissenschaftler...“, keuchte er, während er die Punkte sorgfältig in große Kringel verwandelte, „... meinen, inzwischen end¬gültig erkannt zu haben, dass die Gene unserer Spezies sich absolut nicht mit denen der Hajeps verbinden lassen. Ihre ganze Mühe, die vielen Versuche und Tests waren also vergeblich!“
„Ja und?“ rief Margrit noch immer irritiert. „Das wissen wir doch längst und das ist doch wohl noch lange kein Grund, Menschen“, sie hielt inne, versuchte dabei vergeblich diesen schrecklichen Klos herunterzuschlucken, „die ganz friedlich nach Zarakuma kommen, schlecht zu behandeln!“ Ach, ihr Herz schlug plötzlich wieder wie rasend. „He, was ist denn mit diesen Leuten passiert?“
Seine Hand hielt endlich still, der Kugelschreiber fiel klappernd aus den schlaff gewordenen Fingern und rollte vom Tisch. Das kümmerte den Ministerpräsidenten wenig, er ließ sich wieder in den Sessel zurückfallen. Völlig in sich zusammen gesunken begann er endlich mit kaum hörbarer Stimme: „Margrit, ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, dass sich die Hajeps dazu bekennen kaum Gefühle zu haben.“
„Doch, das ist mir bekannt!“ entfuhr es ihr ebenso luftknapp. „Aber was hat das mit uns zu tun?“
„Aha, es ist schon mal gut, dass Sie das wissen.“ Er atmete tief durch. „Hajeps behaupten also, dass ihre Empfindungen nur auf ein Minimum beschränkt sind. George hatte mir das neulich so erklärt: Sie spüren nur sehr starke Reize und sie scheinen daher regelrecht neidisch auf andere Völker zu sein, weil sich die noch an Dingen zu erfreuen vermögen, welche die Hajeps längst als langweilig und eintönig abgetan haben. Phantasie zum Beispiel oder die zarten Gefühle bei Betrachtungen, etwa die Freude über die Schönheit der Pflanzen und Tiere, das Entspannen bei lieblicher Musik, das alles ist ihnen fremd. Hingegen harte Rhythmen, laute, schrille Töne, grelle Farben, scharfe Speisen, dazu möglichst massiv ausgelebter Zorn, lassen sie erst spüren, dass sie überhaupt leben.“ Der Ministerpräsident schwieg wieder für einen Moment und faltete die Hände in seinem Schoß. „So, und nun dürfen Sie raten, wie die Außerirdischen letzte Woche mit den Menschen, die nach Zarakuma kamen, umgegangen sind - na, was meinen Sie?“
Margrits Augen weiteten sich, ehe ihre Lippen die schrecklichen Worte formen konnten: “Begegneten sie ihnen etwa mit völlig grundlosem Hass?“
„Nun, als so grundlos sehen die Hajeps ihren Hass wohl nicht an. Außerdem hielten sie noch nie sonderlich viel von den Menschen und nun haben wir auch noch völlig versagt, weil wir ihnen bei der Züchtung neuer Kreaturen mit unseren Genen nicht helfen konnten.“
„Nein“, krächzte Margrit fassungslos, „es sind doch erst fünf Wochen vergangen, seit ich Munjafkurin und diesem Wara ... na ... Dings begegnet bin. Damals haben die noch darüber debattiert, dass sogar einige ihrer Hajeps und Hajepas sich nicht damit abfinden wollen, ihre Menschen für nur drei Tage haben zu dürfen.“
„Dieser Offizier von H1 heißt übrigens Warabaku und das, was Sie da sagten, mag es auch heute noch geben, aber die meisten dieses merkwürdigen Volkes sind der Lumantis inzwischen überdrüssig geworden. Margrit“, krächzte er, „bisher haben uns die Hajeps unseren Lebensraum genommen, dann unsere Technik, dann unsere Infrastruktur und nun auch noch unseren Stolz!“
„Stolz? Wieso Stolz? Was ... äh ... meinen sie damit?“ ächzte Margrit verwirrt.
„Na, es ist inzwischen schon eine große Ehre, Menschen für nur noch einen Tag nach Zarakuma schicken zu dürfen!“
„Waaas? Aber Sie schicken doch niemanden mehr dort hin, oder?“ ächzte sie verzweifelt.
Er schien nach Worten zu suchen und dabei irgendwie mit den Tränen zu kämpfen. „Doch, das tue ich, Margrit!" sagte er endlich.
Sie schluckte, doch dann wurde sie wütend. „Also, das kann ich einfach nicht begreifen!“ fauchte sie. „Warum machen Sie denn so etwas? Ganz im Gegenteil sollten die Menschen künftig gewarnt werden! Dann hätten Sie und ihre Leute auch endlich ihren Seelenfrieden und...“
Da begann der Ministerpräsident plötzlich wie ein Wahnsinniger laut und schrill zu lachen. Die mühsam zurück gehaltenen Tränen ließen sich nicht mehr aufhalten und liefen ihm über das erschöpfte, ausgemergelte Gesicht. Verstohlen wischte er sie sich schließlich von den Wangen und rang nach Luft. „Oh Margrit, Ihre Bemerkungen sind manchmal wirklich zu köstlich!“ Er räusperte sich energisch und sah sie nun finster und sehr zornig an.
„Inzwischen MÜSSEN wir nämlich immer wieder eine gewisse Anzahl Menschen nach Zarakuma schicken, sonst ist es mit der gesamten Menschheit aus!“
„Wer sagt das?“
„Die Obrigkeit Zarakumas! Sie drohen uns einfach und das können sie sehr gut, weil sie eben die besseren Waffen haben.“
„Ein Menschenopfer an die Hajeps, an die allmächtigen Götter also?“
Günther Arendt nickte verzweifelt.
Margrit wollte wütend von ihm abrücken, doch der Sessel war zu schwer, verhakte sich leider im Teppich.
„Was sollte ich denn sonst machen?“ ächzte er und ließ die Arme schlaff zu beiden Seiten seines Sessels baumeln. „Es ist so furchtbar, wehe es gelingt diesen Menschen nicht, unserem Feind Freude zu bereiten, dann sind sie für immer verloren!“ Er vergrub sein erhitztes Gesicht für einen Moment in seinen großen Händen und fuhr sich dann mit einer fahrigen Geste wieder über Stirn und Haar. „Ach, was habe ich inzwischen schon für entsetzlich zugerichtete Menschen gesehen und mit ihnen sprechen müssen.“ Seine Augen flackerten merkwürdig und die Lider schimmerten abermals feucht. „Die meisten sterben“, krächzte er, „kaum, dass man sie auf einer Bahre von Zarakuma abgeholt und zu mir gebracht hat.“ Er schluchzte nun wie ein Kind hinter seiner vor dem Mund gehaltenen Hand. „Die Augen dieser Menschen, ich werde sie nie vergessen, wie sie mich ansahen. Margrit, ich habe sehr wohl ein Gewissen, denn ich fühle mich wie ein Verbrecher und alles kam so plötzlich, ich hatte nicht mit solch einer Wandlung unseres Feindes gerechnet ... aber Sie haben Recht, ich hätte es mir denken sollen!“ Er lehnte den Kopf nach hinten, blickte starr zur Decke, die Hände zu Fäusten geballt und versuchte sich so zu beruhigen.
Margrit bemühte sich ebenfalls die Fassung zu behalten, aber irgendetwas in ihrem Magen rumorte unangenehm.
„Was ist mit Oworlotep?“ fragte sie schließlich.
„Oworlotep, Oworlotep!“ brabbelte er und fuhr mit dem Oberkörper hoch. Er blickte drein wie ein zorniger Junge. „Was haben Sie bloß mit dem! Ich weiß nur, dass er erst kürzlich mitten in Würzburg Begadam begegnet ist und den sofort eigenhändig aufgeknüpft hat.“
„Begadam?“ wiederholte Margrit erstaunt. „Er hat sich also den engsten Vertrauten und Freund Chiunatras geschnappt und gleich an Ort und Stelle ... er ... erhängt?“
„Richtig und zwar mitten in der Nacht und recht dekorativ! Begadam soll am nächsten Morgen irgendwie lustig ausgesehen haben, wie er da so baumelte. So haben mir das jedenfalls Mike und Jonas geschildert.“
„Furchtbar“, ächzte Margrit fassungslos. „Oworlotep ist wirklich der reinste Wüterich! Das hat er bestimmt aus Rache dafür gemacht, dass Chiunatra gemeinsam mit Begadam und Gulmur durch diesen mutigen Anschlag auf Zarakuma so viele Gefangene befreien konnten. Aber vielleicht war das ja auch gar nicht Oworlotep, der Begadam so einfach...“
„Sämtliche Gefangenen konnten sie übrigens nicht befreien. Die anderen waren nämlich in einem Gefängnistrakt tief unter der Erde eingesperrt, was weder Chiunatra noch Begadam gewusst hatten - aber warum reden sie sich Oworlotep schön, Margrit?“ Günther Arendt lehnte sich wieder umständlich über den Schreibtisch. „Stört es Sie etwa, dass er eine reißende Bestie sein könnte? Oworlotep scheint eine höchst gefährliche Kreatur zu sein und großen Einfluss in den hajeptischen Armeen zu haben, das sollten Sie wirklich wissen.“ Er ächzte plötzlich, denn sein Bein war eingeschlafen und er bewegte es hin und her. „Leider wissen wir noch immer nicht, welche Position er im hajeptischen Volke hat. Sie scheinen ihn zu mögen!“ setzte er plötzlich hinzu.
„Das nicht gerade, aber...“, sie brach ab.
„Aber?“ hakte er gespannt nach.
„Ich weiß nicht ... irgendwie sehe ich Hoffnung in ihm!“
„Ich denke, sie trauen keinem Hajep über den Weg? Verdammt, Margrit, Sie wiedersprechen sich ja völlig!“ Der Präsi¬dent kicherte plötzlich wieder hysterisch. „Ausgerechnet in Oworlotep noch irgendeine eine Hoffnung zu sehen ... tzissis!“
„Ich kann mir das auch nicht erklären ... aber ich denke ... ich meine ...“
„Wenn Sie so auf Oworlotep setzen, warum sind Sie dann nie nach Zarakuma gegangen?“ donnerte er plötzlich zornig los.
Sie senkte schuldbewusst den Kopf. „Ich ... also ... na ja“, Margrit ruckelte unruhig in ihrem Sessel hin und her
„habe eben irgendwie Angst vor ihm!“
„Sehr verständlich, die hätte ich inzwischen auch“, räumte er kleinlaut ein, „denn nach allem, was ich inzwischen so über ihn gehört habe, scheint er einen großen Einfluss in Scolo auszuüben und sogar von Pasua mehr als geduldet zu sein. Loteken und Jisken fürchten ihn gleichermaßen, denn er scheint nicht nur unberechenbar sondern auch ganz außerordentlich gefühlskalt zu sein. He, dass Sie damals ausgerechnet dem entwischen konnten, das wird ihm nicht gefallen haben!“
Sie überging seine letzte Bemerkung. „Sie meinen also Oworlotep ist Gnoa?“ erkundigte sie sich stattdessen neugierig.
„Das will ich damit nicht gesagt haben. Neueste Nachforschungen haben nämlich gezeigt, dass Atabulaka in Wahrheit der Oten ist.“
„Ata ... wer?“
„Atabulaka, Margrit!“
„Atabulaka!“ wiederholte Margrit verdutzt. „Wie kommt es, dass ich diesen Namen noch nie gehört habe?“
„Das ist doch klar und die ganze Zeit Absicht unseres Feindes gewesen, doch nun kommt dieser Name doch an die Öffentlichkeit. Atabulaka hatte ganz bewusst Gerüchte verbreiten lassen, die besagten, dass Oworlotep, jener Agol, das höchste Oberhaupt Pasuas wäre, weil sich Atabulaka damit gegen Attentate schützen will!“
„Also wissen noch nicht einmal die Jisken, geschweige denn die Loteken, wer nun wirklich der besagte Agol, der großartige Oten, ist und Atabulaka benutzt Oworlotep sozusagen als sein Schild?“ fragte Margrit einfach weiter
„Tja, so könnte man das nennen!“ Günther Arendt kratzte sich ein wenig linkisch hinter dem Ohr. „Wir werden uns immer sicherer, dass Atabulaka jener Kopf ist, von dem so viel gesprochen wird. Zwar hat er mehr und mehr Schwie¬rigkeiten mit den Jisken und Loteken, aber ich bitte Sie, wer hätte die inzwischen nicht? Wir haben es ja schon oft genug über die Nachrichten erfahren, sowohl die Jisken als auch die Loteken sind wie kleine Schmeißfliegen im Seidenmantel des Oten. So nach und nach sind dann auch die drei Mandios und sogar der Undasubo - mein Gott!“ Er sah plötzlich fragend und ratlos drein.
„Jaa?“ horchte Margrit gespannt.
„Wir wissen ja plötzlich gar nicht mehr, wer derzeit unser Undasubo ist! Gisterupa ist nämlich kürzlich abgesägt worden, angeblich, weil der heimlich mitgeholfen hatte, dass die Gefangenen aus Zarakuma entkamen ... na, egal - jeden¬falls dürfen Sie raten, wer die neuen Mandios eingewiesen hat ... na?“
„Oworlotep?“
„Mein Gott!“ schnaufte er. „Der natürlich nicht! Überall hatte Atabulaka seine Hände im Spiel und..."
„Aber im Schlepptau hatte er Oworlotep ... nicht wahr?"
Der Ministerpräsident musste lachen und diesmal klang sein Gelächter weich und entspannt. „Sie wollen unbedingt Oworlotep als Anführer ... warum?“
Margrit errötete, dann zuckte sie mit den Achseln. „Ich weiß auch nicht, aber ich hätte es irgendwie wirklich ganz gerne, das muss ich schon zugeben! Ich würde dann sogar der Menschheit eine Chance zum Überleben geben. He, wenn das so wäre, sollten wir mit Oworlotep und zwar ausschließlich NUR mit IHM sprechen!“
Er starrte sie erstaunt und fassungslos an. „Aber Margrit, was wollen Sie dem dann sagen? Wollen Sie ihm sagen, hi, da bin ich, die Margrit und nun sorge mal dafür, dass ihr endlich die Menschen für immer in Frieden lasst und die Erde - sagen wir mal, so morgen um acht - für immer verlasst?“ Er ließ sich wieder zurück in den Sessel fallen und lachte abermals für ein Weilchen komisch vor sich hin.
„Ja, so ungefähr!“ erwiderte sie trotzdem bockig.
„Das machen Sie mal mit dem!“ er wischte sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln. „Wissen Sie eigentlich, dass die Hajeps sich nach den strengen Regeln eines Kastensystems richten?“ Günther Arendt lehnte die Fingerspitzen seiner beiden Hände nachdenklich gegeneinander. „Die Menschen, welche wir nach Zarakuma schickten, durften bisher nur mit den untersten Kasten Kontakte haben. Ganz selten nur ließen sich auch Soldaten zu ihnen hinab. Sie durften sich nur in dem äußersten Ring der ersten Mauer Doska Jigons aufhalten. Es war ihnen nie erlaubt worden, in die nächsten Ringe oder gar bis in die Mitte Zarakumas zu gelangen. Gespräche wurden kaum geführt“, brabbelte er aufgebracht und seine Hand tastete nervös über den weichen Plüsch seiner Armlehne, “weil wir halt den hohen Maßstäben, nach denen die Hajeps andere Lebewesen zu beurteilen pflegen, in keiner Weise gerecht wurden. George hat mir das neulich so verständlich gemacht: Hajeps sehen Menschen als tierähnliche aber dennoch instinktlose Gattung an, mit zwar besonders sensiblen Qualitäten, die jedoch völlig ziellos ausuferten. Sie meinen, dass unsere viel zu wenig kontrollierte Art zu leben früher oder später eine große Gefahr für alles Leben und somit für den gesamten Planeten Erde bedeuten wird. Der Mensch an sich würde viel zu wenig über sich selbst, über seine Umgebung und über die Zukunft nachdenken - dies wäre ein untrügliches Zeichen für seine ´gejakin´ - Hirnrissigkeit!“
„So eine Frechheit!“ schnaufte Margrit empört. „Ha, das ist wieder mal typisch für Georges komische Übersetzungen und Auslegungen!“
Günther Arendt hob abwehrend die Hand. „Margrit, sagen Sie nichts gegen George. Der ist nämlich einer meiner besten Profiler.“
„Ach, auf einmal!“ grinste sie.
„Grinsen Sie nicht, außerdem gibt es nur noch einen, der ihm ebenbürtig ist.“
„Ach nein, und wer ist das?“ Margrit schaute sich dabei zynisch nach allen Seiten um.
Er räusperte sich fast feierlich, sah Margrit fest an, fuhr dann jedoch in sachlicher Tonlage fort. „Es ist der einzige Profiler den wir haben, der bis an die Spitze der Macht kommen könnte, wenn er nur wollte ... Margrit, ich setze auf Sie ... Sie sind unsere einzige Hoffnung, unsere Chance! Denn wer anderes könnte direkt in Lakeme, dem Sitz Pasuas und Scolos, also mitten ins Herz Zarakumas eindringen als Sie?“
Margrit runzelte die Stirn. „Sie fangen ja doch wieder mit diesem Thema an und ihr Chauffeur versprach mir...“
Günther Arendt hob abwehrend gleich beide Hände als wolle er sich ergeben. „Nichts für ungut Margrit, war ja nur eine kleine, launige Bemerkung von mir. Ich wollte Ihnen nur damit andeuten, was allein Sie vollbringen könnten.“
Sie schluckte. „Und wenn ich nicht lebend wiederkäme?“
„Dann ... tja ... dann...“, er zuckte hilflos mit den Schultern und seine roten umrandeten, unausgeschlafenen Augen begannen seltsam zu glänzen. Er ließ sich zurück in den Sessel fallen, schloss die Lider, versuchte ruhiger und ausgeglichener zu atmen. „Sie könnten es aber für uns tun, Margrit! Sie könnten die Hajeps stoppen, bevor sie mit ihren scheußlichen Manövern beginnen! Ich weiß, dass Sie das könnten. Sie haben die einzigartige Gabe, mit diesen sonderbaren Außerirdischen engeren Kontakt aufbauen zu können. Vielleicht könnte ich auch noch George schicken, der wohl eine ähnliche Gabe zu haben scheint. Und seien sie ohne Sorge, Munjafkurin würde ihnen dabei helfen!“
„Munjafkurin?“ krächzte sie hoffnungslos.
„Sehr richtig, Munjafkurin, aber auch noch einige andere Hajeps, die ich ihnen noch nennen werde, wollen sie dabei unterstützen! “
„Und woher wissen Sie das alles so genau?“
„Wie Ihnen sicher bekannt ist, hat Gesine ein recht enges Verhältnis zu Munjafkurin.“
„Treffen die beiden sich denn immer noch?“ entfuhr es Margrit erschrocken. „Wie leichtsinnig!“
„Das ist allein Gesines und Munjafkurins Sache. Jedenfalls bot ich eines Tages Gesine an, wenn sie mir alles über Munjafkurin erzählen würde, ihr das zweite Stück von Danox wieder zu geben.“ Günther Arendt stellte nun so ganz nebenbei zu Margrits Verwunderung ein kleines, sonderbares Behältnis vor sich auf den Schreibtisch, welches Margrit komischerweise irgendwie bekannt vorkam. “Sie haben gehört, Danox!“ wiederholte er dabei etwas energischer. „Der kleine Roboter ist jetzt leider zerbrochen und ich müsste Ihnen eigentlich dafür böse sein, dass Sie ihn mir damals nicht gleich gegeben haben als er noch ganz, noch völlig unbeschädigt gewesen war.“ Er drehte und wendete dabei das sonderbare Fläschchen im Licht hin und her und die Flüssigkeit darin änderte, je nachdem wie das Tagelicht darauf fiel, seine Farbe.
Margrit war überrascht, also hatte irgendjemand alles über Danox an Günther Arendt weiter erzählt. Ach, sie konnte sich schon denken, wer derjenige, oder vielmehr diejenige, gewesen war. Sie mühte sich, Günther Arendts Rüge zu überhören, außerdem faszinierte Margrit die komische Flasche. Was wollte der Ministerpräsident jetzt wohl damit?
Doch der schien gedanklich immer noch bei Danox zu sein. „Tja, und wegen Ihnen gibt es jetzt wohl drei Stücke von Danox“, fuhr er leise fort. „Wir Menschen haben nur zwei davon oder...?“ Er sah Margrit plötzlich scharf an. „Margrit, sollten Sie etwa das dritte besitzen und nur vor mir geheim halten?“ Seine langen Finger ließen endlich die Flasche los.
„N ... nein!“ stotterte sie entgeistert. Gesine hatte wohl nicht nur alles verplappert, sondern auch noch eine völlig falsche Vermutung geäußert. Verdammt, wie konnte sie ihn jetzt nur vom Gegenteil überzeugen?
„Lügen Sie mich auch nicht an?“ knurrte er und war dabei aufgestanden und um den Schreibtisch herum gelaufen.
„He ... warum sollte ich das tun?“ krächzte sie. Er näherte sich ihr nun von hinten. Komischerweise lief Margrit deshalb ein Gänseschauer den Rücken hinab. „Das ... äh ... dritte Teil wird wohl noch immer irgendwo im Walde herum liegen, nehme ich stark an!“ setzte sie ziemlich hastig hinzu.
„Kann ich Ihnen das auch glauben, Margrit?“ Ganz langsam legte er seine Hände auf ihre Schultern
“D .. doch, ich war bisher immer ehrlich!“ Unpassenderweise meinte sie jetzt auch noch, eine Tür in der Nähe klappen zu hören. “He, ganz im Ernst!“ ächzte sie. „Wenn ich dieses kleine Stückchen von Danox noch hätte, würde ich es ihnen ganz bestimmt geben ... nach all dem Schrecklichen, was Sie mir bereits erzählt haben.“
Vom Flur tönte inzwischen Stimmengeraune bis hierher und dann vernahm sie auch Schritte. Kamen Günther Arendt jetzt etwa auch noch Leute zur Hilfe? Warum hatte er die komische Flasche auf den Tisch gestellt? Was konnte er damit vorhaben?
„Und?“ fragte sie, um ihn irgendwie von diesem grässlichen Thema abzulenken. „Hatten Sie nun bei Munjafkurin Erfolg?“
„Sehr!“ Seine kalten Finger ließen überraschenderweise ihre Schultern los und er begann stattdessen, auf dem weichen Perserteppich rastlos hin und her zu laufen. Währenddessen wurde auch die Tür von dem Raum nebenan aufgerissen, das Stimmengemurmel wurde erheblich lauter. Irgendjemand wurde wohl begrüßt und dann klappte die Tür wieder zu. Margrit atmete erleichtert aus. Wieder fiel ihr Blick auf die komische Flasche. Was hatte Günther Arendt wohl damit vor?
„Zu meiner Freude erfuhr ich“, berichtete der Ministerpräsident derweil weiter, „dass nicht nur Munjafkurin, sondern auch viele seiner Kameraden ihr eigenes System hassen.“
„Wie das?“ fragte sie und rätselte still bei sich, was das wohl für eine merkwürdige Flüssigkeit in dem seltsamen Behälter sein könnte. „Warum hassen die Hajeps ein System, das ihnen ganz offensichtlich großen Luxus bietet und sie so mächtig gemacht hat?“
Günther Arendt blieb vor einem seiner großen Fenster stehen und schaute zum Park hinab. „Nun, zumindest Munjafkurin scheint wirkliche Gründe für seinen Hass zu haben“, sagte er leise.
Margrit beugte sich vor, um das flaschenartige Gebilde noch etwas gründlicher in Augenschein zu nehmen. „Sie dürfen übrigens diesen verrückten Behälter ruhig anfassen, Margrit!“ ermunterte er sie, doch sie schüttelte nur abwehrend den Kopf. Das Ding sah irgendwie gefährlich aus, andererseits ähnelte es irgendwie einem kleinen Nagellackfläschchen. „Oh Gott“, ächzte sie betroffen, „habe ich Ihnen dieses Ding nicht damals selber angeschleppt?“
„Sehr richtig!“ Er wendete sich vollends zu ihr herum und sah dabei ziemlich bekümmert aus. „Ich wollte Sie testen, Margrit. Schade, dass ihnen das wieder eingefallen ist!“
„Wieso schade? Das ist doch gut! He, dieses Fläschchen ... ich darf ich es doch ruhig so nennen?“
„Durchaus, denn es sieht ja, auch wenn es ein wenig seltsam geformt ist, eigentlich diesem verdammt ähnlich!“
„Also dieses Fläschchen kam von den Jisken“, fuhr sie aufgeregt fort. „Georges Cousin Robert hatte es unter die Menschen geschmuggelt und ich habe es Ihnen damals gegeben, doch Sie wussten nicht, wie man es öffnet, aber wohl schon, dass darin ein gefährliches Serum enthalten sein müsste, womit man die Hajeps infizieren könnte. Doch auf welche Weise, war Ihnen noch nicht so recht klar.“
„Donnerwetter, das wissen Sie also auch noch!“ rief er mit ehrlicher Anerkennung und nahm wieder im Sessel ihr gegenüber Platz. Er zog ein Schubfach auf. „Wie Ihnen sicher bekannt ist“, begann er dabei von neuem und legte eine schmale Pappschachtel zu dem Fläschchen auf den Tisch, „nennt das hajeptische Volk eine recht stabile Gesundheit sein eigen.“
„Das ist mir allerdings überhaupt nicht bekannt“, platzte sie einfach dazwischen. „Oworlotep verriet mir nämlich, dass Hajeps sonderbare Allergien quälen und sie scheinen unter einer furchtbaren Erbkrankheit zu leiden, die ganz allmählich ihre Hände verkümmern lässt.“
„Ja, das schon“, wehrte der Ministerpräsident ziemlich genervt ab, “aber sonstige Krankheiten, welche durch Bakterien oder Viren übertragen werden, wurden auf Hajeptoan bereits vor Jahrtausenden besiegt, denn die Asabs und Palivane der Hajeps sind nicht nur Ärzte, sie sind gleichzeitig Forscher und Wissenschaftler und wie Jäger hinter allem, was ihr Volk krank machen könnte, hinterher. Und immer, wenn es neue, fremde Planeten zu erobern galt, war es die oberste Pflicht, zuvor winzige Gen-Zellentierchen dorthin zu entsenden, die sofort die meisten Krankheitserreger aufnehmen, indem sie zum Beispiel in das Gefieder vogelähnlicher Wesen kriechen, oder zwischen die feinen Haare der Säuger. Kleine, am Boden liegende, als Steine getarnte Käfige senden dann nach einiger Zeit ein besonderes Duftsignal und fangen die Zelltierchen auf diese Weise wieder ein.“
„Und das alles hat Ihnen Munjafkurin mitgeteilt?“ staunte Margrit mit echter Bewunderung.
„Richtig und zwar über Gesine und noch einiges mehr, Margrit!“
„Reichlich geschwätzig das Mädchen. He, und wer sammelt dann nachher die komischen Steine ... äh ... Käfige wieder ein?“
„Roboter aus Biomaterial, habe sie erst neulich wieder in einem der vielen Filme bewundert, die wir mal vor Jahren gemacht haben. Interessante Wesen, wirklich! Sehen komischerweise irgendwie aus wie nackte, missgestaltete Kleinkinder mit schwarzen, sehr großen Glubschaugen! Na ja, und diese Roboter fliegen dann später mit ebenso kleinen Raumgleitern des Nachts zu einem Forschungszentrum, in unserem Fall zur Ganalea, das sich in der Nähe unserer guten alten Erde befinden soll.“ Er machte wieder eine nachdenkliche Pause ehe er fortfuhr. „Sie sehen also, meine Liebe, wie gut ausgerüstet Hajeps gegen Krankheitserreger sind, die sie über alles zu fürchten scheinen! Es ist daher so gut wie unmöglich, überhaupt noch Krankheitserreger gegen Hajeps zu erfinden! Daher danke ich dem jiskischen Forscher Balsaton wirklich sehr“, er ergriff dabei das Fläschchen, hob es hoch und betrachtete es mit glänzenden Augen, „dem dieses Kunststück endlich geglückt ist.“
„Und in diesem ... hm ... Fläschchen schwimmt also ... äh...?“
„Ein genmanipuliertes Virus!“ half er ihr und lächelte sehr zufrieden. „Das wird unsere Hoffnung, Margrit. Die Chance der Menschheit, diese außerirdischen Biester endlich für immer los zu werden!“
„Biester? Na ja, aber die werden davon nur krank, sterben nicht daran“, versuchte sie sich zu vergewissern.
„Margrit, Menschenskind, die Hajeps sollen doch daran sterben, natürlich nicht alle, nur die Jastra, deren oberste Kaste - und das hoffe ich sogar sehr!“
„He, wie kann denn Munjafkurin Leute seines eigenen Volkes derart hassen?“ Margrit runzelte die Stirn. „Und die Jisken sind aber auch...“, sie stoppte mitten im Satz und fügte dann hinzu, „... kein besonders edles Volk?“
„EDEL ist gut!“ der Minister lachte.
„Und zur Kaste der Jastra gehört also Atabu ... na ... dings und...“, sie zögerte einige Sekunden, ehe sie weiter sprechen konnte, „... und Oworlotep ... also deer doch wohl nicht so richtig, oder?“
„Natürlich, gehört der dazu! He, ja, ich weiß, Sie hängen irgendwie an ihm aber...“
„Ich hänge an dem nicht einfach irgendwie“, protestierte sie aufgeregt. „Es ist nur so, dass Oworlotep mir meine Jugend wieder gegeben hat. Wissen Sie, das ist ein wirklich großes Geschenk. Ich fühle mich ihm daher sehr zu Dank verpflichtet und ... “
„Aber Margrit!“ fauchte er. „Das war doch nur halb so uneigennützig wie es ausgesehen hat. Hajeps sind nun mal totale Egoisten. Das sollten Sie sich merken. Denn wie wir ja gesehen haben, wollten Pasua und Scolo mit Menschen eine neue Spezies erzeugen und jetzt dürfen Sie raten, weshalb Oworlotep Sie damals so sehr verjüngt hat.“ Er grinste sie jetzt ziemlich fies an.
„Sie meinen ... er wollte ...?“ Margrit schluckte und dachte dabei ganz automatisch an bestimmte Dinge mit Oworlotep und dann an seine roten Augen. Igitt, wo früher sogar schon winzigkleine Mäuse mit solchen Augen bei ihr Gänseschauer hatten erzeugen können. „Aber das hat er doch nicht wirklich gewollt?“ brachte sie, etwas heiser geworden, hervor. „Ich meine, dass er und ich ... hm ... also dass ich und er ... dass wir beide so einfach zusammen ...? und sie spürte, dass ihr bei diesem Thema mächtig heiß wurde. „Doch wohl eher nein ... oder?“
„Ich bitte Sie Margrit, Oworlotep selbst natürlich nicht!“ Günther Arendts Stimme klang fast empört ob dieser ungeheuerlichen Anmaßung. „Oworlotep ist nun mal ein Jastra und lässt sich nicht zu so etwas hinab. Das wissen wir inzwi¬schen ganz genau!“
„Ach so, tschuldigung!“ ächzte sie, knallrot im Gesicht.
„Macht nichts. Wer weiß das schon! Nein, man hätte Ihnen höchst wahrscheinlich nur mehrere Männer aus der untersten Kaste zugeführt....“
„Ach so! Gleich mehrere Männer ... hm ... äh ... nur!“ Komisch, Margrit hatte das Gefühl, als würde sie noch röter werden als sie es ohnehin schon war, darum wechselte sie ganz schnell das Thema. „Aber woher konnte ihnen Munjafkurin so genau erklären, was in diesem Fläschchen enthalten ist, wo er doch gar nicht zum Volk der Jisken gehört?“
„Keine so dumme Frage, Margrit. Vor langer Zeit führten die Jisken und Hajeps eine dramatische Schlacht um den bereits besiegten Planeten Shough. Dort sollen übrigens fast ausschließlich irgendwelche Wissenschaftler, Weltraumforscher und Philosophen gelebt haben.“
„Ein ganz und gar friedlicher Planet also?“
„Keine Ahnung....“
„Ich habe gehört, Danox stammt von diesem Planeten?“
„Ja, diese außergewöhnliche Waffe haben die Hajeps damals als Beute von Shough an sich gebracht.“
„Aber, wenn dort vielleicht nur friedliche Wissenschaftler lebten“, verbiss sich Margrit einfach hartnäckig weiter in dieses unpassende Thema, „könnte es doch auch gut sein, dass Danox in Wirklichkeit gar keine Waffe ist, sondern womöglich ein ganz anderes Geheimnis in sich birgt?“
„Meinen Sie?“ Er zuckte irritiert mit den Achseln. „Das Ding wird aber von allen Außerirdischen Waffe genannt. Ich weiß allerdings nicht, was Danox übersetzt heißt. Ist mir auch egal. Habe mir noch nie darüber einen Kopf gemacht. Jedenfalls, als am Ende die Hajeps am siegen gewesen waren, brachten die Jisken noch schnell Munjafkurin und einige seiner Kameraden ihre Gewalt, um sie als Geiseln zu nutzen. Munjafkurin soll mit seiner Einheit in ein Gefangenenlager gekommen sein, in dem die schrecklichsten Zustände herrschten. Auch auf die Androhung, sämtliche gefangenen hajeptischen Soldaten zu erschießen, reagierte Hajeptoan nicht. Pasua zog die Truppen aus den einst von Jisken besetz¬ten Gebieten Shoughs nicht ab, um sie wieder den Jisken zu überlassen. Da begannen die Jisken einen nach dem ande¬ren der Gefangenen vor laufender Kamera auf das brutalste umzubringen. Doch auch das konnte weder Pasua noch Scolo erweichen. Dann erhielten die Jisken aber die freudige Kunde, dass es endlich Balsaton, jenem jiskischen Palivan, von dem ich eben gesprochen habe, geglückt wäre, ein spezielles Genvirus gegen die Hajeps zu entwickeln, das er übri¬gens Refenin - Vernichtung - genannt hatte, wie sinnig!“ Er kicherte. „Nun wollte man die restlichen Geiseln heimlich damit infizieren und dann zu den Hajeps fliehen lassen. Munjafkurin hatte aber, weil ihm zuvor mitgeteilt worden war, als nächster hingerichtet zu werden, noch ein Mittel, das vorrübergehend den Herzschlag und die Hirntätigkeit aus¬schalten konnte, als wäre man klinisch tot, eingenommen. Die Jisken fielen darauf herein, ließen ihn einfach an Ort und Stelle liegen, weil sie es eilig hatten, die anderen zu infizieren und nahmen sich nacheinander jeden seiner Kameraden vor. Als Munjafkurin, der in diesem Raum lag, langsam zu sich kam, stellte er sich weiterhin tot und konnte unter leicht gesenkten Lidern sogar erkennen wie das Mittel aussah, dass sie sogar Adoraine, seiner besten Freundin, verabreichten. Wenig später floh dann Munjafkurin mit seinen Kameraden, die aber zu viel von diesem Mittel bekommen hatten und unterwegs an Herzversagen starben. Die Jisken hatten halt noch keine Erfahrung mit der richtigen Dosierung. Das Virus war einfach zu neu.“
„Oh Gott, wie schrecklich!“ ächzte Margrit und hielt sich dabei die Hand vor den Mund. „Jetzt kann ich aber doch Munjafkurins Hass begreifen!“
„Sehen Sie, lassen Sie mich aber trotzdem weiter erzählen. Später, als Munjafkurin schwerkrank von all den Strapazen in sein Raumschiff gebracht wurde, kümmerte sich niemand um seine Probleme. Nicht nur das, weil er nicht rechtzeitig voll funktionstüchtig sein konnte, reihte man ihn sogar in die unterste Kaste der Kutmats ein. Nur mit größter Energie gelang es ihm später, sich wieder hochzuarbeiten, und noch heute wird er damit verspottet, dass er einstmals so tief unten gewesen war. Das alles vergisst er Pasua und Scolo nicht.“
„Kann ich sehr verstehen, und dafür bekam er – äh, Gesine - dann von Ihnen den zweiten Teil von Danox?“ schmetterte sie ziemlich ungläubig hinaus, denn sie konnte sich nicht vorstellen, dass Günther Arendt ein solches Versprechen wahr machte.
„Nein, den bekam Munjafkurin für eine andere, viel wichtigere Auskunft.“ Er brach wieder sehr nachdenklich ab.
„Etwa für eine weitere Information über dieses Fläschchen?“
Der Präsident schwieg für ein Weilchen und betrachtete dabei die Flasche wieder von allen Seiten. „Ja, so war es!“
„Aha, und wie wirkt Refe ... na .. dings?“ fragte sie, schier zerberstend vor lauter Anspannung.
„Tja, eine nette Krankheit ist die wohl nicht gerade, Margrit.“ Er kratzte sich verlegen am Hals. „Lässt die Gedärme, den Magen, das Herz, die Lunge, alles Innere allmählich zusammen schrumpfen. Man bekommt wahnsinnige Schmerzen, weil im Laufe eines Tages nichts mehr arbeiten kann!“
Margrit erbleichte. „Was für furchtbare Dinge doch erfunden werden können! Und wie ist es möglich, dass sich dieses Virus verbreitet?" Mit klopfendem Herzen wartete sie die nächste Antwort ab.
„Refenin stimuliert!“ erklärte Günther Arendt, nun noch etwas verlegener als zuvor.
„Stimmu ... äh, wie? Ich meine ... in wiefern?“ Margrit trommelte das Herz bereits bis zu den Ohren.
Der Ministerpräsident gab sich einen Ruck. „Meine liebe Margrit, Refenin steigert ... na ja ... sexuelle Bedürfnisse. Es verbreitet sich über die Schleimhäute. Wer von Refeninviren befallen ist, wird versuchen, mit aller Macht mit möglichst vielen Personen Sex zu haben. Gelangen die tödlichen Viren über die Schleimhäute erst einmal ins Blut der Betroffenen, ist es um ihn geschehen!“
„Scheußlich!“ entfuhr es Margrit. „Wie kann Munjafkurin das wissen, wo doch damals alle seine Kameraden an Herzversagen gestorben sind?“
Nicht alle, Margrit. Andoraine lebte noch für ein Weilchen, wahrscheinlich hatte einer der Jisken plötzliche Skrupel bekommen und ihr daher nicht allzu viel gegeben.“
„Doch die paar Viren haben sich dann wohl vermehrt und....“
„Richtig, es war zufälligerweise die richtige Menge, Margrit, wodurch sie so funktionierte wie es sich Balsaton eigentlich gedacht hatte. Doch Andoraine wartete nicht ab, bis sie zu den Hajeps kam, konnte sie ja auch nicht, sondern stürzte sich sofort auf Munjafkurin. Gott sei Dank war er schon misstrauisch geworden. Es war ein mörderischer Kampf, bei dem Munjafkurin nicht anderes übrig blieb als seine beste Freundin zu töten.“
„Ganz furchtbar! Also, das ist wohl das Schrecklichste, was einem passieren kann ...“
„Das sage ich Ihnen!“
„Munjafkurin hat Andoraine sehr geliebt, nicht wahr?“
„Keine Ahnung! Hajeps behaupten jedenfalls immer wieder, dass sie nicht lieben können. He, es gibt in ihrer Sprache noch nicht mal eine Vokabel dafür! “
„Aber wissen die Hajeps nicht längst von diesem Mittel? Sie sind doch hochintelligent und haben deshalb bestimmt auch sehr gute Spione!“
„Oho, Margrit, unterschätzen Sie die Jisken nicht. Die können es nämlich durchaus mit den schlauen Köpfen der Hajeps aufnehmen. Natürlich waren die Jisken sehr vorsichtig. Nachdem das Attentat auf die Hajeps damals missglückt war, versteckten sie das Refenin erst einmal für längere Zeit in einem Schubor - einem Tresor. Sie hoben es sozusagen für ihre Erzfeinde über Jahre dort auf.“
„Warum? Weshalb bringen die Jisken erst jetzt dieses Mittel zum Einsatz? Das hätten sie doch schon längst vorher tun können?“
„Wohl nicht! Sie sollen sich erst bei diesem Streit um unsere Erde wieder sehr ´nahe´“, er grinste wegen dieses Wortes „gekommen sein!“
„Außerdem sind die Hajeps inzwischen auch recht leichtsinnig geworden“, fügte Margrit noch hinzu, „tragen keine Helme mehr, sind kontaktfreudiger!“ zählte sie weiter auf.
„Richtig, richtig! Aber das sind die Jisken inzwischen auch. Übrigens, sämtliche Leute, die einst an Refenin gearbeitet hatten, einschließlich Balsaton, wurden nach und nach getötet, damit die Hajeps von diesem Geheimnis nichts erfahren konnten.“ Er räusperte sich feierlich und warf dabei wieder einen fast verliebten Blick auf das kleine Fläschchen. „Ha, und nun ist endlich die Zeit gekommen, wo Refenin für uns alle arbeiten wird - für die Jisken, für die Loteken, für die rebellischen Hajeps, für all die unterjochten Völker und für uns, Margrit!“
„Ja, aber ...“ warf Margrit wieder ein „... können die Asabs oder Howane der Hajeps denn nicht sofort ein Gegenmittel
erfinden?“
„Margrit, es ist wahnsinnig schwer in so kurzer Zeit – bedenke Sie, Refenin tötet schon innerhalb EINES Tages - das Verhalten, den Aufbau eines derart komplizierten Virus zu erkennen“, seine nervösen Finger spielten dabei mit der Pappschachtel herum, “dann das passende, ganz sicher ebenfalls komplizierte Gegenmittel zu erfinden und noch rechtzeitig dem Patienten zu verabreichen.“
„Gibt es etwa noch gar kein Mittel dagegen? Haben denn die Jisken auch keins?“
Er ließ die Pappschachtel endlich los und zuckte ratlos mit den Schultern. “Keine Ahnung. Aber nach allem, was mir Munjafkurin über Gesine mitgeteilt hat, wohl nicht!“
„Aber dann ist es doch nicht nur für die Jastra gefährlich, sondern auch für UNS ... für die Loteken, für die entflohenen Sklaven ... für ALLE!“
„Niemand von den Infizierten wird aus Lakeme entfliehen können. Wir nennen das prächtige Gebäude im Herzen Zarakumas deshalb schon jetzt Todespalast. Sollte das Virus aber dennoch weiter wandern, tja, dann ist das halt unser Risiko, Margrit, denn morgen schon kommen aus der ganzen Welt sämtliche Oberhäupter aus der Kaste der Jastra nach Lakeme. Ein großer Kongress findet dort statt, um gemeinsam dem Tod Gisterupas, des Rebellen und seiner Getreuen hautnah mitzuerleben. Hajeps langweilen sich, wie du sicher weißt. Der langsame Untergang der Menschheit war zwar schon immer spannend für sie, aber den Tod der schlimmsten Feinde zu genießen, ist noch besser! Viele mächtige Oberhäupter werden darum dort eintreffen. Später, wenn alle Jastra von uns infiziert sind, werden die Türen von Lakeme heimlich von Munjafkurin und seinen Getreuen verriegelt werden. Natürlich erst, wenn vorher die Kontaktgeräte der Jastra zerstört wurden. Wenn sich die Jastra unter Krämpfen winden, können sie niemanden mehr zur Hilfe holen. Sämtliche Verbindungen zur Außenwelt werden unterbrochen sein. Sie werden alle elendiglich an Refenin ster¬ben.“
„Aber ...“, Margrit presste ihre kalt gewordenen Hände an die vor Aufregung heißen Wangen. „Das hört sich ja alles unvorstellbar grausam an.“
„Ich weiß nicht, was Sie haben, Margrit. Die Jastra selbst sind doch furchtbar und grausam. Die haben das doch verdient!“ Günther Arendts Blick flackerte plötzlich seltsam. „Zuerst muss natürlich Atabulaka mit Refenin infiziert wer¬den! Der Kopf der Schlange soll abgeschlagen sein! Erst dann sollte Oworlotep die tödliche Viere erhalten, denn der ist hinterhältig.“
„Und wie genau soll das dann vonstatten gehen?“ keuchte sie. „Ich meine ... das mit dem Infizieren? Denn wie Sie das so geschildert haben, wollen die Jastra keinen Sex mit Lumantis.“
„Nun, ich dachte mir ... na ja, zum Beispiel nur durch einen Kuss!“ Günther Dom zögerte für einen Sekundenbruchteil und sah dabei prüfend in Margrits Augen. „Ja, ja, ich weiß, denen scheint überhaupt kaum ein Austausch von Zärtlichkeiten bekannt zu sein. Es hat sich aber gezeigt, dass zumindest die unterste Kaste ziemlich neugierig und sehr interes¬siert daran war, so etwas zu erlernen! Doch die Jastra scheinen sich viel mehr und wesentlich schneller zu ekeln als die unterste Kaste. Außerdem haben sie eine geradezu höllische Angst vor Schmutz und Bakterien. Daher empfinden sie das Küssen als einen äußerst unhygienischen Akt. Viele Jastra haben außerdem einen so weiten Abstand zu uns Men¬schen, dass sie sich mit unseren Geflogenheiten noch nicht einmal gedanklich beschäftigen und daher auch gar nicht wissen, was überhaupt Küssen ist. Andererseits scheint gerade die höchste Kaste extrem neugierig und verspielt zu sein. Die Jastra kennen zwar Sex, ihre Art Sex zu haben eben. Aber wir haben eine Chance, Margrit, sie neugierig auf Zärt¬lichkeiten, auf heiße Küsse zu machen.“
„Doch wie soll das gehen, wo bisher noch keines Lumantis Fuß den großen Palast Zarakumas betreten durfte?“
„In diesem Fall schon, Margrit, denn ich habe über Munjafkurin und dieser über Warabaku und dieser über Nireneska dieser wiederum über Diguindi bis hin zu ... ha!“ rief er erleichtert. „Jetzt hab` ich endlich seinen Namen ... Quanzhulon heißt der neue Undasubo ... und dem hab` ich eine Überraschung versprochen!“
„Ach ... äh ... wie?“ Margrit war plötzlich wieder irgendwie furchtbar mulmig um die Magengegend herum. “Wie soll ich das verstehen?“
„Keine Angst, Margrit, das habe ich doch nur so an Quanzhulon bestellen lassen, um endlich die Neugierde der Jastra auf uns Lumantis zu entfachen! Quanzhulon ist sehr an Menschen interessiert. Er war ganz begeistert und kann Atabulaka gewiss überreden“, setzte er hastig hinzu. „Daher glaube ich, dass es tatsächlich klappen wird.“
„Wie .... klappen? Wenn die Jastra von Lumantis geküsst werden sollen, dann müssen diese Menschen doch vorher mit diesem komischen Virus infiziert worden sein. Doch es wird ja wohl kaum jemand so etwas mörderisches freiwillig einnehmen“, sprudelte es aus Margrit hervor und sie konnte nicht verhindern, dass ihr die Knie zitterten.
„Nun, dass das Ganze mörderisch sein wird, werde ich bestimmt nicht den neunzehn jungen Frauen und Männern vorher auf die Nase binden, die sich heute bei mir gemeldet haben.“ Günther Arendt zwinkerte dabei Margrit schelmisch zu.
Doch die saß jetzt nur da als hätte sie einen Stock verschluckt.
„Mensch Margrit, gucken sie nicht so komisch! Es gibt halt keinen anderen Weg für mich. Irgendetwas müssen wir schon für diese Idee opfern, aber ich verspreche ihnen, dass das diesmal garantiert die letzten Menschen sein werden, die ich nach Zarakuma schicke. Es werden aber auch die erfolgreichsten Menschen sein, mit denen die Hajeps jemals Kontakt gehabt haben, hehe! Und diese zwanzig Menschen werden dann, noch ehe der Tag anbricht, vor Zarakuma warten.“
„Zwanzig? Eben sagten sie noch neunzehn?“
Er überging diese Frage und grinste nur komisch. „Ein Asab und eine kleine Einheit Murake werden sie in Empfang nehmen.“
„Ein Asab ist auch dabei?“ ächzte sie verdutzt. „Ich denke, die Asabs und Howane sind Ärzte?“
Diesmal ging er wieder auf ihre Frage ein. „Das sind sie auch. Habe ich je etwas anderes behauptet? Die Jastra sind eben sehr misstrauisch, haben ja eine höllische Angst vor Bakterien, darum werden diese Menschen zuvor von diesem Asab genauestens untersucht.“
„Direkt vor Zarakuma?“
„Richtig!“
„Und trotzdem wird der Asab dieses Refenin nicht entdecken?“
„Nein, denn wir wissen nun, wie viel die Menschen nur bekommen dürfen. Es muss eine solch winzig kleine Menge sein, dass man sie selbst mit diesen hervorragenden Apparaten nicht sehen kann.“
„Reichlich riskant!“ bemerkte sie skeptisch.
„Tja, wer nichts riskiert, kommt nicht ins Zuchthaus ... hähä, kleiner Scherz! Aber wenn dann die ersten hajeptischen Politiker in Zarakuma eintreffen, können die bereits am frühen Morgen amüsant von diesen Menschen unterhalten werden.“ Günther Arendt konnte jetzt sein zynisches Lächeln kaum unterdrücken.
„Mensch, Margrit, machen Sie nicht so ein Gesicht. Die neunzehn Menschen werden kaum dabei leiden, denn gleichzeitig mit dem tödlichen Serum bekommen sie ein Schmerzmittel in die Vene gespritzt.
„WAS?“ kreischte Margrit aufgebracht und diesmal gelang es ihr sogar, mit dem Sessel vom Schreibtisch abzurücken. „Sie spritzen denen das so einfach in die Vene?“
„Aber, wohin denn sonst? Du meine Güte, Sie sind ja schon wieder ganz blass?“ Er tätschelte beruhigend ihre Hand. „Wir tun dies doch für eine wirklich gute Sache.“ Günther Arendt wirkte irgendwie hilflos. „Und wenn die Menschen es nicht wissen, ist es doch um so besser nicht wahr?“
„Das finde ich aber gar nicht!“ schnaufte sie zornig.
„Dennoch ist das völlig in Ordnung.“ Er räusperte sich. „Diese Menschen müssen dadurch nichts geheim halten! Nur Sie Margrit, kennen jetzt die volle Wahrheit, da ich Ihnen vertraue und fest daran glaube, dass Sie ein besonderer Mensch sind, jemand, der bereit ist, wissentlich sein Leben für die Menschheit zu opfern, da es keinen anderen Ausweg für uns gibt als diesen. Sie sind nämlich dieser zwanzigste Mensch, der dabei noch gefehlt hat!“
„Danke für diese Ehre!“ fauchte sie entsetzt. „Aber da haben Sie sich geschnitten, denn ich ...“ sie konnte plötzlich nicht mehr weitersprechen, sondern tippte sich nur verzweifelt an die Brust, aber dann gab sie sich einen Ruck, “... mache ganz gewiss nicht dabei mit und das wissen Sie ganz genau!“
Günther Arendt nickte. „Weiß doch, dass Sie das nicht wollen, meine Liebe! Und nach dem, was ich Ihnen so alles geschildert habe, natürlich erst recht nicht. Ich hatte ja gehofft, dass Sie das Refenin nicht wieder erkennen würden. Schade, ist leider doch passiert. Tja, so konnte ich Sie nicht mehr belügen, musste mit der vollen Wahrheit heraus. He, noch ehe Atabulaka und Oworlotep und all die anderen aus der Kaste der Jastra diesen Krieg beginnen können, sollten sie mit Refenin infiziert sein! Selbst wenn später die Türen Lakemes aufgebrochen werden sollten, selbst wenn die Jastra es dennoch geschafft haben sollten Hilfe zu holen. Jemand, der von rätselhaften Schmerzanfällen und Übelkeit gepeinigt wird, wird wohl kaum in der Lage sein, vernünftige Entscheidungen zu treffen, vor allem, wenn er so kluge Gegner wie die Loteken und Jisken hat! Er wird nur damit beschäftigt sein, Hilfe von Ärzten zu bekommen. Auf Deutsch, Scolo und Pasua werden dadurch mit einem Schlage kampfunfähig sein. Das wird UNSERE Chance, Margrit, und die Chance sämtlicher unterdrückten Kasten und Völker!“
„Aber nicht meine!“ erklärte sie verzweifelt und schon war sie von ihrem Sessel aufgesprungen und jagte durch den riesigen Salon Richtung Ausgang. Günther Arendt hingegen blieb ruhig, holte erst mal eine kleine Glocke aus dem Schubfach und läutete. „Herbert ... Achim!“ brüllte er und erst dann schob er sich am Schreibtisch vorbei.
„Halt!“ brüllte er Margrit hinterher. „Haaalt! Margrit, das ist ein Befehl! Sie bleiben sofort stehen!“
„Denke nicht daran!“ keuchte sie und schon drückte sie die Türklinke herunter.
„Aber Margrit, warum wollen Sie nicht einsehen, dass Sie auf diese Weise auch Ihre eigene Familie retten werden. Es war doch vorauszusehen, dass die Hajeps uns eines Tages völlig ausrotten wollen. Und so können wir das wirklich noch verhindern! Und diese Spritze tut kaum weh!“ versuchte Günther Arendt sie irgendwie zu beruhigen, indem er einfach zum Schreibtisch zurück lief. Margrits entsetzte Augen gewahrten nun die Spritze, welche er aus der schmalen Pappschachtel, die neben dem Fläschchen gelegen hatte, holte. „Es ist nur ein kleiner Pieks ... weiter nichts!“
Kaum hatte Margrit die Tür aufgerissen, da entdeckte sie auch schon in der Dunkelheit des Flurs zwei Schattengestalten. Die beiden Kerle packten Margrit sofort, drehten ihr die Arme auf den Rücken und schon befand sie sich wieder im Salon. „Ja, ihr könnt sie ruhig weiter festhalten, damit es leichter geht.“ Günther Arendt strich nachdenklich mit den Fingern über die noch leere Spritze. „Meine liebe Margrit“, krächzte er, ein wenig heiser vor Aufregung geworden, „niemand sonst wird wissen, was mit Ihnen geschehen ist und diese Tat wird nicht sinnlos sein. Ich habe Refenin ges¬tern Abend getestet. Die Krankheit verläuft tatsächlich so, wie es Munjafkurin geschildert hat.“ Er ließ sich nun in den Sessel zurückfallen und seine Augen schimmerten feucht. „Bronko und Aida, meine treuen Boxer - ich konnte leider keine anderen Tiere nehmen, das wäre aufgefallen - sind heute Mittag an Refenin verendet. Meine Leute haben sich zwar ein wenig darüber gewundert, aber schließlich nahmen sie an, sie hätten Rattengift gefressen.“ Er hielt den Atem an, ehe er weitersprach. „Ich hoffe, dass sich ihr Opfer gelohnt haben wird.“
„Ihre Hunde bedauern Sie!“ Margrit zitterte am ganzen Körper, während man sie mit aller Macht in den Sessel drückte. „Aber über Menschen wird hier gesprochen als wären sie nur hölzerne Majonetten, die man wegschmeißen und vielleicht morgen schon durch andere ersetzen kann!“
„Ja, das könnte vielleicht sein“, grinste er. „Klappt`s nicht, schicke ich vielleicht weitere Infizierte nach Zarakuma, habe schließlich genügend Refenin, weil nur winzigste Mengen genügen.“
„Ach, ich möchte nicht wissen, wie viele Leben Sie in Wahrheit bereits auf dem Gewissen haben, Sie ... Sie Arschgesicht!“
„Hoho, aber Margrit, wie reden Sie denn plötzlich mit mir. Das ist aber ganz und gar nicht das feine, brave Mädchen, das wir bisher kannten. Tja, so ändern sich manchmal die Leute“, sagte er mit einem leichten Bedauern und drückte dabei von oben mit dem Daumen auf die Flasche und dabei kroch ein kleines Röhrchen auf der einen Seite des komischen Behälters hervor. „Tja, so leid es mir tut, meine liebe Margrit!“ sagte er mit einem schwermütig klingenden Unterton und steckte dabei die Nadel der Spitze in dieses feine Röhrchen und saugte damit einige Tröpfchen auf. „Aber, wie heißt es doch so schön: Wo gehobelt wird fallen Späne!“
„Ich weiß, da fallen nun mal Späne, aber all diese Menschen werden ihnen blind vertrauen. Ach, man kann Menschen sehr gut belügen, besonders wenn sie idealistisch denken.“
„So und nun halten wir unser Plappermäulchen und machen den rechten Arm frei.“ Er hielt die Spritze gegen das Licht und überprüfte den Inhalt. „Es darf echt nicht zu viel sein, sonst wirkt es zu früh!“
In diesem Moment stieß sie ihre Beine mit einer derartigen Wucht gegen den Schreibtisch, dass der gegen Günther Arendts Bauch kippte und Günther Arendt deshalb vor Schreck beinahe die Spritze mit dem kostbaren Inhalt zu Boden fallen gelassen hätte. Doch dann kippte er den Schreibtisch, übers ganze Gesicht dabei grinsend, einfach wieder zurück.
Einer der Männer wollte Margrit dafür eine Ohrfeige geben, doch Günther Arendt winkte ab. “He, he, eben eine echte Guerilla“, sagte er anerkennend, „die sich nicht so einfach ergibt!“
„Das stimmt!“ fauchte sie. „Und darum sage ich Ihnen jetzt auch folgendes: Wenn Sie mir diese Spritze gegen meinen Willen verabreichen, werde ich später den Hajeps alles über dieses Refenin erzählen.“
Er jappste verdutzt nach Luft, aber dann sagte er: Meine beste Margrit, das würde dann Ihren Tod bedeuten. Wollen Sie so schnell sterben?“
„Sie meinen, entweder ich lasse mich spritzen oder sie bringen mich um?“
„Nun, so scharf will ich das nicht ausdrücken.“ Er hüstelte vorsichtig. „Doch das, was Sie hier machen, ist eine Befehlsverweigerung in einer lebensbedrohlichen Situation. Immerhin sind wir Guerillas und daher herrschen bei uns nicht gerade die sanftesten Sitten.“
„Wissen Sie was, es ist mir völlig Wurst, ob ich nun heute oder morgen sterbe!“
„Nun, man kann ja auch auf verschiedene Art und Weise sterben, nicht wahr? So zum Beispiel auch ... qualvoll!“
„Schön, dann haben Sie gesiegt und ich lasse mich spritzen, aber wer sagt Ihnen, dass ich nicht gelogen habe und dann vielleicht doch alles den Hajeps weiter erzählen werde?“
„Das werden Sie nicht tun!“
„Und wenn doch?“
Er sah ihr scharf in die Augen, aber sie zuckte mit keiner Wimper, schließlich keuchte er fassungslos. „Okay“, ächzte er. „Lasst sie los!“ Und er wischte sich den Schweiß.
„Aber Chef?“ stammelten die beiden Kerle fassungslos. „Sie werden doch nicht ...“
„Nachgeben? Doch das werde ich! Margrit muss wirklich wollen! Sie hat da ganz Recht, denn sie ist leider die wichtigste Person bei dieser ganzen Sache.“
Nur sehr unwillig gehorchten die beiden muskelbepackten Guerillas.
Mit immer noch zitternden Knien erhob sich Margrit vom Sessel. Ein wenig taumelig ergriff sie sich ihre Jacke vom Kleiderhaken, hatte es aber viel zu eilig, um sich diese auch noch anzuziehen und daher legte sie sich die einfach nur über den Arm. Drei funkelnde Augenpaare verfolgten sie dabei auf Schritt und Tritt. Doch kaum hatte sie die schwere, verschnörkelte Tür aufgerissen, hörte sie Günther Arendt vom Schreibtisch her: “Aber Margrit, wollen Sie mir denn nicht `Auf Wiedersehen´ sagen? Wo bleiben die Höflichkeiten?“
Erschrocken wandte sie sich nach ihm um. “Leben Sie wohl!“ nuschelte sie etwas undeutlich, denn ihre Zähne klapperten noch immer.
„Kaum“, erwiderte er kühl, “denn ich habe mir soeben etwas ausgedacht, womit ich Sie doch noch für diese Sache gewinnen werde!“
„Schön, dass Sie das glauben!“ gab sie ebenso spitz zurück.
„Chef, sollen wir ihr nicht endlich was vor den frechen Latz geben?“ maulte wieder einer der Männer, doch abermals winkte Günther Arendt ab.
Margrit hatte die letzten Sätze kaum gehört, denn schon war sie im Flur und donnerte, immer schneller werdend, die Stufen hinab. Unten angekommen stieß sie keuchend die schwere Eichentür auf, lief ins Freie und rannte beinahe an George vorbei, der schon seit einem ganzen Weilchen auf Margrit gewartet hatte. „Ich muss zu meiner Familie und zwar SCHNELLSTENS!" keuchte sie aufgeregt. Mit entschlossenem Gesichtsausdruck nahm Margrit neben ihm Platz. „Ja, aber willst du nicht erst zu uns? Was ist passiert?“ erkundigte er sich verdutzt. “Du siehst ja aus, als wäre der Teufel hinter dir her?“
„Keine Zeit mehr für Erklärungen, George!“ schnaufte Margrit. „Gott, ist mir schlecht!“
„Dir ist schlecht? Hast du denn etwas Verdorbenes gegessen?“ Doch schon heulte der Motor auf.
Günther Arendt stand indes am Fenster des prächtigen Flurs und schaute dem alten Jambuto kopfschüttelnd hinterher.
„He, Chef, ist ja mächtig frech, diese Margrit Schramm“, mokierte sich Achim, der eine der beiden Guerillas, die je rechts und links von ihm standen. „Ich will mich ja da nicht einmischen, aber wollen wir sie nicht einfach zurückholen, Chef?“
„Ich will Ihnen da auch nicht dreinreden, aber das wäre wirklich besser!“ stimmte ihm dessen Kamerad Herbert zu. “Nachher bleibt sie nicht bei den Maden, läuft unseren Organisationen noch weg, und dann ist es mit unserer großen Chance vorbei!“
„Nein, ganz und gar nicht“, sagte Günther Arendt in ruhiger Tonlage, aber innerlich ärgerte er sich über Margrit ebenso,
„denn sie wird noch heute ganz freiwillig wiederkommen, das verspreche ich euch.“ Und dann holte er sein Sprechfunkgerät hervor. „Norbert“, sprach er ins Mikro. „Nooorrbert! Himmel, sein Handy ist einfach schrecklich! Na, end¬lich! Wie bitte? Sprich lauter, kann kaum was hören! Nein, das sollst du jetzt nicht machen. Verdammte Nebengeräu¬sche! Was? Nein, habe ich dazu gesagt, verfolge lieber unauffällig George und Margrit. Die fahren nämlich gerade mit diesem alten Jambuto weg und sage Mike Bescheid. Soll irgendwo in seiner Nähe eine Hütte in den Wäldern geben, zu der die beiden euch hinführen werden, wenn ihr`s nur geschickt genug anstellt und dann bringt ihr mir die alte Frau mit den Kindern!“ Er grinste hämisch, als er sein Handy ausstellte.