Schwarmverhalten ist mysteriös, von der Wissenschaft noch nicht völlig geklärt, aber in dem täglichen Überlebenskampf von uns Menschen fest integriert. In Schwärmen steigen wir morgens in Busse und Bahnen, in Schwärmen versammeln wir uns an Badeseen, in Theatern, in Flugzeugen oder auf Skipisten.
Schwärme bestimmen das politische Leben und unsere Arbeitsplätze, Schwärme entstehen an Grabbeltischen und bei Rockkonzerten.
Ameisen legen auf der Futtersuche eine Pheromonspur, denen nachfolgende Arbeiterinnen nur zu folgen brauchen. Nach und nach ergeben sich auf der kürzesten Route hohe Konzentrationen dieser Duftstoffe und voila – eine Ameisenstraße entsteht.
Das erinnert mich auch immer wieder an Autobahnen, wo Menschen mehr oder weniger diszipliniert in eine Richtung streben. Alle haben unterschiedliche Ziele, bleiben aber immer in den asphaltierten Spuren und berühren sich gegenseitig nicht. Naja zumindest nicht so oft. Die Pheromonsignale der Autobahnen heißen Abgas und Vordermann. Letzterer muss überholt und gleichzeitig als Anfänger oder Heini tituliert werden. Mit weniger PS unter der Haube ernten wir aber mehr "Heinis" als wir austeilen können. Die Trucker sind bei diesem Spiel die "Oberheinis", da sie nur stur auf Tempo 80 fixierte Rentner überholen können.
Iris, meine beste Freundin, ist eine Ameise. Zumindest ihr Einkaufsverhalten erinnert doch stark an das Treiben dieser Insekten. Die Ameisenstraßen von Iris sind die weit verzweigten Gänge und Rolltreppen unseres Shopping Centers. Die Pheromonspuren haben andere weibliche Schwarmwesen gelegt, die Stunden zuvor zielgerichtet die Läden aufgesucht haben, wo „Frau“ das findet, was "Frau" dringend braucht, scheißteuer ist und „Mann“ gerade noch bezahlen kann.
Ich rieche diese Spur natürlich nicht, denn ich bin ja nur der begleitende Krieger, der die Tüten der Arbeiterin trägt und ihre Kommentare und Eindrücke zustimmend abnickt:
<< Da schau mal die da vorn! Trägt so ein kurzes Röckchen! Bei diesen Krautstampfern! >>
<< Du hast heute ja schon wieder diese ausgeleierte Jeans an. So gehe ich mit dir kein zweites Mal in die Öffentlichkeit! >>
Wie bei den Ameisen wird die Beute des Einkaufstages nach Hause gebracht. Die südamerikanischen Blattschneideameisen kultivieren mit dem geschnittenen Blattwerk in ihrem Bau Pilzgärten, die dann als eigentliche Nahrungsquelle dient. Der Pilzgarten von Iris heißt Kühlschrank und ist bis zum letzten Kubikzentimeter mit Sachen vollgestopft, die hochverderblich sind und dem Schicksal der Entsorgung im Mülleimer harren.
<< Ich hätte heute mal wieder so richtig Lust auf eine Pizza! Ruf doch mal im „O Sole Mio“ an und bestelle was. Für mich eine Funghi und einen gemischten Salat. Dazu noch eine gute Flasche Wein. >>
<< Iris der Kühlschrank ist voll! Da sind auch Tiefkühlpizzen drin. Wollen wir nicht erst mal die niedermachen? Wein ist auch im Keller! Oder wir kochen mal zusammen was. >>
<< Ich mag keine Tiefkühlpizzen! Die schmecken doch alle wie ausgelatschte Turnschuhe. Gönnst du mir nach einem stressigen Einkaufstag wie heute nicht mal eine Pizza vom Maestro? Und kochen? Ich kann nur Mikrowelle und du nur Spiegelei. Da kommt nix raus dabei. Ich will eine echte italienische Pizza genießen! >>
<< Warum hast du dann im Supermarkt welche gekauft? >>,
wollte ich antworten, schlucke aber diese doch sehr logische Frage hinunter und konzentriere mich an dessen statt auf die Wahl der Nummer vom Pizzaschnelldienst. Noch bevor der Pizzabote klingeln kann, höre ich sie sagen:
<< Eigentlich möchte ich wieder mal chinesisch essen. Komm, wir gehen noch mal los und besuchen Wong. Da waren wir schon lange nicht mehr. >>
Iris hat in ihrem Schwarmverhalten auch die Vögel drauf. Wenn sie mit ihren Freundinnen, mal ganz ohne Beschützer und Tütenträger, unterwegs ist, kann man beobachten, wie der Schwarm simultane Richtungswechsel vollführt und ohne vorherige Abstimmung Bäckereien, Cafés und Süßwarenläden ansteuert. Der Unterschied zu den Vögeln besteht nur darin, dass diese gefiederten Zauberer dabei nicht schwatzen und lachen, sondern stur und akrobatisch Figuren am Himmel zaubern. Das Figurenzaubern hat Iris aber auch drauf, wenn es darum geht, eine Bitte an mich durch Hüftschwung, Brustrausdrücken und lasziver Mimik untermauern zu müssen.
Heringe haben auch Schwarmverhalten. Nur gut, dass Iris nicht schwimmen kann und somit Gewässer und feuchte Freizeitoasen meidet. Nicht auszumalen, was unter Wasser passieren würde, wenn sie in dieses Medium auch noch eintauchen könnte, um sich dort mit anderen Vertreterinnen ihrer Spezies zu treffen.
Heuschrecken sind auch Schwarmtiere. Iris kann auch Heuschrecke! Sie überfällt mich oftmals in Minuten, die ich gerade meiner persönlichen Erbauung gewidmet habe. Auf dem Sofa ausgestreckt, meine Lieblingsserie auf dem Bildschirm, ein Bierchen mit Schaumkrone in Griffweite auf dem Tisch und es klingelt an der Wohnungstür. Iris, die Heuschrecke überfällt mich mit der Mitteilung, dass ihr der tropfende Wasserhahn zuhause auf den Geist geht. Ich solle mich sofort umziehen und mitkommen. Ich frage mich dann als erstes, warum ich mich als Klemptner in Schale werfen soll, vermeide aber diese Gedanken in Worte zu fassen.
<< Hat das nicht bis morgen Zeit? >>,
antworte ich zögerlich, folge ihr aber doch nach dem Kleidungswechsel ungefragt und gehorsam, denn ihre Antwort kenne ich ja schon und fürchte nichts mehr als die Konsequenzen, die daraus resultieren könnten.
Letztendlich ist aber zu bemerken, dass Iris irgendwie doch ein nicht unwesentlicher Teil meines Lebens ist und mir bei dem Gedanken, dass sie mich beim nächsten Einkaufsbummel vergisst, der kalte Schweiß ausbricht. Ich kenne sie jetzt ja schon seit vierzig Jahren. Wer weiß? Vielleicht wird ja mal was aus uns beiden. Sie ist und bleibt halt mein Schwarm.
Schwärme bestimmen das politische Leben und unsere Arbeitsplätze, Schwärme entstehen an Grabbeltischen und bei Rockkonzerten.
Ameisen legen auf der Futtersuche eine Pheromonspur, denen nachfolgende Arbeiterinnen nur zu folgen brauchen. Nach und nach ergeben sich auf der kürzesten Route hohe Konzentrationen dieser Duftstoffe und voila – eine Ameisenstraße entsteht.
Das erinnert mich auch immer wieder an Autobahnen, wo Menschen mehr oder weniger diszipliniert in eine Richtung streben. Alle haben unterschiedliche Ziele, bleiben aber immer in den asphaltierten Spuren und berühren sich gegenseitig nicht. Naja zumindest nicht so oft. Die Pheromonsignale der Autobahnen heißen Abgas und Vordermann. Letzterer muss überholt und gleichzeitig als Anfänger oder Heini tituliert werden. Mit weniger PS unter der Haube ernten wir aber mehr "Heinis" als wir austeilen können. Die Trucker sind bei diesem Spiel die "Oberheinis", da sie nur stur auf Tempo 80 fixierte Rentner überholen können.
Iris, meine beste Freundin, ist eine Ameise. Zumindest ihr Einkaufsverhalten erinnert doch stark an das Treiben dieser Insekten. Die Ameisenstraßen von Iris sind die weit verzweigten Gänge und Rolltreppen unseres Shopping Centers. Die Pheromonspuren haben andere weibliche Schwarmwesen gelegt, die Stunden zuvor zielgerichtet die Läden aufgesucht haben, wo „Frau“ das findet, was "Frau" dringend braucht, scheißteuer ist und „Mann“ gerade noch bezahlen kann.
Ich rieche diese Spur natürlich nicht, denn ich bin ja nur der begleitende Krieger, der die Tüten der Arbeiterin trägt und ihre Kommentare und Eindrücke zustimmend abnickt:
<< Da schau mal die da vorn! Trägt so ein kurzes Röckchen! Bei diesen Krautstampfern! >>
<< Du hast heute ja schon wieder diese ausgeleierte Jeans an. So gehe ich mit dir kein zweites Mal in die Öffentlichkeit! >>
Wie bei den Ameisen wird die Beute des Einkaufstages nach Hause gebracht. Die südamerikanischen Blattschneideameisen kultivieren mit dem geschnittenen Blattwerk in ihrem Bau Pilzgärten, die dann als eigentliche Nahrungsquelle dient. Der Pilzgarten von Iris heißt Kühlschrank und ist bis zum letzten Kubikzentimeter mit Sachen vollgestopft, die hochverderblich sind und dem Schicksal der Entsorgung im Mülleimer harren.
<< Ich hätte heute mal wieder so richtig Lust auf eine Pizza! Ruf doch mal im „O Sole Mio“ an und bestelle was. Für mich eine Funghi und einen gemischten Salat. Dazu noch eine gute Flasche Wein. >>
<< Iris der Kühlschrank ist voll! Da sind auch Tiefkühlpizzen drin. Wollen wir nicht erst mal die niedermachen? Wein ist auch im Keller! Oder wir kochen mal zusammen was. >>
<< Ich mag keine Tiefkühlpizzen! Die schmecken doch alle wie ausgelatschte Turnschuhe. Gönnst du mir nach einem stressigen Einkaufstag wie heute nicht mal eine Pizza vom Maestro? Und kochen? Ich kann nur Mikrowelle und du nur Spiegelei. Da kommt nix raus dabei. Ich will eine echte italienische Pizza genießen! >>
<< Warum hast du dann im Supermarkt welche gekauft? >>,
wollte ich antworten, schlucke aber diese doch sehr logische Frage hinunter und konzentriere mich an dessen statt auf die Wahl der Nummer vom Pizzaschnelldienst. Noch bevor der Pizzabote klingeln kann, höre ich sie sagen:
<< Eigentlich möchte ich wieder mal chinesisch essen. Komm, wir gehen noch mal los und besuchen Wong. Da waren wir schon lange nicht mehr. >>
Iris hat in ihrem Schwarmverhalten auch die Vögel drauf. Wenn sie mit ihren Freundinnen, mal ganz ohne Beschützer und Tütenträger, unterwegs ist, kann man beobachten, wie der Schwarm simultane Richtungswechsel vollführt und ohne vorherige Abstimmung Bäckereien, Cafés und Süßwarenläden ansteuert. Der Unterschied zu den Vögeln besteht nur darin, dass diese gefiederten Zauberer dabei nicht schwatzen und lachen, sondern stur und akrobatisch Figuren am Himmel zaubern. Das Figurenzaubern hat Iris aber auch drauf, wenn es darum geht, eine Bitte an mich durch Hüftschwung, Brustrausdrücken und lasziver Mimik untermauern zu müssen.
Heringe haben auch Schwarmverhalten. Nur gut, dass Iris nicht schwimmen kann und somit Gewässer und feuchte Freizeitoasen meidet. Nicht auszumalen, was unter Wasser passieren würde, wenn sie in dieses Medium auch noch eintauchen könnte, um sich dort mit anderen Vertreterinnen ihrer Spezies zu treffen.
Heuschrecken sind auch Schwarmtiere. Iris kann auch Heuschrecke! Sie überfällt mich oftmals in Minuten, die ich gerade meiner persönlichen Erbauung gewidmet habe. Auf dem Sofa ausgestreckt, meine Lieblingsserie auf dem Bildschirm, ein Bierchen mit Schaumkrone in Griffweite auf dem Tisch und es klingelt an der Wohnungstür. Iris, die Heuschrecke überfällt mich mit der Mitteilung, dass ihr der tropfende Wasserhahn zuhause auf den Geist geht. Ich solle mich sofort umziehen und mitkommen. Ich frage mich dann als erstes, warum ich mich als Klemptner in Schale werfen soll, vermeide aber diese Gedanken in Worte zu fassen.
<< Hat das nicht bis morgen Zeit? >>,
antworte ich zögerlich, folge ihr aber doch nach dem Kleidungswechsel ungefragt und gehorsam, denn ihre Antwort kenne ich ja schon und fürchte nichts mehr als die Konsequenzen, die daraus resultieren könnten.
Letztendlich ist aber zu bemerken, dass Iris irgendwie doch ein nicht unwesentlicher Teil meines Lebens ist und mir bei dem Gedanken, dass sie mich beim nächsten Einkaufsbummel vergisst, der kalte Schweiß ausbricht. Ich kenne sie jetzt ja schon seit vierzig Jahren. Wer weiß? Vielleicht wird ja mal was aus uns beiden. Sie ist und bleibt halt mein Schwarm.