Kapitel 2
Plötzlich winkte Boktafton erleichtert Gulmur und den anderen zwei Jisken zu. Er wedelte schließlich so hektisch mit der Hand, dass sie nicht nur sofort ihre Verstecke verließen, sondern auch gleich neugierig zu ihm hinüber gerannt kamen, während er die Gartenpforte vor der alten Villa aufriss.
Ihnen entgegen stolzierte Xuraduton und sie schauten nun doch ziemlich enttäuscht drein, als dieser ihnen erklärte, dass der Oten schon lange fort wäre. Agol, der Göttliche, wäre letztendlich mit einem Molkat der Lumanti hinterher geflogen, und diesen Molkat hätte Saparun, der Oberkommandierende der noboistischen Leibgarde, vorhin wohl extra für den Oten in den Ästen einer Eiche in einer der kleinen Querstraßen nebenan geparkt.
Aus und vorbei! Gulmur knirschte mit den Zähnen! Dabei hatte er doch die Entführung des Oten geplant, um damit seine Familie frei zu pressen, die gewiss heute noch in Zarakuma zum Tode verurteilt werden würde. So trotteten die vier Jisken und der Trowe tief enttäuscht etwa schon eine halbe Stunde durch die Straßen der Stadt, um endlich irgendwie nach Hause zu kommen. Plötzlich stieß Nobajapal Oktikilta in die Seite und wies mit dem Finger nach oben zu einem der Baumwipfel. Gulmur und die anderen zwei Jisken schauten ebenfalls hoch. Sie schnauften überrascht durch ihre drei Nasenlöcher. Der Molkat, der Dreisitzer des Oten, schimmerte grünlich- silbern zwischen den Herbstblättern der mächtigen Baumkrone einer alten Linde. Bei Ubeka und Antsor, der war nicht gerade gut versteckt, wie leichtsinnig! Die Götter schienen wohl diesmal auf der Seite der Jisken zu sein. Doch wem konnte es gelingen, möglichst schnell nach oben in den Baum zu kommen?
Alle blickten auf den Trowe und der ließ es sich nicht zweimal sagen. Von Atimok, einem kirtivischen Wissen¬schaftler, der wegen staatsfeindlicher Gedanken in das trowische Sklavenlager strafversetzt worden war, hatte er ja gelernt, wie man am besten die Codes der Ninitis (Autopiloten) von Kleinstflugzeugen- und -gleitern knackte, um sie später manuell steuern zu können. Mit diesem hochtechnisierten Molkat würden sie rasch den Oten gefunden haben. Gewiss war dieser ganz in der Nähe!
Um von Agol nicht überrascht zu werden, hielten die vier Jisken am Fuße des Baumes aufmerksam nach allen Seiten Ausschau, während Gulmur den breiten, moosbewachsenen Stamm der Linde empor kletterte. Oben angekommen balancierte er sich erst mal vorsichtig über drei mächtige Äste, und dann hatte er das kleine, elegante Flugschiff erreicht. Im Nu waren sämtliche Abwehrmechanismen und Warnanlagen, die er kannte, ausgeschaltet und auch die Fahrertür geöffnet. Doch als er sich am Steuersystem zu schaffen machte, hörte er plötzlich vom Rücksitz her ein Rascheln, etwa so, als würde jemand von hinten nach ihm herüber langen wollen. Jedenfalls hatte Gulmur das so empfunden und sich rein reflexmäßig auch schon geduckt.
Irgend etwas langes, dünnes schnellte nun wie ein Lasso knapp über seinen Kopf hinweg, griff suchend ins Leere und klatschte dann wieder zurück hinter den Fahrersitz. Es hatte ausgesehen wie der Fühler eines Auleps, eines Wasserwesens, nur sehr viel länger. Aber hier gab es doch gar keine Sümpfe! Und wieder war es völlig still! Gulmurs Herz pochte, als er sich vorsichtig aufrichtete, um zu schauen, was es denn sonst gewesen sein könnte? Seine gelben, gesprenkelten Augen blinzelten unsicher ins Dunkel hinter sich. Aber da war nichts zu sehen, der mit weichen grünen Haaren bewachsene Rücksitz schien völlig leer zu sein. Hatte er Tagträume? Er schüttelte verwirrt über sich selbst den Kopf und dann wandte er sich wieder der Steueranlage zu. Doch kaum hatte er sein Messer angesetzt, um die Metallpatte, die das empfindliche Computersystem, den Niniti, schützte, zu lüften, als er abermals dieses komische Rascheln und dann das typische Zischeln hinter sich zu hören glaubte. Irgend etwas schien nach seinem Nacken zu haschen. Er warf sich vom Sitz, riss entsetzt die Tür auf und konnte knapp dem ellenlangen, rosa schimmerndem Ding entkommen. Schnalzend zog sich die Schlange oder was es auch immer sein mochte, hinter ihm wieder zurück. Er kroch auf allen vieren über die schwankenden Äste und wäre beinahe hinunter gefallen, als er diesmal sogar zwei von diesen langen, rosalichen Gebilden nach ihm suchen sah. Er konnte sich überhaupt nicht erklären, wie der Oten zu solch einer ausgezeichneten Abwehranlage gekommen war.
Selbst die vier Jisken unter dem Baum, die schon so einiges an verrückter Technik gewöhnt waren, stoben entsetzt auseinander, kaum dass sie die komischen Schlangen gesehen hatten, die von Mal zu Mal länger zu werden schienen.
Nun haschten sie nach Gulmurs Fuß, dann nach seinen Handgelenken und immer, wenn der Trowe mit dem Messer nach diesen dünnen Strippen stechen wollte, waren sie wieder fort, nur um von neuem, noch länger geworden, hervor zu sausen. Gulmur war noch nie in seinem Leben so schnell von einem Baum hinunter wie dieses Mal.
Als die beiden Gebilde schließlich auch noch den Baumstamm bis zur Wurzel hinab wanden, begann Boktafton mit seiner Akramur, die einen Schalldämpfer besaß, einfach auf diese Dinger zu feuern. Das schien ihm notwen¬dig, auch wenn er dadurch den Bauch des Raumschiffs ziemlich stark beschädigte. Dann flitzten die vier Jisken, am ganzen Körper bebend, davon, hinter Gulmur her, der bereits in die nächste Straße eingebogen war.
„Schade“, meinte Boktafton zu Gulmur, als er diesen als erster endlich eingeholt hatte. „Nun müssen wir wohl unseren Plan aufgeben. Xorr, denn wir wissen ja noch nicht einmal, wohin der Oten will!“
Zu seiner Überraschung blieb der Trowe plötzlich stehen und dessen kleine gelbe Augen funkelten sonderbar.
„Ganz verloren ist noch nicht alles, Kameraden!“ knurrte der.
„Wieso? Lass hören, zottiger Weggefährte!“ ermunterten die vier Jisken ihn neugierig.
„Der Oten hatte schon im Niniti seines Molkats die Route gespeichert“, begann Gulmur, „die er fliegen wollte, und ich habe sie mir angesehen...“
„Und wohin will er?“ fragte Xuraduton.
„Nun, den Weg bis zu einer Tankstelle, die es hier weiter auswärts gibt, könnten wir auch zu Fuß schaffen...“
„Warum möchte er denn ausgerechnet da hin?“ wollte nun auch Nobajapal wissen.
Die vier Jisken sahen einander verwundert an. “Komisch!“ meinte schließlich Oktikilta. “Wirklich sehr komisch! Wisst ihr, dass Agol plötzlich ohne Helm durch die Gegend läuft?“
Gulmur zuckte nur die Achseln, denn ihm und seiner Spezies hatte fremdes Klima eigentlich nie besondere Schwierigkeiten bereitet. Sein Volk ist sehr robust und kann sich schon in kurzer Zeit anpassen.
„Bei Ubeka, ICH wage das jedenfalls nicht!“ stieß Boktafton schaudernd aus und die anderen stimmten ihm zu.
„Bei Ubeka, er war schon immer ein bisschen komisch, der hajeptische Oten. Da ist unser Kaskan aber ganz anders!“ sagte Oktikilta nach einer nachdenklichen Pause.
„Ob wir wohl schnell genug sind?“ gab nun auch Xuraduton zu bedenken. “Nachher ist er bereits weg!“
„Wir müssen uns eben beeilen !“ knurrte Gulmur.
„Na, dann los!“
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Margrit sah, wie der Hajep seine merkwürdige Uhr wieder in den weiten Spitzenärmel zurückrollen ließ und hörte ihn dabei ziemlich undeutlich brummeln.
“Xorr, Lumanti, vielleischt isch disch irgendwann werdere auch ...“, er brach ab, schluckte, dachte schwer nach. Margrit hatte den Endruck, er würde angestrengt nach dem Wort suchen, welches Margrit eben gebraucht hatte, „... schtraicheln!“ seine roten Augen leuchteten, weil es ihm endlich eingefallen war. „Xorr! Vielleischt abar auch nisch?“ fragte er nun wieder und hielt dabei den Kopf schief. “Wer weissis?“ Er lehnte den Schädel auf die andere Seite, dann aber stand er wieder gerade da, schob sich die Mütze ins Gesicht, räusperte sich energisch, wohl um endlich das Thema zu wechseln. “Und nunni dies: allis einin Naminn hat ... zo auch du!“ Er streckte den Arm nach ihr aus, wies mit dem Finger auf Margrit. “Wie rüfen deiner Lumantis disch?“
Margrit schwieg verblüfft. Konnte sie diesem unberechenbaren Geschöpf denn wirklich verraten wie sie hieß? Dieser Mann war keinesfalls so ein Typ wie Diguindi, von dem die Kinder und George immer wieder schwärm¬ten. Wenn sie Glück hatte und tatsächlich von ihm weg kam, war es nicht gut, wenn er oder seine Kameraden sich vielleicht später irgendwo bei anderen Menschen nach ihr Namen erkundigen konnten.
“Meinen Namen erfahren nur meine Freunde ...“, sagte sie darum so freundlich wie möglich. „Du scheinst mir kein Freund von Menschen zu sein, nicht wahr?“
„Nischt wahr!“ erklärte er eingeschnappt. „Komm!“ Und er nahm sie ziemlich grob beim Arm und zerrte sie mit sich.
„He, he, wo gehen wir denn hin?“ keuchte sie überrascht. Außerdem hatte sie große Mühe mit ihm Schritt zu halten. War er ihr jetzt böse? Bloß das nicht. Sie dachte angestrengt nach und weil sie gerade eine ehemalige Verkehrsinsel überquerten, auf welcher ein Meer von wunderschönen Herbstasten wucherte, sagte sie einfach: „Ach, man sollte nicht alles so ernst nehmen und lieber zum Beispiel die unzähligen Blumen betrachten und...“
“Nisch unzählige ...,“ verbesserte er sie, “...zondern vakas-ita ...Vierundsiebziege!”
„Das sind übrigens sehr hübsche Herbstastern. Wer die wohl hier einst gepflanzt hat ... wow ... hast du die etwa alle so schnell gezählt, so verstreut, wie die hier zwischen Unkrau ...?“
„Sanna, ssst ... still! “ wisperte er plötzlich. Margrit schaute in seine Richtung und –schwupp! – da entdeckte auch sie den kleinen, braunen Schatten, wie der von einem Gebüsch zum anderen und dann über die Straße hoppelte.
Der Feind schnalzte mit der Zunge, was aber auf keinen Fall gefährlich klang - eher verzückt. „Verkehrt is allis ... allis an diesem Tier is verkehrt!“ krächzte er kopfschüttelnd. “Schwänz ville zu kurz und dafor Orren ville zu lang!“
Margrit prustete los, denn sie musste über seine komische Bemerkung lachen und diesmal unterließ er es, nach seinem Gürtel zu greifen. Er musterte sie nur mit genau dem gleichen Blick wie zuvor das Tier. „Tier is komischt ... du auch!“ stellte er fest. “Wie heißert?“
„Na ja, es war wohl ein Kaninchen!" ächzte sie und wischte wieder ihre Lachtränen weg, und er schaute dabei immer noch kopfschüttelnd zu, bis sie damit fertig war.
„Kippt serr altis Lied bei eusch, heißert: Der Neger aus Kupfalz. Isch solsch ein Neger bon ... hm ...bin!“ erklärte er, warf sich dabei nicht nur stolz in die Brust, er klopfte auch noch auf sein Gewehr.
"Äh ... wie?“
„Neger!“ schnaufte er unwillig. “Was dagigen?“
„Nein, nein!“ wehrte sie ab. “Aber meinst du nicht eher ... äh ... den Jäger aus Kurpfalz?“
„Hm ... hmmm!“ Er rieb sich das Kinn und dachte darüber nach. „Rischtick!" knurrte er schließlich. „Meinter Jäger und du pisst das Ninschinn, das hat er sich erjägert hattete. Xorr, Ninnschin jitz dein Name, weil du mirr nischt nennern wollterst rischticken, chesso ... fertisch! Komm!“
„Ch ... chesso! Puh, na gut! Aber wenn wir so kreuz und quer weiter laufen, kommen wir vielleicht sonst wo hin, bloß nicht zum Händler!“ bemerkte sie vorsichtig, während sie neben ihm her hetzte.
"Gleich bei ihm!“ wiedersprach er ziemlich stolz und stoppte zu Margrits Überraschung direkt vor einer großen Linde.
„Ja und?“ fragte sie irritiert, setzte aber gleich den Beutel ab und rieb sich die wehen Hände. „Hier ist das nicht!“
Donnerwetter, dieser Typ tickte also wirklich nicht richtig, denn nun hob er den Arm, schnippte zwei Mal kurz mit den Fingern Richtung Baumkrone und dann schüttelte er die Hand aus und wartete.
Auf was eigentlich? Margrits Blicke wanderten fragend vom Baum zum Hajep. Sie konnte sich einfach keinen Reim daraus machen! Als etwa zwei Minuten vergangen waren, schien der Hajep ungeduldig zu werden, denn er stieß ein paar hajeptische Flüche immer lauter werdend aus, trat schließlich gegen den Baum und rieb sich danach den Fuß schmerzerfüllt mit beiden Händen. Schien reichlich empfindliche Füßchen zu haben, der Bursche! Erst als der Schmerz nachgelassen hatte, lehnte er den einen Arm leise seufzend gegen den Baum¬stamm und an diesen seine heiße Stirn, wohl um ein wenig zur Ruhe zu kommen, was ihm sichtlich schwer fiel und dann holte er ein winziges, zangenähnliches Gerät hervor. Nein, was hatte der denn jetzt damit vor? Margrit machte vorsichtshalber zwei drei Schritte vor ihm zurück.
„Is nur for Harre ...“, erklärte er begütigend.
„T ... tatsächlich?“ Die Falte auf Margrits Stirn vertiefte sich trotzdem. Wollte er ihr etwa die Haare schneiden oder was? Zu ihrer Verwunderung fabrizierte er aber nur die gleichen Geräusche mit dieser komischen Zange wie vorhin mit den Fingern und dann wartete er erneut.
Da ertönte plötzlich aus der Linde ein leicht verschlafenes, quakendes Geräusch – Margrit war völlig entgeistert, denn solch einen verrückten Ton hatte sie noch nie gehört, der war ziemlich blechern und dann wiederum klang er auch so wie eine Mischung aus Ente und Frosch - und mit einem Male begannen die Äste über dem Hajep mächtig zu schaukeln, als würde gleich etwas ziemlich Großes und Schweres vom Baumwipfel auf ihn herab stürzen.
He, es knackte dort oben wirklich ganz gewaltig und Margrit spielte schon mit dem Gedanken, dass sie diesen verrückten Hajep vielleicht warnen sollte, da der nur seelenruhig damit beschäftigt war, einige Falten an seinen Handschuhen glatt zu streichen. Aber dann schalt sie sich doch dafür aus, weil es im Grunde ausgesprochen praktisch für sie war, wenn der Hajep gleich von irgendetwas Großem erschlagen wurde. Ob wohl so ein zermatschter Auerirdischer sehr ekelig aussehen konnte?
Ein Blättermeer segelte jetzt hinunter, dem folgte – Margrit rang nach Luft - ein ziemlich unerklärbares, langschwänziges Ding aus den Zweigen des Baumes. Es quietschte irgendwie hydraulisch und vier etwa nur einen Meter lange und ungefähr zwei Meter breite, geleeartige Flügelchen wurden zu beiden Seiten flatternd und leicht zitternd ausgefahren.
Puh, das Ding sah ja so aus wie der keilförmige Kopf einer grün-gelb gescheckten und frisch enthaupteten Echse mit Kiemen! In der Abendsonne glänzte seine lederartige, schuppenbesetzte Haut wie Silber. Sowohl oberhalb des kleinen Fliegers, als auch unterhalb konnte Margrit einen dicken, wulstigen Zackenkamm entdecken. Als der Hajep kurz mit seiner Hand gewinkt hatte, quakte das kleine Flugschiff zur Antwort wieder, als hatte es sein Herrchen erkannt, puh!
„Horsch! Is das nisch nett!“ brummte der Hajep verzückt und ausgesprochen stolz. „Zuita begrüßert miiir!“
„Ja, einfach toll!“ keuchte Margrit, denn der gelbe Bauch des Ungetüms wölbte sich plötzlich ein, um dann wieder ziemlich dick hervorzuquellen.
„Zuita kann auch machen serr, serr, nettette Musik! Willigst horschinn?“ Der Hajep verschränkte die Arme vor seiner Brust und wirkte plötzlich so, als habe er viel Zeit.
„Och, nö! Lass nur ...“, winkte sie ziemlich matt ab, denn irgendetwas Glibberiges tropfte nun aus einigen Stel¬len des Bauches von Zuita. Der Hajep schien das nicht zu sehen. Er hatte seine roten Augen nur bei Margrit, schien mächtig gespannt auf weitere Reaktionen von ihr zu sein. „Xorr, pisst du denne nischt musikeilisch?“ hakte er richtig ungläubig nach, und wieder kleckste so ein dicker Schleimfladen direkt hinter ihm von oben herunter.
„Ja, hm ...wohl nicht!“ nuschelte sie undeutlich, da ihr inzwischen etwas Essen hoch gekommen war. Ach, sie schloss jetzt ganz einfach die Augen, damit sie das alles nicht mehr sehen musste. Als die plötzliche Stille ihr nach dem heftigen Rauschen verkündet hatte, dass das zappelige Ding wohl endlich gelandet war, wagte sie wieder einen kleinen, vorsichtigen Blick.
„Hu ... uch?“ entfuhr es ihr trotzdem entsetzt, denn so von Nahem konnte man eigentlich all das Hässliche an diesem Drachending erst so richtig gut erkennen.
„Ti sanga to!“ erwiderte der Feind mit hoch erhobener Nase und wies dabei auf den Molkat.
Das Ding ruckelte nun so ein bisschen vor sich hin, etwa wie eine Henne, die gerade ein Ei legen wollte, und dann bildete sich leise blubbernd so ein komischer Schaum, wie ein schmaler Rand unten an seinem keilförmi¬gen Körper. Mit diesem Schaumrand saugte sich das Ding wohl am Boden fest. Ein schmatzendes Geräusch zeigte nun an, dass jedes Flügelchen nacheinander eingesaugt wurde. Dieses Schmatzen gab Margrit den Rest. Oh Gott, das alles war einfach zu surrealistisch, eher wie ein irrer Traum.
Sie war so weiß im Gesicht, dass es selbst der Hajep bemerkte. Er hechtete darum schnell um das komische Fluggerät herum, dass ihm dazu artig Platz machte und der Hajep fragte Margrit verwundert, bevor sie in die Knie sackte: „Kulturschnock?“
Sie nickte atemlos, als sie in seine muskelbepackten Arme fiel: „Aber das heißt Kulturschnuck ... äh ... schock, ... m ... meinte ich natürlich...“ Dann umfing sie völlige Schwärze.
„Natürelisch!“ echote er stirnrunzelnd und warf die ermattete Lumanti in den Beifahrersitz, nachdem sich das Raumschiff mit einem weiteren Schmatzer wie eine Auster geöffnet hatte. Dann ergriff er mit nur zwei Fingern den unnützen Beutel und ließ ihn hinter der nützlichen Lumanti auf den Rücksitz scheppern, reinigte sich die behandschuhten Hände und nahm dann leise seufzend hinter dem Niniti (Autopiloten) Platz, als sich das Schup¬pendach über ihnen wohlig schmatzend wieder schloss.
Seine Hand huschte wie gewohnt über das Sensorenfeld des Ninitis. Bei den Göttern, warum flog Zuita nicht gleich los? Nachdem er schon wieder einige Flüche ausgestoßen, den Autopiloten mit der Faust traktiert und sich anschließend die schmerzende Hand gehalten hatte, erhob sich der Molkat – wenn auch etwas schwankend- mit seinen beiden Passagieren in die Luft. Erst als sie über die Baumwipfel dahinsausten, erwachte Margrit langsam aus ihrer Ohnmacht. Zunächst hatte sie dabei nur die Schulter des Hajeps neben sich ziemlich verwirrt abgetas¬tet, denn die Brille war ihr vorhin von der Nase gerutscht, doch dann schaute sie sich um und begann zu krei¬schen: “Oh nein, oh nein!“
„Doch, doch!“ sagte er etwas undeutlich, da er sich ein Tuch vor die Nase hielt. Diese Mülltonnenlumanti war nicht nur ungebührlich laut, ganz gewiss auch gesundheitsschädlich mit all diesem Schmutz an ihrem Körper! Er versuchte, etwas von ihr fort zu rücken, aber das ging in diesem engen Molkat kaum, um endlich seine Schulter von diesen nervösen Fingern zu befreien und für einen Moment fragte er sich, ob es nicht besser gewesen wäre, den Beutel statt dieses Lästlings neben sich gesetzt zu haben. Der wäre zwar nicht sauberer aber wesentlich unkomplizierter gewesen. Hich, was tat man nicht alles für die Wissenschaft! Er wackelte mit der Schulter und schaute dabei wieder auf den Bildschirm.
„Gleich, wir zind da!“ nuschelte er durch sein Taschentuch. Bei Ubeka, diese Feststellung war wirklich sehr tröstlich.
Für die Lumanti wohl weniger, denn die blickte noch immer ziemlich angespannt in die Tiefe. Verdammt, verdammt, warum hatte denn dieser Gleiter, der wohl nur aus Knorpeln und gummiartigen Sehnen zu bestehen schien, keine Fenster? Wenn man sich nur so ein bisschen hinaus lehnte, bestand vielleicht die Gefahr hinab zu fallen!
Einen Herzschlag lang rang er nun mit sich selbst und dann lehnte er sich ein so ein bisschen gegen sie, griff sogar zu ihr hinüber und zupfte mit spitzen Fingern kurz an ihrem Gurt.
„Ach, so!“ keuchte sie. “Ich bin also angeschnallt?“
Er nickte und seufzte erleichtert, weil seine Schulter endlich losgelassen hatte.
Staub wallte auf, und sie sausten noch ein bisschen über den Erdboden dahin, als sie schließlich direkt vor der gut verbarrikadierten Tankstelle bremsten. Hinten schlossen sich noch ein paar kleinere Hallen an, in denen früher Autos repariert worden waren und die Pommi jetzt als Lagerhallen und Verkaufsräume nutzte.
“Na, wassisch haber gezaggt?“ hörte sie den Hajep, während sich wieder blubbernder Schaum um das Raum¬schiff herum bildete. Es gurgelte ein bisschen jeweils rechts und links und die halb transparenten Flügelchen verschwanden, dabei etwas ungelenk flatternd.
Wieder ein leichter Schmatzer, die Muschel öffnete sich, gleichzeitig fielen die Haltegurte von Margrits Schul¬tern schlangengleich hinab, krochen für einige Sekunden noch etwas unschlüssig hin und her, bis sie irgendwo in den Sitzen verschwanden.
Als sich der letzte Gänseschauer bei Margrit gelegt hatte, ächzte sie: „Und ... wie komme ich hier
raus?“ Denn sie bekam die komische Knorpeltür auf ihrer Seite einfach nicht auf.
Die Augenbrauen des Hajeps schnellten etwas irritiert in die Höhe. „Kjam?“
„Äh ... w...wo gibt es hier einen Henkel ... puh ... Klinke, meine ich natürlich!“ Sie ruckelte hilflos an einer der vielen Schuppen. “Na ja, vielleicht könnte man ja auch `rüberklettern?“
„Denda, daaas Zuita gar nischt gerrne mög!“ warnte er sie. Nach dem er sich abermals überwunden hatte, fuhr sein starker Arm richtig entschlossen und so schnell an Margrits Taille vorbei, dass sie zusammen zuckte. “Xorr, wassis loss pötzisch ... kos to atti? “ fauchte er.
Sie dachte erst, er würde sie damit meinen und schob sich deshalb ihre Brille auf der Nase zurecht. „Äh, tja, das frage ich mich eigentlich au ... huch?“ Nun sah sie, dass er tatsächlich nicht nur das Schuppenviech anbrüllte, er schlug so heftig mit der Faust gegen die verknorpelte Tür, dass die nicht nur aufsprang, sondern auch Margrit beinahe auf den Boden neben den Molkat gestürzt wäre.
“D ... danke!“ stammelte sie trotzdem, während sie sich draußen aufrappelte und sah, wie sich der Hajep im Inneren des Flugzeugs die schmerzende Hand rieb. Eigentlich schön, dass die Hajeps so empfindliche Pfötchen und Füßchen hatten. Vielleicht konnte man das ja irgendwann einmal für sich ausnutzen?
“S ... soll ich diese Tür wieder schließen?“ Sie schaute, ob er vielleicht seine Finger dazwischen hatte.
„Denda, Zuita macht das ganse vonne allaine!“
„Ach, schad ... äh ... ich meine wie schön!“
„Aba haute ...“
„Heute!“ verbesserte sie ihn eifrig. “Ja, was wolltest du sagen?“
„Heute ... Zuita rischtick kak drauf is!“ knurrte er zähnknirschend, nahm den Beutel vom Rücksitz und ließ dessen Henkel in ihre Hand plumpsen. „Schtinkedings deins!“
„Stimmt!“ sagte sie. „Schließlich habe ich das alles zuerst gefunden! Hm ... ich geh schon mal vor, okay ... äh ... poko?“
„Pok ... okay!“
Während Margrit auf die Tankstelle zuschritt, hörte sie, wie der verrückte Hajep sein komisches Flugzeug weiter ausschimpfte, als könne es ihn hören, denn er bekam die Tür nach mehreren Versuchen noch immer nicht zu.
War tatsächlich vollständig hacke der Typ. Und wieder stieß er Flüche aus, wurde immer lauter und wilder. Gott, konnte der sich aber reinsteigern, also, im wütend werden waren Hajeps anscheinend einsame Spitze!
He, da kam Margrit ein Gedanke, der Feind war derart mit seiner Tür beschäftigt, dass sie sich wohl mit ihrem Beutel sehr gut wegschleichen konnte? Ach, sie würde heute einfach den Händler nicht besuchen, auch wenn es ihr schwer fiel, sondern den Weg zu dem kleinen Wäldchen dort hinten nehmen und dann...?
Sie blickte auf den Beutel, schade, der eine Henkel war bereits ganz schön kaputt, würde sicher bald reißen. Oh, was sah sie denn da zwischen den Töpfen hervorblinken? Wunderbar, oh Gott, die dreckige Thermoskanne! Also, holder konnte das Schicksal heute wirklich nicht zu ihr sein! Welch eine Waffe, welch eine köstliche ... ihr Herz pochte, als sie die Tasche abstellte und die Thermoskanne vorsichtig aufschraubte. Hoffentlich, hoffentlich war da noch etwas von dieser wunderbaren, köstlich verfaulten Brühe drin.
Jemand hatte sie bei diesem Gedankengang einfach unterbrochen, indem er sie von hinten an die Schulter tippte. Der Deckel fiel ihr vor Schreck aus der Hand, denn sie konnte sich schon denken, wer dieser jemand war.
„Ninschin“, sagte die komische außerirdische Stimme erstaunlich gutmütig, „schnall wieder zuschrauben, chesso?“
„Schei ... chesso!“ ächzte sie scheinbar gehorsam, doch schon hatte sie mit einer gekonnten, blitzartigen Bewe¬gung nach hinten die Kanne hoch erhoben und ... spürte nun, dass sich ein paar behandschuhte Finger um ihr Handgelenk schlossen und hörte fast gleichzeitig ein quietschendes Geräusch.
Also schraubte er erst mal in aller Ruhe den Deckel auf die Kanne, den er längst aufgehoben hatte und erst dann befahl er: „Losslasten!“
Margrit tat es ganz automatisch, oder hatten seine Finger dabei ein wenig nachgeholfen? Im Nu hatte er sie herum gedreht, sich den Beutel ergriffen und die Thermoskanne darin verstaut.
„Aber ... das ist meiner“, ächzte sie verzweifelt, „du ... du hast das eben noch selbst gesagt! He, du kannst ihn mir doch nicht so einfach wegnehmen!“
„Doch kann isch! Und auch ganse einfach!“
Recht hatte er, leider!
Zielsicher führte er sie zu den hinteren Lagerhallen, über ein nur mit einem dünnen Draht umsäumtes Grund¬stück. Hinten in der Ferne bei den drei Koniferen meinte sie einen rotverschmierten Lumpenhaufen zu erkennen und ... nein! ... hatte sie etwa einen nackten, leblosen Fuß unter dem vielen Stoff hervorlugen gesehen? Lebte also Pomadenmaxe in Wirklichkeit gar nicht mehr? Lag er dort hinten im Freien? Warum hatte der Hajep aber dann Margrit hierher gebracht? Oder war das etwa Freddi? Oh Gott, ja, Freddi, jetzt nahm sie auch deutlich diesen leichten Verwesungsgeruch war, der zu ihnen herüber geweht wurde.
Komisch, dem Hajep schien das gar nichts auszumachen. Der schüttelte sich anscheinend sogar noch wohlig. Oder hatte sie sich das nur eingebildet? Seine schrägen, roten Augen blickten Margrit wieder sehr scharf an. Musste sie etwa befürchten, wenig später genau das gleiche erleiden zu müssen? Was sollte sie also tun?
"Hier reiner ... DA!" befahl er ihr jetzt und machte für sie etwas mehr Platz. Sie blieb trotzdem wie angewurzelt vor dem Eingang stehen.
Als ob der Riese Gedanken lesen könnte, drehte er sich vollends zu ihr um. "Du nisch willig?"
"Doch, doch, doch!" wisperte sie. "Aber ich lasse dir gern den Vortritt!"
"Zaiii ... kippt da einer Kette bei eusch ...”
“Eine KETTE?”
“Ja, einer Kette irgendwie schinn ... mitte Eti ... naaaah? Jitzt macht`s klicker?” Seine seltsamen Augen blitzten vorwitzig unter der Schirmmütze hervor.
"Etikette?” fragte sie.
Er nickte. ”Und wie nunni Etikette is, loss, sackes, sackes!”
“Du meinst damit doch nicht etwa diese komische, höchst altertümliche Sitte: erst geht die Dame, dann der Herr?" kam es nur zögernd über ihre Lippen.
Er nickte abermals recht zufrieden und schulterte dabei sein merkwürdiges Gewehr.
"Ach, wer wird denn schon heutzutage auf solcherlei Förmlichkeiten achten ...”, wehrte sie ab.
“Isch schonn! Weiß was gehöret zisch ... xorr, Tradition ebene Tradition is!”
„He, du bist jung und modern, also würdest du bitte so nett sein?“ Sie öffnete die Tür und machte eine ermun¬ternde Bewegung Richtung Eingang, damit er vorgehen sollte.
„Binne nett!“ hörte sie ihn.
Oh Gott! Kaum zu fassen! Konnte er allen Ernstes nett zu ihr sein? Ging er tatsächlich zuerst? “In echt, jetzt?” keuchte sie zwar irgendwie erleichtert aber doch noch etwas ungläubig.
„... und darüm isch auch sein deiner Klavier.” Er stieß Margrit nur mit einer Hand durch den Eingang. Sie sauste nach vorne durch den Flur. „Isch binne escht hoffelisch zu dir, nischt wahr?“ hörte sie ihn hinter sich.
„Ja, sehr!“ keuchte sie. Das war wohl die Strafe dafür, dass sie ihn vorhin mit der Thermoskanne bedroht hatte. Ganz so gutmütig war er also nicht. Sie hatte sich gerade mal an einem der Kabel festhalten können, die hier ziemlich lose von der Decke herab hingen und schon herrschte völlige Dunkelheit. “Tja, äh ... nun ist das Licht aus!“
„Rischtick!“ stellte er fest.
Nachdem sie sich durch den muffigen, tunnelartigen Flur getastet hatten, bei welchem sich der Hajep mächtig geduckt hatte, um nicht ständig an die Decke zu stoßen und mit seiner Mütze Spinnweben abzusammeln, standen sie vor einer reichlich ramponierten Glastür, aus welcher ihnen schummeriges Licht entgegen leuchtete.
Der Hajep drückte den Summer, er schien noch immer irgendwie schlecht gelaunt zu sein, denn da sich nichts tat, fluchte er nicht nur lauter, er traktierte den Summer wieder mit der Faust. Es klingelte zwar trotzdem nicht , dafür hielt er sich die Hand und sprang wieder auf einem Bein schmerzerfüllt im Kreise herum.
Na ja, Margrit hatte sich daran gewöhnt und darum schaute sie ihm nicht lange dabei zu. Sie bückte sich, um in einem günstigen Moment die Thermoskanne aus dem Beutel zu holen, den er dabei fallen gelassen hatte und ... oha ... da schnappte ja etwas zu, klemmte sich ziemlich schmerzhaft an ihre Finger.
Auoooh, konnte sie denn ahnen, dass der Feind seine dämliche, anscheinend halb lebendige, Haarzange darin zur Sicherheit verstaut hatte? Margrit hüpfte nun ebenfalls auf einem Bein herum und musste sehr aufpassen, dass sie dabei nicht mit dem Hajep zusammen stieß. He, wie bekam man nur dieses Ding wieder ab?
Verdattert durch das laute Geschrei schloss Pomadenmaxe endlich die Tür auf. Die Haare standen ihm wild vom Kopf ab, denn er hatte gerade ein kleines Nickerchen gehalten.
„Was ist denn hier los?“ entfuhr es ihm, als er durch den Türspalt blinzelte und die beiden Schattengestalten so munter im Kreise herum springen sah.
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„Gesine“, schimpfte indes George, „warum willst du mir nicht glauben, dass lediglich der Reifen kaum Luft hat. Da ist nichts defekt, zum Donnerwetter!“
Gesine war trotzdem mit gefalteter Stirn ausgestiegen und lief nun einmal um den Jambuto herum. Sie musterte den Lieferwagen dabei gründlich, schüttelte immer wieder den Kopf, denn an dem war eigentlich überall irgend etwas reparaturbedürftig. Sie hatten in einer der Straßen mitten in Würzburg gehalten. Es war ein wenig windig geworden und Gesine wurden deshalb einige Locken, die sich aus den Zöpfen befreit hatten, in die Stirn geweht.
Der Trowe, welcher sich etwa nur zwanzig Meter von Gesine und George entfernt hinter einer Häuserecke versteckt hielt, schnaufte leise durch sein kräftiges Maul, als er den Jambuto sah, dann winkte er aufgeregt gleich Nobajapal herbei und wisperte diesem auf hajeptisch zu: „Welch ein Glück, da überlegen wir die ganze Zeit, wie wir Agol am besten einholen könnten und hier haben wir unser Gefährt.“
„Bei Ubeka und Antsor, das könnte wirklich unsere Chance sein“, stimmte ihm Nobajapal nicht minder erregt zu, „aber dieses Ding gehört der gelbhaarigen Lumanti und ihrem Kameraden, der da drinnen hockt. Vielleicht sind sie ja bewaffnet, wenn sie auch geradezu lächerliche Verteidigungsgeräte haben.“
Nun kamen die anderen Jisken ebenso neugierig zu Gulmur und dieser informierte auch sie. „Xorr“, grunzte Oktikilta schließlich, „welch ein Spaß! Ich sehe schon diese beiden Lumantiköpfe hübsch geschrumpft an meinem Gürtel hängen, denn wir haben wirklich die besseren Waffen und sind auch wesentlich stärker gebaut als diese Geschöpfe.“
„Richtig!“ meldete sich nun auch Boktafton. “Also los, worauf warten wir!“
Alles nickte und schon flitzten sie aus ihrem Versteck. “Wer als erster bei ihnen ist, bekommt die Köpfe!“ rief Nobajapal ihnen noch zu.
„Poko!“ bestätigten die anderen und schnauften dabei vor Gier und Mordlust.
Gott sei Dank war George sehr wachsam gewesen. “Gesine, schnell!“ rief er ihr zu, als er die vier Schatten hinter dem alten Mietshaus hervorspringen sah und riss die Tür des Jambutos für sie auf.
„W...was ist los? Oh, oh Go-ott?“ kreischte Gesine entsetzt. Sie hatte gerade die Haube des Jambutos geöffnet, um nach dem Motor zu schauen und sah nun mit großen Augen die vier behelmten Jisken und den einen Trowe direkt zu ihnen hinüberstürmen. Wie der Blitz warf sie die Klappe zu. Doch sie kam nicht so schnell um den riesigen Jambuto herum. Die Feinde grölten und juchzten indes bereits siegesgewiss. Der eine von ihnen zielte jetzt auf Gesine. Die stieß deshalb einen hellen spitzen Schrei aus, der die Außerirdischen aber um so mehr anzu¬feuern schien, denn sie begannen noch schneller zu laufen.
George hatte indes den etwas schwerfälligen Jambuto unter großen Schmerzen in Bewegung gebracht. Er wusste, die Waffen der Jisken waren hervorragend. Es lohnte kaum, Gesine Feuerschutz zu geben, da sie schon aus großer Entfernung treffen konnten. Es wunderte ihn, dass sie nicht auf die Reifen zielten. Schon fraß sich ein grüner Feuerstrahl knapp an Gesines Hacke vorbei in den Straßenbelag und ein tiefes Loch war entstanden, aus welchem es rauchte. Der zweite Strahl fuhr höher und wieder schrie Gesine gellend auf, als sie George gerade noch rechtzeitig am Arm fassen konnte und einfach nach oben zerrte. Der Strahl fuhr diesmal knatternd ins Trittbrett. George ließ Gesine nicht los und diese warf sich neben ihn in den Sitz und zog die Tür hinter sich zu.
Die Reifen quietschten entsetzlich, als der Jambuto hart die Kurve nahm.
Die Meute zögerte, ihnen hinterher zu feuern, da sie ihren Gedanken nicht aufgeben wollten, dieses seltsame Fortbewegungsmittel doch noch irgendwie möglichst unbeschädigt zu ergattern. Zu spät schossen sie deshalb auf die Reifen und durch die Scheiben auf den Fahrer. Das Panzerglas des Jambutos schmolz. Es war sehr heiß geworden in der Fahrerkabine. Einige Spliter lagen auch auf Georges Schultern, der sich aber nicht beirren ließ und trotzdem kaltblütig weiter fuhr.
„So ein Pech!“ schimpfte Gulmur und stampfte mit dem Fuß auf, als der Jambuto in eine Straße einbog. „Dabei hatte doch erst alles so leicht ausgesehen!“
Die Jisken nickten betrübt und Boktafton meinte dazu: „Ich habe eigentlich auch immer gedacht, dass Lumantis feiger sind und daher leicht zu bekommen.“
„Tja, so kann man sich irren!“ fauchte Gulmur. „Kommt, beeilen wir uns, ich habe mir die Wege gemerkt, wie wir die Tankstelle erreichen können, und ich werde nicht eher ruhen, bis ich den Oten zwischen meinen Pranken habe!“ Er fletschte die Zähne und schaute dabei auf seine mächtigen, krallenbewehrten Tatzen.
In der kleinen Nebenstraße hielt George erst einmal an, denn die Schmerzen im Fuß waren unerträglich gewor¬den.
“Tut mir leid, Gesine!“ keuchte er. „Wir müssen die Plätze tauschen.“ Auf seiner Stirn standen winzige Schweißperlen.
„Ist doch in Ordnung, George“, wisperte sie. „Du hast mir das Leben gerettet! Komm, mach schnell!“ Sie riss die Tür auf, um auszusteigen. “Man weiß ja nicht, ob sie noch immer hinter uns her sind!“ raunte sie ihm ängst¬lich zu und ihre Augen huschten dabei prüfend die Straße entlang.
Doch gerade als sie hinunter springen wollte, griff George um ihre Taille und hielt sie fest. “Nein!“ sagte er und riss sie an sich. Sie wandte vor Überraschung ihr Gesicht so schnell zu ihm herum, dass sie beinahe mit ihren Nasen zusammengestoßen wäre. Nun zuckten sie scheu voreinander zurück und für einen Moment schauten sie sich dabei nur auf den Mund.
„Tja“, keuchte er, als sein Blick wieder ihre Augen erreicht hatte. „Hm ... so geht das nicht.“
Sie nickte ebenso aufgeregt.
„Ich meine ... das ist zu gefährlich!“ krächzte er weiter.
Sie nickte abermals und strich sich dabei eine ihrer goldblonden Locken aus der Stirn.
„Hm ... wir tauschen innerhalb des Wagens unsere Plätze, okay?“
„Okay!“
Er versuchte sich nun so schmal zu machen, wie es bei seiner beträchtlichen Größe und dieser Enge nur ging.
„Weshalb sie wohl hinter uns her sind?“ schnaufte er. “Ich begreife das nicht. Mir ist zwar bekannt, dass sowohl Jisken als auch Hajeps Kopfjäger sind, aber nach alledem, was sie vorhin in dieser Stadt erlebt haben, müssten sie doch eigentlich die Schnauze vom Kämpfen voll haben!“
Sie erhob sich ebenfalls. „Vielleicht gilt diese Jagd ja nicht uns, George! Sie haben ziemlich spät auf den Wagen geschossen ... womöglich ist dieser Jambuto ihr Ziel! “
„Schlaue Maus!“ Er nickte anerkennend und sie lächelte, während sie zueinander hinüber krochen, aneinander vorbei glitten – sie elfenzart, er durchtrainiert und muskulös - und jeder von ihnen spürte für wenige Sekunden den Körper des anderen und sie sprachen dabei kein Wort.
Beide waren noch immer still, atmeten nur etwas hastig, als sie ihre Plätze eingenommen hatten. Wieder schau¬ten sie einander auf die Lippen und eine zarte Röte kroch in ihre Gesichter.
„Oh neiiiin!“ rief sie plötzlich. Gerade noch rechtzeitig hatte sie nämlich im Rückspiegel fünf bewaffnete Gestalten um die Ecke flitzen sehen. Der vorderste hatte wieder den Lauf seines Gewehrs erhoben und diesmal auf das Verdeck des Jambutos gerichtet.
„Scheiße, nichts wie weg!“ brüllte George.
„Hiiilfeee!“ kreischte sie, während der Jambuto nur so nach vorne flog. “Hoffentlich schaffen wir es noch!“
Es knatterte oben im Verdeck, roch schließlich komisch, grüner Rauch kroch hinab und irgend etwas tropfte.
„Verdammt, da schmilzt doch was!“
„Nur, nicht aufregen, Gesine!“ brüllte George verzweifelt. “Die haben es doch nur so ein bisschen angesengt!“
Sie schaute hoch. „Oh Goooot ... du bist gut! Das ist gar kein bisschen ... hier ist Feuer!“
Plötzlich winkte Boktafton erleichtert Gulmur und den anderen zwei Jisken zu. Er wedelte schließlich so hektisch mit der Hand, dass sie nicht nur sofort ihre Verstecke verließen, sondern auch gleich neugierig zu ihm hinüber gerannt kamen, während er die Gartenpforte vor der alten Villa aufriss.
Ihnen entgegen stolzierte Xuraduton und sie schauten nun doch ziemlich enttäuscht drein, als dieser ihnen erklärte, dass der Oten schon lange fort wäre. Agol, der Göttliche, wäre letztendlich mit einem Molkat der Lumanti hinterher geflogen, und diesen Molkat hätte Saparun, der Oberkommandierende der noboistischen Leibgarde, vorhin wohl extra für den Oten in den Ästen einer Eiche in einer der kleinen Querstraßen nebenan geparkt.
Aus und vorbei! Gulmur knirschte mit den Zähnen! Dabei hatte er doch die Entführung des Oten geplant, um damit seine Familie frei zu pressen, die gewiss heute noch in Zarakuma zum Tode verurteilt werden würde. So trotteten die vier Jisken und der Trowe tief enttäuscht etwa schon eine halbe Stunde durch die Straßen der Stadt, um endlich irgendwie nach Hause zu kommen. Plötzlich stieß Nobajapal Oktikilta in die Seite und wies mit dem Finger nach oben zu einem der Baumwipfel. Gulmur und die anderen zwei Jisken schauten ebenfalls hoch. Sie schnauften überrascht durch ihre drei Nasenlöcher. Der Molkat, der Dreisitzer des Oten, schimmerte grünlich- silbern zwischen den Herbstblättern der mächtigen Baumkrone einer alten Linde. Bei Ubeka und Antsor, der war nicht gerade gut versteckt, wie leichtsinnig! Die Götter schienen wohl diesmal auf der Seite der Jisken zu sein. Doch wem konnte es gelingen, möglichst schnell nach oben in den Baum zu kommen?
Alle blickten auf den Trowe und der ließ es sich nicht zweimal sagen. Von Atimok, einem kirtivischen Wissen¬schaftler, der wegen staatsfeindlicher Gedanken in das trowische Sklavenlager strafversetzt worden war, hatte er ja gelernt, wie man am besten die Codes der Ninitis (Autopiloten) von Kleinstflugzeugen- und -gleitern knackte, um sie später manuell steuern zu können. Mit diesem hochtechnisierten Molkat würden sie rasch den Oten gefunden haben. Gewiss war dieser ganz in der Nähe!
Um von Agol nicht überrascht zu werden, hielten die vier Jisken am Fuße des Baumes aufmerksam nach allen Seiten Ausschau, während Gulmur den breiten, moosbewachsenen Stamm der Linde empor kletterte. Oben angekommen balancierte er sich erst mal vorsichtig über drei mächtige Äste, und dann hatte er das kleine, elegante Flugschiff erreicht. Im Nu waren sämtliche Abwehrmechanismen und Warnanlagen, die er kannte, ausgeschaltet und auch die Fahrertür geöffnet. Doch als er sich am Steuersystem zu schaffen machte, hörte er plötzlich vom Rücksitz her ein Rascheln, etwa so, als würde jemand von hinten nach ihm herüber langen wollen. Jedenfalls hatte Gulmur das so empfunden und sich rein reflexmäßig auch schon geduckt.
Irgend etwas langes, dünnes schnellte nun wie ein Lasso knapp über seinen Kopf hinweg, griff suchend ins Leere und klatschte dann wieder zurück hinter den Fahrersitz. Es hatte ausgesehen wie der Fühler eines Auleps, eines Wasserwesens, nur sehr viel länger. Aber hier gab es doch gar keine Sümpfe! Und wieder war es völlig still! Gulmurs Herz pochte, als er sich vorsichtig aufrichtete, um zu schauen, was es denn sonst gewesen sein könnte? Seine gelben, gesprenkelten Augen blinzelten unsicher ins Dunkel hinter sich. Aber da war nichts zu sehen, der mit weichen grünen Haaren bewachsene Rücksitz schien völlig leer zu sein. Hatte er Tagträume? Er schüttelte verwirrt über sich selbst den Kopf und dann wandte er sich wieder der Steueranlage zu. Doch kaum hatte er sein Messer angesetzt, um die Metallpatte, die das empfindliche Computersystem, den Niniti, schützte, zu lüften, als er abermals dieses komische Rascheln und dann das typische Zischeln hinter sich zu hören glaubte. Irgend etwas schien nach seinem Nacken zu haschen. Er warf sich vom Sitz, riss entsetzt die Tür auf und konnte knapp dem ellenlangen, rosa schimmerndem Ding entkommen. Schnalzend zog sich die Schlange oder was es auch immer sein mochte, hinter ihm wieder zurück. Er kroch auf allen vieren über die schwankenden Äste und wäre beinahe hinunter gefallen, als er diesmal sogar zwei von diesen langen, rosalichen Gebilden nach ihm suchen sah. Er konnte sich überhaupt nicht erklären, wie der Oten zu solch einer ausgezeichneten Abwehranlage gekommen war.
Selbst die vier Jisken unter dem Baum, die schon so einiges an verrückter Technik gewöhnt waren, stoben entsetzt auseinander, kaum dass sie die komischen Schlangen gesehen hatten, die von Mal zu Mal länger zu werden schienen.
Nun haschten sie nach Gulmurs Fuß, dann nach seinen Handgelenken und immer, wenn der Trowe mit dem Messer nach diesen dünnen Strippen stechen wollte, waren sie wieder fort, nur um von neuem, noch länger geworden, hervor zu sausen. Gulmur war noch nie in seinem Leben so schnell von einem Baum hinunter wie dieses Mal.
Als die beiden Gebilde schließlich auch noch den Baumstamm bis zur Wurzel hinab wanden, begann Boktafton mit seiner Akramur, die einen Schalldämpfer besaß, einfach auf diese Dinger zu feuern. Das schien ihm notwen¬dig, auch wenn er dadurch den Bauch des Raumschiffs ziemlich stark beschädigte. Dann flitzten die vier Jisken, am ganzen Körper bebend, davon, hinter Gulmur her, der bereits in die nächste Straße eingebogen war.
„Schade“, meinte Boktafton zu Gulmur, als er diesen als erster endlich eingeholt hatte. „Nun müssen wir wohl unseren Plan aufgeben. Xorr, denn wir wissen ja noch nicht einmal, wohin der Oten will!“
Zu seiner Überraschung blieb der Trowe plötzlich stehen und dessen kleine gelbe Augen funkelten sonderbar.
„Ganz verloren ist noch nicht alles, Kameraden!“ knurrte der.
„Wieso? Lass hören, zottiger Weggefährte!“ ermunterten die vier Jisken ihn neugierig.
„Der Oten hatte schon im Niniti seines Molkats die Route gespeichert“, begann Gulmur, „die er fliegen wollte, und ich habe sie mir angesehen...“
„Und wohin will er?“ fragte Xuraduton.
„Nun, den Weg bis zu einer Tankstelle, die es hier weiter auswärts gibt, könnten wir auch zu Fuß schaffen...“
„Warum möchte er denn ausgerechnet da hin?“ wollte nun auch Nobajapal wissen.
Die vier Jisken sahen einander verwundert an. “Komisch!“ meinte schließlich Oktikilta. “Wirklich sehr komisch! Wisst ihr, dass Agol plötzlich ohne Helm durch die Gegend läuft?“
Gulmur zuckte nur die Achseln, denn ihm und seiner Spezies hatte fremdes Klima eigentlich nie besondere Schwierigkeiten bereitet. Sein Volk ist sehr robust und kann sich schon in kurzer Zeit anpassen.
„Bei Ubeka, ICH wage das jedenfalls nicht!“ stieß Boktafton schaudernd aus und die anderen stimmten ihm zu.
„Bei Ubeka, er war schon immer ein bisschen komisch, der hajeptische Oten. Da ist unser Kaskan aber ganz anders!“ sagte Oktikilta nach einer nachdenklichen Pause.
„Ob wir wohl schnell genug sind?“ gab nun auch Xuraduton zu bedenken. “Nachher ist er bereits weg!“
„Wir müssen uns eben beeilen !“ knurrte Gulmur.
„Na, dann los!“
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Margrit sah, wie der Hajep seine merkwürdige Uhr wieder in den weiten Spitzenärmel zurückrollen ließ und hörte ihn dabei ziemlich undeutlich brummeln.
“Xorr, Lumanti, vielleischt isch disch irgendwann werdere auch ...“, er brach ab, schluckte, dachte schwer nach. Margrit hatte den Endruck, er würde angestrengt nach dem Wort suchen, welches Margrit eben gebraucht hatte, „... schtraicheln!“ seine roten Augen leuchteten, weil es ihm endlich eingefallen war. „Xorr! Vielleischt abar auch nisch?“ fragte er nun wieder und hielt dabei den Kopf schief. “Wer weissis?“ Er lehnte den Schädel auf die andere Seite, dann aber stand er wieder gerade da, schob sich die Mütze ins Gesicht, räusperte sich energisch, wohl um endlich das Thema zu wechseln. “Und nunni dies: allis einin Naminn hat ... zo auch du!“ Er streckte den Arm nach ihr aus, wies mit dem Finger auf Margrit. “Wie rüfen deiner Lumantis disch?“
Margrit schwieg verblüfft. Konnte sie diesem unberechenbaren Geschöpf denn wirklich verraten wie sie hieß? Dieser Mann war keinesfalls so ein Typ wie Diguindi, von dem die Kinder und George immer wieder schwärm¬ten. Wenn sie Glück hatte und tatsächlich von ihm weg kam, war es nicht gut, wenn er oder seine Kameraden sich vielleicht später irgendwo bei anderen Menschen nach ihr Namen erkundigen konnten.
“Meinen Namen erfahren nur meine Freunde ...“, sagte sie darum so freundlich wie möglich. „Du scheinst mir kein Freund von Menschen zu sein, nicht wahr?“
„Nischt wahr!“ erklärte er eingeschnappt. „Komm!“ Und er nahm sie ziemlich grob beim Arm und zerrte sie mit sich.
„He, he, wo gehen wir denn hin?“ keuchte sie überrascht. Außerdem hatte sie große Mühe mit ihm Schritt zu halten. War er ihr jetzt böse? Bloß das nicht. Sie dachte angestrengt nach und weil sie gerade eine ehemalige Verkehrsinsel überquerten, auf welcher ein Meer von wunderschönen Herbstasten wucherte, sagte sie einfach: „Ach, man sollte nicht alles so ernst nehmen und lieber zum Beispiel die unzähligen Blumen betrachten und...“
“Nisch unzählige ...,“ verbesserte er sie, “...zondern vakas-ita ...Vierundsiebziege!”
„Das sind übrigens sehr hübsche Herbstastern. Wer die wohl hier einst gepflanzt hat ... wow ... hast du die etwa alle so schnell gezählt, so verstreut, wie die hier zwischen Unkrau ...?“
„Sanna, ssst ... still! “ wisperte er plötzlich. Margrit schaute in seine Richtung und –schwupp! – da entdeckte auch sie den kleinen, braunen Schatten, wie der von einem Gebüsch zum anderen und dann über die Straße hoppelte.
Der Feind schnalzte mit der Zunge, was aber auf keinen Fall gefährlich klang - eher verzückt. „Verkehrt is allis ... allis an diesem Tier is verkehrt!“ krächzte er kopfschüttelnd. “Schwänz ville zu kurz und dafor Orren ville zu lang!“
Margrit prustete los, denn sie musste über seine komische Bemerkung lachen und diesmal unterließ er es, nach seinem Gürtel zu greifen. Er musterte sie nur mit genau dem gleichen Blick wie zuvor das Tier. „Tier is komischt ... du auch!“ stellte er fest. “Wie heißert?“
„Na ja, es war wohl ein Kaninchen!" ächzte sie und wischte wieder ihre Lachtränen weg, und er schaute dabei immer noch kopfschüttelnd zu, bis sie damit fertig war.
„Kippt serr altis Lied bei eusch, heißert: Der Neger aus Kupfalz. Isch solsch ein Neger bon ... hm ...bin!“ erklärte er, warf sich dabei nicht nur stolz in die Brust, er klopfte auch noch auf sein Gewehr.
"Äh ... wie?“
„Neger!“ schnaufte er unwillig. “Was dagigen?“
„Nein, nein!“ wehrte sie ab. “Aber meinst du nicht eher ... äh ... den Jäger aus Kurpfalz?“
„Hm ... hmmm!“ Er rieb sich das Kinn und dachte darüber nach. „Rischtick!" knurrte er schließlich. „Meinter Jäger und du pisst das Ninschinn, das hat er sich erjägert hattete. Xorr, Ninnschin jitz dein Name, weil du mirr nischt nennern wollterst rischticken, chesso ... fertisch! Komm!“
„Ch ... chesso! Puh, na gut! Aber wenn wir so kreuz und quer weiter laufen, kommen wir vielleicht sonst wo hin, bloß nicht zum Händler!“ bemerkte sie vorsichtig, während sie neben ihm her hetzte.
"Gleich bei ihm!“ wiedersprach er ziemlich stolz und stoppte zu Margrits Überraschung direkt vor einer großen Linde.
„Ja und?“ fragte sie irritiert, setzte aber gleich den Beutel ab und rieb sich die wehen Hände. „Hier ist das nicht!“
Donnerwetter, dieser Typ tickte also wirklich nicht richtig, denn nun hob er den Arm, schnippte zwei Mal kurz mit den Fingern Richtung Baumkrone und dann schüttelte er die Hand aus und wartete.
Auf was eigentlich? Margrits Blicke wanderten fragend vom Baum zum Hajep. Sie konnte sich einfach keinen Reim daraus machen! Als etwa zwei Minuten vergangen waren, schien der Hajep ungeduldig zu werden, denn er stieß ein paar hajeptische Flüche immer lauter werdend aus, trat schließlich gegen den Baum und rieb sich danach den Fuß schmerzerfüllt mit beiden Händen. Schien reichlich empfindliche Füßchen zu haben, der Bursche! Erst als der Schmerz nachgelassen hatte, lehnte er den einen Arm leise seufzend gegen den Baum¬stamm und an diesen seine heiße Stirn, wohl um ein wenig zur Ruhe zu kommen, was ihm sichtlich schwer fiel und dann holte er ein winziges, zangenähnliches Gerät hervor. Nein, was hatte der denn jetzt damit vor? Margrit machte vorsichtshalber zwei drei Schritte vor ihm zurück.
„Is nur for Harre ...“, erklärte er begütigend.
„T ... tatsächlich?“ Die Falte auf Margrits Stirn vertiefte sich trotzdem. Wollte er ihr etwa die Haare schneiden oder was? Zu ihrer Verwunderung fabrizierte er aber nur die gleichen Geräusche mit dieser komischen Zange wie vorhin mit den Fingern und dann wartete er erneut.
Da ertönte plötzlich aus der Linde ein leicht verschlafenes, quakendes Geräusch – Margrit war völlig entgeistert, denn solch einen verrückten Ton hatte sie noch nie gehört, der war ziemlich blechern und dann wiederum klang er auch so wie eine Mischung aus Ente und Frosch - und mit einem Male begannen die Äste über dem Hajep mächtig zu schaukeln, als würde gleich etwas ziemlich Großes und Schweres vom Baumwipfel auf ihn herab stürzen.
He, es knackte dort oben wirklich ganz gewaltig und Margrit spielte schon mit dem Gedanken, dass sie diesen verrückten Hajep vielleicht warnen sollte, da der nur seelenruhig damit beschäftigt war, einige Falten an seinen Handschuhen glatt zu streichen. Aber dann schalt sie sich doch dafür aus, weil es im Grunde ausgesprochen praktisch für sie war, wenn der Hajep gleich von irgendetwas Großem erschlagen wurde. Ob wohl so ein zermatschter Auerirdischer sehr ekelig aussehen konnte?
Ein Blättermeer segelte jetzt hinunter, dem folgte – Margrit rang nach Luft - ein ziemlich unerklärbares, langschwänziges Ding aus den Zweigen des Baumes. Es quietschte irgendwie hydraulisch und vier etwa nur einen Meter lange und ungefähr zwei Meter breite, geleeartige Flügelchen wurden zu beiden Seiten flatternd und leicht zitternd ausgefahren.
Puh, das Ding sah ja so aus wie der keilförmige Kopf einer grün-gelb gescheckten und frisch enthaupteten Echse mit Kiemen! In der Abendsonne glänzte seine lederartige, schuppenbesetzte Haut wie Silber. Sowohl oberhalb des kleinen Fliegers, als auch unterhalb konnte Margrit einen dicken, wulstigen Zackenkamm entdecken. Als der Hajep kurz mit seiner Hand gewinkt hatte, quakte das kleine Flugschiff zur Antwort wieder, als hatte es sein Herrchen erkannt, puh!
„Horsch! Is das nisch nett!“ brummte der Hajep verzückt und ausgesprochen stolz. „Zuita begrüßert miiir!“
„Ja, einfach toll!“ keuchte Margrit, denn der gelbe Bauch des Ungetüms wölbte sich plötzlich ein, um dann wieder ziemlich dick hervorzuquellen.
„Zuita kann auch machen serr, serr, nettette Musik! Willigst horschinn?“ Der Hajep verschränkte die Arme vor seiner Brust und wirkte plötzlich so, als habe er viel Zeit.
„Och, nö! Lass nur ...“, winkte sie ziemlich matt ab, denn irgendetwas Glibberiges tropfte nun aus einigen Stel¬len des Bauches von Zuita. Der Hajep schien das nicht zu sehen. Er hatte seine roten Augen nur bei Margrit, schien mächtig gespannt auf weitere Reaktionen von ihr zu sein. „Xorr, pisst du denne nischt musikeilisch?“ hakte er richtig ungläubig nach, und wieder kleckste so ein dicker Schleimfladen direkt hinter ihm von oben herunter.
„Ja, hm ...wohl nicht!“ nuschelte sie undeutlich, da ihr inzwischen etwas Essen hoch gekommen war. Ach, sie schloss jetzt ganz einfach die Augen, damit sie das alles nicht mehr sehen musste. Als die plötzliche Stille ihr nach dem heftigen Rauschen verkündet hatte, dass das zappelige Ding wohl endlich gelandet war, wagte sie wieder einen kleinen, vorsichtigen Blick.
„Hu ... uch?“ entfuhr es ihr trotzdem entsetzt, denn so von Nahem konnte man eigentlich all das Hässliche an diesem Drachending erst so richtig gut erkennen.
„Ti sanga to!“ erwiderte der Feind mit hoch erhobener Nase und wies dabei auf den Molkat.
Das Ding ruckelte nun so ein bisschen vor sich hin, etwa wie eine Henne, die gerade ein Ei legen wollte, und dann bildete sich leise blubbernd so ein komischer Schaum, wie ein schmaler Rand unten an seinem keilförmi¬gen Körper. Mit diesem Schaumrand saugte sich das Ding wohl am Boden fest. Ein schmatzendes Geräusch zeigte nun an, dass jedes Flügelchen nacheinander eingesaugt wurde. Dieses Schmatzen gab Margrit den Rest. Oh Gott, das alles war einfach zu surrealistisch, eher wie ein irrer Traum.
Sie war so weiß im Gesicht, dass es selbst der Hajep bemerkte. Er hechtete darum schnell um das komische Fluggerät herum, dass ihm dazu artig Platz machte und der Hajep fragte Margrit verwundert, bevor sie in die Knie sackte: „Kulturschnock?“
Sie nickte atemlos, als sie in seine muskelbepackten Arme fiel: „Aber das heißt Kulturschnuck ... äh ... schock, ... m ... meinte ich natürlich...“ Dann umfing sie völlige Schwärze.
„Natürelisch!“ echote er stirnrunzelnd und warf die ermattete Lumanti in den Beifahrersitz, nachdem sich das Raumschiff mit einem weiteren Schmatzer wie eine Auster geöffnet hatte. Dann ergriff er mit nur zwei Fingern den unnützen Beutel und ließ ihn hinter der nützlichen Lumanti auf den Rücksitz scheppern, reinigte sich die behandschuhten Hände und nahm dann leise seufzend hinter dem Niniti (Autopiloten) Platz, als sich das Schup¬pendach über ihnen wohlig schmatzend wieder schloss.
Seine Hand huschte wie gewohnt über das Sensorenfeld des Ninitis. Bei den Göttern, warum flog Zuita nicht gleich los? Nachdem er schon wieder einige Flüche ausgestoßen, den Autopiloten mit der Faust traktiert und sich anschließend die schmerzende Hand gehalten hatte, erhob sich der Molkat – wenn auch etwas schwankend- mit seinen beiden Passagieren in die Luft. Erst als sie über die Baumwipfel dahinsausten, erwachte Margrit langsam aus ihrer Ohnmacht. Zunächst hatte sie dabei nur die Schulter des Hajeps neben sich ziemlich verwirrt abgetas¬tet, denn die Brille war ihr vorhin von der Nase gerutscht, doch dann schaute sie sich um und begann zu krei¬schen: “Oh nein, oh nein!“
„Doch, doch!“ sagte er etwas undeutlich, da er sich ein Tuch vor die Nase hielt. Diese Mülltonnenlumanti war nicht nur ungebührlich laut, ganz gewiss auch gesundheitsschädlich mit all diesem Schmutz an ihrem Körper! Er versuchte, etwas von ihr fort zu rücken, aber das ging in diesem engen Molkat kaum, um endlich seine Schulter von diesen nervösen Fingern zu befreien und für einen Moment fragte er sich, ob es nicht besser gewesen wäre, den Beutel statt dieses Lästlings neben sich gesetzt zu haben. Der wäre zwar nicht sauberer aber wesentlich unkomplizierter gewesen. Hich, was tat man nicht alles für die Wissenschaft! Er wackelte mit der Schulter und schaute dabei wieder auf den Bildschirm.
„Gleich, wir zind da!“ nuschelte er durch sein Taschentuch. Bei Ubeka, diese Feststellung war wirklich sehr tröstlich.
Für die Lumanti wohl weniger, denn die blickte noch immer ziemlich angespannt in die Tiefe. Verdammt, verdammt, warum hatte denn dieser Gleiter, der wohl nur aus Knorpeln und gummiartigen Sehnen zu bestehen schien, keine Fenster? Wenn man sich nur so ein bisschen hinaus lehnte, bestand vielleicht die Gefahr hinab zu fallen!
Einen Herzschlag lang rang er nun mit sich selbst und dann lehnte er sich ein so ein bisschen gegen sie, griff sogar zu ihr hinüber und zupfte mit spitzen Fingern kurz an ihrem Gurt.
„Ach, so!“ keuchte sie. “Ich bin also angeschnallt?“
Er nickte und seufzte erleichtert, weil seine Schulter endlich losgelassen hatte.
Staub wallte auf, und sie sausten noch ein bisschen über den Erdboden dahin, als sie schließlich direkt vor der gut verbarrikadierten Tankstelle bremsten. Hinten schlossen sich noch ein paar kleinere Hallen an, in denen früher Autos repariert worden waren und die Pommi jetzt als Lagerhallen und Verkaufsräume nutzte.
“Na, wassisch haber gezaggt?“ hörte sie den Hajep, während sich wieder blubbernder Schaum um das Raum¬schiff herum bildete. Es gurgelte ein bisschen jeweils rechts und links und die halb transparenten Flügelchen verschwanden, dabei etwas ungelenk flatternd.
Wieder ein leichter Schmatzer, die Muschel öffnete sich, gleichzeitig fielen die Haltegurte von Margrits Schul¬tern schlangengleich hinab, krochen für einige Sekunden noch etwas unschlüssig hin und her, bis sie irgendwo in den Sitzen verschwanden.
Als sich der letzte Gänseschauer bei Margrit gelegt hatte, ächzte sie: „Und ... wie komme ich hier
raus?“ Denn sie bekam die komische Knorpeltür auf ihrer Seite einfach nicht auf.
Die Augenbrauen des Hajeps schnellten etwas irritiert in die Höhe. „Kjam?“
„Äh ... w...wo gibt es hier einen Henkel ... puh ... Klinke, meine ich natürlich!“ Sie ruckelte hilflos an einer der vielen Schuppen. “Na ja, vielleicht könnte man ja auch `rüberklettern?“
„Denda, daaas Zuita gar nischt gerrne mög!“ warnte er sie. Nach dem er sich abermals überwunden hatte, fuhr sein starker Arm richtig entschlossen und so schnell an Margrits Taille vorbei, dass sie zusammen zuckte. “Xorr, wassis loss pötzisch ... kos to atti? “ fauchte er.
Sie dachte erst, er würde sie damit meinen und schob sich deshalb ihre Brille auf der Nase zurecht. „Äh, tja, das frage ich mich eigentlich au ... huch?“ Nun sah sie, dass er tatsächlich nicht nur das Schuppenviech anbrüllte, er schlug so heftig mit der Faust gegen die verknorpelte Tür, dass die nicht nur aufsprang, sondern auch Margrit beinahe auf den Boden neben den Molkat gestürzt wäre.
“D ... danke!“ stammelte sie trotzdem, während sie sich draußen aufrappelte und sah, wie sich der Hajep im Inneren des Flugzeugs die schmerzende Hand rieb. Eigentlich schön, dass die Hajeps so empfindliche Pfötchen und Füßchen hatten. Vielleicht konnte man das ja irgendwann einmal für sich ausnutzen?
“S ... soll ich diese Tür wieder schließen?“ Sie schaute, ob er vielleicht seine Finger dazwischen hatte.
„Denda, Zuita macht das ganse vonne allaine!“
„Ach, schad ... äh ... ich meine wie schön!“
„Aba haute ...“
„Heute!“ verbesserte sie ihn eifrig. “Ja, was wolltest du sagen?“
„Heute ... Zuita rischtick kak drauf is!“ knurrte er zähnknirschend, nahm den Beutel vom Rücksitz und ließ dessen Henkel in ihre Hand plumpsen. „Schtinkedings deins!“
„Stimmt!“ sagte sie. „Schließlich habe ich das alles zuerst gefunden! Hm ... ich geh schon mal vor, okay ... äh ... poko?“
„Pok ... okay!“
Während Margrit auf die Tankstelle zuschritt, hörte sie, wie der verrückte Hajep sein komisches Flugzeug weiter ausschimpfte, als könne es ihn hören, denn er bekam die Tür nach mehreren Versuchen noch immer nicht zu.
War tatsächlich vollständig hacke der Typ. Und wieder stieß er Flüche aus, wurde immer lauter und wilder. Gott, konnte der sich aber reinsteigern, also, im wütend werden waren Hajeps anscheinend einsame Spitze!
He, da kam Margrit ein Gedanke, der Feind war derart mit seiner Tür beschäftigt, dass sie sich wohl mit ihrem Beutel sehr gut wegschleichen konnte? Ach, sie würde heute einfach den Händler nicht besuchen, auch wenn es ihr schwer fiel, sondern den Weg zu dem kleinen Wäldchen dort hinten nehmen und dann...?
Sie blickte auf den Beutel, schade, der eine Henkel war bereits ganz schön kaputt, würde sicher bald reißen. Oh, was sah sie denn da zwischen den Töpfen hervorblinken? Wunderbar, oh Gott, die dreckige Thermoskanne! Also, holder konnte das Schicksal heute wirklich nicht zu ihr sein! Welch eine Waffe, welch eine köstliche ... ihr Herz pochte, als sie die Tasche abstellte und die Thermoskanne vorsichtig aufschraubte. Hoffentlich, hoffentlich war da noch etwas von dieser wunderbaren, köstlich verfaulten Brühe drin.
Jemand hatte sie bei diesem Gedankengang einfach unterbrochen, indem er sie von hinten an die Schulter tippte. Der Deckel fiel ihr vor Schreck aus der Hand, denn sie konnte sich schon denken, wer dieser jemand war.
„Ninschin“, sagte die komische außerirdische Stimme erstaunlich gutmütig, „schnall wieder zuschrauben, chesso?“
„Schei ... chesso!“ ächzte sie scheinbar gehorsam, doch schon hatte sie mit einer gekonnten, blitzartigen Bewe¬gung nach hinten die Kanne hoch erhoben und ... spürte nun, dass sich ein paar behandschuhte Finger um ihr Handgelenk schlossen und hörte fast gleichzeitig ein quietschendes Geräusch.
Also schraubte er erst mal in aller Ruhe den Deckel auf die Kanne, den er längst aufgehoben hatte und erst dann befahl er: „Losslasten!“
Margrit tat es ganz automatisch, oder hatten seine Finger dabei ein wenig nachgeholfen? Im Nu hatte er sie herum gedreht, sich den Beutel ergriffen und die Thermoskanne darin verstaut.
„Aber ... das ist meiner“, ächzte sie verzweifelt, „du ... du hast das eben noch selbst gesagt! He, du kannst ihn mir doch nicht so einfach wegnehmen!“
„Doch kann isch! Und auch ganse einfach!“
Recht hatte er, leider!
Zielsicher führte er sie zu den hinteren Lagerhallen, über ein nur mit einem dünnen Draht umsäumtes Grund¬stück. Hinten in der Ferne bei den drei Koniferen meinte sie einen rotverschmierten Lumpenhaufen zu erkennen und ... nein! ... hatte sie etwa einen nackten, leblosen Fuß unter dem vielen Stoff hervorlugen gesehen? Lebte also Pomadenmaxe in Wirklichkeit gar nicht mehr? Lag er dort hinten im Freien? Warum hatte der Hajep aber dann Margrit hierher gebracht? Oder war das etwa Freddi? Oh Gott, ja, Freddi, jetzt nahm sie auch deutlich diesen leichten Verwesungsgeruch war, der zu ihnen herüber geweht wurde.
Komisch, dem Hajep schien das gar nichts auszumachen. Der schüttelte sich anscheinend sogar noch wohlig. Oder hatte sie sich das nur eingebildet? Seine schrägen, roten Augen blickten Margrit wieder sehr scharf an. Musste sie etwa befürchten, wenig später genau das gleiche erleiden zu müssen? Was sollte sie also tun?
"Hier reiner ... DA!" befahl er ihr jetzt und machte für sie etwas mehr Platz. Sie blieb trotzdem wie angewurzelt vor dem Eingang stehen.
Als ob der Riese Gedanken lesen könnte, drehte er sich vollends zu ihr um. "Du nisch willig?"
"Doch, doch, doch!" wisperte sie. "Aber ich lasse dir gern den Vortritt!"
"Zaiii ... kippt da einer Kette bei eusch ...”
“Eine KETTE?”
“Ja, einer Kette irgendwie schinn ... mitte Eti ... naaaah? Jitzt macht`s klicker?” Seine seltsamen Augen blitzten vorwitzig unter der Schirmmütze hervor.
"Etikette?” fragte sie.
Er nickte. ”Und wie nunni Etikette is, loss, sackes, sackes!”
“Du meinst damit doch nicht etwa diese komische, höchst altertümliche Sitte: erst geht die Dame, dann der Herr?" kam es nur zögernd über ihre Lippen.
Er nickte abermals recht zufrieden und schulterte dabei sein merkwürdiges Gewehr.
"Ach, wer wird denn schon heutzutage auf solcherlei Förmlichkeiten achten ...”, wehrte sie ab.
“Isch schonn! Weiß was gehöret zisch ... xorr, Tradition ebene Tradition is!”
„He, du bist jung und modern, also würdest du bitte so nett sein?“ Sie öffnete die Tür und machte eine ermun¬ternde Bewegung Richtung Eingang, damit er vorgehen sollte.
„Binne nett!“ hörte sie ihn.
Oh Gott! Kaum zu fassen! Konnte er allen Ernstes nett zu ihr sein? Ging er tatsächlich zuerst? “In echt, jetzt?” keuchte sie zwar irgendwie erleichtert aber doch noch etwas ungläubig.
„... und darüm isch auch sein deiner Klavier.” Er stieß Margrit nur mit einer Hand durch den Eingang. Sie sauste nach vorne durch den Flur. „Isch binne escht hoffelisch zu dir, nischt wahr?“ hörte sie ihn hinter sich.
„Ja, sehr!“ keuchte sie. Das war wohl die Strafe dafür, dass sie ihn vorhin mit der Thermoskanne bedroht hatte. Ganz so gutmütig war er also nicht. Sie hatte sich gerade mal an einem der Kabel festhalten können, die hier ziemlich lose von der Decke herab hingen und schon herrschte völlige Dunkelheit. “Tja, äh ... nun ist das Licht aus!“
„Rischtick!“ stellte er fest.
Nachdem sie sich durch den muffigen, tunnelartigen Flur getastet hatten, bei welchem sich der Hajep mächtig geduckt hatte, um nicht ständig an die Decke zu stoßen und mit seiner Mütze Spinnweben abzusammeln, standen sie vor einer reichlich ramponierten Glastür, aus welcher ihnen schummeriges Licht entgegen leuchtete.
Der Hajep drückte den Summer, er schien noch immer irgendwie schlecht gelaunt zu sein, denn da sich nichts tat, fluchte er nicht nur lauter, er traktierte den Summer wieder mit der Faust. Es klingelte zwar trotzdem nicht , dafür hielt er sich die Hand und sprang wieder auf einem Bein schmerzerfüllt im Kreise herum.
Na ja, Margrit hatte sich daran gewöhnt und darum schaute sie ihm nicht lange dabei zu. Sie bückte sich, um in einem günstigen Moment die Thermoskanne aus dem Beutel zu holen, den er dabei fallen gelassen hatte und ... oha ... da schnappte ja etwas zu, klemmte sich ziemlich schmerzhaft an ihre Finger.
Auoooh, konnte sie denn ahnen, dass der Feind seine dämliche, anscheinend halb lebendige, Haarzange darin zur Sicherheit verstaut hatte? Margrit hüpfte nun ebenfalls auf einem Bein herum und musste sehr aufpassen, dass sie dabei nicht mit dem Hajep zusammen stieß. He, wie bekam man nur dieses Ding wieder ab?
Verdattert durch das laute Geschrei schloss Pomadenmaxe endlich die Tür auf. Die Haare standen ihm wild vom Kopf ab, denn er hatte gerade ein kleines Nickerchen gehalten.
„Was ist denn hier los?“ entfuhr es ihm, als er durch den Türspalt blinzelte und die beiden Schattengestalten so munter im Kreise herum springen sah.
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„Gesine“, schimpfte indes George, „warum willst du mir nicht glauben, dass lediglich der Reifen kaum Luft hat. Da ist nichts defekt, zum Donnerwetter!“
Gesine war trotzdem mit gefalteter Stirn ausgestiegen und lief nun einmal um den Jambuto herum. Sie musterte den Lieferwagen dabei gründlich, schüttelte immer wieder den Kopf, denn an dem war eigentlich überall irgend etwas reparaturbedürftig. Sie hatten in einer der Straßen mitten in Würzburg gehalten. Es war ein wenig windig geworden und Gesine wurden deshalb einige Locken, die sich aus den Zöpfen befreit hatten, in die Stirn geweht.
Der Trowe, welcher sich etwa nur zwanzig Meter von Gesine und George entfernt hinter einer Häuserecke versteckt hielt, schnaufte leise durch sein kräftiges Maul, als er den Jambuto sah, dann winkte er aufgeregt gleich Nobajapal herbei und wisperte diesem auf hajeptisch zu: „Welch ein Glück, da überlegen wir die ganze Zeit, wie wir Agol am besten einholen könnten und hier haben wir unser Gefährt.“
„Bei Ubeka und Antsor, das könnte wirklich unsere Chance sein“, stimmte ihm Nobajapal nicht minder erregt zu, „aber dieses Ding gehört der gelbhaarigen Lumanti und ihrem Kameraden, der da drinnen hockt. Vielleicht sind sie ja bewaffnet, wenn sie auch geradezu lächerliche Verteidigungsgeräte haben.“
Nun kamen die anderen Jisken ebenso neugierig zu Gulmur und dieser informierte auch sie. „Xorr“, grunzte Oktikilta schließlich, „welch ein Spaß! Ich sehe schon diese beiden Lumantiköpfe hübsch geschrumpft an meinem Gürtel hängen, denn wir haben wirklich die besseren Waffen und sind auch wesentlich stärker gebaut als diese Geschöpfe.“
„Richtig!“ meldete sich nun auch Boktafton. “Also los, worauf warten wir!“
Alles nickte und schon flitzten sie aus ihrem Versteck. “Wer als erster bei ihnen ist, bekommt die Köpfe!“ rief Nobajapal ihnen noch zu.
„Poko!“ bestätigten die anderen und schnauften dabei vor Gier und Mordlust.
Gott sei Dank war George sehr wachsam gewesen. “Gesine, schnell!“ rief er ihr zu, als er die vier Schatten hinter dem alten Mietshaus hervorspringen sah und riss die Tür des Jambutos für sie auf.
„W...was ist los? Oh, oh Go-ott?“ kreischte Gesine entsetzt. Sie hatte gerade die Haube des Jambutos geöffnet, um nach dem Motor zu schauen und sah nun mit großen Augen die vier behelmten Jisken und den einen Trowe direkt zu ihnen hinüberstürmen. Wie der Blitz warf sie die Klappe zu. Doch sie kam nicht so schnell um den riesigen Jambuto herum. Die Feinde grölten und juchzten indes bereits siegesgewiss. Der eine von ihnen zielte jetzt auf Gesine. Die stieß deshalb einen hellen spitzen Schrei aus, der die Außerirdischen aber um so mehr anzu¬feuern schien, denn sie begannen noch schneller zu laufen.
George hatte indes den etwas schwerfälligen Jambuto unter großen Schmerzen in Bewegung gebracht. Er wusste, die Waffen der Jisken waren hervorragend. Es lohnte kaum, Gesine Feuerschutz zu geben, da sie schon aus großer Entfernung treffen konnten. Es wunderte ihn, dass sie nicht auf die Reifen zielten. Schon fraß sich ein grüner Feuerstrahl knapp an Gesines Hacke vorbei in den Straßenbelag und ein tiefes Loch war entstanden, aus welchem es rauchte. Der zweite Strahl fuhr höher und wieder schrie Gesine gellend auf, als sie George gerade noch rechtzeitig am Arm fassen konnte und einfach nach oben zerrte. Der Strahl fuhr diesmal knatternd ins Trittbrett. George ließ Gesine nicht los und diese warf sich neben ihn in den Sitz und zog die Tür hinter sich zu.
Die Reifen quietschten entsetzlich, als der Jambuto hart die Kurve nahm.
Die Meute zögerte, ihnen hinterher zu feuern, da sie ihren Gedanken nicht aufgeben wollten, dieses seltsame Fortbewegungsmittel doch noch irgendwie möglichst unbeschädigt zu ergattern. Zu spät schossen sie deshalb auf die Reifen und durch die Scheiben auf den Fahrer. Das Panzerglas des Jambutos schmolz. Es war sehr heiß geworden in der Fahrerkabine. Einige Spliter lagen auch auf Georges Schultern, der sich aber nicht beirren ließ und trotzdem kaltblütig weiter fuhr.
„So ein Pech!“ schimpfte Gulmur und stampfte mit dem Fuß auf, als der Jambuto in eine Straße einbog. „Dabei hatte doch erst alles so leicht ausgesehen!“
Die Jisken nickten betrübt und Boktafton meinte dazu: „Ich habe eigentlich auch immer gedacht, dass Lumantis feiger sind und daher leicht zu bekommen.“
„Tja, so kann man sich irren!“ fauchte Gulmur. „Kommt, beeilen wir uns, ich habe mir die Wege gemerkt, wie wir die Tankstelle erreichen können, und ich werde nicht eher ruhen, bis ich den Oten zwischen meinen Pranken habe!“ Er fletschte die Zähne und schaute dabei auf seine mächtigen, krallenbewehrten Tatzen.
In der kleinen Nebenstraße hielt George erst einmal an, denn die Schmerzen im Fuß waren unerträglich gewor¬den.
“Tut mir leid, Gesine!“ keuchte er. „Wir müssen die Plätze tauschen.“ Auf seiner Stirn standen winzige Schweißperlen.
„Ist doch in Ordnung, George“, wisperte sie. „Du hast mir das Leben gerettet! Komm, mach schnell!“ Sie riss die Tür auf, um auszusteigen. “Man weiß ja nicht, ob sie noch immer hinter uns her sind!“ raunte sie ihm ängst¬lich zu und ihre Augen huschten dabei prüfend die Straße entlang.
Doch gerade als sie hinunter springen wollte, griff George um ihre Taille und hielt sie fest. “Nein!“ sagte er und riss sie an sich. Sie wandte vor Überraschung ihr Gesicht so schnell zu ihm herum, dass sie beinahe mit ihren Nasen zusammengestoßen wäre. Nun zuckten sie scheu voreinander zurück und für einen Moment schauten sie sich dabei nur auf den Mund.
„Tja“, keuchte er, als sein Blick wieder ihre Augen erreicht hatte. „Hm ... so geht das nicht.“
Sie nickte ebenso aufgeregt.
„Ich meine ... das ist zu gefährlich!“ krächzte er weiter.
Sie nickte abermals und strich sich dabei eine ihrer goldblonden Locken aus der Stirn.
„Hm ... wir tauschen innerhalb des Wagens unsere Plätze, okay?“
„Okay!“
Er versuchte sich nun so schmal zu machen, wie es bei seiner beträchtlichen Größe und dieser Enge nur ging.
„Weshalb sie wohl hinter uns her sind?“ schnaufte er. “Ich begreife das nicht. Mir ist zwar bekannt, dass sowohl Jisken als auch Hajeps Kopfjäger sind, aber nach alledem, was sie vorhin in dieser Stadt erlebt haben, müssten sie doch eigentlich die Schnauze vom Kämpfen voll haben!“
Sie erhob sich ebenfalls. „Vielleicht gilt diese Jagd ja nicht uns, George! Sie haben ziemlich spät auf den Wagen geschossen ... womöglich ist dieser Jambuto ihr Ziel! “
„Schlaue Maus!“ Er nickte anerkennend und sie lächelte, während sie zueinander hinüber krochen, aneinander vorbei glitten – sie elfenzart, er durchtrainiert und muskulös - und jeder von ihnen spürte für wenige Sekunden den Körper des anderen und sie sprachen dabei kein Wort.
Beide waren noch immer still, atmeten nur etwas hastig, als sie ihre Plätze eingenommen hatten. Wieder schau¬ten sie einander auf die Lippen und eine zarte Röte kroch in ihre Gesichter.
„Oh neiiiin!“ rief sie plötzlich. Gerade noch rechtzeitig hatte sie nämlich im Rückspiegel fünf bewaffnete Gestalten um die Ecke flitzen sehen. Der vorderste hatte wieder den Lauf seines Gewehrs erhoben und diesmal auf das Verdeck des Jambutos gerichtet.
„Scheiße, nichts wie weg!“ brüllte George.
„Hiiilfeee!“ kreischte sie, während der Jambuto nur so nach vorne flog. “Hoffentlich schaffen wir es noch!“
Es knatterte oben im Verdeck, roch schließlich komisch, grüner Rauch kroch hinab und irgend etwas tropfte.
„Verdammt, da schmilzt doch was!“
„Nur, nicht aufregen, Gesine!“ brüllte George verzweifelt. “Die haben es doch nur so ein bisschen angesengt!“
Sie schaute hoch. „Oh Goooot ... du bist gut! Das ist gar kein bisschen ... hier ist Feuer!“