Das Lotterielos

Monika M.

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Das Lotterielos




Es war ihr letztes Geld. Eigentlich hatte sie Brötchen davon kaufen wollen. Brötchen für ein gemütliches Frühstück morgen. Ihr Mann und ihre Kinder liebten Sonntagsbrötchen, auch wenn sie immer vom Samstagabend waren. Abends bekam man sie eben billiger.
Das Wochenende würden sie schon irgendwie totschlagen. Es gab vieles, was man tun konnte, das kein Geld kostete. Sie konnten im Park spazieren gehen oder hinunter zum Fluss. Am Montag würde sie wieder Geld bekommen. Es war nicht viel, soviel man eben erwarten konnte, wenn man Büros putzte. Doch seit ihr Mann keine Arbeit mehr hatte, war dieses Geld für sie wichtiger denn je.
Es war ihr letztes Geld gewesen. Statt der altbackenen Brötchen hatte sie ein Lotterielos gekauft. Was für ein Teufel hatte sie da bloß geritten? Ein Los, ausgerechnet!
Sie hatte noch nie etwas gewonnen. In ihrem ganzen Leben nicht. Nicht einmal bei einer Tombola. Zielsicher griff sie immer nur Nieten heraus.
Kopfschüttelnd ging sie weiter. Sie war auf dem Weg nach Hause. Hoffentlich hatten die Kinder ihre Zimmer aufgeräumt. Hoffentlich war in der Küche das Geschirr gespült. Hannah seufzte und wich einem alten Mann aus, der langsam mit seinem Dackel, die Straße entlang ging.
„Was habe ich mir bloß dabei gedacht?“ entfuhr es ihr.
„Wie bitte?“ Der alte Mann sah fragend auf. „Was haben sie gesagt?“ Er lächelte freundlich. Wahrscheinlich hätte er zu einem kurzen Geplauder über Belanglosigkeiten nicht nein gesagt. Wahrscheinlich, doch zu Hause war bestimmt nicht gespült oder aufgeräumt.
„Nichts, nichts“, murmelte sie geistesabwesend und eilte weiter. Sie hatte doch tatsächlich ein Lotterielos gekauft. Wie dumm, wo sie doch niemals gewann!
Sehnsüchtig seufzte Hanna noch einmal. 1.000.000 DM sollte der Hauptgewinn sein. Was für eine herrliche Zahl – 1.000.000!
Seit ihr Mann vor einem Jahr seine Arbeit verloren hatte, war das Geld bei ihnen ständig knapp. Daran konnten auch Arbeitslosenhilfe und ihr Putzjob nichts ändern. Ständig musste sie rechnen, jeden Pfennig zweimal umdrehen und ihren Kindern alles abschlagen.
Vielleicht war es das gewesen. Der Gedanke daran, was sie alles mit 1.000.000 DM würde kaufen können.
Ein Lächeln breitete sich auf Hannahs Gesicht aus. Vielleicht gewann sie ja doch! Vielleicht hatte sie einmal in ihrem Leben Glück!
Lisa wünschte sich so sehr ein neues Fahrrad und Fabian sah immer nach den Inline-Skatern. Beides war im Moment unerschwinglich.
„Aber alle anderen haben welche“, konnte sie in Gedanken ihren Sohn sagen hören. „Mama, alle – einfach alle – haben Inliner.“
„Nur du nicht, ich weiß“, hatte sie geantwortet. „Es tut mir so leid, aber sie sind einfach zu teuer. Vielleicht finden wir auf einem Flohmarkt Gebrauchte...“
Fabian hatte nur ein langes Gesicht gemacht und den Rest des Tages auf seinem Zimmer geschmollt.
Wenn sie mit diesem Los gewann, dann würde sie heimlich die besten und teuersten Inline-Skater kaufen, die es nur gab. Sie würde sie einfach an den Frühstückstisch stellen, einfach so. Fabian würde vor Freude jubeln und sie umarmen. Sie hatten sich in letzter Zeit so selten umarmt!
Lisa würde große Augen machen. Doch sie würde nur lachen und sagen: „Geh mal nach unten, da steht etwas für dich!“
Verträumt war Hannah vor dem Fahrradgeschäft stehen geblieben. Sie würde Lisa das rote Rad dort kaufen oder vielleicht auch das Orange. Ihr Blick fiel auf das kleine Preisschild. Für einen Moment stockte ihr Atem. DM 899,00 stand da, doch dann lächelte sie wieder.
Was waren schon 899 DM für eine Millionärin?
Fast hätte sie laut gelacht. Was für ein herrlicher Gedanke! Das Los steckte in ihrer Tasche, schnell griff sie hinein und sah es sich sicherheitshalber noch einmal an. Ja, so konnte durchaus ein Gewinnerlos aussehen.......
Während sie weiterging spann sie die wunderschönen Gedanken in ihrem Kopf weiter. Vielleicht sollten sie auch einmal wieder Urlaub machen. Vielleicht sogar eine Reise für ihren Mann und sie alleine!
„Guten Abend“, grüßte sie plötzlich eine Frauenstimme.
Hannah sah erschrocken auf. Sie war so in ihre Gedanken versunken gewesen, dass sie die Nachbarin, die nun vor ihr stand, gar nicht bemerkt hatte.
„Auf dem Weg nach Hause?“
Hannah nickte. Frau Grabowski wohnte unter ihnen und beschwerte sich sonst ständig über den Krach ihrer Kinder. Heute lächelte sie ebenso freundlich wie falsch.
„Ein Glück, das sie diese Aushilfsstelle haben“, redete sie weiter, ohne auf die schweigsame Hannah zu achten. „Wirklich ein Glück, bei den Umständen!“
Bedrückt nickte Hannah. Was wollte die nur von ihr? Sie wollte jedenfalls nach Hause.
„Ich muss mich jetzt aber beeilen“, versicherte sie ihrer Nachbarin und wollte weitergehen.
„Es ist ja schrecklich, wenn man seine Arbeit verliert“, redete Frau Grabowski unbeeindruckt weiter. „In dem Alter findet man ja so leicht nichts mehr.“
Hannah blickte sie böse an. Die Nachbarin wusste ganz genau, dass ihr Mann arbeitslos war und keine Stelle mehr fand. Sie wusste ganz genau, wie schwierig die Situation geworden war und trotzdem musste sie immerzu in dieser Wunde stochern. Wenn sie erst gewonnen hatte, dann würde sie ihr einmal richtig die Meinung sagen. Am besten zogen sie dann aus und in eine andere, größere Wohnung, wo die Nachbarn nicht so neugierig waren.
„Auf Wiedersehen“, sagte Hannah mit allem Nachdruck, zu dem sie fähig war, drückte sich an Frau Grabowski vorbei und ließ sie verblüfft am Straßenrand stehen.
Ach ja, wenn sie erst gewonnen hatte! Ihre Hand hielt noch immer das Los! Es war doch eine gute Idee gewesen es zu kaufen!
Frau Grabowski würde vielleicht schauen, wenn sie von dem Gewinn ihrer Nachbarn erfuhr! Und die anderen auch, der ehemalige Chef ihres Mannes, ihre Kolleginnen, denen es zum Teil auch nicht besser ging, als ihr. Ihre Schwester und deren Mann.....
Nun ja, ihrer Schwester würde sie es vielleicht besser nicht erzählen. Die war auch ständig in Geldnot, dabei verdiente ihr Mann wirklich genug. Doch sie hatten dieses Haus gekauft und auch ein neues Auto, da konnte man sich leicht übernehmen.
Ihre Schwester würde Geld von ihr erwarten, wenn sie erst einmal genug davon hatte. Wahrscheinlich würde sie es sogar als Geschenk erwarten. Wie lehnte man so etwas ab, freundlich, aber entschieden?
Nein, das ging wahrscheinlich nicht. Sie würde ihr wohl Geld schenken müssen, um des lieben Friedens willen. Sie konnte sich schon vorstellen, wie ihr Schwager heimlich sticheln würde: „Nun mach schon, frag sie doch noch einmal. Sie ist doch deine Schwester und sie schwimmt im Geld! Sie muss dir einfach etwas abgeben!“
Hannah stöhnte unwillkürlich leise auf. Besser ihre Schwester erfuhr gar nichts von dem Gewinn! Ob das ging?
Bestimmt würde plötzlich eine Menge Leute mit ihr sprechen wollen und um Geld bitten. Vielleicht auch die eine oder andere Kollegin.
„Die hat doch jetzt genug davon“, würden sie denken. „Warum hilft sie mir dann nicht? Ich habe es so nötig. Ich würde es teilen... “
Würden sie das wirklich? Hannah wollte den Gedanken gar nicht zu Ende denken. Sie konnte unmöglich allen helfen, die sie kannte. Einige würden das vielleicht verstehen, aber viele auch nicht. Wahrscheinlich würde sie durch diesen Gewinn viele Freunde verlieren!
Ihr Mann würde nicht mehr nach einer Arbeit suchen wollen. Er würde weiter zu Hause bleiben, doch ohne das drückende, schlechte Gewissen. Hoffentlich wurde davon seine Laune besser.
Er war jetzt oft unausgeglichen und reizbar. Sicher er tat sich nicht leicht damit, all die Absagen einzustecken. Aber wenn er reich war, dann konnte ihn das aller ja kalt lassen. Sie würde auch nicht mehr arbeiten gehen.
Sie könnte sogar eine eigene Putzfrau einstellen, die würde sich dann über die unaufgeräumte Küche ärgern. Aber wenn man fremde Leute im Haus hatte, musste man so aufpassen, nicht wahr!
Ihre Kinder würden bald neue Wünsche haben, immer größere und weil Geld genug da war, würden sie nie wieder auf den Preis achten müssen. Doch, wenn immer alle wünsche prompt erfüllt würden, würde nie wieder einer von ihnen jubelnd in ihre Arme fallen.
In der Schule würde sich der Gewinn natürlich auch herum sprechen. Bald würden sich ihre Kinder vor neuen Freunden kaum noch retten können. Doch die würden nur um sie herum schwärmen, um ausgehalten zu werden und vielleicht das ein oder andere abzustauben. Wie sollte man mit so viel Geld überhaupt noch echte Freunde erkennen, die nicht in Gedanken nur die Scheine sahen, die man in seiner Tasche trug!
Ach Gott, soviel Geld und gar kein Glück!
Abrupt blieb Hannah stehen. 1.000.000 DM, war das wirklich so viel. Reise, neue Wohnung, Möbel sowieso, Putzfrau und alle die Wünsche, wie lange reichte denn da eine Million? Sicher nicht lange genug! Und dann....
Auf einmal schwebte dieses „und dann...“ drohend wie eine schwarze Gewitterwolke über ihr. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Was sie sich da ausgemalt hatte, war nicht nur Freude und eitel Sonnenschein, das war ganz anders, als sie es sich vorstellen wollte!
„Alles in Ordnung?“ Ein junger Mann war stehen geblieben und musterte sie nachdenklich. „Haben sie etwas verloren?“
Verloren? Sicher, wollte Hannah im ersten Moment antworten, ich habe eben alle meine Illusionen vom Glück verloren. Ich war ungefähr eine halbe Stunde lang Millionärin und jetzt bin ich todunglücklich, weil Geld eben doch nicht alles ist!
„Nein, danke“, sagte sie statt dessen, bemüht freundlich zu lächeln. „Es ist alles in Ordnung!“
Und das war es wirklich, stellte sie mit seltsamer Klarheit plötzlich fest. Alles war in bester Ordnung. Sicher sie mussten sich krumm legen, doch es reichte ja dann doch immer irgendwie. Ihr Mann würde früher oder später eine neue Arbeit finden und auf dem Flohmarkt gab es eine Menge Fahrräder und In-Liner, die für ihre Kinder gut genug waren. Sie würden sich auch darüber freuen, würde sie auch dafür umarmen.
Mit einem tiefen Seufzer nahm Hannah das Lotterielos aus ihrer Tasche. Wahrscheinlich hätte sie sowieso nicht gewonnen. Sie gewann nie etwas, nicht einmal bei einer Tombola. Doch dieses Mal wollte sie lieber sichergehen!
Mit einem kurzen Ruck zerriss sie das Los in viele kleine Teile und ließ die Schnipsel auf die Straße fallen. Morgen würde es keine Brötchen geben, doch das machte nichts. Es würde auch keinen Gewinn geben, doch das machte noch viel weniger. Das Geld war nicht wichtig, Hannah war auch so glücklich!
 

gladiator

Mitglied
Schön...

...und mit einem versöhnlichen Ende. Zu dem Thema gibts grade einen ziemlich passenden Link:

http://www.focus.de/G/GV/GVA/gva.htm?snr=93275&streamsnr=9

Geld alleine macht wirklich nicht glücklich, die Probleme, die der Mensch mit seiner Seel hat, bleiben oft die gleichen...

Dramaturgisch finde ich das Umschwenken der Protagonistin nicht wirklich überzeugend. Ich hätte die negativen Aspekte des Millionärsdasein noch ein bißchen massiver ausgemalt (Mann geht mit der Kohle durch, Kinder schnappen über und werden neureiche Schnösel, die Schwester kriegt ein Teil des Geldes und übernimmt sich plötzlich richtig und wird ruiniert...)

Das Thema, wie ein Ereignis/Gegenstand durch seine plötzliche Existenz auf das Leben vieler Menschen positiv wie negativ auswirkt, hat übrigens Leo Tolstoi in seiner Erzählung "Der gefälschte Coupon" eindrucksvoll beschrieben. Solltest Du vielleicht mal lesen.

Gruß
Gladiator
 

Monika M.

Mitglied
Hallo Gladiator,

das mit dem Umschwengen und den negativen Aspekten ist ein guter Hinweis. Das werde ich noch einmal überarbeiten. Vielleicht bringe ich sogar die Zeit für Tolstoi auf.
Viele Grüße
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
also,

mir gefällt die geschichte so, wie sie ist. ich bewundere den mut dieser frau, das los zu zerreißen. bleiben da nicht zweifel - vielleicht hätte es ja doch gewonnen und nun kann man es nicht mehr nachprüfen! ganz lieb grüßt
 



 
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