Das Taschentuch

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flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
Das Taschentuch

(Achtung, Kitsch!)

„Fahr doch nicht so schnell, Guido!“, bat Constanze. Guido grinste in sich hinein. Er war wieder einmal übermütig vor lauter guter Laune. Er hatte das Radio voll aufgedreht und wäre am liebsten im Takt der Musik Schlängellinien gefahren. Das wagte er dann aber doch nicht auf der Autobahn.
„Schnall dich wenigstens an!“, hörte er seine Begleiterin klagend fordern. Auch dafür hatte er nur ein überlegenes Lächeln. Er meinte, die ganze Welt läge ihm zu Füßen. Sein neuer Song war beim Publikum gut angekommen, die reichste Frau der Stadt saß neben ihm und hielt entgegen der Familienmeinung zu ihm, trug sein Kind unter dem Herzen und in zehn Tagen sollte Hochzeit sein, auch wenn die Baronesse von Brockingen dafür enterbt werden würde. Da konnte einem doch schon das Herz im Leibe singen, oder?
Plötzlich gewahrte Guido ein Reh vor sich, verriss das Lenkrad und der Wagen knallte gegen die Leitplanke. Constanze wurde ohnmächtig. Guidos Oberkörper schlug auf die Hupe, die sofort los gellte. So erkannte der Fahrer des nächsten Autos die Situation, noch ehe er richtig sah, was geschehen war. Bald war ein Rettungswagen zur Stelle. Guido verstarb auf dem Weg ins Krankenhaus, Constanzes Kind kam tot zur Welt.
Aber genau das wollte und konnte Constanze nicht akzeptieren. Schlimm genug, dass sie den geliebten Mann verloren hatte, warum auch noch das Kind? So grausam konnte der Himmel nicht sein. Sie war felsenfest überzeugt, dass ihr Kind noch lebte und ihr nur von der Familie weggenommen worden war. In den nachfolgenden Monaten und Jahren gab sie sich der Trauer hin, wurde fast wahnsinnig vor Schmerz und Gram.

Madita trug das Taschentuch mit der feinen Spitze stets bei sich, wohlverwahrt in einem alten Brillenetui. Im Kloster hatte sie gelernt, solche kunstvollen Muster selbst zu häkeln, aber dieses Taschentuch war etwas Besonderes. Nicht nur, weil es jahrelang ihr einziger Besitz war, sondern auch, weil es sie wahrscheinlich zu ihren Eltern führen konnte.
Die Nonnen hatten ihr erzählt, dass das Wappen auf dem Tuch der wohlhabenden Familie von Brockingen zuzuordnen ist. Demnach wäre sie vielleicht eine Baronesse! Wer weiß, welche Tragödie ihre Mutter seinerzeit veranlasst hatte, sie vor das Tor des Klosters zu legen . . .
Nachdem Madita volljährig wurde, zog sie immer mehr Erkundigungen über das Haus von Brockingen ein und erfuhr so, dass als einzige die sehr zurückgezogen lebende Constanze dafür in Frage kam, ihre leibliche Mutter zu sein. Eines Tages fasste sie allen Mut zusammen und besuchte diese Constanze. Sie wurde erst vorgelassen, nachdem sie mehrfach versichert hatte, dass ein persönliches Gespräch mit der Baronesse von höchster Wichtigkeit sei.
Während Madita auf das Erscheinen der hohen Dame wartete, sah sie sich im Salon um. Alles kündete von Reichtum und Geschmack. Wenn Constanze wirklich ihre Mutter war, würde sie sich hier gewiss sehr wohl fühlen können! Das Herz schlug ihr bis in den Hals hinauf. Sie fingerte das Taschentuch hervor, um es zu präsentieren.
Endlich öffnete sich die gegenüber liegende Tür und eine schlanke, verhärmt wirkende Frau kam herein. „Sie wünschen?“, kam es matt aus ihrem Mund. Madita hatte sich so oft schon die Worte zurecht gelegt, die sie sagen wollte, doch jetzt waren sie einfach nicht verfügbar. Stammelnd berichtete sie, dass sie als Neugeborenes an der Klostertür abgelegt worden war und dieses Taschentuch in ihrem Jüppchen steckte.
Constanze war inzwischen so abgestumpft, dass sie die Rede nur wie durch einen Vorhang vernahm. Sie wurde erst hellhörig, als das Datum genannt wurde. Drei Tage nach jenem schrecklichen Unfall war das kleine Mädchen bei den Nonnen angekommen! Eine heiße Welle durchflutete sie. Sie griff an ihr Herz und sank auf einen Stuhl. Hatte sie doch all die Jahre recht gehabt, ihr Kind lebte! Ihre Tochter lebte und stand nun vor ihr, mit einem kleinen Taschentuch als Zeichen ihrer Herkunft in der Hand! Oh, wie wollte sie diese junge Frau lieben und alles nachholen, was die garstige Familie verhindert hatte! Weinend lagen sich die beiden in den Armen.
Schon am nächsten Tag zog Madita in das vornehme Stadthaus. Sie wurde von Constanze adoptiert und hieß nun nicht mehr Madita Müller. Sie wurde mit Geschenken überhäuft und das Personal wunderte sich, wie schnell sich die Hausherrin vom Trauerkloß zum lustigen Schmetterling wandelte. Dass die frischgebackene Baronesse mit der alten kaum Ähnlichkeit hatte, darüber schwieg die Höflichkeit. Lasst ihr doch die Freude!

Nur eine im Hause, die jetzt auch oft bei der Küchenarbeit sang, schmunzelte in sich hinein. Der Trick mit dem Taschentuch war dem Küchenmädchen Magda gut gelungen. Wie hätte sie damals, als sie gerade erst sechzehn war, das Kind dieses Musikers ernähren sollen? Sie hatte ihn angehimmelt und sich unvorsichtig mit ihm eingelassen. Es hätte einen riesigen Skandal gegeben, wenn es herausgekommen wäre, bestimmt wäre sie entlassen worden, und wo sollte sie dann hin? Sie war Waise.
Und jetzt hatte ihr Mädchen heim gefunden. Es war gut, dass Constanze nun wenigstens Guidos Tochter um sich hatte. Sie hatte ihn schließlich wirklich geliebt. Und Magda, die leibliche Mutter, konnte sich freuen, dass es ihrer Tochter gut ging.
 

Nieselregen

Mitglied
Hmm...

Hallo Flammarion,
die kleine Warnung am Anfang finde ich besonders goldig.... Aber Spaß beiseite. Der Plot, an und für sich, gefällt mir gut. Jedoch wer Kitsch liebt, liebt es auch, ihn sich ganz gemächlich, mit vielen Detais und auf eine sehr persönliche Weise erzählen zu lassen. Die Art, wie du den Stoff gebracht hast, ist mir zu trocken heruntererzählt. Ich (als Leser) habe wie Geschichte gelesen und verstanden, daber ich habe sie nicht erlebt(vor meinem inneren Auge).

Liebe Grüße
Nieselregen
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
ja,

lieb nieselregen, andere könnten aus der geschichte einen drei groschen roman machen. das liegt mir nicht.
danke fürs lesen und kommentieren.
lg
 

Nieselregen

Mitglied
ups,

Hallo flammarion,

oh, Verzeihung! Ich bin ja immer noch recht neu in diesem Forum und bin mal wieder einer meiner, anscheinend doch recht naiven, Vorstellungen aufgesessen. Ich glaubte wirklich, dass, gleichgültig was man schreibt, ob nun Groschenromane oder intellektuelle Texte, in brillanter Rhetorik, deren tieferer Sinn sich nur einem erlesenen Leserkreis erschließt, es immer das Wichtigste ist, sich darum zu bemühen es gut zu machen. Warum hast du den Plot erst in Angriff genommen, wenn du ihn im Grunde für zu schäbig für dein literarisches Niveau hältst?

Die frustrierte und recht ratlose
Nieselregen

(Vielleicht bin ich doch falsch hier!?)
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
ja,

weißt du, ich bin mehr für das kurze, knackige. aber ich lese ganz gern auch mal kitsch. ich beherrsche das metier nicht, das ist es.
ganz lieb grüßt
 

coxew

Mitglied
also, hier hast du wirklich eine seifenoper geschrieben, flammarion. aber das hast du ja schon vorher angekündigt.

du könntest das ganze allerdings noch ein stück weitertreiben, also so übertreiben, dass es unter satire laufen kann.

liebe grüße,
 
B

Bluomo

Gast
Hallo flammarion,

ich habe eine natürliche Aversion gegen Kitsch, die nur manchmal auf unerklärliche Weise verschwindet.
Kitsch finde ich im Prinzip in Ordnung, wenn er gut gemacht ist. Mir fehlt hier ein bißchen mehr an den wichtigen Szenen, ein wenig mehr Beschreibungen, die Wertungen (grinste in sich hinein, übermütig) nicht mein Ding, dazu ist der Plot Oberkitschig- weil zu viel Kitsch im Kitsch.

Insgesamt nicht mein Fall,

Gruss

Bluomo
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
nun,

ich wollte es kitschig haben. daraus eine satire zu machen, fiele mir schwer.
danke, bluomo, für oberkitschig. das geht mir runter wie öl.
lg
 

Doska

Mitglied
Hallo Flammarion!
Eine wonniger Schmachtfetzen! Ich meine, daraus könnte man gut und gerne auch was Längeres machen. Also, wenn du doch noch Lust verspüren solltest daraus ein süßes Groschenheftchen zu machen. Ich würde es sehr gerne lesen *schmacht!*
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
oh weh,

liebe doska, so n groschenheft hat ungefähr 50 seiten. was müßte ich da zu diesen beiden seiten noch alles ausfabulieren! da verlier ich nachher selber noch den roten faden . . . es würde mir schon schwer fallen, es auf 10 seiten aufzublasen. aber vielen dank für s kompliment.
lg
 
P

Pete

Gast
Kurz und Gut!

Hallo flammarion,

Du erfüllst in vorbildlicher Weise den Begriff Kurzgeschichte. Deine hervorragende Story mit pointierter Auflösung könnte gut in einer Illustrierten unterkommen. Du würdest dort ein bis zwei Lesespalten füllen.

Trotz der Kürze sind die Handelnden für mich lebendig geworden. Alles Mehr wäre nur Füllstoff!

Wie oft haben wir ein Buch gelesen und waren froh, dass es endlich zuende war. Deine Leser aber bescheinigen Dir, hier in den Kommentaren, dass sie gerne noch weiterlesen möchten. Was könnte es für ein schöneres Kompliment geben?

Grüße

Pete
 



 
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