Das Sternentor der Atemmasken-Frau

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Die Frau war geschminkt. Ihre Augenlider zeigten einen beigen Lidschatten.
Frank war überrascht, weil der beige Ton so gar nicht zu der blauen Atemmaske passen wollte. Außerdem trug sie verlängerte oder hochgebürstete Wimpern. Ihr Teint war rein und klar. Mehr konnte Frank nicht erkennen. Der Rest des Gesichtes wurde durch den Helm und die besagte Atemmaske bedeckt.

Die Frau war plötzlich vor ihm aufgetaucht, ohne irgendeine für ihn wahrnehmbare Bewegung. Kein Fluggerät, kein plötzliches Herausspringen aus einem Gebüsch, kein Dropdown vom Himmel – nichts. Sie stand einfach vor ihm.
Frank erholte sich sehr schnell von seiner Überraschung. Er war ausgebildet worden, um mit unvorhersehbaren Momenten professionell umzugehen.
Die Erkundung dieses Planeten war seine Mission. Zink und Uran waren von den Detektoren gefunden worden - und die Brücke über dieses schmale und tiefe Tal. Der Übergang sah auf den Drohnenfotos nicht natürlich aus. Die Brücke wirkte künstlich, wie aus einem Metall hergestellt. Man sprach im Raumfahrtzentrum nicht von einem menschlich hergestellten Artefakt. Bisher hatte kein Mensch seinen Fuß auf diesen Planeten gesetzt, vor Frank.
Er hatte sich also heute Morgen von seinem Basislager auf den Weg gemacht, um diese ominöse Metallbrücke genauer zu untersuchen. Basislager war ein großspuriger Ausdruck für das doch relativ kleine Explorer-Shuttle, in dem er sich einrichten musste. Jedenfalls hatte er sich mit seinem Hubman-Anzug auf den Weg gemacht. Und nun stand sie vor ihm.
Eine Frau auf dieser Robinsonade wäre natürlich nicht schlecht. Frank spürte eine Erregung in sich aufsteigen. Die Frau schien ihm dieses starke Gefühl – wieder zu nehmen. Jedenfalls glaubte Frank, dass sie einen unangenehmen Einfluss auf sein Empfinden ausüben würde. Wie Telepathie oder Teledingsbums; ihm fiel der genaue Ausdruck nicht ein. Jedenfalls ebbte sein Verlangen rasch wieder ab.
Frank war in der Ausbildungskompanie für seinen Humor bekannt gewesen. Vielleicht, so fiel ihm schmunzelnd ein, reagierte die Eva auf Handberührung. Und sofort taufte Frank sein Gegenüber in „Barbarella“ um, so wie die Comic-Figur in dem bekannten Film genannt wurde.
Und Barbarella reagierte. Die hielt ihm eine Hand entgegen in der Art einer Geste wie „Give Me Five“. Die Berührung fühlte sich für ihn samtweich an, als ob sich zwei Hände, Haut an Haut, tatsächlich berühren würden. Doch Frank und auch die Frau trugen recht dicke, gepolsterte Handschuhe. Trotzdem verspürte Frank eine fast zärtliche Begegnung.
Ein jähes Gefühl von Angst durchflutete ihn nun. Wenn die Frau seine Gedanken erfahren konnte und sogar dagegen steuerte, was würde sie sonst noch mit ihm tun können? Ihn dirigieren?

Und schon ging es los. Das Wesen winkte ihm mit einer anmutigen Geste zu, als ob er ihr folgen sollte. Frank hatte nun die Gelegenheit, seine neue Bekanntschaft näher zu betrachten. Das Wesen war humanoid. Die Gestalt war etwas kleiner als er gebaut. Ihr Helm erschien ihm voluminös, so als ob die Frau einen größeren Kopf als er selbst haben würde. Frank überlegte: wenn sie tatsachlich mehr Gehirnmasse als ein Mensch wie er hätte, wäre sie ihm dann automatisch im Intellekt überlegen? Er fühlte sich zunehmend unwohl.
Das Oberteil ihres Anzuges zeigte eindeutig weibliche Formen, also Formen von Brüsten. Darunter trug sie einen sehr breiten Gürtel mit einer auffälligen Schnalle. Ein oval geformter blauer Stein oder Kristall war in einer goldfarbenen Umrandung eingefasst. Der Stein schien zu schimmern und abwechselnd zu blinken. Frank fand für die Ausstrahlung des Steines keine passenden Worte. Er dachte an einen Leitstrahl oder etwas Ähnliches.
Die Beine und die Füße des Wesens waren für ihn nicht definierbar. Eine schwere, unförmige Montur umgab ihre Gliedmaßen. Dennoch bewegte sich seine Begleiterin leicht vor ihm weg. Sie schwebte fast, ja, sie ging nicht auf dem Boden. Frank schwebte hinter ihr her. Sein Hubman Apparat hatte reichlich Energie. Er konnte sich diese Demonstration seiner technologischen Gleichwertigkeit erlauben.

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Die Person glitt leichtfüßig über die mysteriöse Brücke vor ihm her. Frank wunderte sich über die Rückseite ihres Helmes. Dieser war in der Senkrechten mit einem vorgewölbten Mittelsteg versehen, wie mit einer Schweißnarbe oder etwas Ähnlichem. Außerdem bemerkte er am Hinterkopf zwei kreisrunde Ausbuchtungen. Welche Funktionen mochten diese Merkmale haben? Frank rätselte ohne ein Ergebnis zu erzielen.
Die Brücke war tatsächlich künstlich hergestellt. Eine metallische Oberfläche zeigte klar hervortretende, regelmäßige Ausbuchtungen an allen vier Seiten. Frank erinnerte sich an die carts ruts auf der Insel Malta. Allerdings zeigte dieser Übergang eine etwas andere Ausprägung. Die Anlage der Brücke ergab für ihn keinen Sinn, weil das Wesen vor ihm doch schweben konnte. War die Brücke ein Attraktor, oder gar eine Falle? Hatte das Wesen ihn angelockt wie eine Blüte das Insekt ködert?
Seine Begleiterin schaute in diesem Moment zu ihm zurück. Sie weiß alles, was ich denke, dachte Frank bei sich. Er bekam wieder Angst.
Angst. Wie geht ein Raumfahrer in dieser Situation mit der Angst um? Kämpfen? Dazu gab es im Moment keinen unmittelbaren Anlass. Weglaufen? Wohin? Zum Explorer. Das wäre eine Option. Aber dann blieben die Rätsel um die Frau und um die Brücke ungelöst. Aufschieben? Das ging nicht, oder doch? Frank entschied sich abzuwarten, wie es weiterging.

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Hinter der Brücke erhob sich ein Felsen, der nach Franks Einschätzung etwa dreißig bis vierzig Meter hoch aufstieg. Die Frau ging auf den Felsen zu. Ein Teilbereich öffnete sich wie eine kreisförmige Pforte. Die Fremde blieb davor stehen und wartete, bis Frank herbeigekommen war. Mutig schritt dieser mit seiner Begleiterin durch den Eingang. Innen befand er sich – im Weltraum. Staunend betrachtet der Raunfahrer ein Meer von Sonnen, Sternen und Nebelgestirnen.
Frank war seit seiner Kindheit ein Weltraum Nerd gewesen. Am liebsten würde er jeden Tag auf Gravitationswellen surfen, wenn dies möglich gewesen wäre. Seine Verlobte Nora teilte leider überhaupt nicht seine Vorliebe für die Sterne. Sie kochte gern, backte auch einen ausgezeichneten Kuchen und pflanzte bunte Blumen im Vorgarten. Frank, das musste er sich eingestehen, ging gar nicht so ungern auf seine Space Missions ins All. Eines Tages hätte er sich entscheiden müssen – Nora oder das All. Dieser Tag war jetzt gekommen.
Die Frau sah ihn an und wies auf eine blau-weiße Spiralgalaxie. Dann nahm sie Frank bei der Hand, und die beiden schwebten auf das Sternenmeer zu.
 

Eremit

Mitglied
Die Geschichte gefällt mir gut. Meine Assoziation ist, dass die Liebe zwischen Mann und Frau immer etwas Überirdisches besitzt. Und die "optimale" Liebe führt uns wohl direkt in die Milchstraße....
Aber spannend und sehr detailtreu geschrieben - die Voraussetzung für eine gute SF-Geschichte.
LG Eremit
 



 
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