Kapitel 22
Gesenkten Kopfes lief Mike gemeinsam mit seinen Kameraden, ebenfalls als Trowes getarnt, Richtung Jachthafen hinab zum Ufer. Mike dachte angestrengt nach. War schon merkwürdig, dass die technische Zentrale Xolos nun ganz woanders sein sollte als es zunächst bekannt gewesen war. Er hatte diese neue Nachricht über einen von Munjafkurins Kameraden erfahren und war nun in tiefer Sorge, wie alles noch schnell genug vonstatten gehen sollte.
Unten im Jachthafen lag das Schiff vor Anker, so es denn überhaupt einen Anker besaß und nicht auf andere Weise am Ufer festgemacht war, welches Mike und seine Leute nun aufzusuchen hatte und in dem sich auch Günther Arendt mit einigen seiner Generäle befinden sollte.
Diese neue Nachricht war nicht der einzige Grund, welcher Mike so nachdenklich machte. Auch die Tatsache, dass Frank und Trude sich zunächst in Zarakuma verlaufen und dadurch erst wesentlich später bei ihm, Christian und Jonas erschienen waren, machte ihn irgendwie pessimistisch. War nicht ohnehin alles zu spät und somit verloren? Auch traute er dieser komischen Margrit, auf die Günther Arendt immer so baute, überhaupt kein geschicktes Geplänkel mit Atabolaka und auch nicht mit Oworlotep zu. Daher war Mike dafür, so bald wie möglich umzukehren, doch lieber den Rückzug anzustreben, ehe es womöglich zu spät dafür war.
Doch kaum befand er sich im Inneren des schön geschmückten Schiffes und nicht nur Günther Arendt, sondern auch Adrian von Haiden, Martin, Chan-Jao und Erkan hatten ihn dort im Kreise einer anmutigen, allerdings etwas schrill gekleideten, senizischen Tänzerschar freundlich begrüßt, schöpfte er doch wieder Mut.
„Mann, du hast uns aber wesentlich schneller gefunden als Martin!“ bemerkte Chan-Jao stirnrunzelnd. „Für den musste ich nämlich andauernd wie verrückt herumtanzen, bis der das endlich schnallte!“
„Na ja, Andunktan, ein Kamerad Munjafkurins, informierte mich ja auch“, schmälerte Mike grinsend dieses Lob, und ehe er noch weiter mit Chan plaudern konnte, packte ihn Günther Arendt beim Arm, um mit ihm in einer etwas ruhigeren Ecke der Jacht noch einiges Wichtige zu besprechen.
„Wir werden das schon schaffen Mike!“ beantwortete Günther Arendt dann auch Mikes Fragen und klopfte ihm dabei ermunternd auf die Schulter. „Lassen Sie den Kopf nicht so hängen. Was soll ich denn sagen! Im Gegensatz zu Ihnen fehlen mir noch immer zwei Leute, nämlich George und Paul!“ Er grinste nun ein wenig unsicher, da er hinzufügen musste. „Na ja, und die drei Senizen, die eigentlich auch Chan und Martin begleiten sollten, sind dabei gleich mit verschwunden.“ Er holte tief Atem, ehe er weiter sprechen konnte. „Ich gebe zu, das ist schon ein wenig merkwürdig. Warabaku ist furchtbar wütend und lässt bereits nach ihnen suchen. Er hat mir versichert, dass die Drei hinterher drastische Strafen bekommen werden!“
„Pah, das nutzt uns aber viel!“ erklärte Chan-Jao reichlich zynisch, während er auf Anraten eines der senizischen Tänzer mit einem kleinen Pinsel drei der goldfarbenen Sterne um seine dünn ausgezupften Augenbrauen erneuerte.
„Da hat Chan wirklich Recht!“ brummte Erkan, dem die Senizen noch einen weiteren Schleier umgehängt hatten, damit man seine breiten Schultern nicht so sah.
„Beruhigt euch! Noch haben wir Zeit!“ Günther Arendt wedelte mit den Armen nach beiden Seiten, wie er das immer machte, wenn er für Ordnung sorgen wollte. „Und bis jetzt ist doch eigentlich überhaupt nichts wirklich schief gelaufen! “
„Aber, wie wollen wir dann später noch schnell genug nach Zarakuma hinein kommen?“ bemerkte jetzt Martin.
„Am besten du erklärst ihnen das Giurai!“ wandte sich Günther Arendt an den Leiter der senizischen Gruppe.
Giurai strich sich etwas umständlich mit beiden Händen über die in kostbare Seidenstoffe gewandeten Hüften, schlug die langen, rot getuschten Wimpern auf und nieder und hüstelte ein wenig verlegen, ehe er begann.
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Es war für Margrit schon schwierig genug gewesen, den langsamen Gang einer wuchtigen, derben Trowe zu imitieren, zumal sie kaum Zeit gehabt hatte, diesen vorher einzuüben, und nun musste sie auch noch rennen und dabei trotzdem nicht vergessen eine Trowe darzustellen. Gott sei Dank herrschte solch ein reger Betrieb gerade auf jener Treppe, die zum zweiten Haupteingang hinauf führte, dass Margrit ihre Gruppe wohl noch rechtzeitig erreichen würde.
Leider nahm Margrits Angst trotzdem zu je näher sie Lakeme kam. Sie fürchtete nämlich den Augenblick, in dem sie gemeinsam mit den Mädchen durch das Chegonal, den Mittelteil Lakemes, schreiten und Moga Pukto, den großen Festsaal, betreten würde. Margrit war gestern von Günther Arendt gewarnt worden, dass sie sich nur ja vorsehen und innerhalb Lakemes mit keinem Menschen mehr sprechen solle, weil sich die murakische Eliteeinheit Lakemes gewiss unauffällig unter die Gäste gemischt hätte. Man hatte Margrit natürlich auch auf ein Scheitern des Planes vorbereitet und ihr verschiedene Instruktionen gegeben, was sie antworten sollte, doch diese sagten ihr nicht so recht zu.
Die Lumantis sollten als witzige Einlage inmitten einer anzüglichen Darbietung senizischer Tänzer und Tänzerinnen kaum bekleidet erscheinen und munter dazwischen hüpfen. Die Jastra sollten auf diese Weise zum Mit¬tanzen animiert und schließlich dabei zu allerlei erotischen Spielchen verführt werden.
Aber was war dann? Selbst wenn es ihr gelungen sein sollte, die Jastra auf die Bühne zu locken, würde ihr auch noch das große Kunststück glücken, die besondere Aufmerksamkeit Atabolakas zu erlangen oder zumindest die Oworloteps, von dem sie nicht wusste, ob der sie, da sie nun um so viele Jahre jünger aussah, überhaupt wieder erkennen, sich überhaupt noch an sie zurück entsinnen würde?
Sehr nachdenklich watschelte sie deshalb die großen, breiten Stufen hinauf. Ihr Zögern verwirrte Gesine, die sich oben als letzte in die Reihe gestellt und noch ein paar Gäste vorgelassen hatte. Die lief nun etwas erstaunt zu Margrit hinunter. War diese alte Trowe etwa gar nicht Margrit? Sie musste das unbedingt heraus finden.
„Nanu?“ wisperte sie, kaum dass sie Margrit erkannt hatte. „Du bist zwar perfekt trowisch, wenn du so läufst, aber warum trödelst du so?“
„Och, ich hab` nur ein bisschen Schiss vor dem, was noch so alles kommen wird!“
„Aber Glucki, es hat doch keinen Zweck, dass du dich verrückt machst. He, hast du mir das nicht selbst gesagt?“
„Tzississsis ... was ich dir so alles gesagt habe.“ Margrit schüttelte den Kopf.
„Na, komm schon, Glucki, gib` dir einen Ruck! Hab` schon deine Gruppe darauf vorbereit, dass du ordentlich drängeln wirst!“ Gesine wendete sich um. „Also, ab durch die Mitte!“ wisperte sie Margrit noch schnell über die Schulter zu und dann rannte sie so federleicht, wie man sich das eigentlich nur bei Elfen vorstellen kann, wieder die Stufen hoch und der weiße, lange Schleier wehte ihr dabei hinterher.
Der Toreingang war so breit, dass auf jeder Seite drei von diesen breitschulterigen Muraken gut nebeneinander hätten stehen können . Doch es befanden sich auf der einen Seite nur zwei und auf der anderen sogar nur einer. In Lakeme befürchtete demnach wohl nichts sonderlich Schlimmes, war sogar im Laufe der Nacht etwas leichtsinniger geworden.
Margrit konnte zwar die Zahl der Soldaten erkennen, jedoch aus dieser Entfernung noch nicht, ob einer von den dreien wirklich Munjafkurin war, zumal zum Anlass dieser großen Festlichkeit nicht nur prächtige Uniformen und Waffen, sondern auch recht imposante Helme getragen wurden. Margrit wusste, dass es die Hajeps eigentlich gar nicht nötig hatten, an den Toren mit Soldaten aufzuwarten, da ihre Robottechnik reibungslos funktionie¬ren sollte. Also standen die Murake dort einzig zu dem Zweck, jedem die Macht Hajeptoans auf prächtige Weise zu symbolisieren!
Nachdem der Asab mit den drei Muraken kurz verhandelt hatte, öffneten sich endlich, wenn auch sehr langsam, die zweiten verzahnten Türhälften im Inneren des Palastes, die paradiesisch ausschauende Vögel im Kampf zeigten, und die Musik, welche im ersten der vier Empfangsräume gespielt wurde, tönte ihnen entgegen.
Margrit wurde schneller, musste sich beeilen, wenn sie noch gemeinsam mit den Menschen hineinwollte. Schon waren die ersten der Gruppe durch die kostbare innere Türöffnung geschritten, da fing Margrit an zu drängeln, knuffte die jungen Frauen mit ihren Ellenbogen derb in die Seite und diese taumelten, taten so, als wären sie entrüstet und höchst erstaunt über die freche Punsi, die derart eilig mit ihnen hindurch wollte.
Margrits Herz hüpfte freudevoll, als sie erkannte, dass der einzelne Soldat im Eingang tatsächlich Munjafkurin war. Trotzdem wagte sie nicht, ihm beim Vorrübergehen zuzugrinsen und auch er zuckte nur ein bisschen um seine roten Augen herum.
Martin hatte Recht, kaum befand sie sich im ersten der eleganten Empfangsräume, fühlte sie keinerlei Angst mehr, eher bemächtigte sich ihrer eine regelrechte Abenteuerlust. Margrit löste sich aus der Menge und Gesine spielte ihre Rolle hervorragend, schimpfte ihr noch irgendetwas laut hinterher.
Während Margrit die sonderbaren jedoch edlen Möbel zu putzen begann, schaute sie sich immer wieder verstohlen um, war sie wie berauscht von dem prächtigen Bild, welches sich ihr bot. Die Möbel waren meist im Fußboden versenkt und man musste oft zwei bis drei Stufen zu ihnen hinab laufen, um darin Platz zu nehmen. Der Fußboden darum war weichgepolsterte und diente als Nackenlehne. Überall waren Diener und Reinigungskräfte, die hier beständig herum huschten.
Doch Margrit versuchte nur die Menschengruppe im Auge zu behalten, der sie sich ja nachher unauffällig wieder anschließen sollte. Sie musste dabei eine Etage hinauf gehen, wo auch der große Festsaal war, und sich die dazu gehörenden Toiletten und Baderäume befinden sollten, wo Gesine mit Margrit wieder ihre Rollen tauschen konnten.
Plötzlich geschah etwas im Eingang, mit dem wohl keiner gerechnet hatte. Einer der vier Tjufate und drei Jimaros, die ebenfalls hinein wollten, zwängte sich an allen vorbei nach vorne und packte den fassungslosen Munjaf¬kurin plötzlich derb beim Stehkragen. In Hajeptischer Sprache schrie er den Entsetzten an und schüttelte ihn. Margrit verstand, dass dieser Tjufat Munjafkurin für einen Attentäter hielt.
Munjafkurin stammelte irgendetwas als Entschuldigung, doch der Mann winkte aufgeregt seine Kameraden herbei. Diese versuchten, sich nun ebenfalls an den Gästen und der Lumantigruppe vorbeizuquetschen, doch die Menschen machten sich, instinktiv spürend, dass sich hier vielleicht etwas ganz Furchtbares anbahnen könnte, viel breiter als sie eigentlich waren. Selbst Margrit hatte ihre Reinigungsarbeit sofort unterbrochen, war wieder die sonderbare Wohnlandschaft hinauf zum Eingang gewatschelt und bei der Gruppe stehen geblieben.
Seltsamerweise halfen ihm die Kameraden nicht, die eben noch gemeinsam mit Munjafkurin Wache geschoben hatten. Sie hielten sich aus dieser Angelegenheit völlig raus, schienen sogar vor Schreck wie erstarrt zu sein.
Im Eingang war inzwischen ein Stau entstanden und Munjafkurin hatte sich für einen Moment von dem Offizier losgerissen, kam aber nicht weg, weil der ihn schon wieder packte und diesmal versuchte zu Boden zu reißen. Die Menschen brüllten und schrieen in diesem ganzen Durcheinander, und besonders angsterfüllt kreischte dabei Gesine, um die Offiziere damit zu irritieren und daran zu hindern, weiter Richtung Munjafkurin zu streben, doch diese machten sich nichts draus.
Als erstes bekam Margrit, die Munjafkurin immer näher gekommen war, wieder einmal eine Faust in den Magen, wo es ihr ohnehin schon die ganze Zeit weh tat, und sie sah noch, während sie sich ächzend zusammenbog, zwischen tanzenden Sternen, dass die Menschen von den muskelbepackten Kerlen in wenigen Sekunden einfach auf die Teppiche gestoßen worden waren.
Die Alarmsirenen schrillten und fast gleichzeitig versuchten kirtifische Sajane, die in dieser großen Empfangs¬halle zunächst nur auf leisen Sohlen herum geschlichen waren, herbei zu eilen, um Munjafkurin zu stoppen, denn dieser hatte inzwischen dem Tjufat mehrere Kinnhaken verpasst und seinen Posten entgültig verlassen, war mit zwei, drei riesigen Sätzen an einem alten Trowe vorbeigesaust, der hier ebenfalls zu tun hatte.
Ganz nebenbei entdeckte Margrit, dass sich nicht nur der Asab, welcher die Lumantigruppe eben noch hoch erhobenen Hauptes angeführt hatte, sich erst einmal auf jener Treppe in Sicherheit gebracht hatte, die in die nächste Etage führte, auch sein Tjufat und sechs seiner Sajane hatten es ihm nachgetan, harrten dort der Dinge, die sich nun ereignen würden.
In Sekundenbruchteilen war Munjafkurin zur nächsten Tür unterhalb der Treppe gejagt. Die restlichen drei Tjufate und Jimaros und diejenigen, die eigentlich nur für die Sicherheit der Menschen zuständig gewesen waren, folgten Munjafkurin laut schreiend und rissen dabei den alten Trowe rücksichtslos zu Boden.
Margrit verstand ihren hajeptischen Freund nicht mehr, warum rannte er weg? Das war doch das Dümmste, was er tun konnte!
Schon war die Tür geöffnet, dumpf hallten seine Tritte die mit dicken Teppiche ausgelegte Treppe hinunter und nur Sekunden später waren die seiner Verfolger dort ebenfalls zu hören.
Der Tjufat hatte sich derweil einigermaßen von den heftigen Schlägen erholt und rannte nun, allerdings ein wenig taumelnd, ebenfalls am phantastisch gestalteten Springbrunnen, der sich inmitten dieser Halle auf einem Hügel befand, vorbei.
Inzwischen kamen aus den Seitentüren, die Margrit vorher gar nicht gesehen hatte, so geschickt waren die verborgen gewesen, weitere kirtifische Sajane und Sajanas in putzigen Kostümen herbei getrippelt, welche die Lumantitänzer in leiser, aber sehr bestimmter Tonlage anwiesen, sofort weiterzulaufen und zwar die Treppen hinauf, dem Asab hinterher. Dieser ließ sich dazu herab, ihnen dafür mit einem knappen Nicken danken.
Nun kamen noch mehr Soldaten durch die Seitentüren des Empfangsraums. Die Waffen schussbereit haltend hechteten sie alle panthergleich am Springbrunnen vorbei zur jener Tür, durch welche Munjafkurin entflohen war.
Schüsse hallten jetzt eine Etage tiefer, lautes Rufen und Schmerzensschreie gellten. Nicht nur Margrit hatte panische Angst um Munjafkurin, auch Gesine. Diese wollte deshalb mit schreckverzerrtem Gesicht, jedoch zu allem entschlossen ebenfalls die Treppen zu Munjafkurin hinunter.
Doch schon hetzte Margrit Gesine hinterher, dabei den Watschelgang vergessend, packte sie bei der Schulter und riss sie zurück. „Tu`s nicht!“ raunte sie Gesine ins Ohr. „Womöglich bringst du dich selbst in Gefahr. Lass es mich für dich machen, da mein Leben ohnehin verwirkt ist!“
„Meinst du?“ Gesine kuschelte sich weinend und haltsuchend ziemlich dicht an Margrit heran und stibitzte dabei mit ihren geschickten Fingern die kleine Handfeuerwaffe aus den Falten von Margrits Schleier, welchen Margrit mehrfach um ihre Hüften gewickelt trug, damit ihr knochiger Körper zumindest dort ein bisschen fülliger aussah.
„Danke dir, Glucki!“ jubelte sie auch schon und dann war sie an der verdutzten Margrit vorbei und die Treppen zu Munjafkurin hinunter.
Margrit eilte ihr mit verstörter Miene hinterher. Verdammt, was hatte Gesines herziges Dankeschön zu bedeuten? Ein schrecklicher Verdacht beschlich Margrit und schon blieb sie stehen tastete ihre Hüfte ab. Verdammt, Gesine hatte nun ihre Waffe, was würde sie damit Verhängnisvolles tun?
Schon war auch Margrit die Stufen ganz hinunter, direkt in den Lärm hinein gekommen und ihr folgte unbemerkt der alte Trowe, welcher sich inzwischen aufgerappelt hatte, seine kleine, außerirdische Handfeuerwaffe dabei unter dem weiten Mantel bereithaltend. Unten angekommen, prallte Margrit vor Entsetzen fast zurück, denn trotz des Tumultes konnten sie das erschütternde Bild erkennen, was sich ihr plötzlich bot.
Die Möbel waren völlig zerstört, die Wände zerfetzt. Munjafkurin hatte einen der Tjufate und vier Jimaros mit seinem Gewehr nieder gestreckt. Diese lagen sterbend am Boden und blaues, fast schwarzes Blut sickerte in die gepflegten Teppiche. Er selbst blutete ebenfalls aus unzähligen Wunden. Sein Gewehr war zerschossen. Er besaß nur noch eine Rinjat, eine Handfeuerwaffe, die nicht mehr richtig funktionierte, welche er jedoch als letzte Hoffnung in seinen bebenden Händen hielt. Wie bei einem in die enge getriebenen Tier jagten seine schrägen Augen jetzt wild hin und her, denn Munjafkurin war eingekreist. Alle hatten ihre Gewehre auf ihn gerichtet und man stellte ihm in hajeptischer Sprache verschiedene Fragen, die er einfach nicht beantwortete.
Margrit hatte zu ihrem Entsetzen schon aus den wenigen Wortfetzen entnehmen können, dass anscheinend in den merkwürdigen Lampenbällen, welche die ganze Zeit Zarakuma bei Nacht erhellten, Sender eingebaut waren, die sowohl Fotos als auch Tonaufnahmen Verdächtiger festgehalten hatten. Dabei war man wohl über die Zentrale informiert worden, dass Munjafkurin gemeinsam mit Jisfantura darüber geredet hatte, eine Bombe irgendwo in Lakeme versteckt zu haben, die nun in etwa einer halben Stunde explodieren würde.
Margrit war völlig fassungslos. Also hatten Munjafkurin und Jisfantura noch zusätzlich etwas ganz anderes vorbereitet. Jisfantura musste das System nicht nur ebenso wie Munjafkurin hassen, sondern auch derart fürchten, dass er heute ganz sicher gehen, sich nicht nur auf Menschen verlassen wollte, um die Jastra auch wirklich für immer zu beseitigen.
Während Gesine in einem fort schluchzte – Margrit sah allerdings dabei, dass auch sie ihre Waffe unter dem Schleier gezogen hatte- hielt sich der alte Trowe, der nun ebenfalls diese Halle betreten hatte, fast scheu im Hintergrund auf, schaute nur aus kleinen, gelben Augen dabei zu.
Die Hajeps schienen zwar zum Äußersten entschlossen, jedoch war Margrit klar, dass sie im Moment Munjafkurin nicht töten wollten, weil sie eben trotz all der Abhörgeräte wohl noch nicht heraus bekommen hatten, wo genau die Bombe versteckt worden war.
Was mochte wohl inzwischen mit Jisfantura geschehen sein? War er ihnen entkommen oder hatte er sich inzwischen einfach selbst getötet? Hajeps waren da manchmal sehr heroisch! Margrit konnte, auch wenn sie die Ohren spitzte, kaum noch etwas verstehen, da die Offiziere nun leise miteinander berieten und noch dazu ihr frisch erlerntes Vokabular unzureichend war. So hob sie die Kapuze ein wenig an, um zumindest aus den unterschied¬lichen Körpersprachen noch etwas zu entnehmen.
Munjafkurin redete nun endlich ... zunächst zögernd und zaudernd und die Jimaros näherten sich ihm auf ein unauffälliges Zeichen des ranghöchsten Tjufats. Langsam und vorsichtig rückten sie vor, um den mutmaßlichen Attentäter einzufangen, weil sie dann bessere Chancen hatten ihn zu verhören.
Doch Munjafkurin erkannte ihre teuflische Absicht und legte ebenso bedächtig die kleine Handfeuerwaffe an seinen Kopf. Sein Gesicht war zwar aschfahl, aber er wollte wohl seine Freunde unter keinen Umständen verraten, die ganze Geschichte nicht auffliegen lassen.
Er wusste zwar nicht, wie viel Schuss er noch hatte und ob er mit diesem Ding überhaupt noch feuern konnte, aber er hoffte auf wenigstens eine Ladung und sprach daher mit lauter, fester Stimme, konnte plötzlich offen seinen ganzen Hass über dieses Kastensystem, vor allem über die Jastra ausdrücken.
Margrit sah seine herrlichen, gefletschten Zähne und die blitzenden Augen, in denen jetzt ein heftiges Feuer brannte, das Feuer einer ungestillten Sehnsucht nach Freiheit, Gleichheit und Glück. In keiner Weise schien ihm Leid zu tun, was er gemeinsam mit seinen Kameraden und Jisfantura geplant hatte.
Da schob sich Gesine plötzlich zwischen die erstaunten Jimaros und Tjufate und das geschah so schnell, dass selbst die entsetzte Margrit nicht mehr in der Lage gewesen war sie aufzuhalten.
Doch Munjafkurin schien seine Geliebte inmitten der Männer nicht zu bemerken, er redete nur, sprach immer schneller, sah seinen Feinden dabei der Reihe nach in die kalten Gesichter, denn er schien fest entschlossen, sein Geheimnis mit sich in den Tod nehmen. Schließlich verabschiedete er sich mit einer leichten spöttischen Verneigung und Gesine, die diesen Gruß kannte stürmte vor.
„NEIIIIIN!“ schrie sie gellend. „Munjafkurin tu es nicht!
Doch es war schon zu spät. Zwar hatte er nicht richtig getroffen, wie das oft beim ersten Mal ist, wenn man sich töten will, jedoch war er so schwer im Gesicht getroffen, dass sein Leben zu Ende ging. Langsam sackte er zusammen, ächzte leise, fiel erschlafft auf die Knie und dann kippte er auf die Seite.
In ihrer Verzweiflung warf sich Gesine laut schluchzend über Munjafkurin.
„Sinia! Du bist hier?“ keuchte er verwundert.
„Ja, ich bin da, mein großer, tapferer Freund ...“, Gesine hörte auf zu weinen und strich ihm dabei zärtlich das blutverschmierte Haar aus der Stirn, „... und ich verlasse dich nicht ... NIE ... komme was da wolle, hörst du?“
„Akir, haber isch gehörcht!“ krächzte er zutiefst bewegt. „Oh, Sinia, meiner Sinia ... es uns beiden waret nischt vergönnert zu lebän miteinander!“ Er rang nach Luft. „Isch ... nischt wußtere und vielleischt auch haute noch nisch rischtig wissere, was Liebe is ... abar isch ... isch glaubere, dass isch es tue!“ Seine sonderbaren Augen bekamen dabei einen warmen Glanz.
Plötzlich war es ringsum still geworden, alles lauschte und selbst der Tjufat, der eben noch getobt, geschrieen und sein Gewehr dabei auch auf Gesine gerichtet hatte, schwieg, denn er hoffte, dass sich Munjafkurin vielleicht doch noch verriet, zum Beispiel durch ein unbedachtes Abschiedswort an seine Geliebte.
Gesine schaute sich nicht um, musste schlucken, denn sie spürte, dass ihr wieder heiße Tränen in den Augen brannten. Aber sie riss sich zusammen. „Was tust du?“ fragte sie verwirrt und mühte sich dabei zu lächeln.
„Disch lieben!“ raunte er ihr schwer atmend mit seiner dunklen Stimme zu. „Akir, isch fülere es ... isch bin dir
soooo nahe!“
Die hajeptischen Tjufate warfen einander fragende Blicke zu, denn niemand wusste so recht, was man mit dem Wort nahe eigentlich anfangen sollte. War es nun etwas Verdächtiges oder nicht?
„Oh, Munjafkurin!“ Gesines Finger wanderte dabei sanft die Konturen seiner schön geschwungenen Lippen entlang. „Du Schelm ... dass du mich liebst, wusste ich doch schon so lange!“ und sie küsste ihn zur Verwunderung der Hajeps so innig auf den Mund, wie sie nie zuvor gesehen hatten.
„Du ... du mich hatest doch auch ... geliebt?“ fragte Munjafkurin trotz dieses Kusses unsicher, kaum dass sich ihre Lippen voneinander gelöst hatten.
„Akir, Kontriglusi, moi xabir!“ erwiderte sie in seiner Sprache und nun lief doch wieder eine Träne ihre Wange hinab. „Ich hatte dich nicht nur geliebt, ich liebe dich immer noch.“ Und ihre Blicke umschlossen dabei seinen langen, mächtigen Körper mit einem zärtlichen Blick. „Und ich werde dich ..."
„... nie vergessern, chesso?“ vollendete er ihren Satz. Doch dann stutze er und seine Hand wanderte über ihre nasse Wange. „Nischt weininn Sinia!“ krächzte er heiser. „Wisse, das Lebinn is nür eine Schpiel! Weiter nichs.“ Und eine der goldblonden Strähnen, welche sich aus Gesines kunstvoll hoch gestecktem Haar gelöst hatte, geriet ihm dabei zwischen seine Finger. Munjafkurins blasses Gesicht zuckte beglückt und er zog seine Geliebte noch näher zu sich heran. „Du musst jitzt tapfer zein. Werdere zur einar Bar, du verstehst?“
„Einer Bar?“ Gesine schüttelte verwirrt den Kopf und er wirkte deshalb ein wenig enttäuscht, versuchte es aber trotzdem noch einmal.
„Sinia, isch habere dieser Spiel nich gutig genüg gespielt“, warf sich Munjafkurin tonlos vor und runzelte die Stirn.
„Doch, das hast du“, protestierte Gesine energisch und hielt die schlaffe Hand samt ihrer Locke fest.
„Denda!“ krächzte er. „Doch gebert es zume Gluck andere und die werdin diese Trammiln bester spielern und ....“
Da knallte es plötzlich von hinten. Der alte Trowe hatte geschossen und Blut sickerte aus Munjafkurins Brust, dort wo sein Herz saß.
„Stirb du Mörder!“ brüllte Gesine fassungslos und feuerte dabei voller Verzweiflung mehrmals auf den alten Trowe. Dieser fiel nun schwer getroffen zu Boden, konnte aber noch einen letzten Schuss Richtung Gesine abfeuern. Er musste ein hervorragender Schütze sein, denn noch im Sterben traf er zielgenau. Mit entgeistertem Gesichtsausdruck, als könne sie nicht glauben, dass sie nun ihr junges Leben aushauchte, fiel Gesine nach vorn, brach mit weit aufgerissenen Augen über Munjafkurin zusammen. „Ich ... bleibe ... bei ... dir!“ flüsterte sie und lächelte plötzlich, da sie Munjafkurins Körper noch im Sterben unter sich spürte. Ihre Pistole glitt dabei aus der Hand und einer der Jimaros hob sie auf und nahm sie an sich.
Margrit, die all das hatte mit ansehen müssen, kämpfte mit sich selbst, denn sie hatte das dringende Bedürfnis, einfach laut los zuschreien und mit Fäusten auf die Hajeps, ja, auch auf den alten Trowe einzudreschen, aber das wäre wirklich dumm gewesen, denn sie besaß ja nicht einmal mehr eine Waffe. Sie war so hilflos wie ein Kind. Wie im Nebel sah sie jetzt, dass die Jimaros und Tjufate die beiden fest ineinander verschlungenen Toten derb auseinander rissen. Munjafkurins Kleidung wurde sofort nach irgendwelchen verräterischen Dingen durchsucht. Fast gleichzeitig hatten sich die Hajeps um den Trowe gekümmert, vermutlich, um diesen doch noch zu retten, weil sie wohl sonst nie heraus bekommen würden, was sich hier eigentlich abspielte. Sie verstand das trotzdem nicht, denn diese vielen Schüsse konnte auch ein Trowe wohl kaum überlebt haben, oder?
Margrit war voller Zorn auf die Hajeps. Sie schien plötzlich ein großes Loch in ihrem Herzen zu haben, konnte gar nicht mehr weinen und verspürte nur noch das dringende Bedürfnis, Gesines unnötigen Tod und Munjafkurins schreckliches Ende irgendwie rächen zu müssen.
Vielleicht konnte sie das wirklich! Dank ihrer hervorragenden Ohren hatte sie nämlich verstanden, was Munjafkurin zuletzt versucht hatte, Gesine anzudeuten. Er hatte vom Spiel und einer Bar mit Musik in Verbindung mit Trommeln gesprochen. Aber wo mochte hier solch eine Bar sein? War dort womöglich die Bombe versteckt? Oder konnte in dieser Bar womöglich irgendetwas ganz anderes verborgen sein, was die Hajeps auf keinen Fall in ihre Hände bekommen sollten?
Eine unglaubliche Unruhe war mit einem Male wieder in diesem Raum entstanden. Kirtifische Sajane und trowische Punsis waren hinzugekommen, um hier wieder so weit es ging Ordnung zu machen. Einige der Soldaten stürmten fast gleichzeitig die Treppen hinauf in den Empfangsraum zurück.
Dieses Durcheinander konnte Margrit für sich ausnutzen. Sie lief einfach in den nächsten Raum, wo sie verdutzt zurück prallte, weil es dort eine prächtige Ausstellung mit uraltem Lumantispielzeug für die Gäste zu sehen gab.
Nachdem sich hinter Margrit die beiden Türhälften dieses Raumes leise rauschend geschlossen hatten, wanderte sie sehr nachdenklich die schmalen Gänge zwischen den vielen Vitrinen entlang, denn Munjafkurin hatte zwar vom Spiel gesprochen, einer Bar und von Trommeln, aber könnte er am Ende gar keine richtige Bar gemeint haben, sondern eher eine Puppenstube in Form einer Bar? Denn er war hier hinunter geflüchtet. Was konnte er gesucht haben?
Tatsächlich gab es hier ganze Häuser, regelrechte Villen, Frisiersalons, Läden und Swimmingpools zum bestaunen, und sie alle gaben Zeugnis ab für eine einst sehr hohe, recht wohlhabende Kultur der Spezies Mensch, doch seltsamerweise war keine einzige Bar darunter.
Margrit lauschte mit angehaltenem Atem. In dem angrenzenden Raum herrschte noch immer ein großer Tumult um Munjafkurin und Gesine und das war wohl auch der Grund, weshalb dieser Raum hier noch immer leer und völlig unbewacht war. Doch warum schrillten in Lakeme nicht schon längst Sirenen, wo doch große Gefahr durch eine versteckten Bombe bestand? Oder warnten sich die Hajeps auf irgendeine andere Weise?
Margrit fand das irgendwie sonderbar, zudem beschlich sie plötzlich ein mulmiges Gefühl. Würde sie hier wieder hinaus können? Was war, wenn die Tür plötzlich verschlossen und die Bombe sich genau hier befand?
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George streckte sich und gähnte. Irgendwie war er noch immer benommen. Mann, hatte er vielleicht einen wirren Traum gehabt! Komisch, ein bisschen tat ihm die Schädeldecke weh, ganz besonders sogar an einer Stelle? Instinktiv tasteten nun seine Finger danach. Was? Da hatte er aber eine mächtige Beule. Die blutete sogar noch immer ein bisschen, war fast eine Platzwunde! He, wo lag er hier eigentlich? Er schaute sich erschrocken um. Es schien kein Bett zu sein in dem er sich befand! Er hatte zwar eine Zudecke über dem nackten – wieso war er eigentlich nackt?- und ansonsten war`s hier nichts als finster! Man konnte buchstäblich nicht die Hand vor den Augen sehen!
Völlig verwirrt fuhr er schließlich mit dem Oberkörper hoch und hätte sich beinahe nochmals seinen Schädel am Dachbalken, oder was es auch sonst immer war, gestoßen.
„He ... was ist denn jetzt plötzlich passiert?“ schnaufte er zutiefst entsetzt und das Herz pochte ihm dabei bis zu den Ohren hinauf. Er lauschte angespannt in die Stille hinein. Vielleicht konnte er, wenn er schon nichts sah, zumindest etwas hören?
Tatsächlich, da war was und zwar direkt neben ihm. Oder hatte er sich nur getäuscht? Nein, er vernahm wirklich ein gleichmäßiges und tiefes Atmen direkt neben sich. Jemand schlief hier auf seinem Lager! Doch das machte ihn keineswegs ruhiger, denn wer eigentlich konnte das sein? Etwas Weibliches etwa, oder etwas Gefährliches?
Fieberhaft versuchte er deshalb, sein immer noch reichlich träges Gehirn zu schnellerer und besserer Arbeit zu bewegen. Verdammt, was war passiert, bevor er hier gelandet war? Wo war er hier?
Es half alles nichts, er musste sich eben seine Umgebung ertasten, dabei auch noch vorsichtig sein, da er ja wirklich nicht wusste, wer dieser jemand war, der neben ihm lag. Na, zur Not würde er demjenigen einfach einen kräftigen Hieb verpassen, dieser Gedanke tröstete George etwas.
Vorsichtig - dabei raschelte es leider doch sehr – durchmaß er den kleinen Raum mit seinen Händen und Füßen.
„Autsch!“ hörte er plötzlich neben sich. „Kannst du nicht aufpassen, du Volltrottel! Hättest mir beinahe dein Stinkebein ins Gesicht geschlagen!“
„P ... paul?“ schnaufte George überrascht und irgendwie auch erleichtert.
„Ja, so heiße ich! Mann, George, reg dich ab und lass mich weiterschlafen!“ Er hörte es Rascheln, zum Zeichen, dass sich Paul auf die andere Seite geworfen hatte.
„Mensch, Paul ... Pauuul?“ Er rüttelte ihn bei der Schulter. „Du ... oh, Mann ... schlaf bitte nicht weiter. Wir sind nämlich ...“ er schluckte beklommen, „... sämtlicher Kleider und auch Waffen beraubt worden und in dieser reichlich winzigen Kammer eingesperrt!“
„Wie? Waaas?“ Paul fuhr so erschrocken von seinem Lager hoch, dass er deshalb beinahe mit George zusammengestoßen wäre. „Eingesperrt?“
„Sehr richtig! Tja, nur ist er leider aus der Traum, Paulchen!“ ächzte George und fuhr sich dabei mit beiden Händen übers Gesicht. “Mann, ich kann es selbst kaum fassen! Das Schlimme ist, ich konnte hier noch nicht einmal eine Tür ertasten!“
„Du meinst die haben uns“, Paul musste nun auch schlucken, „hier einfach einge ... also ... eingemauert?“
„Hm, so könnte man das vielleicht wirklich nennen.“ George machte eine kleine, nachdenkliche Pause, ehe er weiter sprach. „Fragt sich nur, wer diese ´die´ gewesen sind!“
„He, weiß ich auch nicht“, ächzte Paul entgeistert. „Mensch, ich hab keine Ahnung, wie das hier passieren konnte! Ich bin wie bekloppt, kann mich kaum an irgendetwas erinnern!“
„Warte“, sagte George nach einem ganzen Weilchen stummen Nachdenkens, „da waren doch diese zwei Senizen, die wir abhängen wollten.“
„Stimmt jetzt fällt`s mir auch ein!“ Paul rieb sich das stoppelige Kinn. „Kaum auf dem großen Paradeplatz vor Lakeme angekommen, haben wir die beiden Senizen auf diese Terrassen eingeladen, sind mit denen in dieses komische Kaffee ....“
„Klar, und wir wollten die beiden ihre Säfte in aller Ruhe zu Ende trinken lassen und sind dann nacheinander auf die Toilette, wo Chan-Jao mit einer Leiter auf uns warten sollte. Der war aber gar nicht da und dann sind wir plötzlich wie betäubt ...“
„Wie betäubt?“ wiederholte Paul betroffen. „Meinst du wirklich? Aber wodurch?“
„Na, die zwei komischen Seidenkerle hatten uns wohl irgendetwas Einschläferndes in unsere Getränke gegeben.“
„Meinst du wirklich? Aber ich habe gar nicht gesehen, wie die Seidenaffen das gemacht haben!“
„Sind wohl doch nicht nur im Wimperntuschen geübt!“ murrte George sarkastisch.
„Hach, von wegen ... falsche Schlangen sind die Senizen! Na, warte, wenn ich erst diese ... diese Paviane zwischen die Finger kriege!“ Paul ballte seine Hände zu dicken Fäusten.
„Na, da werden wir wohl eher zwischen die gepflegten Fäuste dieser Paviane kommen und dann wer weiß, was uns erwartet?“
„Du meinst ... die ... die liefern uns womöglich noch an die Hajeps aus?“
„Vielleicht, wenn sie viel Geld dafür bekommen? Tja, Warabaku wird wohl auch nicht gerade sehr erfreut darüber gewesen sein, dass wir nicht gekommen sind!“
„Oder er gehört sogar zu diesen Verrätern!“
„Kaum, dazu unterstützt er unsere Pläne viel zu intensiv!“
„He, wie spät könnte es inzwischen sein, George?“
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„Gut Karl, hast ja Recht!“ Günther Arendt blickte sich zu diesem um. „Unsere nette Menschengruppe hat gerade den großen Festsaal ´Moga Pukto´ betreten.“ Er grinste breit. „Und diesmal wird`s klappen, das verspreche ich dir, weil ...“
,,Aber Margrit ist nicht dabei!“ warf Karl recht scheu ein, weil er den Optimismus seines Chefs nicht sehr gerne bremsen wollte.
„Ach, die ...“ Günther Arendt machte eine verächtliche Handbewegung, „... hatte noch nie das richtige Zeug zu einer echten Guerilla ... stirbt sie eben nicht so ruhmreich wie all die anderen. Außerdem habe ich Martin und Chan losgeschickt und Warabaku noch Senizen, die Margrit suchen und doch noch in den Saal hinein lotsen sollen. Die übrigen Menschen kommen jedenfalls nicht mehr heraus aus ´Moga Pukto´. Die meisten Tore dieses Saals sind bereits von Warabakus Leuten abgeschlossen worden. Wir werden hier ruhig auf Mikes Zeichen warten, und dann alle gleichzeitig loslegen!“
„Eigentlich schade um diese prächtige, außerirdische Anlage“, meinte Christian mit einem bewundernden Blick nach allen Seiten, während er nochmals einen der sechs Sprengsätze kontrollierte, welchen er auf den wichtigsten Server der elektronischen Steuerungszentrale Xolos montiert hatte, von der die gesamte Elektronik und Energieversorgung Zarakumas abhing. „Hätte nie gedacht, dass wir es tatsächlich schaffen würden, mitten in diese Zentrale hinein zu kommen.“
„Ich schon!“ bemerkte Günther Arendt. “Aber das liegt vielleicht auch an Warabaku, der uns im Gegensatz zu den übrigen aufständischen Hajeps ein ganz erhebliches Vertrauen entgegen bringt. Sonst können Hajeps mit Menschen sogar befreundet sein und ich glaube, sie würden ihnen dennoch misstrauen. Fürchten wohl, dass wir nach der Vernichtung Xolos wieder die Macht über unsere Erde zurück erhalten und sie vertreiben könnten. Darum zeigen sie uns wohl auch nicht, wie ihre sonderbaren Waffen funktionieren und auf welche Weise sie zu laden sind. Tja, in dieser Hinsicht halten wohl sämtliche Außerirdischen irgendwie zusammen. Aber wir sollten schon dankbar sein, dass sie uns zumindest ihre Sklaven anvertrauen“.
„Aber, diese Sklaven könnten uns doch auch hintergehen!“
„Hm, dagegen hat Warabaku vorgesorgt, aber darüber sage ich jetzt lieber nichts, denn ich weiß nicht“, Günther Arendt schaute sich dabei nach den sechs Senizen und Atimok, einem jener kleinen, erdfarbenen Kirtife, um, „ob nicht einige von ihnen unsere Sprache recht gut verstehen!“
„Sie haben Recht, besonders Atimok, dieser Kirtif mit den hässlichen, dicken Pelzohren, ist mir richtig unheimlich. Wie der uns Menschen immer skeptisch mustert! “
„Ach, darauf kann man wohl nichts geben. Der dürfte eigentlich auch nicht mit diesem Kastensystem einverstanden sein, zumal er sehr lange und hart in einem ´Jupakt´, einem so genannten Straflager, hatte arbeiten müs¬sen. Wir sollten eher froh sein, dass wir ihn dabei haben, denn selbst du musstest vorhin bei den komischen Abwehr– und Alarmanlagen passen. Der ist schon ein echtes Genie, kennt sich perfekt mit dieser sonderbaren Technik aus. Tja, ohne ihn wären wir wohl wirklich restlos aufgeschmissen!“
Günther Arendt warf dem Kleinen dabei einen dankbaren Blick zu. Doch Atimoks flinke, graue Augen wichen ihm aus. Er schaute recht kühl an Günther Arendt vorbei.
„Aber ich verstehe trotzdem nicht, weshalb Warabaku nicht einfach ganz auf uns verzichtet und alles nur mit diesen Sklaven hat machen lassen, das wäre doch auch gegangen!“
„Aber Karl!“ Günther Arendt schüttelte nun leicht genervt seinen Kopf. „Falls es schief geht, hätten die aufständischen Hajeps dann niemanden, auf den sie die ganze Sache schieben könnten. Außerdem besitzen nur wir das Refenin.“ Günther Arendt schaute abermals Richtung Tür, wo Mike mit den übrigen Sprengsätzen erscheinen sollte. „Vertraue also diesen gut ausgerüsteten Senizen und diesem Tarnnebel“, sprach er einfach schnell weiter, „in welchen sie uns die ganze Zeit gehüllt haben, denn von diesen Geräte dürften sie nur wenige zu ihrem eige¬nen Schutz bei sich haben.“
„Oh, welche Ehre!“ kicherte Karl. Er war dennoch sehr nervös, denn nun beunruhigte es ihn, dass Mike wohl gar nicht mehr erscheinen wollte. Was war passiert? Würden die wenigen Sprengsätze ausreichen, um diese riesige Zentrale Xolos gründlich zu zerstören, falls Mike nicht mehr kommen würde?
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Ach, Margrit wollte sich hier ohnehin nicht allzu lange zwischen all dem Spielzeug aufhalten, denn trotz dieser Unruhe, die nun auch in den anderen Räumen zu herrschen schien, musste Margrit zusehen, so schnell wie möglich ebenfalls nach oben zu kommen, um mitzutanzen, ehe es zu spät war!
Dennoch ließ ihr das Geheimnis, welches noch immer über Munjafkurins letzter Nachricht schwebte, einfach keine Ruhe! Konnte darin wirklich eine Chance für alle Unterdrückten verborgen sein?
Nun kam sie in den nächsten Raum. Donnerwetter gab es hier aber viele Stofftiere! War wohl verkehrt, wenn sie sich hier weiter umschaute, denn sicher gab es hier keine Puppenstuben, keine Miniaturwelten oder doch?
Die vielen Plüschtiere befanden sich allerdings nur zum Teil in Vitrinen, die meisten waren wohl zum Anfassen da. Hajeps waren wirklich die reinsten Sammler! Immer wieder schüttelte sie den Kopf, während sie durch die schmalen Gänge schlich, dabei alles gründlich in Augenschein nehmend. Plötzlich blieb sie stehen. Eigentlich war es doch völlig bescheuert, was sie da machte. He, vielleicht hatte Munjafkurin vorhin eine richtige Bar gemeint? Na klar, eine Musikbar wahrscheinlich! Ja, sie würde jetzt nach einer echten Bar Ausschau halten, wo vielleicht gerade ein Trommler spielte. Wo war hier der Ausgang?
Jetzt kam sie auch noch an einer stattlichen Reihe Teddys vorbei. „Große Bären ... kleine Bären!“ wisperte sie dabei kopfschüttelnd, und schon stellte sie sich vor, wie Oworlotep das Wort Bär auszusprechen versuchte, bei dem er doch immer Schwierigkeiten gehabt hatte, sobald es nur um ein ´ä` oder ´ü` ging. Obwohl sie furchtbar traurig und verzweifelt war, huschte bei diesem irgendwie witzigen Gedanken nun doch ein kleines Lächeln über ihr Gesicht. Plötzlich erstarrte sie, denn direkt vor ihr auf einem kleinen Tisch sah sie inmitten eines regelrechten Bergs von Bären einen Teddy mit zwei vor die Brust gebundenen Trommeln.
Wie erstarrt blieb sie erst einmal stehen und das Herz schlug ihr bis zum Halse. Aber erst nachdem sie sich kurz vergewissert hatte, dass sie auch wirklich noch immer völlig alleine war, ergriff sie zitternd den Bären mit den zwei Trommeln, den man wohl mit dem kleinen Schlüssel hinten im Rücken aufziehen konnte.
„Einer Bar!“ wisperte sie ganz wie Munjafkurin, schüttelte den Teddy, vernahm ein Klappern in dessen Innerem und grinste verstehend. „Typisch du mit deinem deutsch!“ sagte sie leise und nun tropften doch Tränen auf den kleinen Bären und benetzten sein dichtes Fell.
Da öffnete sich die Schiebetür im Nebenraum und Margrit klopfte sogleich das Herz bis zum Halse. Sie wischte die Tränen mit dem Handrücken fort. Verdammt, wo war die nächste Tür? He, einfach gerade aus! Margrit versteckte den Bären im Schleier, den sie um ihre Hüften geschlungen hatte. Es war ihr leider keine andere Stelle eingefallen und das kleine Ding unter dem weiten Trowenkittel wirklich nicht zu sehen, und dann versuchte sie, so leise wie möglich mit diesen komischen Punsilatschen fortzuschleichen. Trotzdem gaben die Latschen die gleichen grässlichen Schlurfgeräusche ab wie vorhin.
Nun kam Margrit gerade an einer Ausstellung unterschiedlichster Perlen und Schmuckstücke vorbei. Man schien all diese Dinge nicht für besonders wertvoll zu halten und hatte sie daher wohl auch nicht in Vitrinen sondern oft nur in glasähnlichen Kisten oder Kästchen aufbewahrt.
Der Jimaro, welcher inzwischen den hinteren Raum betreten hatte, um nach dem Rechten zu schauen, schien aufzuhorchen und kam plötzlich näher. Verdammt! Jetzt schob sich die Tür vor ihr auch leise auf!
„Bist keine Trowe“, stellte der prächtig geschmückte Tjufat, welcher hinter jener Tür verborgen gewesen war, mit leiser Stimme fest und stellte sich ihr in den Weg, „hast viel zu feine Finger ... zeigere deine Gesicht!“
Margrit hob den Kopf, starrte ihn entsetzt an. Er sah in diese großen, blauen Augen und brüllte: „Xach, bist Lumanti ... isch binne nischt schlächt, chesso?“
„Jedoch schlechter als ich!“ erwiderte sie und schlug ihm dabei den kleinen, jedoch recht schweren Glaskasten mit den bunten Perlen, welchen sie sich gerade noch rechtzeitig hatte ergreifen können, einfach mitten ins Gesicht und rannte dem Taumelnden davon.
Sie war von sich selbst überrascht, dass sie derart brutal sein konnte, doch in diesem Augenblick hasste sie sämtliche Hajeps, da sie ihr die Freunde genommen hatten und sie hatte Angst, obwohl diese Furcht eigentlich völlig sinnlos war, weil sie ja ohnehin sterben musste.
Margrit hatte wirklich mit aller Macht zugeschlagen und der Tjufat diesen Angriff von der scheuen Lumanti einfach nicht erwartet. Doch er war so schwer verletzt, dass der herbei eilende Jimaro sich erst einmal um diesen Mann kümmern, Hilfe holen musste. Margrit ahnte aber, das er natürlich bereits Alarm gegeben hatte.
Bald hörte sie auch schon hinter sich das wütende Geschrei heran jagender Murake und Margrit fand es furchtbar, dass sie durch dieses verflixte Spielzeug so laut war, denn es klapperte bei jedem Schritt. Sie brachte es aber nicht fertig, sich einfach von ihm zu trennen, vielmehr zog sie ihre derben Trowenlatschen aus und warf diese von sich, da die ohnehin beim Laufen hinderlich gewesen waren und dann bemühte sie sich doch, endlich herauszufinden, warum es eigentlich im Inneren des kleinen Bären so klapperte.
Während Margrit also nervös an dem Spielzeug herumdokterte, stieß sie beinahe mit fünf weiteren Muraken zusammen, die inzwischen aus den Fluren von beiden Seiten heran geschlichen waren und sich so vor ihr aufgebaut hatten, dass sie nicht vorbei konnte.
Margrit schaute überrascht hoch und blickte von einem zum anderen in übermütig zuckende Gesichter. „Zaiiii ... kleinest Kindarschin!“ spottete der eine. „Hiere is deiner Weg leidar, leidar, leidar zu Ente! Du kommast mitte artiglisch ... durfst spielern spaterschinn woanders, akir?“
Doch ehe Margrit noch etwas erwidern konnte, ratterten zu ihrem Schrecken Gewehrsalven durch die Stille und ein Jimaro nach dem anderen brach blutüberströmt zusammen. Dem letzten gelang es jedoch, sterbend seine Jolbata herumzureißen und auf Martin und Chan zu feuern, die hinter ihnen standen. Entsetzt sah Margrit, dass sich der tapfere Martin plötzlich in blutigen Punsikleidern auf dem dicken Teppich wälzte. Sie eilte zu ihm, doch dieser warnte sie.
„Lauf!“ keuchte er. „Lauf nur zu ... damit sich unsere Mission gelohnt hat!“ Dann brach sich sein Blick und sein Kopf fiel erschlafft auf die Seite.
Ein Stück von ihm entfernt krümmte sich Chan. Er hatte sich mit dem Oberkörper gegen die Wand gelehnt, der senizische Schleier fiel ihm dabei über das Gesicht, und er versuchte immer noch stehen zu bleiben, nicht in die Knie zu sacken.
„Chan“, schluchzte Margrit. „Oh Gott, Chan, nicht auch noch du ...“
Er hustete würgte sich. „Steh ich schon durch!“ schnaufte er, aber das viele Blut, das ihm aus dem Bauch quoll, verriet Margrit das ganze Gegenteil.
„Hast Recht,“ sagte sie trotzdem und wischte sich dabei mit beiden Fäusten die Tränen vom Gesicht. “Aber willst du dich nicht trotzdem erst einmal hinlegen?“
„Hm ... meinst du?“ Aber da sackte er auch schon in die Knie. „He, der Trowe“, keuchte er, „weißt du ... der Munjafkurin erschoss, hatte noch gelebt, der musste reden. Sie haben daraufhin die Bombe im großen Festsaal gefunden und entschärft ... aber sonst ahnen die Jastra wohl noch nichts. Das Fest geht jetzt einfach weiter. He, die scheinen Attentate gewohnt zu sein.“ Er versuchte zu grinsen, doch das gelang ihm nicht so recht. Sein Lächeln geriet außer Kontrolle, eher zu einer schmerzverzerrten Maske „Du ... du musst endlich zu Atabolaka hinauf, unbedingt den Festsaal erreichen und ...“ er fiel auf die Seite.
„Chan?“ fragte Margrit und ihre Lippen zitterten. „He, he, du?“ Sie rüttelte ihn bei der Schulter „Die Zeit war schön mir dir, hörst du?“ Sie rüttelte noch doller „He, wach doch auf, Mann!“ krächzte sie. “Ich ... ich will dir doch nur noch etwas sagen, Mensch!“ Und dann streichelte sie ihm über die Schulter und schluchzte plötzlich wie hysterisch los.
Schließlich fing sie sich wieder ein. Verwirrt und benommen überlegte sie nun, wie sie von hier nach oben kommen sollte, denn Rache war nun wirklich ihr Ziel geworden! Jedoch hatte sie sich wohl in diesem Palast verlaufen. „Zu klein, pah!“ wisperte sie, lachte zynisch über sich selbst und dann schimpfte weiter leise vor sich hin, während sie weiterhetzte.
Da quälte sie plötzlich ein weiterer Schmerzanfall in ihren Eingeweiden. Immer noch das Spielzeug an sich gepresst, krümmte sie sich zusammen, wurden ihre Schritte langsamer und schließlich blieb sie ächzend stehen.
Doch dann entdeckte sie wieder Schatten, diesmal hinter sich und sie verbarg das Spielzeug unter ihrem weiten Mantel. Jimaros in noch größerer Zahl als vorhin eilten ihr hinterher durch den geräumigen und nur sanft beleuchteten Flur.
Also versuchte sie sich trotz der Schmerzen weiter zu bewegen, schaffte aber nur ein kurzes Stück, doch da drangen durch eine angelehnte, kreisförmige Tür in der mit herrlichen glitzernden Mosaiken verzierten Wand, kurze Wortfetzen aus Grunz- und Quieklauten bis zu ihr. Die Tür öffnete sich schließlich ganz und zugleich packten Margrit grobe, klobige Hände, zerrten sie durch die runde Öffnung zu sich hinein in eine kleine Kammer.
Gesenkten Kopfes lief Mike gemeinsam mit seinen Kameraden, ebenfalls als Trowes getarnt, Richtung Jachthafen hinab zum Ufer. Mike dachte angestrengt nach. War schon merkwürdig, dass die technische Zentrale Xolos nun ganz woanders sein sollte als es zunächst bekannt gewesen war. Er hatte diese neue Nachricht über einen von Munjafkurins Kameraden erfahren und war nun in tiefer Sorge, wie alles noch schnell genug vonstatten gehen sollte.
Unten im Jachthafen lag das Schiff vor Anker, so es denn überhaupt einen Anker besaß und nicht auf andere Weise am Ufer festgemacht war, welches Mike und seine Leute nun aufzusuchen hatte und in dem sich auch Günther Arendt mit einigen seiner Generäle befinden sollte.
Diese neue Nachricht war nicht der einzige Grund, welcher Mike so nachdenklich machte. Auch die Tatsache, dass Frank und Trude sich zunächst in Zarakuma verlaufen und dadurch erst wesentlich später bei ihm, Christian und Jonas erschienen waren, machte ihn irgendwie pessimistisch. War nicht ohnehin alles zu spät und somit verloren? Auch traute er dieser komischen Margrit, auf die Günther Arendt immer so baute, überhaupt kein geschicktes Geplänkel mit Atabolaka und auch nicht mit Oworlotep zu. Daher war Mike dafür, so bald wie möglich umzukehren, doch lieber den Rückzug anzustreben, ehe es womöglich zu spät dafür war.
Doch kaum befand er sich im Inneren des schön geschmückten Schiffes und nicht nur Günther Arendt, sondern auch Adrian von Haiden, Martin, Chan-Jao und Erkan hatten ihn dort im Kreise einer anmutigen, allerdings etwas schrill gekleideten, senizischen Tänzerschar freundlich begrüßt, schöpfte er doch wieder Mut.
„Mann, du hast uns aber wesentlich schneller gefunden als Martin!“ bemerkte Chan-Jao stirnrunzelnd. „Für den musste ich nämlich andauernd wie verrückt herumtanzen, bis der das endlich schnallte!“
„Na ja, Andunktan, ein Kamerad Munjafkurins, informierte mich ja auch“, schmälerte Mike grinsend dieses Lob, und ehe er noch weiter mit Chan plaudern konnte, packte ihn Günther Arendt beim Arm, um mit ihm in einer etwas ruhigeren Ecke der Jacht noch einiges Wichtige zu besprechen.
„Wir werden das schon schaffen Mike!“ beantwortete Günther Arendt dann auch Mikes Fragen und klopfte ihm dabei ermunternd auf die Schulter. „Lassen Sie den Kopf nicht so hängen. Was soll ich denn sagen! Im Gegensatz zu Ihnen fehlen mir noch immer zwei Leute, nämlich George und Paul!“ Er grinste nun ein wenig unsicher, da er hinzufügen musste. „Na ja, und die drei Senizen, die eigentlich auch Chan und Martin begleiten sollten, sind dabei gleich mit verschwunden.“ Er holte tief Atem, ehe er weiter sprechen konnte. „Ich gebe zu, das ist schon ein wenig merkwürdig. Warabaku ist furchtbar wütend und lässt bereits nach ihnen suchen. Er hat mir versichert, dass die Drei hinterher drastische Strafen bekommen werden!“
„Pah, das nutzt uns aber viel!“ erklärte Chan-Jao reichlich zynisch, während er auf Anraten eines der senizischen Tänzer mit einem kleinen Pinsel drei der goldfarbenen Sterne um seine dünn ausgezupften Augenbrauen erneuerte.
„Da hat Chan wirklich Recht!“ brummte Erkan, dem die Senizen noch einen weiteren Schleier umgehängt hatten, damit man seine breiten Schultern nicht so sah.
„Beruhigt euch! Noch haben wir Zeit!“ Günther Arendt wedelte mit den Armen nach beiden Seiten, wie er das immer machte, wenn er für Ordnung sorgen wollte. „Und bis jetzt ist doch eigentlich überhaupt nichts wirklich schief gelaufen! “
„Aber, wie wollen wir dann später noch schnell genug nach Zarakuma hinein kommen?“ bemerkte jetzt Martin.
„Am besten du erklärst ihnen das Giurai!“ wandte sich Günther Arendt an den Leiter der senizischen Gruppe.
Giurai strich sich etwas umständlich mit beiden Händen über die in kostbare Seidenstoffe gewandeten Hüften, schlug die langen, rot getuschten Wimpern auf und nieder und hüstelte ein wenig verlegen, ehe er begann.
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Es war für Margrit schon schwierig genug gewesen, den langsamen Gang einer wuchtigen, derben Trowe zu imitieren, zumal sie kaum Zeit gehabt hatte, diesen vorher einzuüben, und nun musste sie auch noch rennen und dabei trotzdem nicht vergessen eine Trowe darzustellen. Gott sei Dank herrschte solch ein reger Betrieb gerade auf jener Treppe, die zum zweiten Haupteingang hinauf führte, dass Margrit ihre Gruppe wohl noch rechtzeitig erreichen würde.
Leider nahm Margrits Angst trotzdem zu je näher sie Lakeme kam. Sie fürchtete nämlich den Augenblick, in dem sie gemeinsam mit den Mädchen durch das Chegonal, den Mittelteil Lakemes, schreiten und Moga Pukto, den großen Festsaal, betreten würde. Margrit war gestern von Günther Arendt gewarnt worden, dass sie sich nur ja vorsehen und innerhalb Lakemes mit keinem Menschen mehr sprechen solle, weil sich die murakische Eliteeinheit Lakemes gewiss unauffällig unter die Gäste gemischt hätte. Man hatte Margrit natürlich auch auf ein Scheitern des Planes vorbereitet und ihr verschiedene Instruktionen gegeben, was sie antworten sollte, doch diese sagten ihr nicht so recht zu.
Die Lumantis sollten als witzige Einlage inmitten einer anzüglichen Darbietung senizischer Tänzer und Tänzerinnen kaum bekleidet erscheinen und munter dazwischen hüpfen. Die Jastra sollten auf diese Weise zum Mit¬tanzen animiert und schließlich dabei zu allerlei erotischen Spielchen verführt werden.
Aber was war dann? Selbst wenn es ihr gelungen sein sollte, die Jastra auf die Bühne zu locken, würde ihr auch noch das große Kunststück glücken, die besondere Aufmerksamkeit Atabolakas zu erlangen oder zumindest die Oworloteps, von dem sie nicht wusste, ob der sie, da sie nun um so viele Jahre jünger aussah, überhaupt wieder erkennen, sich überhaupt noch an sie zurück entsinnen würde?
Sehr nachdenklich watschelte sie deshalb die großen, breiten Stufen hinauf. Ihr Zögern verwirrte Gesine, die sich oben als letzte in die Reihe gestellt und noch ein paar Gäste vorgelassen hatte. Die lief nun etwas erstaunt zu Margrit hinunter. War diese alte Trowe etwa gar nicht Margrit? Sie musste das unbedingt heraus finden.
„Nanu?“ wisperte sie, kaum dass sie Margrit erkannt hatte. „Du bist zwar perfekt trowisch, wenn du so läufst, aber warum trödelst du so?“
„Och, ich hab` nur ein bisschen Schiss vor dem, was noch so alles kommen wird!“
„Aber Glucki, es hat doch keinen Zweck, dass du dich verrückt machst. He, hast du mir das nicht selbst gesagt?“
„Tzississsis ... was ich dir so alles gesagt habe.“ Margrit schüttelte den Kopf.
„Na, komm schon, Glucki, gib` dir einen Ruck! Hab` schon deine Gruppe darauf vorbereit, dass du ordentlich drängeln wirst!“ Gesine wendete sich um. „Also, ab durch die Mitte!“ wisperte sie Margrit noch schnell über die Schulter zu und dann rannte sie so federleicht, wie man sich das eigentlich nur bei Elfen vorstellen kann, wieder die Stufen hoch und der weiße, lange Schleier wehte ihr dabei hinterher.
Der Toreingang war so breit, dass auf jeder Seite drei von diesen breitschulterigen Muraken gut nebeneinander hätten stehen können . Doch es befanden sich auf der einen Seite nur zwei und auf der anderen sogar nur einer. In Lakeme befürchtete demnach wohl nichts sonderlich Schlimmes, war sogar im Laufe der Nacht etwas leichtsinniger geworden.
Margrit konnte zwar die Zahl der Soldaten erkennen, jedoch aus dieser Entfernung noch nicht, ob einer von den dreien wirklich Munjafkurin war, zumal zum Anlass dieser großen Festlichkeit nicht nur prächtige Uniformen und Waffen, sondern auch recht imposante Helme getragen wurden. Margrit wusste, dass es die Hajeps eigentlich gar nicht nötig hatten, an den Toren mit Soldaten aufzuwarten, da ihre Robottechnik reibungslos funktionie¬ren sollte. Also standen die Murake dort einzig zu dem Zweck, jedem die Macht Hajeptoans auf prächtige Weise zu symbolisieren!
Nachdem der Asab mit den drei Muraken kurz verhandelt hatte, öffneten sich endlich, wenn auch sehr langsam, die zweiten verzahnten Türhälften im Inneren des Palastes, die paradiesisch ausschauende Vögel im Kampf zeigten, und die Musik, welche im ersten der vier Empfangsräume gespielt wurde, tönte ihnen entgegen.
Margrit wurde schneller, musste sich beeilen, wenn sie noch gemeinsam mit den Menschen hineinwollte. Schon waren die ersten der Gruppe durch die kostbare innere Türöffnung geschritten, da fing Margrit an zu drängeln, knuffte die jungen Frauen mit ihren Ellenbogen derb in die Seite und diese taumelten, taten so, als wären sie entrüstet und höchst erstaunt über die freche Punsi, die derart eilig mit ihnen hindurch wollte.
Margrits Herz hüpfte freudevoll, als sie erkannte, dass der einzelne Soldat im Eingang tatsächlich Munjafkurin war. Trotzdem wagte sie nicht, ihm beim Vorrübergehen zuzugrinsen und auch er zuckte nur ein bisschen um seine roten Augen herum.
Martin hatte Recht, kaum befand sie sich im ersten der eleganten Empfangsräume, fühlte sie keinerlei Angst mehr, eher bemächtigte sich ihrer eine regelrechte Abenteuerlust. Margrit löste sich aus der Menge und Gesine spielte ihre Rolle hervorragend, schimpfte ihr noch irgendetwas laut hinterher.
Während Margrit die sonderbaren jedoch edlen Möbel zu putzen begann, schaute sie sich immer wieder verstohlen um, war sie wie berauscht von dem prächtigen Bild, welches sich ihr bot. Die Möbel waren meist im Fußboden versenkt und man musste oft zwei bis drei Stufen zu ihnen hinab laufen, um darin Platz zu nehmen. Der Fußboden darum war weichgepolsterte und diente als Nackenlehne. Überall waren Diener und Reinigungskräfte, die hier beständig herum huschten.
Doch Margrit versuchte nur die Menschengruppe im Auge zu behalten, der sie sich ja nachher unauffällig wieder anschließen sollte. Sie musste dabei eine Etage hinauf gehen, wo auch der große Festsaal war, und sich die dazu gehörenden Toiletten und Baderäume befinden sollten, wo Gesine mit Margrit wieder ihre Rollen tauschen konnten.
Plötzlich geschah etwas im Eingang, mit dem wohl keiner gerechnet hatte. Einer der vier Tjufate und drei Jimaros, die ebenfalls hinein wollten, zwängte sich an allen vorbei nach vorne und packte den fassungslosen Munjaf¬kurin plötzlich derb beim Stehkragen. In Hajeptischer Sprache schrie er den Entsetzten an und schüttelte ihn. Margrit verstand, dass dieser Tjufat Munjafkurin für einen Attentäter hielt.
Munjafkurin stammelte irgendetwas als Entschuldigung, doch der Mann winkte aufgeregt seine Kameraden herbei. Diese versuchten, sich nun ebenfalls an den Gästen und der Lumantigruppe vorbeizuquetschen, doch die Menschen machten sich, instinktiv spürend, dass sich hier vielleicht etwas ganz Furchtbares anbahnen könnte, viel breiter als sie eigentlich waren. Selbst Margrit hatte ihre Reinigungsarbeit sofort unterbrochen, war wieder die sonderbare Wohnlandschaft hinauf zum Eingang gewatschelt und bei der Gruppe stehen geblieben.
Seltsamerweise halfen ihm die Kameraden nicht, die eben noch gemeinsam mit Munjafkurin Wache geschoben hatten. Sie hielten sich aus dieser Angelegenheit völlig raus, schienen sogar vor Schreck wie erstarrt zu sein.
Im Eingang war inzwischen ein Stau entstanden und Munjafkurin hatte sich für einen Moment von dem Offizier losgerissen, kam aber nicht weg, weil der ihn schon wieder packte und diesmal versuchte zu Boden zu reißen. Die Menschen brüllten und schrieen in diesem ganzen Durcheinander, und besonders angsterfüllt kreischte dabei Gesine, um die Offiziere damit zu irritieren und daran zu hindern, weiter Richtung Munjafkurin zu streben, doch diese machten sich nichts draus.
Als erstes bekam Margrit, die Munjafkurin immer näher gekommen war, wieder einmal eine Faust in den Magen, wo es ihr ohnehin schon die ganze Zeit weh tat, und sie sah noch, während sie sich ächzend zusammenbog, zwischen tanzenden Sternen, dass die Menschen von den muskelbepackten Kerlen in wenigen Sekunden einfach auf die Teppiche gestoßen worden waren.
Die Alarmsirenen schrillten und fast gleichzeitig versuchten kirtifische Sajane, die in dieser großen Empfangs¬halle zunächst nur auf leisen Sohlen herum geschlichen waren, herbei zu eilen, um Munjafkurin zu stoppen, denn dieser hatte inzwischen dem Tjufat mehrere Kinnhaken verpasst und seinen Posten entgültig verlassen, war mit zwei, drei riesigen Sätzen an einem alten Trowe vorbeigesaust, der hier ebenfalls zu tun hatte.
Ganz nebenbei entdeckte Margrit, dass sich nicht nur der Asab, welcher die Lumantigruppe eben noch hoch erhobenen Hauptes angeführt hatte, sich erst einmal auf jener Treppe in Sicherheit gebracht hatte, die in die nächste Etage führte, auch sein Tjufat und sechs seiner Sajane hatten es ihm nachgetan, harrten dort der Dinge, die sich nun ereignen würden.
In Sekundenbruchteilen war Munjafkurin zur nächsten Tür unterhalb der Treppe gejagt. Die restlichen drei Tjufate und Jimaros und diejenigen, die eigentlich nur für die Sicherheit der Menschen zuständig gewesen waren, folgten Munjafkurin laut schreiend und rissen dabei den alten Trowe rücksichtslos zu Boden.
Margrit verstand ihren hajeptischen Freund nicht mehr, warum rannte er weg? Das war doch das Dümmste, was er tun konnte!
Schon war die Tür geöffnet, dumpf hallten seine Tritte die mit dicken Teppiche ausgelegte Treppe hinunter und nur Sekunden später waren die seiner Verfolger dort ebenfalls zu hören.
Der Tjufat hatte sich derweil einigermaßen von den heftigen Schlägen erholt und rannte nun, allerdings ein wenig taumelnd, ebenfalls am phantastisch gestalteten Springbrunnen, der sich inmitten dieser Halle auf einem Hügel befand, vorbei.
Inzwischen kamen aus den Seitentüren, die Margrit vorher gar nicht gesehen hatte, so geschickt waren die verborgen gewesen, weitere kirtifische Sajane und Sajanas in putzigen Kostümen herbei getrippelt, welche die Lumantitänzer in leiser, aber sehr bestimmter Tonlage anwiesen, sofort weiterzulaufen und zwar die Treppen hinauf, dem Asab hinterher. Dieser ließ sich dazu herab, ihnen dafür mit einem knappen Nicken danken.
Nun kamen noch mehr Soldaten durch die Seitentüren des Empfangsraums. Die Waffen schussbereit haltend hechteten sie alle panthergleich am Springbrunnen vorbei zur jener Tür, durch welche Munjafkurin entflohen war.
Schüsse hallten jetzt eine Etage tiefer, lautes Rufen und Schmerzensschreie gellten. Nicht nur Margrit hatte panische Angst um Munjafkurin, auch Gesine. Diese wollte deshalb mit schreckverzerrtem Gesicht, jedoch zu allem entschlossen ebenfalls die Treppen zu Munjafkurin hinunter.
Doch schon hetzte Margrit Gesine hinterher, dabei den Watschelgang vergessend, packte sie bei der Schulter und riss sie zurück. „Tu`s nicht!“ raunte sie Gesine ins Ohr. „Womöglich bringst du dich selbst in Gefahr. Lass es mich für dich machen, da mein Leben ohnehin verwirkt ist!“
„Meinst du?“ Gesine kuschelte sich weinend und haltsuchend ziemlich dicht an Margrit heran und stibitzte dabei mit ihren geschickten Fingern die kleine Handfeuerwaffe aus den Falten von Margrits Schleier, welchen Margrit mehrfach um ihre Hüften gewickelt trug, damit ihr knochiger Körper zumindest dort ein bisschen fülliger aussah.
„Danke dir, Glucki!“ jubelte sie auch schon und dann war sie an der verdutzten Margrit vorbei und die Treppen zu Munjafkurin hinunter.
Margrit eilte ihr mit verstörter Miene hinterher. Verdammt, was hatte Gesines herziges Dankeschön zu bedeuten? Ein schrecklicher Verdacht beschlich Margrit und schon blieb sie stehen tastete ihre Hüfte ab. Verdammt, Gesine hatte nun ihre Waffe, was würde sie damit Verhängnisvolles tun?
Schon war auch Margrit die Stufen ganz hinunter, direkt in den Lärm hinein gekommen und ihr folgte unbemerkt der alte Trowe, welcher sich inzwischen aufgerappelt hatte, seine kleine, außerirdische Handfeuerwaffe dabei unter dem weiten Mantel bereithaltend. Unten angekommen, prallte Margrit vor Entsetzen fast zurück, denn trotz des Tumultes konnten sie das erschütternde Bild erkennen, was sich ihr plötzlich bot.
Die Möbel waren völlig zerstört, die Wände zerfetzt. Munjafkurin hatte einen der Tjufate und vier Jimaros mit seinem Gewehr nieder gestreckt. Diese lagen sterbend am Boden und blaues, fast schwarzes Blut sickerte in die gepflegten Teppiche. Er selbst blutete ebenfalls aus unzähligen Wunden. Sein Gewehr war zerschossen. Er besaß nur noch eine Rinjat, eine Handfeuerwaffe, die nicht mehr richtig funktionierte, welche er jedoch als letzte Hoffnung in seinen bebenden Händen hielt. Wie bei einem in die enge getriebenen Tier jagten seine schrägen Augen jetzt wild hin und her, denn Munjafkurin war eingekreist. Alle hatten ihre Gewehre auf ihn gerichtet und man stellte ihm in hajeptischer Sprache verschiedene Fragen, die er einfach nicht beantwortete.
Margrit hatte zu ihrem Entsetzen schon aus den wenigen Wortfetzen entnehmen können, dass anscheinend in den merkwürdigen Lampenbällen, welche die ganze Zeit Zarakuma bei Nacht erhellten, Sender eingebaut waren, die sowohl Fotos als auch Tonaufnahmen Verdächtiger festgehalten hatten. Dabei war man wohl über die Zentrale informiert worden, dass Munjafkurin gemeinsam mit Jisfantura darüber geredet hatte, eine Bombe irgendwo in Lakeme versteckt zu haben, die nun in etwa einer halben Stunde explodieren würde.
Margrit war völlig fassungslos. Also hatten Munjafkurin und Jisfantura noch zusätzlich etwas ganz anderes vorbereitet. Jisfantura musste das System nicht nur ebenso wie Munjafkurin hassen, sondern auch derart fürchten, dass er heute ganz sicher gehen, sich nicht nur auf Menschen verlassen wollte, um die Jastra auch wirklich für immer zu beseitigen.
Während Gesine in einem fort schluchzte – Margrit sah allerdings dabei, dass auch sie ihre Waffe unter dem Schleier gezogen hatte- hielt sich der alte Trowe, der nun ebenfalls diese Halle betreten hatte, fast scheu im Hintergrund auf, schaute nur aus kleinen, gelben Augen dabei zu.
Die Hajeps schienen zwar zum Äußersten entschlossen, jedoch war Margrit klar, dass sie im Moment Munjafkurin nicht töten wollten, weil sie eben trotz all der Abhörgeräte wohl noch nicht heraus bekommen hatten, wo genau die Bombe versteckt worden war.
Was mochte wohl inzwischen mit Jisfantura geschehen sein? War er ihnen entkommen oder hatte er sich inzwischen einfach selbst getötet? Hajeps waren da manchmal sehr heroisch! Margrit konnte, auch wenn sie die Ohren spitzte, kaum noch etwas verstehen, da die Offiziere nun leise miteinander berieten und noch dazu ihr frisch erlerntes Vokabular unzureichend war. So hob sie die Kapuze ein wenig an, um zumindest aus den unterschied¬lichen Körpersprachen noch etwas zu entnehmen.
Munjafkurin redete nun endlich ... zunächst zögernd und zaudernd und die Jimaros näherten sich ihm auf ein unauffälliges Zeichen des ranghöchsten Tjufats. Langsam und vorsichtig rückten sie vor, um den mutmaßlichen Attentäter einzufangen, weil sie dann bessere Chancen hatten ihn zu verhören.
Doch Munjafkurin erkannte ihre teuflische Absicht und legte ebenso bedächtig die kleine Handfeuerwaffe an seinen Kopf. Sein Gesicht war zwar aschfahl, aber er wollte wohl seine Freunde unter keinen Umständen verraten, die ganze Geschichte nicht auffliegen lassen.
Er wusste zwar nicht, wie viel Schuss er noch hatte und ob er mit diesem Ding überhaupt noch feuern konnte, aber er hoffte auf wenigstens eine Ladung und sprach daher mit lauter, fester Stimme, konnte plötzlich offen seinen ganzen Hass über dieses Kastensystem, vor allem über die Jastra ausdrücken.
Margrit sah seine herrlichen, gefletschten Zähne und die blitzenden Augen, in denen jetzt ein heftiges Feuer brannte, das Feuer einer ungestillten Sehnsucht nach Freiheit, Gleichheit und Glück. In keiner Weise schien ihm Leid zu tun, was er gemeinsam mit seinen Kameraden und Jisfantura geplant hatte.
Da schob sich Gesine plötzlich zwischen die erstaunten Jimaros und Tjufate und das geschah so schnell, dass selbst die entsetzte Margrit nicht mehr in der Lage gewesen war sie aufzuhalten.
Doch Munjafkurin schien seine Geliebte inmitten der Männer nicht zu bemerken, er redete nur, sprach immer schneller, sah seinen Feinden dabei der Reihe nach in die kalten Gesichter, denn er schien fest entschlossen, sein Geheimnis mit sich in den Tod nehmen. Schließlich verabschiedete er sich mit einer leichten spöttischen Verneigung und Gesine, die diesen Gruß kannte stürmte vor.
„NEIIIIIN!“ schrie sie gellend. „Munjafkurin tu es nicht!
Doch es war schon zu spät. Zwar hatte er nicht richtig getroffen, wie das oft beim ersten Mal ist, wenn man sich töten will, jedoch war er so schwer im Gesicht getroffen, dass sein Leben zu Ende ging. Langsam sackte er zusammen, ächzte leise, fiel erschlafft auf die Knie und dann kippte er auf die Seite.
In ihrer Verzweiflung warf sich Gesine laut schluchzend über Munjafkurin.
„Sinia! Du bist hier?“ keuchte er verwundert.
„Ja, ich bin da, mein großer, tapferer Freund ...“, Gesine hörte auf zu weinen und strich ihm dabei zärtlich das blutverschmierte Haar aus der Stirn, „... und ich verlasse dich nicht ... NIE ... komme was da wolle, hörst du?“
„Akir, haber isch gehörcht!“ krächzte er zutiefst bewegt. „Oh, Sinia, meiner Sinia ... es uns beiden waret nischt vergönnert zu lebän miteinander!“ Er rang nach Luft. „Isch ... nischt wußtere und vielleischt auch haute noch nisch rischtig wissere, was Liebe is ... abar isch ... isch glaubere, dass isch es tue!“ Seine sonderbaren Augen bekamen dabei einen warmen Glanz.
Plötzlich war es ringsum still geworden, alles lauschte und selbst der Tjufat, der eben noch getobt, geschrieen und sein Gewehr dabei auch auf Gesine gerichtet hatte, schwieg, denn er hoffte, dass sich Munjafkurin vielleicht doch noch verriet, zum Beispiel durch ein unbedachtes Abschiedswort an seine Geliebte.
Gesine schaute sich nicht um, musste schlucken, denn sie spürte, dass ihr wieder heiße Tränen in den Augen brannten. Aber sie riss sich zusammen. „Was tust du?“ fragte sie verwirrt und mühte sich dabei zu lächeln.
„Disch lieben!“ raunte er ihr schwer atmend mit seiner dunklen Stimme zu. „Akir, isch fülere es ... isch bin dir
soooo nahe!“
Die hajeptischen Tjufate warfen einander fragende Blicke zu, denn niemand wusste so recht, was man mit dem Wort nahe eigentlich anfangen sollte. War es nun etwas Verdächtiges oder nicht?
„Oh, Munjafkurin!“ Gesines Finger wanderte dabei sanft die Konturen seiner schön geschwungenen Lippen entlang. „Du Schelm ... dass du mich liebst, wusste ich doch schon so lange!“ und sie küsste ihn zur Verwunderung der Hajeps so innig auf den Mund, wie sie nie zuvor gesehen hatten.
„Du ... du mich hatest doch auch ... geliebt?“ fragte Munjafkurin trotz dieses Kusses unsicher, kaum dass sich ihre Lippen voneinander gelöst hatten.
„Akir, Kontriglusi, moi xabir!“ erwiderte sie in seiner Sprache und nun lief doch wieder eine Träne ihre Wange hinab. „Ich hatte dich nicht nur geliebt, ich liebe dich immer noch.“ Und ihre Blicke umschlossen dabei seinen langen, mächtigen Körper mit einem zärtlichen Blick. „Und ich werde dich ..."
„... nie vergessern, chesso?“ vollendete er ihren Satz. Doch dann stutze er und seine Hand wanderte über ihre nasse Wange. „Nischt weininn Sinia!“ krächzte er heiser. „Wisse, das Lebinn is nür eine Schpiel! Weiter nichs.“ Und eine der goldblonden Strähnen, welche sich aus Gesines kunstvoll hoch gestecktem Haar gelöst hatte, geriet ihm dabei zwischen seine Finger. Munjafkurins blasses Gesicht zuckte beglückt und er zog seine Geliebte noch näher zu sich heran. „Du musst jitzt tapfer zein. Werdere zur einar Bar, du verstehst?“
„Einer Bar?“ Gesine schüttelte verwirrt den Kopf und er wirkte deshalb ein wenig enttäuscht, versuchte es aber trotzdem noch einmal.
„Sinia, isch habere dieser Spiel nich gutig genüg gespielt“, warf sich Munjafkurin tonlos vor und runzelte die Stirn.
„Doch, das hast du“, protestierte Gesine energisch und hielt die schlaffe Hand samt ihrer Locke fest.
„Denda!“ krächzte er. „Doch gebert es zume Gluck andere und die werdin diese Trammiln bester spielern und ....“
Da knallte es plötzlich von hinten. Der alte Trowe hatte geschossen und Blut sickerte aus Munjafkurins Brust, dort wo sein Herz saß.
„Stirb du Mörder!“ brüllte Gesine fassungslos und feuerte dabei voller Verzweiflung mehrmals auf den alten Trowe. Dieser fiel nun schwer getroffen zu Boden, konnte aber noch einen letzten Schuss Richtung Gesine abfeuern. Er musste ein hervorragender Schütze sein, denn noch im Sterben traf er zielgenau. Mit entgeistertem Gesichtsausdruck, als könne sie nicht glauben, dass sie nun ihr junges Leben aushauchte, fiel Gesine nach vorn, brach mit weit aufgerissenen Augen über Munjafkurin zusammen. „Ich ... bleibe ... bei ... dir!“ flüsterte sie und lächelte plötzlich, da sie Munjafkurins Körper noch im Sterben unter sich spürte. Ihre Pistole glitt dabei aus der Hand und einer der Jimaros hob sie auf und nahm sie an sich.
Margrit, die all das hatte mit ansehen müssen, kämpfte mit sich selbst, denn sie hatte das dringende Bedürfnis, einfach laut los zuschreien und mit Fäusten auf die Hajeps, ja, auch auf den alten Trowe einzudreschen, aber das wäre wirklich dumm gewesen, denn sie besaß ja nicht einmal mehr eine Waffe. Sie war so hilflos wie ein Kind. Wie im Nebel sah sie jetzt, dass die Jimaros und Tjufate die beiden fest ineinander verschlungenen Toten derb auseinander rissen. Munjafkurins Kleidung wurde sofort nach irgendwelchen verräterischen Dingen durchsucht. Fast gleichzeitig hatten sich die Hajeps um den Trowe gekümmert, vermutlich, um diesen doch noch zu retten, weil sie wohl sonst nie heraus bekommen würden, was sich hier eigentlich abspielte. Sie verstand das trotzdem nicht, denn diese vielen Schüsse konnte auch ein Trowe wohl kaum überlebt haben, oder?
Margrit war voller Zorn auf die Hajeps. Sie schien plötzlich ein großes Loch in ihrem Herzen zu haben, konnte gar nicht mehr weinen und verspürte nur noch das dringende Bedürfnis, Gesines unnötigen Tod und Munjafkurins schreckliches Ende irgendwie rächen zu müssen.
Vielleicht konnte sie das wirklich! Dank ihrer hervorragenden Ohren hatte sie nämlich verstanden, was Munjafkurin zuletzt versucht hatte, Gesine anzudeuten. Er hatte vom Spiel und einer Bar mit Musik in Verbindung mit Trommeln gesprochen. Aber wo mochte hier solch eine Bar sein? War dort womöglich die Bombe versteckt? Oder konnte in dieser Bar womöglich irgendetwas ganz anderes verborgen sein, was die Hajeps auf keinen Fall in ihre Hände bekommen sollten?
Eine unglaubliche Unruhe war mit einem Male wieder in diesem Raum entstanden. Kirtifische Sajane und trowische Punsis waren hinzugekommen, um hier wieder so weit es ging Ordnung zu machen. Einige der Soldaten stürmten fast gleichzeitig die Treppen hinauf in den Empfangsraum zurück.
Dieses Durcheinander konnte Margrit für sich ausnutzen. Sie lief einfach in den nächsten Raum, wo sie verdutzt zurück prallte, weil es dort eine prächtige Ausstellung mit uraltem Lumantispielzeug für die Gäste zu sehen gab.
Nachdem sich hinter Margrit die beiden Türhälften dieses Raumes leise rauschend geschlossen hatten, wanderte sie sehr nachdenklich die schmalen Gänge zwischen den vielen Vitrinen entlang, denn Munjafkurin hatte zwar vom Spiel gesprochen, einer Bar und von Trommeln, aber könnte er am Ende gar keine richtige Bar gemeint haben, sondern eher eine Puppenstube in Form einer Bar? Denn er war hier hinunter geflüchtet. Was konnte er gesucht haben?
Tatsächlich gab es hier ganze Häuser, regelrechte Villen, Frisiersalons, Läden und Swimmingpools zum bestaunen, und sie alle gaben Zeugnis ab für eine einst sehr hohe, recht wohlhabende Kultur der Spezies Mensch, doch seltsamerweise war keine einzige Bar darunter.
Margrit lauschte mit angehaltenem Atem. In dem angrenzenden Raum herrschte noch immer ein großer Tumult um Munjafkurin und Gesine und das war wohl auch der Grund, weshalb dieser Raum hier noch immer leer und völlig unbewacht war. Doch warum schrillten in Lakeme nicht schon längst Sirenen, wo doch große Gefahr durch eine versteckten Bombe bestand? Oder warnten sich die Hajeps auf irgendeine andere Weise?
Margrit fand das irgendwie sonderbar, zudem beschlich sie plötzlich ein mulmiges Gefühl. Würde sie hier wieder hinaus können? Was war, wenn die Tür plötzlich verschlossen und die Bombe sich genau hier befand?
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George streckte sich und gähnte. Irgendwie war er noch immer benommen. Mann, hatte er vielleicht einen wirren Traum gehabt! Komisch, ein bisschen tat ihm die Schädeldecke weh, ganz besonders sogar an einer Stelle? Instinktiv tasteten nun seine Finger danach. Was? Da hatte er aber eine mächtige Beule. Die blutete sogar noch immer ein bisschen, war fast eine Platzwunde! He, wo lag er hier eigentlich? Er schaute sich erschrocken um. Es schien kein Bett zu sein in dem er sich befand! Er hatte zwar eine Zudecke über dem nackten – wieso war er eigentlich nackt?- und ansonsten war`s hier nichts als finster! Man konnte buchstäblich nicht die Hand vor den Augen sehen!
Völlig verwirrt fuhr er schließlich mit dem Oberkörper hoch und hätte sich beinahe nochmals seinen Schädel am Dachbalken, oder was es auch sonst immer war, gestoßen.
„He ... was ist denn jetzt plötzlich passiert?“ schnaufte er zutiefst entsetzt und das Herz pochte ihm dabei bis zu den Ohren hinauf. Er lauschte angespannt in die Stille hinein. Vielleicht konnte er, wenn er schon nichts sah, zumindest etwas hören?
Tatsächlich, da war was und zwar direkt neben ihm. Oder hatte er sich nur getäuscht? Nein, er vernahm wirklich ein gleichmäßiges und tiefes Atmen direkt neben sich. Jemand schlief hier auf seinem Lager! Doch das machte ihn keineswegs ruhiger, denn wer eigentlich konnte das sein? Etwas Weibliches etwa, oder etwas Gefährliches?
Fieberhaft versuchte er deshalb, sein immer noch reichlich träges Gehirn zu schnellerer und besserer Arbeit zu bewegen. Verdammt, was war passiert, bevor er hier gelandet war? Wo war er hier?
Es half alles nichts, er musste sich eben seine Umgebung ertasten, dabei auch noch vorsichtig sein, da er ja wirklich nicht wusste, wer dieser jemand war, der neben ihm lag. Na, zur Not würde er demjenigen einfach einen kräftigen Hieb verpassen, dieser Gedanke tröstete George etwas.
Vorsichtig - dabei raschelte es leider doch sehr – durchmaß er den kleinen Raum mit seinen Händen und Füßen.
„Autsch!“ hörte er plötzlich neben sich. „Kannst du nicht aufpassen, du Volltrottel! Hättest mir beinahe dein Stinkebein ins Gesicht geschlagen!“
„P ... paul?“ schnaufte George überrascht und irgendwie auch erleichtert.
„Ja, so heiße ich! Mann, George, reg dich ab und lass mich weiterschlafen!“ Er hörte es Rascheln, zum Zeichen, dass sich Paul auf die andere Seite geworfen hatte.
„Mensch, Paul ... Pauuul?“ Er rüttelte ihn bei der Schulter. „Du ... oh, Mann ... schlaf bitte nicht weiter. Wir sind nämlich ...“ er schluckte beklommen, „... sämtlicher Kleider und auch Waffen beraubt worden und in dieser reichlich winzigen Kammer eingesperrt!“
„Wie? Waaas?“ Paul fuhr so erschrocken von seinem Lager hoch, dass er deshalb beinahe mit George zusammengestoßen wäre. „Eingesperrt?“
„Sehr richtig! Tja, nur ist er leider aus der Traum, Paulchen!“ ächzte George und fuhr sich dabei mit beiden Händen übers Gesicht. “Mann, ich kann es selbst kaum fassen! Das Schlimme ist, ich konnte hier noch nicht einmal eine Tür ertasten!“
„Du meinst die haben uns“, Paul musste nun auch schlucken, „hier einfach einge ... also ... eingemauert?“
„Hm, so könnte man das vielleicht wirklich nennen.“ George machte eine kleine, nachdenkliche Pause, ehe er weiter sprach. „Fragt sich nur, wer diese ´die´ gewesen sind!“
„He, weiß ich auch nicht“, ächzte Paul entgeistert. „Mensch, ich hab keine Ahnung, wie das hier passieren konnte! Ich bin wie bekloppt, kann mich kaum an irgendetwas erinnern!“
„Warte“, sagte George nach einem ganzen Weilchen stummen Nachdenkens, „da waren doch diese zwei Senizen, die wir abhängen wollten.“
„Stimmt jetzt fällt`s mir auch ein!“ Paul rieb sich das stoppelige Kinn. „Kaum auf dem großen Paradeplatz vor Lakeme angekommen, haben wir die beiden Senizen auf diese Terrassen eingeladen, sind mit denen in dieses komische Kaffee ....“
„Klar, und wir wollten die beiden ihre Säfte in aller Ruhe zu Ende trinken lassen und sind dann nacheinander auf die Toilette, wo Chan-Jao mit einer Leiter auf uns warten sollte. Der war aber gar nicht da und dann sind wir plötzlich wie betäubt ...“
„Wie betäubt?“ wiederholte Paul betroffen. „Meinst du wirklich? Aber wodurch?“
„Na, die zwei komischen Seidenkerle hatten uns wohl irgendetwas Einschläferndes in unsere Getränke gegeben.“
„Meinst du wirklich? Aber ich habe gar nicht gesehen, wie die Seidenaffen das gemacht haben!“
„Sind wohl doch nicht nur im Wimperntuschen geübt!“ murrte George sarkastisch.
„Hach, von wegen ... falsche Schlangen sind die Senizen! Na, warte, wenn ich erst diese ... diese Paviane zwischen die Finger kriege!“ Paul ballte seine Hände zu dicken Fäusten.
„Na, da werden wir wohl eher zwischen die gepflegten Fäuste dieser Paviane kommen und dann wer weiß, was uns erwartet?“
„Du meinst ... die ... die liefern uns womöglich noch an die Hajeps aus?“
„Vielleicht, wenn sie viel Geld dafür bekommen? Tja, Warabaku wird wohl auch nicht gerade sehr erfreut darüber gewesen sein, dass wir nicht gekommen sind!“
„Oder er gehört sogar zu diesen Verrätern!“
„Kaum, dazu unterstützt er unsere Pläne viel zu intensiv!“
„He, wie spät könnte es inzwischen sein, George?“
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„Gut Karl, hast ja Recht!“ Günther Arendt blickte sich zu diesem um. „Unsere nette Menschengruppe hat gerade den großen Festsaal ´Moga Pukto´ betreten.“ Er grinste breit. „Und diesmal wird`s klappen, das verspreche ich dir, weil ...“
,,Aber Margrit ist nicht dabei!“ warf Karl recht scheu ein, weil er den Optimismus seines Chefs nicht sehr gerne bremsen wollte.
„Ach, die ...“ Günther Arendt machte eine verächtliche Handbewegung, „... hatte noch nie das richtige Zeug zu einer echten Guerilla ... stirbt sie eben nicht so ruhmreich wie all die anderen. Außerdem habe ich Martin und Chan losgeschickt und Warabaku noch Senizen, die Margrit suchen und doch noch in den Saal hinein lotsen sollen. Die übrigen Menschen kommen jedenfalls nicht mehr heraus aus ´Moga Pukto´. Die meisten Tore dieses Saals sind bereits von Warabakus Leuten abgeschlossen worden. Wir werden hier ruhig auf Mikes Zeichen warten, und dann alle gleichzeitig loslegen!“
„Eigentlich schade um diese prächtige, außerirdische Anlage“, meinte Christian mit einem bewundernden Blick nach allen Seiten, während er nochmals einen der sechs Sprengsätze kontrollierte, welchen er auf den wichtigsten Server der elektronischen Steuerungszentrale Xolos montiert hatte, von der die gesamte Elektronik und Energieversorgung Zarakumas abhing. „Hätte nie gedacht, dass wir es tatsächlich schaffen würden, mitten in diese Zentrale hinein zu kommen.“
„Ich schon!“ bemerkte Günther Arendt. “Aber das liegt vielleicht auch an Warabaku, der uns im Gegensatz zu den übrigen aufständischen Hajeps ein ganz erhebliches Vertrauen entgegen bringt. Sonst können Hajeps mit Menschen sogar befreundet sein und ich glaube, sie würden ihnen dennoch misstrauen. Fürchten wohl, dass wir nach der Vernichtung Xolos wieder die Macht über unsere Erde zurück erhalten und sie vertreiben könnten. Darum zeigen sie uns wohl auch nicht, wie ihre sonderbaren Waffen funktionieren und auf welche Weise sie zu laden sind. Tja, in dieser Hinsicht halten wohl sämtliche Außerirdischen irgendwie zusammen. Aber wir sollten schon dankbar sein, dass sie uns zumindest ihre Sklaven anvertrauen“.
„Aber, diese Sklaven könnten uns doch auch hintergehen!“
„Hm, dagegen hat Warabaku vorgesorgt, aber darüber sage ich jetzt lieber nichts, denn ich weiß nicht“, Günther Arendt schaute sich dabei nach den sechs Senizen und Atimok, einem jener kleinen, erdfarbenen Kirtife, um, „ob nicht einige von ihnen unsere Sprache recht gut verstehen!“
„Sie haben Recht, besonders Atimok, dieser Kirtif mit den hässlichen, dicken Pelzohren, ist mir richtig unheimlich. Wie der uns Menschen immer skeptisch mustert! “
„Ach, darauf kann man wohl nichts geben. Der dürfte eigentlich auch nicht mit diesem Kastensystem einverstanden sein, zumal er sehr lange und hart in einem ´Jupakt´, einem so genannten Straflager, hatte arbeiten müs¬sen. Wir sollten eher froh sein, dass wir ihn dabei haben, denn selbst du musstest vorhin bei den komischen Abwehr– und Alarmanlagen passen. Der ist schon ein echtes Genie, kennt sich perfekt mit dieser sonderbaren Technik aus. Tja, ohne ihn wären wir wohl wirklich restlos aufgeschmissen!“
Günther Arendt warf dem Kleinen dabei einen dankbaren Blick zu. Doch Atimoks flinke, graue Augen wichen ihm aus. Er schaute recht kühl an Günther Arendt vorbei.
„Aber ich verstehe trotzdem nicht, weshalb Warabaku nicht einfach ganz auf uns verzichtet und alles nur mit diesen Sklaven hat machen lassen, das wäre doch auch gegangen!“
„Aber Karl!“ Günther Arendt schüttelte nun leicht genervt seinen Kopf. „Falls es schief geht, hätten die aufständischen Hajeps dann niemanden, auf den sie die ganze Sache schieben könnten. Außerdem besitzen nur wir das Refenin.“ Günther Arendt schaute abermals Richtung Tür, wo Mike mit den übrigen Sprengsätzen erscheinen sollte. „Vertraue also diesen gut ausgerüsteten Senizen und diesem Tarnnebel“, sprach er einfach schnell weiter, „in welchen sie uns die ganze Zeit gehüllt haben, denn von diesen Geräte dürften sie nur wenige zu ihrem eige¬nen Schutz bei sich haben.“
„Oh, welche Ehre!“ kicherte Karl. Er war dennoch sehr nervös, denn nun beunruhigte es ihn, dass Mike wohl gar nicht mehr erscheinen wollte. Was war passiert? Würden die wenigen Sprengsätze ausreichen, um diese riesige Zentrale Xolos gründlich zu zerstören, falls Mike nicht mehr kommen würde?
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Ach, Margrit wollte sich hier ohnehin nicht allzu lange zwischen all dem Spielzeug aufhalten, denn trotz dieser Unruhe, die nun auch in den anderen Räumen zu herrschen schien, musste Margrit zusehen, so schnell wie möglich ebenfalls nach oben zu kommen, um mitzutanzen, ehe es zu spät war!
Dennoch ließ ihr das Geheimnis, welches noch immer über Munjafkurins letzter Nachricht schwebte, einfach keine Ruhe! Konnte darin wirklich eine Chance für alle Unterdrückten verborgen sein?
Nun kam sie in den nächsten Raum. Donnerwetter gab es hier aber viele Stofftiere! War wohl verkehrt, wenn sie sich hier weiter umschaute, denn sicher gab es hier keine Puppenstuben, keine Miniaturwelten oder doch?
Die vielen Plüschtiere befanden sich allerdings nur zum Teil in Vitrinen, die meisten waren wohl zum Anfassen da. Hajeps waren wirklich die reinsten Sammler! Immer wieder schüttelte sie den Kopf, während sie durch die schmalen Gänge schlich, dabei alles gründlich in Augenschein nehmend. Plötzlich blieb sie stehen. Eigentlich war es doch völlig bescheuert, was sie da machte. He, vielleicht hatte Munjafkurin vorhin eine richtige Bar gemeint? Na klar, eine Musikbar wahrscheinlich! Ja, sie würde jetzt nach einer echten Bar Ausschau halten, wo vielleicht gerade ein Trommler spielte. Wo war hier der Ausgang?
Jetzt kam sie auch noch an einer stattlichen Reihe Teddys vorbei. „Große Bären ... kleine Bären!“ wisperte sie dabei kopfschüttelnd, und schon stellte sie sich vor, wie Oworlotep das Wort Bär auszusprechen versuchte, bei dem er doch immer Schwierigkeiten gehabt hatte, sobald es nur um ein ´ä` oder ´ü` ging. Obwohl sie furchtbar traurig und verzweifelt war, huschte bei diesem irgendwie witzigen Gedanken nun doch ein kleines Lächeln über ihr Gesicht. Plötzlich erstarrte sie, denn direkt vor ihr auf einem kleinen Tisch sah sie inmitten eines regelrechten Bergs von Bären einen Teddy mit zwei vor die Brust gebundenen Trommeln.
Wie erstarrt blieb sie erst einmal stehen und das Herz schlug ihr bis zum Halse. Aber erst nachdem sie sich kurz vergewissert hatte, dass sie auch wirklich noch immer völlig alleine war, ergriff sie zitternd den Bären mit den zwei Trommeln, den man wohl mit dem kleinen Schlüssel hinten im Rücken aufziehen konnte.
„Einer Bar!“ wisperte sie ganz wie Munjafkurin, schüttelte den Teddy, vernahm ein Klappern in dessen Innerem und grinste verstehend. „Typisch du mit deinem deutsch!“ sagte sie leise und nun tropften doch Tränen auf den kleinen Bären und benetzten sein dichtes Fell.
Da öffnete sich die Schiebetür im Nebenraum und Margrit klopfte sogleich das Herz bis zum Halse. Sie wischte die Tränen mit dem Handrücken fort. Verdammt, wo war die nächste Tür? He, einfach gerade aus! Margrit versteckte den Bären im Schleier, den sie um ihre Hüften geschlungen hatte. Es war ihr leider keine andere Stelle eingefallen und das kleine Ding unter dem weiten Trowenkittel wirklich nicht zu sehen, und dann versuchte sie, so leise wie möglich mit diesen komischen Punsilatschen fortzuschleichen. Trotzdem gaben die Latschen die gleichen grässlichen Schlurfgeräusche ab wie vorhin.
Nun kam Margrit gerade an einer Ausstellung unterschiedlichster Perlen und Schmuckstücke vorbei. Man schien all diese Dinge nicht für besonders wertvoll zu halten und hatte sie daher wohl auch nicht in Vitrinen sondern oft nur in glasähnlichen Kisten oder Kästchen aufbewahrt.
Der Jimaro, welcher inzwischen den hinteren Raum betreten hatte, um nach dem Rechten zu schauen, schien aufzuhorchen und kam plötzlich näher. Verdammt! Jetzt schob sich die Tür vor ihr auch leise auf!
„Bist keine Trowe“, stellte der prächtig geschmückte Tjufat, welcher hinter jener Tür verborgen gewesen war, mit leiser Stimme fest und stellte sich ihr in den Weg, „hast viel zu feine Finger ... zeigere deine Gesicht!“
Margrit hob den Kopf, starrte ihn entsetzt an. Er sah in diese großen, blauen Augen und brüllte: „Xach, bist Lumanti ... isch binne nischt schlächt, chesso?“
„Jedoch schlechter als ich!“ erwiderte sie und schlug ihm dabei den kleinen, jedoch recht schweren Glaskasten mit den bunten Perlen, welchen sie sich gerade noch rechtzeitig hatte ergreifen können, einfach mitten ins Gesicht und rannte dem Taumelnden davon.
Sie war von sich selbst überrascht, dass sie derart brutal sein konnte, doch in diesem Augenblick hasste sie sämtliche Hajeps, da sie ihr die Freunde genommen hatten und sie hatte Angst, obwohl diese Furcht eigentlich völlig sinnlos war, weil sie ja ohnehin sterben musste.
Margrit hatte wirklich mit aller Macht zugeschlagen und der Tjufat diesen Angriff von der scheuen Lumanti einfach nicht erwartet. Doch er war so schwer verletzt, dass der herbei eilende Jimaro sich erst einmal um diesen Mann kümmern, Hilfe holen musste. Margrit ahnte aber, das er natürlich bereits Alarm gegeben hatte.
Bald hörte sie auch schon hinter sich das wütende Geschrei heran jagender Murake und Margrit fand es furchtbar, dass sie durch dieses verflixte Spielzeug so laut war, denn es klapperte bei jedem Schritt. Sie brachte es aber nicht fertig, sich einfach von ihm zu trennen, vielmehr zog sie ihre derben Trowenlatschen aus und warf diese von sich, da die ohnehin beim Laufen hinderlich gewesen waren und dann bemühte sie sich doch, endlich herauszufinden, warum es eigentlich im Inneren des kleinen Bären so klapperte.
Während Margrit also nervös an dem Spielzeug herumdokterte, stieß sie beinahe mit fünf weiteren Muraken zusammen, die inzwischen aus den Fluren von beiden Seiten heran geschlichen waren und sich so vor ihr aufgebaut hatten, dass sie nicht vorbei konnte.
Margrit schaute überrascht hoch und blickte von einem zum anderen in übermütig zuckende Gesichter. „Zaiiii ... kleinest Kindarschin!“ spottete der eine. „Hiere is deiner Weg leidar, leidar, leidar zu Ente! Du kommast mitte artiglisch ... durfst spielern spaterschinn woanders, akir?“
Doch ehe Margrit noch etwas erwidern konnte, ratterten zu ihrem Schrecken Gewehrsalven durch die Stille und ein Jimaro nach dem anderen brach blutüberströmt zusammen. Dem letzten gelang es jedoch, sterbend seine Jolbata herumzureißen und auf Martin und Chan zu feuern, die hinter ihnen standen. Entsetzt sah Margrit, dass sich der tapfere Martin plötzlich in blutigen Punsikleidern auf dem dicken Teppich wälzte. Sie eilte zu ihm, doch dieser warnte sie.
„Lauf!“ keuchte er. „Lauf nur zu ... damit sich unsere Mission gelohnt hat!“ Dann brach sich sein Blick und sein Kopf fiel erschlafft auf die Seite.
Ein Stück von ihm entfernt krümmte sich Chan. Er hatte sich mit dem Oberkörper gegen die Wand gelehnt, der senizische Schleier fiel ihm dabei über das Gesicht, und er versuchte immer noch stehen zu bleiben, nicht in die Knie zu sacken.
„Chan“, schluchzte Margrit. „Oh Gott, Chan, nicht auch noch du ...“
Er hustete würgte sich. „Steh ich schon durch!“ schnaufte er, aber das viele Blut, das ihm aus dem Bauch quoll, verriet Margrit das ganze Gegenteil.
„Hast Recht,“ sagte sie trotzdem und wischte sich dabei mit beiden Fäusten die Tränen vom Gesicht. “Aber willst du dich nicht trotzdem erst einmal hinlegen?“
„Hm ... meinst du?“ Aber da sackte er auch schon in die Knie. „He, der Trowe“, keuchte er, „weißt du ... der Munjafkurin erschoss, hatte noch gelebt, der musste reden. Sie haben daraufhin die Bombe im großen Festsaal gefunden und entschärft ... aber sonst ahnen die Jastra wohl noch nichts. Das Fest geht jetzt einfach weiter. He, die scheinen Attentate gewohnt zu sein.“ Er versuchte zu grinsen, doch das gelang ihm nicht so recht. Sein Lächeln geriet außer Kontrolle, eher zu einer schmerzverzerrten Maske „Du ... du musst endlich zu Atabolaka hinauf, unbedingt den Festsaal erreichen und ...“ er fiel auf die Seite.
„Chan?“ fragte Margrit und ihre Lippen zitterten. „He, he, du?“ Sie rüttelte ihn bei der Schulter „Die Zeit war schön mir dir, hörst du?“ Sie rüttelte noch doller „He, wach doch auf, Mann!“ krächzte sie. “Ich ... ich will dir doch nur noch etwas sagen, Mensch!“ Und dann streichelte sie ihm über die Schulter und schluchzte plötzlich wie hysterisch los.
Schließlich fing sie sich wieder ein. Verwirrt und benommen überlegte sie nun, wie sie von hier nach oben kommen sollte, denn Rache war nun wirklich ihr Ziel geworden! Jedoch hatte sie sich wohl in diesem Palast verlaufen. „Zu klein, pah!“ wisperte sie, lachte zynisch über sich selbst und dann schimpfte weiter leise vor sich hin, während sie weiterhetzte.
Da quälte sie plötzlich ein weiterer Schmerzanfall in ihren Eingeweiden. Immer noch das Spielzeug an sich gepresst, krümmte sie sich zusammen, wurden ihre Schritte langsamer und schließlich blieb sie ächzend stehen.
Doch dann entdeckte sie wieder Schatten, diesmal hinter sich und sie verbarg das Spielzeug unter ihrem weiten Mantel. Jimaros in noch größerer Zahl als vorhin eilten ihr hinterher durch den geräumigen und nur sanft beleuchteten Flur.
Also versuchte sie sich trotz der Schmerzen weiter zu bewegen, schaffte aber nur ein kurzes Stück, doch da drangen durch eine angelehnte, kreisförmige Tür in der mit herrlichen glitzernden Mosaiken verzierten Wand, kurze Wortfetzen aus Grunz- und Quieklauten bis zu ihr. Die Tür öffnete sich schließlich ganz und zugleich packten Margrit grobe, klobige Hände, zerrten sie durch die runde Öffnung zu sich hinein in eine kleine Kammer.