Das Schweigen der Schnaken

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(eine tiefschwarze Moritat oder Gruselballade)




Des Abends tanzen Schnaken vor dem Fenster.
Er reißt ihnen - wie stets - die Beine aus.
So hält er sich vom Leibe die Gespenster,
die mit ihm wohnen hier in seinem Haus.

Da liegen sie - bloß Rumpf - und nur ihr Zucken
verrät, dass ihnen Leben innewohnt.
Still sieht er zu und seine Finger jucken,
solange auch nur eine bleibt verschont.

Er denkt an seinen Vater, der ihn jagte
mit Schlägen Tag und Nacht durchs große Haus,
den niemals es berührte, wenn er klagte;
dem riss als Erstem er die Beine aus.

Genussvoll sah er, wie in seinem Blute
bloß gurgelnd der die letzten Laute tat.
Die Zunge nahm im Tausch er für die Knute -
noch heut sind deren Riemen steif und hart,

verkrustet von dem Blut all jener Schläge,
die tiefer schnitten als bloß Fleisch und Haut.
Dann nahm dem alten Herrn die Kesselsäge
die Arme noch - und eh der Morgen graut,

da lag nur noch ein Rumpf in einer Lache,
so schwarz und tief, dass sie ihn fast verschlang.
Die Ratten trafen ein zur Totenwache -
noch heute hört mit Zittern er den Klang

vom eiligen Getrippel ihrer Krallen,
ein Quieken wilder Gier voll Futterneid!
"Die Schnaken schweigen!" denkt er, schon im Fallen,
schließt seine Augen und fühlt Dankbarkeit.







.aug_2023
 
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G

Gelöschtes Mitglied 25804

Gast
Ist schon ein berauschendes Forum, die Lupe: Da konfrontierst du mich unvorbereiteten Leser mit einem abendlichen Beinausreißermonster, und der neue Morgen empfängt mich säuselnd mit umkränzender Morgenröte, unter der miefende Mönche in Mörderkreisen öffentlich masturbieren (wenn ich den Dichter da richtig verstanden habe). Uff! Zwecks Eingliederung ins alltägliche Einmaleins geh ich jetzt mal zum Arzt. o_O
Gruß mooo
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:

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Da konfrontierst du mich unvorbereiteten Leser mit einem abendlichen Beinausreißermonster, und der neue Morgen empfängt mich säuselnd mit umkränzender Morgenröte, unter der miefende Mönche in Mörderkreisen dann masturbieren
:D:cool:

Jaja, ein schweres Los, das, mooo.

Da kann ich dir nur beipflichten. Ich dachte mir auch eben mal, dass es grade einen originellen Mix an Themen gibt hier auf der Lupe. Das Sommerloch?

Danke fürs Reinschauen und die wohlwollende Bewertung. Hab mich gefreut.
Ich hoffe, es geht auch ohne Arzt!

LG,
fee
 

kakadu

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Hallo Fee,

da lese ich mehr als nur eine tiefschwarze Moritat oder Gruselballade, und ich habe mal Tuchfühlung aufgenommen. Irgendwie scheint hier doch stark die Alkoholthematik mitzuschwingen, die Kris in seinem (für uns) beeinduckenden Gedicht aufgegriffen hatte. Oder ist es nur meine persönliche Lesart, weil das Thema immer noch in mir nachhallt?

Du wirst konkreter, indem du die Fantasien des Protas zeigst. Das finde ich sogar noch ein paar Umdrehungen besser! Und da ich mich der taktgebundenen Lyrik sowieso verbundener fühle, hat mich dein Gedicht förmlich umgehauen. Einzig mit dem Metrum hadere ich an zwei Stellen. Noch ein bisschen feilen könnte für meinen Geschmack auch nicht schaden.

Ich beschränke mich hier erstmal aufs Metrum, weil ich weiß, dass ich eine schreckliche Korinthenkackerin sein kann, was auch lästig werden kann.

Der Hebungsprall in V2

Er reißt ihnen - wie stets - die Beine aus.
könnte durchaus beabsichtigt sein, um der beschriebenen Gewalttätigkeit rhythmisch Nachdruck zu verleihen. Da dies aber nicht die einzige Gewalthandlung ist und der metrische Bruch nur an dieser Stelle erscheint, wirkt er für mich eher willkürlich und nicht überzeugend genug. Da hätte ich es lieber glatt.

Die andere Stelle ist

Er sieht still zu und seine Finger jucken,
Hier steht das Adjektiv sehr ungünstig in der Senkung. Besser fände ich es am Versanfang. Da stören zwei betonte Silben nicht weiter:

Still sieht er zu und seine Finger jucken,

So weit fürs Erste meine Eindrücke.

LG Claudi
 

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Servus, liebe Namensvetterin!

hat mich dein Gedicht förmlich umgehauen.
Das zu lesen, freut mich natürlich! Danke für das und die ausführliche Beschäftigung mit meinem Gedicht.
Ich hatte schon befürchtet, ich hätte außer moo so ziemlich alle mit dem doch sehr gewalttätigen Inhalt abgeschreckt (dieser ist übrigens einem wirkich düsteren historischen Roman geschuldet...da habe ich Anleihen für den Protagonisten genommen). Ansonsten will ich nicht durch Genaueres richtungsweisend einengen, was LeserInnen da noch im Text für sich finden mögen. Eine Alkoholthematik war von meiner Seite aus nicht vorhanden, aber es ist natürlich nicht grundlegend falsch, wenn es auch so interpretiert werden kann.

Deinen Vorschlag für die zweite Stelle übernehme ich so gerne wie dankend. Ich bin zwar eher Freundin der Pralle, wenn sie - wie du richtig als meine Intention bei der ersten Stelle angenommen hast - einer gewissen Dramatik oder Stimmung zuträglich sind, aber an dieser Stelle war ich einfach nur nicht gründlich genug.

Dass ich die Dramatik im weiteren Verlauf nicht mit diesem Stilmittel versehen habe, liegt daran, dass es sich dort ja um Erinnerungen handelt, während das Schnaken-Quälen im Hier und Jetzt geschieht. Da wollte ich eine Unterscheidung in der Dynamik treffen (wenn auch nur dezent). Ich hoffe, das macht so für dich Sinn.

Herzlichen Dank fürs Dich-Einlassen auf mein Gedicht! Darüber hab ich mich sehr gefreut!

Liebe Grüße,
Claudia
 

kakadu

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Ich hatte schon befürchtet, ich hätte außer moo so ziemlich alle mit dem doch sehr gewalttätigen Inhalt abgeschreckt
Mich nicht. Bei mir dauert es meist nur eine Weile, bis ich mir einen Text erschlossen habe. Ich lese Gedichte, die mich ansprechen, in Abständen gerne mehrmals und nehme sie zwischendurch mit in meinen Alltag. Dadurch denke ich nicht krampfhaft darüber nach, sondern lasse sie sich allmählich entwickeln, bevor ich mich dazu äußere.

Eine Alkoholthematik war von meiner Seite aus nicht vorhanden, aber es ist natürlich nicht grundlegend falsch, wenn es auch so interpretiert werden kann.
Ah, für mich ist es eine willkommene Erklärung, damit ich den Mord nicht als reale Erinnerung sehen muss. Bestärkend wirken hier die Ratten und das Zittern:

Die Ratten trafen ein zur Totenwache -
noch heute hört mit Zittern er den Klang
Schön, dass die Leserin sich ihre eigene Geschichte aus dem Angebot stricken darf. Der Titelbezug zum "Schweigen der Lämmer" ist mir nicht entgangen. Inhaltlich wollte ich da wohl keine so starke Parallele sehen.

Ich bin zwar eher Freundin der Pralle, wenn sie - wie du richtig als meine Intention bei der ersten Stelle angenommen hast - einer gewissen Dramatik oder Stimmung zuträglich sind,
Gut, als Stilmittel weiß ich sie wertzuschätzen, auch wenn ich sie persönlich nur sehr bedingt mag.. Geschmacksfragen versuche ich möglichst, aus meiner Bewertung rauszuhalten. Beim Metrum habe ich halt eine niedrige Schmerzgrenze. Wenns mir zu struppig wird, passiert es schnell, dass ich Gedichte nicht zu Ende lese. Das war hier natürlich nicht der Fall. :)

Eine sprachliche Korinthe hätte ich noch, die aber zu winzig ist, um dir deswegen die fünf Sterne zu verweigern:

Des Abends tanzen Schnaken an dem Fenster.

Ginge da für dich auch: vor dem Fenster ? Für mich wäre es eine Wohltat.
 

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Ginge da für dich auch: vor dem Fenster ? Für mich wäre es eine Wohltat.
Hach, danke, Claudi!

Das ginge nicht nur, sondern war eigentlich auch die Urversion des Gedichts. Jemand hat mir dann aber gesagt, dass, wenn die Schnaken VOR dem Fenster sind, sie ja draußen wären und dann nicht deutlich würde, wie er ihnen die Beine ausreißen kann und dass der Protagonist sich aus dem Fenster stürzt am Ende. Zugegeben, der, der das meinte, ist Mathematiker und mag und braucht es manchmal besonders logisch. ;) Wenn du meinst, es ist auch mit "vor dem Fenster" eindeutig, ändere ich das nur zu gerne wieder zurück.

Allerherzlichsten Dank für diese spezielle Rückmeldung und natürlich für die schöne Bewertung! Freut mich, wenn dich das Gedicht zufriedenstellt!

Liebe Grüße,
Claudia

PS: ach, ich hab's jetzt sofort wieder zurück-geändert. :cool: :) Ist mir definitiv auch viel lieber so.
 

kakadu

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Zugegeben, der, der das meinte, ist Mathematiker und mag und braucht es manchmal besonders logisch. ;)
Mathematiker und sooo wenig Logik? Das muss ich (nach eigener Wahrnehmung Logikjunkie) unbedingt aufdröseln, auch wenn es leicht OT geht:

Wenn der Prota im Haus ist und die Schnaken von außen an der Scheibe sitzen, sind sie aus seiner Perspektive klar dahinter. Da sie aber innen auf der Scheibe sitzen, sind sie ihm näher als die Scheibe, also vor der Scheibe. Freut mich, dass es dir so auch besser gefällt, liebe Claudia.

LG Claudi
 
G

Gelöschtes Mitglied 26374

Gast
Ja, die Pralle und Inversionen - wenn man sie, wie hier, dezent anwendet, passt es sogar zu einer Gruselballade. Bei einem fest geformten Liebesgedicht sollte man wohl den Stil gefälliger gestalten.

Das Gedicht ist klasse!

Es grüßt
Fritz
 

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Wenn der Prota im Haus ist und die Schnaken von außen an der Scheibe sitzen, sind sie aus seiner Perspektive klar dahinter. Da sie aber innen auf der Scheibe sitzen, sind sie ihm näher als die Scheibe, also vor der Scheibe.
Ja, so hatte ich mir das eigentlich auch gedacht, @kakadu

Er meinte, dann wäre nicht klar, dass sich der Protagonist am Ende aus dem Fenster stürzt.....das hat mich dann irgendwie irritiert...
 

kakadu

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Er meinte, dann wäre nicht klar, dass sich der Protagonist am Ende aus dem Fenster stürzt.....das hat mich dann irgendwie irritiert...
Ne, darauf wäre ich auch nicht gekommen. Aber das lag nicht an der Präposition. Ob nun "an" oder "vor", das Fenster war für mich geschlossen. Das Fallen hatte ich mir als bewusstlos oder sterbend auf den Fußboden sinken vorgestellt.
 

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Das Fallen hatte ich mir als bewusstlos oder sterbend auf den Fußboden sinken vorgestellt.
...was ja auch passt zur geistigen Umnachtung, die da unaufhaltsam um sich greift. Ja, das geschlossene Fenster war das Problem...aber dem Öffnen desselben wollte ich keinen Raum geben. Das hätte der Dramatik nicht gutgetan. Ich bin zufrieden, egal, ob jetzt bewusstlos oder sterbend. Beides macht gleich viel Sinn. Danke für die Rückmeldung, Claudi! :)
 



 
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