Das Schweigen der Emma

4,00 Stern(e) 1 Stimme
Emma hat heute ihren freien Tag. Voller Freude nimmt sie sich vor, mit ihrem neuen Fahrrad einen Ausflug zu machen. Die Hausarbeit kann warten und das Wetter ist herrlich. Sie schwingt sich auf ihren Drahtesel und tritt ordentlich in die Pedale. Die Strecke kennt Emma beinah auswendig. Während sie so dahinstrampelt, ganz in Gedanken versunken, wird sie etwas übermütig und unvorsichtig und ….. übersieht das Auto. Es macht einen fürchterlichen Knall, Emma fliegt durch die Luft, das Rad hinterher.

Als Emma wieder aufwacht, liegt sie zuhause in ihrem Bett. Neben sich hört sie das wohlige Murmeln von Kurt, ihrem Ehemann. Sie schaut auf die Uhr – immer das gleiche – schon wieder verschlafen. Sie weckt Kurt mit einem Kuss und zieht ihm die Decke weg. Schon will sie ihm sagen, wie sehr es sie stört, dass er sich immer darauf verlässt, von ihr geweckt zu werden. Aber anstelle der Wörter spürt Emma etwas wie Watte im Mund und in ihrem Magen kullert ein kleines Körnchen.

Nach einem hastigen Frühstück fährt Kurt zur Arbeit. Emma hat noch etwas Zeit zum Aufräumen. Kurt könnte seine Socken wenigstens in den Wäschekorb werfen und nicht irgendwo im Haus einfach fallenlassen. Schon wieder kullert ein kleines Körnchen in ihrem Magen und ihr Mund fühlt sich an wie mit Watte verstopft.

Im Büro ist heute wieder einmal die Hölle los. Der Chef hat schlechte Laune und Emmas Kollege, der mit den bunten MickeyMouseKrawatten, hat ihr schon wieder begehrlich auf den Hintern getatscht. Emma will gerade losschimpfen und dem Kerl sagen, wie abstoßend und unangenehm sie das empfindet, da spürt sie wieder dieses Gefühl von Watte im Mund und im Magen klimpert ein kleines Körnchen.

Noch dazu hat Emma heute Geburtstag. Sie weiß jetzt schon, was ihr blühen wird, im wahrsten Sinne des Wortes. Kurts Mutter wird ihr, wie jedes Jahr, einen Strauß rosa Nelken schenken und Emma wird, wenn Kurts Mutter wieder gegangen ist, die Nelken in den Mistkübel stecken, denn sie hasst rosa Nelken. Dieses Jahr wird Emma ihrer Schwiegermutter erklären, dass sie bitte keine rosa Nelken, gar keine Nelken geschenkt haben will.

Nach dem Büro fährt Emma nach Hause und bereitet Gläser und Servietten für die Geburtstagsjause vor. Die Tür geht auf und Kurt fuchtelt nicht mit zwei Flugtickets in der Luft, er hat keine roten Rosen hinter dem Rücken versteckt, auch kein kleines Päckchen in der Sakkotasche, eines von denen, die, je kleiner sie sind, umso teurer sind. Nein, es ist eine Flasche Sekt und die obligate kalte Platte. Emma will ihre Enttäuschung kundtun, aber nichts, nur Watte in ihrem Mund und ein kleines Körnchen klimpert in ihrem Magen.

Schon klingelt es an Tür und Kurts Mutter taucht hinter 19 rosa Nelken auf. Emma will gerade ….., aber da sind sie wieder, die Watte und im Magen das ……

Die drei verbringen trotz allem einen netten Abend bei Canasta und Fernsehen. Emma träumt von gedämpfter Beleuchtung, verführerischen kleinen Häppchen und süßen Früchten und von einem Kurt, der sie nach allen Regeln der Kunst verwöhnt. Seltsam, dieses Gefühl von Watte und …..

Am nächsten Morgen wacht Emma auf. Sie meint, ihr Kopf platzt gleich. Alles ist wie in Watte gepackt und ihre linke Hand – aua!! – steckt in einem Gipsverband. Was ist passiert? Kurt sitzt neben ihr, lächelt ganz verzagt und erzählt Emma von ihrem Unfall und dass sie einen ganzen Tag bewusstlos war.

Emma versteht im ersten Moment gar nichts. Langsam kommt die Erinnerung zurück. Dann war das mit der Watte und den Körnchen im Magen nur ein Traum? So ein Glück! Sie kann jetzt ihrem Kurt wirklich sagen, dass sie ihren nächsten Geburtstag mit ihm allein, und wenn es sein muss, auf einer einsamen Almhütte, verbringen will. Und der MickeyMouseKollege und die rosa Nelken ……

Emmas Gedanken werden vom Arzt unterbrochen. Er erklärt ihr, dass sie eine Gehirnerschütterung hat, ihr linker Arm gebrochen ist und sie beim allgemeinen Check ein Magengeschwür entdeckt haben. Mit ein bisschen Schonung wird das alles bald wieder verheilt sein, denn organisch ist sie sonst gesund, meint er. Ob sie manchmal ein Gefühl wie Körnchen im Magen habe, fragt er dann noch.

Da geht die Tür vom Krankenzimmer auf und Kurts Mutter kommt herein, mit einem Strauss …..
 



 
Oben Unten