Das machen wir doch mit links

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„Mein herzliches Beileid." Der Arzt verstaute seine Instrumente wieder in seiner Tasche - Edith hatte gar nicht gesehen, was er gemacht hatte, in ihrer Trauer hatte sie nichts bewusst wahrgenommen - und schüttelte ihr zum Abschied die Hand. „Sie hätten nichts tun können", fügte er noch hinzu. „Ihr Mann ist friedlich im Schlaf gestorben. Ich habe den Totenschein unterschrieben. Er starb an Herzversagen."
Edith nickte nur. Als der Arzt gegangen war, griff sie zum Telefon und informierte ihre einzige Tochter und ihren Schwiegersohn. „Wir kommen sofort, wir kümmern uns um alles", erhielt sie zur Antwort. Eine halbe Stunde später trafen Karoline und Edgar ein. Karoline nahm sie tröstend in die Arme. „Es tut mir so leid, Mama." Sie fing an zu schluchzen. „Auch, wenn Karl nicht mein richtiger Vater war, ich habe ihn sehr gerne gehabt." Karolines Vater war vor zehn Jahren gestorben, Karoline hatte sich gut mit Karl verstanden. Und dann trösteten sie sich eine Weile gegenseitig, während Edgar den Bestatter anrief.

Zwei Stunden später wurde Karl abgeholt. Jetzt konnte Edith nicht mehr weinen, eine dumpfe Traurigkeit hatte sie erfasst. Nie mehr würde sie neben ihm aufwachen.
„Er ist immerhin fast 80 geworden", sagte Edgar, „und er ist nicht im Krankenhaus gestorben. Ich glaube, er hätte sich das so auch gewünscht."
„Vielleicht", sagte Edith mühsam, „aber ich wäre lieber vor ihm gestorben. Ich wollte nicht alleine zurückbleiben."
„Wir werden dir helfen, Mama", versprach Karoline.

Und so kam es auch. Karoline und Edgar kümmerten sich um alles Anfallende, gaben eine Traueranzeige auf, besprachen mit dem Pfarrer, was auf der Beerdigung erwähnt werden sollte und besorgten die Sterbeurkunden. Sie nahmen Edith alles ab, was Edith zunächst nicht wirklich zur Kenntnis nahm und sie schließlich irritierte.
„Ich kann auch etwas tun", sagte sie. „Ihr müsst nicht alles machen."
„Wir machen das gerne, Edith. Das macht uns nichts aus", erwiderte ihr Schwiegersohn. „Ich habe mir frei genommen, das passt schon."
Edith traute sich nicht zu widersprechen. Es war ja alles nett gemeint. Und nach der Beerdigung würden Karoline und Edgar nach Hause fahren, dort bleiben und sie endlich alleine lassen. Sie sprach es nicht aus, wagte es kaum zu denken, aber die ständige Anwesenheit der beiden ging ihr in ihrer Trauer furchtbar auf die Nerven. Außerdem erwischte sie Edgar dabei, wie er in einer Kiste mit Dokumenten herumwühlte, die sie immer mal abheften wollte, aber nie dazu gekommen war. „Was machst du da, Edgar?"
„Die Bank will ein paar Unterlagen. Ich muss dem Beerdigungsunternehmer einen Vorschuss überweisen. Ich dachte, Karl hätte vielleicht ein Sparbuch angelegt mit Geld für die Beerdigung, er hatte mir mal gesagt, dass er das machen wolle."
„Warum fragst du mich nicht einfach?"
„Ach Edith, es tut mir leid. Ich dachte, das sei einfach pietätlos, dich damit zu belästigen."
„Das ist doch kein Problem. Aber ich weiß nichts von einem Sparbuch. Wenn überhaupt, ist das Geld auf unserem Konto. Wir hatten sowieso nur eines."
„Wie machen wir das dann ..." Edgar überlegte. „Weißt du was, am besten gibst du mir eine Vollmacht. Dann kann ich das Geld überweisen, und du brauchst dich um nichts zu kümmern."
„Karl wollte nie, dass ich jemandem eine Vollmacht gebe."
„Ja, ist auch umständlich. Am besten gehen wir morgen einfach zusammen auf die Bank, dann machen wir das am Schalter. Das klappt schon." Edgar lächelte ihr zu. Edith schluckte die Worte „Das kann ich auch alleine" hinunter und widersprach nicht mehr. Es wäre unhöflich gewesen, und er meinte es nur gut.

Am nächsten Tag ging Edgar mit ihr zur Bank, sprach ein paar freundliche Worte mit der Schalterbeamtin, und Edith musste nur ein paar Unterschriften leisten und sich ansonsten um nichts kümmern.
Es war eine große Beerdigung. Karl war sehr bekannt und beliebt im Dorf gewesen, er war Vorsitzender im Gemeinderat und hatte einige ehrenamtliche Tätigkeiten ausgeübt. Edith kannte gar nicht alle Leute, die ihr am Grab kondolierten, murmelte einige Dankesworte und fragte sich im Stillen, ob eine Beisetzung im kleinen Kreis nicht besser gewesen wäre als so ein Brimborium mit großer Kaffeetafel hinterher, von den Kosten ganz abgesehen. Aber Edgar und Karoline hatten sie überzeugt, dass für Karl eine große Beerdigung angemessen sei. An die Kosten hatte sie in ihrer Trauer gar nicht gedacht.

„Das erledigen wir schon, Mama", sagte Karoline, als Edith schüchtern nachfragte, „damit brauchst du dich nicht zu belasten."
„Ihr bezahlt alles?", fragte Edith verwirrt.
„Nein, das können wir uns natürlich nicht leisten", sagte Karoline. „Aber Karl hat doch vorgesorgt. Er hat Edgar mal erzählt, dass genug Geld für die Beerdigung da wäre. Edgar hat auch gesehen, dass auf eurem Konto genug Geld ist, um alles zu bezahlen. Jetzt, wo Karls Rente nicht mehr eintrifft, wäre es aber vielleicht besser, das Konto aufzulösen."
„Wieso?", fragte Edith. „Ich brauche es doch noch."
„Es kommt doch kein Geld mehr drauf, Mama."
Beinahe wäre Edith an dieser Stelle etwas herausgerutscht. Was schnüffelte ihr Schwiegersohn auf ihrem Konto herum? Ach, richtig: Sie hatte ihm ja ihre EC-Karte gegeben, als sie mit ihm zur Bank gegangen war.
„Aber ich habe doch Anspruch auf eine Witwenrente", sagte Edith.
„Hast du die Rente schon beantragt, Mama?"
„Nein", sagte Edith stirnrunzelnd. „Ich habe ..." im letzten Moment verschluckte sie die Worte „Geld für diese Situation auf die Seite gelegt" und sagte stattdessen: „Ich hatte aber schon vor, das zu machen."
„Edgar kann dir helfen," erklärte Karoline.
„Das mache ich gerne", fügte Edgar diesen Worten hinzu, ehe Edith zu Wort kam. „Das ist sicher eine Menge Papierkram."
„Wie ihr meint." Edith wandte sich an Edgar. „Gibst du mir bitte meine EC-Karten wieder?"
„Die habe ich dir doch zurückgegeben, Edith, direkt, als wir von der Bank gekommen sind."
Edith entging es nicht, dass Edgar bei diesen Worten seiner Frau einen Blick zuwarf, der „Ich glaube, deine Mutter wird senil" ausdrücken sollte. Allmählich wurde Edith ärgerlich. „Ich habe sie aber nicht", sagte sie trotzig.
„Dann musst du sie eben suchen, Mama", empfahl Karoline. „Ich helfe dir." Tatsächlich fand sich die Karte wenig später auf dem Wohnzimmertisch unter einem Stapel Zeitungen.

Ein paar Tage später beantragte Edgar für Edith die Witwenrente. Edith musste nur unterschreiben und war froh, dass sie sich nicht selbst um den Papierkram kümmern musste. Es war ein Segen, einen solchen Schwiegersohn zu haben.

Drei Monate später machten Karoline und Edgar ihr den Vorschlag, bei ihr einzuziehen.
„Das Haus ist doch viel zu groß für dich alleine", sagte Karoline. „Und für die Instandhaltung brauchst du einen Mann, Handwerker bekommt man heute nicht mehr für Kleinigkeiten. Edgar kann sich um alles kümmern."
Edith überlegte. Karoline hatte wahrscheinlich recht. Was sollte sie auch alleine in dem großen Haus?
„Man könnte auch einen Teil umbauen und vermieten", sagte Edgar. „Das wäre am besten, dann kommt durch die Mieter immer Geld hinein."
Edith hätte zwar im Traum nicht an eine solche Möglichkeit gedacht, aber sie musste ihm bei genauerer Überlegung recht geben. Jedenfalls fand sie kein Gegenargument.
„Aber das ist doch so viel Arbeit für euch", sagte sie schließlich lahm.
„Ach was." Edgar lächelte. „Das machen wir doch mit links."
 
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Matula

Mitglied
Hallo SilberneDelfine !
Mir gefällt die Ausgangssituation Deiner Geschichte sehr gut, aber leider verstehe ich die Aussage nicht. Willst Du sagen, dass die Frau nach dem Tod des Ehemannes die Hilfe der Kinder braucht, weil sie nur glaubt, allein zurechtzukommen? Oder, dass die Kinder gegenüber der verwitweten (Schwieger-)Mutter übergriffig werden, vielleicht auch ein bisschen gierig, weil sie auf ein "Voraus-Erbe" hoffen? Edith wirkt sehr ambivalent und lässt den Leser im Ungewissen.

Schöne Grüße,
Matula
 
Hallo Matula,

vielen Dank für deinen Kommentar! Schön, dass dir die Geschichte gefällt.
Nun, was die Aussage betrifft, bin ich etwas vage geblieben, das ist wahr. Ich wollte hier quasi herausstellen, wie es sein kann, dass sich jemand von seinen Kindern/Schwiegerkindern so übertölpeln lässt, dass er die Kontrolle über seine Finanzen, sein Haus und schließlich sein ganzes Leben an sie übergibt. Das hätte man zwar noch ausführlicher machen können, aber dann wäre die Geschichte viel zu lang geworden.
Zunächst ist Edith noch ambivalent. Später lässt sie sich einlullen. Das wollte ich ausdrücken.

LG SilberneDelfine
 

ThomasQu

Mitglied
Wie ist denn das mit den Namen, Frau Delfine? Mal heißt die Tochter Karola, mal Karoline.
Das finde ich ein kleinwenig verwirrend.
 
Hallo Thomas,

du hast recht, da habe ich nicht aufgepasst. Kommt davon, wenn man die Geschichte eine Weile liegen lässt und später weiter schreibt.
Ich habe es verbessert.

Danke für den Hinweis!

LG SilberneDelfine
 

Gamma6662

Mitglied
Hallo SilberneDelfine,

das ist eine sehr schöne Geschichte. Ein Teil von mir ist nach dem Lesen überzeugt davon, dass die Tochter und der Schwiegersohn Edith übers Ohr ziehen und dies eine Art Enkeltrick war. Auch das die EC-Karte unter einem Stapel Zeitungen gefunden wurde, würde in diese Lesart passen, da die beiden, falls sie das denn so geplant hätten, Edith das Gefühl geben würden tatsächlich dement zu sein, um sie so noch besser manipulieren zu können. Im Ganzen halte ich dies für sehr unwahrscheinlich, aber dass ich überhaupt auf diesen Gedanken gekommen bin, zeigt, wie gut diese Geschichte die Perspektive von Edith wiedergibt, die gegenüber den beiden zwischen Dankbarkeit und Mißtrauen schwankt.
 
Hallo Gamma 6662,

vielen Dank für deine Auseinandersetzung mit dem Text und die Sterne! Ich habe mich über deine Antwort sehr gefreut.

LG SilberneDelfine
 



 
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