Das Tischlein Deck Dich an der ScheinBAR

Hagen

Mitglied
Das Tischlein Deck Dich an der ScheinBAR

Als wir wieder mal mit einem Nachbarn an der ScheinBAR saßen und einen ‘Caledonia‘ genossen, ein Cocktail den ich die Nacht zuvor Kreiert hatte, fragte der Nachbar unvermittelt ob ich ihm mal eben beim Umzug helfen könnte, Er brauchte nur noch einen Transporter dafür, einen Siebeneinhalbtonner würde genügen, ob ich schnell mal einen besorgen könnte. Nicht sein eigener Umzug, um Gottes Willen, aber sein Fräulein Tante wäre leider verblichen, irgendetwas mit Herzverfettung trotz der Pharmaaktien, zu denen er ihr noch geraten hatte, und er stünde vor dem Problem, die Wohnung umgehend auflösen zu müssen, und im Moment wären Aluminiumaktien äußerst günstig. Ich war etwas irritiert ob der Vielzahl der Informationen, aber die Wunderbare Ulrike klärte mich auf: „Der gute Mann ist Finanzwirt und durch das Ableben seines Fräulein Tante etwas durch den Wind.“
Ich verstand und die Wunderbare Ulrike griff zum Telefon und fragte einen ‘Jürgen‘ nach seinem Siebeneinhalbtonner. Jürgen kam mit diesem sofort entlang, ging an die ScheinBar, ich machte ihm auch einen ‘Caledonia‘ und beim Genuss dieses delikaten Cocktails besprachen Jürgen und der Nachbar die Modalitäten des Umzugs.
Das ging glatt durch und am nächsten Morgen begannen wir mit Hilfe eines Weitereren freundlicher Nachbarn die Wohnung zu leeren. Die Leibesfülle der teuren Verblichenen, der Finanzwirt zeigte mir einige Fotos und riet mir, rechtzeitig bei ihm eine gute Lebensversicherung abzuschließen, hätte mich angesichts ihrer extrem geringen Rente stutzig machen müssen, aber daran hinderten mich die vielen guten Ratschläge, die ich beim Tragen der Möbel zusätzlich zu ertragen hatte.
Als ich mich in Anbetracht der vielen Ratschläge mal kurz in des Transporters Tür setzte, eine Zigarette rauchte und darüber nachdachte, mich vorzeitig abzusetzen und auf ein gutes, nachbarschaftliches Verhältnis zu pfeifen, kam der Finanzwirt entlang, stellte mir einen kleinen Tisch vor den Transporter und sagte: „So, wir haben alles! Hier ist nur noch ein Tischlein! Deck’ Dich bloß rechtzeitig mit Bitcoins ein und stoße sie ab bevor das Ding den Bach runter geht!“
Sprach’s, stellte das Tischlein ab und wandte sich zum Gehen um die Wohnung zu verschließen. Als ich das Tischlein in den Transporter stellen wollte, sah ich es zu meinem Erstaunen mit Gänsebraten, Rotkohl, Kartoffeln, einem Kuchen sowie einer Karaffe Wein gedeckt, vor mir auf dem Bürgersteig stehen.
Der Finanzwirt, Jürgen und der freundliche Nachbar kamen wieder und der Finanzwirt gab seiner Verblüffung Ausdruck: „Oh, Hagen, hast du uns einen Imbiss nach der Plackerei gerichtet? Das ist aber nett von dir!“
Wir setzten uns auf vier wackelige Stühle, ignorierten die lästerlichen Bemerkungen einiger Passanten von wegen ‚Picknick macht mal auf ausgewiesenen Plätzen und nicht auf dem Bürgersteig‘ und nahmen den Braten andachtsvoll zu uns, seltsamer Weise ohne gute Ratschläge, was das Finanzwesen betraf. Der gute Mann bemerkte lediglich, dass es ihm genau so mundet wie dereinst bei seinem seligen Fräulein Tante, bei der er einmal wöchentlich am Donnerstag zum Gänsebraten eingeladen gewesen war.
Na gut.
„Übrigens, kannste haben, das Geraffel, es passt nicht mehr in den Wagen“, sagte der Finanzwirt nachdem wir ausgiebig gespeist hatten und deutete mit dem Kopf auf das Tischlein, „musste gelegentlich mal neu leimen, ist schon ganz wackelig. – So Jungs, können wir dann?“
Er wischte sich den Mund ab, stellte die Stühle in den Transporter, stand auf und schloss des Fahrzeugs hintere Tür. Der Finanzwirt, Jürgen und der andere freundliche Nachbar enterten den Siebeneinhalbtonner und rollten von dannen.
Ich klemmte mir das Tischlein unter den Arm und lud es, nach Umklappen der hinteren Sitze, in unser Auto. Wie dafür gemacht passte das Tischlein hinein. Mich des Märchens von dem ‚Tischlein deck Dich‘ erinnernd fuhr ich heimwärts und gedachte die Wunderbare Ulrike mit einem Gänsebraten zu überraschen.
Jedoch das Tischlein weigerte sich beharrlich, sich zu decken.
„Du bist wohl verrückt“, sprach das Tischlein zu mir, „ich kriege glatt Ärger mit der Gewerkschaft, wenn ich zwei Mal täglich arbeite! Und überhaupt, stell’ dir meinen Job nicht so einfach vor! Wenn wir in Zukunft positiv zusammen arbeiten wollen, musst du schon gewisse Regeln beachten. Denk immer dran: Ich bin in der Gewerkschaft!“
„In welcher Gewerkschaft bist du denn, mein liebes Tischlein deck’ dich“, fragte ich vorsichtig an, „Hotel und Gaststätten? Oder ver.di?“
„Nein. Freie Märchengestalten und Figuren.“
Ich war etwas irritiert, richtete der Wunderbaren Ulrike und mir das Abendessen auf konventionelle Art und versprach ihr für den morgigen Samstag eine Überraschung.
Als die Wunderbare Ulrike und ich des Mittags erwartungsvoll am Tischlein saßen und ich mit gewichtiger Stimme „Tischlein deck’ dich!“ sprach, geschah absolut nichts. Daraufhin zeigte sich die Wunderbare Ulrike äußerst besorgt und vermutete insuffiziente Paranoia bei mir, hervorgerufen durch mein ständiges, nächtliches Aufstehen zum Zwecke der Kreation neuer Cocktails. Da ich weder Fiber noch erhöhten Blutdruck hatte, was wir umgehend überprüften, konnte ich die Wunderbare Ulrike beruhigen, indem ich sie zu einer Pizza Calzone bei unserem Lieblingsitaliener einlud. Anschließend ließen wir den Abend mit einigen Runden Billard und an der ScheinBAR mit einem ‘Alien from Aldebaran‘ ausklingen.
Am nächsten Morgen, stellte ich das Tischlein zur Rede, aber dieses war der Ansicht, dass man als Gewerkschaftsmitglied am Wochenende nicht zu arbeiten braucht. Und überhaupt sollte ich mir nicht einfallen lassen, mit ihm anzugeben oder ihm in Anwesenheit Dritter zu befehlen, sich zu decken. Sein Job wäre ohnehin schwer genug, da brauchte es am Wochenende etwas Entspannung.
Ich wurde etwas vorsichtiger, wartete, bis die Wunderbare Ulrike das nächste Mal kurz das Haus verlassen hatte, um das florale Strickmuster einer Nachbarin zu begutachten, und bat das Tischlein ganz höflich, sich zu decken. Das tat es dann auch; - mit angebranntem Gänsebraten, pappigen Rotkohl, halbgaren, schlecht geschälten Kartoffeln, einem zusammengefallenen Kuchen und saurem Wein. Die Vermutung lag nahe, dass das Tischlein ein wenig ungehalten war.
Als die Wunderbare Ulrike heimkehrte, fand sie mich im Zustand nahe der absoluten Resignation vor und bereitete uns Pizzen zu, was mich ein Wenig tröstete. Leider machte sie mir einige Kapitel aus einem ihrer von ihrer Großmutter mütterlicherseits geerbten Kochbücher, nämlich die über Gänsebraten, zur Pflichtlektüre.
Während ich am nächsten Tag an meinem zukünftigen Weltbestseller weiter arbeitete warf ich einen Blick in die Pflichtlektüre und polierte das Tischlein mit einer gediegenen Essenz aus Bienenwachs und guter Möbelpolitur auf. Das Tischlein ließ ein zufriedenes Seufzen hören und zeigte sich versöhnlich, indem es sich am nächsten Mittag mit vortrefflichem Gänsebraten deckte.
Die Wunderbare Ulrike vermutete, dass ich mehr als einen Blick in die Pflichtlektüre geworfen hatte, äußerte sich lobend und dann den Wunsch, mal wieder zu picknicken. Ich versprach ihr, bei der nächsten, sich bietenden Gelegenheit mit ihr ein zünftiges Picknick zu absolvieren.
Ich unterbreitete ich dem Tischlein dieses Unterfangen und fragte es, ob es was dagegen hätte, statt einer neuen Leimung einen Klappmechanismus zu erhalten, welcher gestattete, die Beine umzuklappen, um es in unseres Autos Kofferraum unterbringen zu können. Man könnte ja auch mal am Waldesrand mit murmelndem Bächlein bei Sonnenschein speisen, oder am Ufer der Hase mit plätschernden Wellen. Das Tischlein zeigte sich dem sehr aufgeschlossen, zumal es während der letzten Jahrzehnte genötigt war, stets bewegungslos in Häusern zu weilen, aber ich sollte nicht an ihm rumsägen und keinesfalls solch ein neumodisches Zeugs wie Kreuzschlitzschrauben oder solche mit TORX Edelstahl verwenden.
Ich besorgte also im Baumarkt die entsprechenden Teile für besagten Klappmechanismus sowie zwei zusammenzuklappende Stühlchen. Anschließend ging ich mit dem Tischlein den Keller, bauten der Workmate auf und machte mich daran, den Klappmechanismus zu konstruieren, mit Schlitzschrauben aus Messing.
Dem Tischlein schaltete ich zur Kurzweil unseren alten Fernseher an, und es verfolgte mit Interesse ein altes Road-Movie, in dem die Protagonisten von einem Fast-food-Freßplatz zum nächsten jagten. Ich achtete nicht sonderlich drauf und spendierte dem Tischlein den Klappmechanismus, welches ihn auch dankbar annahm. Es klappte sich einige Male selbständig zusammen und verzog seine Tischplatte zu einem freudvollem Lächeln.
Am nächsten Tag ließ das Tischlein in unseres Autos Kofferraum verschwinden, legte die Stühlchen dazu und fuhr mit der Wunderbaren Ulrike in den grünen Wald hinein, um daselbst ein zünftiges Picknick abzuhalten.
Auf einer idyllischen Lichtung inmitten des Waldes angelangt, bat ich die Wunderbare Ulrike ein Wenig lustzuwandeln, derweil ich den Tisch zu richten beabsichtigte. Die Wunderbare Ulrike kam meiner Bitte nach, und das Tischlein brachte sodann kichernd Hamburger, üble Pommes mit Plastikpickern, halbe Hähne, Cola und Dosenbier nebst Plastikbecher auf sich selbst, wie es in dem Film zu sehen gewesen war. Nicht mal eine Tischdecke hatte es auf sich gelegt, obwohl ich bei meiner Bitte sich zu decken erwähnt hatte, dass die Wunderbare Ulrike Wert auf einen eingedeckten Tisch und akkurates Geschirr sowie Bestecke legt.
Die Wunderbare Ulrike zeigte sich ein wenig unwirsch ob des desolat gedeckten Tischleins, ließ sich lästerlich über die Lebensart der Männer aus, nahm gnädig einen Hamburger zu sich und ging anschließend Pilze pflücken, war sie doch während des Lustwandelns einiger Butterpilze ansichtig geworden.
Wieder war ich der absoluten Resignation sehr nahe, aber die Wunderbare Ulrike bereitete nach unserer Heimkehr ein schmackhaftes Pilzragout zu, was mich wieder einigermaßen nach vorne brachte. Der Wunderbaren Ulrikes Glaube an die männliche Lebenskultur kehrte am nächsten Tag zurück, als ich sie mit Hilfe des Tischleins, das ich in die Küche gebracht hatte, mit einem perfekten Gänsebraten überraschte.
Unglücklicherweise schaute eine Freundin der Wunderbaren Ulrike – die mit dem floralen Strickmuster – herein, während wir speisten und lästerte fürchterlich über das ‘fette Zeugs’ ab, das wir ja wohl zu uns nähmen, und das entsetzlich ungesund sei.
Das Verhängnis nahm seinen Lauf, als sie weg ging und in Bälde mit einem vegetarischen Kochbuch zurückkehrte, welches sie nichts ahnend auf dem Tischlein nieder legte.
Das Tischlein deckte sich daraufhin am nächsten Tag mit einem üblen, schlecht schmeckenden Tofugericht, was bei der Wunderbaren Ulrike zu der irrigen Ansicht führte, ich sei auch unter die Vegetarier gegangen. Am folgenden Wochenende kochte sie, Gratin, Gemüseauflauf und all dieses schreckliche Zeugs, von dem obskuren Leute annehmen, es sei gesund.
Als sich das Tischlein am Montag mit einer Buddhistischen Fastenspeise deckte, wobei ich ein leise gesummtes „Ohmmm“ zu vernehmen glaubte, entschloss ich mich, den Trick mit dem Fernseher nochmal zu versuchen. Diesmal allerdings gezielt!
Bei nächster Gelegenheit als die Wunderbare Ulrike ausserhäusig weilte, schauten wir uns eine Kochsendung an, ‘schmeckt nicht gibt’s nicht’ oder so ähnlich, aber das Tischlein hielt das Ganze für eine Satire und rastete vor Vergnügen permanent seinen Klappmechanismus ein und aus. Ich bat das Tischlein inständig, doch zu dem guten, alten Gänsebraten zurückzukehren, aber es war der Ansicht, dass ich sowieso zu dick sei, das hätten die Stühlchen, mit denen wir picknicken waren auch festgestellt, und es wäre der Wunderbaren Ulrike ja so dankbar, dass sie ihm endlich, nach fünfhundert Jahren, ein gewisses Kalorienbewusstsein nahegebracht hatte und deckte sich beim nächsten Mal mit irgendwas, was schwerpunktmäßig üblem Brokkoli, widerlichem Paprika und grauenhaftem Blumenkohl zum Inhalt hatte; - Ingredienzen, die bei mir tiefste Depressionen auslösen.
Ich war von den vegetarischen Gerichten stark geschwächt, vom Arzt krankgeschrieben und wieder mal der absoluten Resignation sehr nahe, zumal mir ein Fläschlein meines Lieblingsbourbons, den ich gerne während der Arbeit an meinem zukünftigen Weltbestseller, der auf Grönland spielt, weil es meiner Ansicht nach zu wenig Helden gibt, die Eskimos sind, zu mir nehme, um die Gedanken zu beflügeln, umkippte.
Das Ergebnis war niederschmetternd, denn das Tischlein deckte sich am folgenden Abend, die Wunderbare Ulrike war gerade von einem Besuch bei der Freundin mit dem floralen Strickmuster, die plötzlich ihrer Neigung zum Bauchtanz nachgegeben und ihr eine kleine Probe ihrer Fortschritte dargeboten hatte, zurückgekehrt und entsprechend hungrig, leise kichernd mit Salzhering in Schokoladensauce gar hübsch mit Ananas und Silberzwiebeln garniert.
Die Wunderbare Ulrike war etwas irritiert ob dieser ungewöhnlichen Zusammenstellung und zeigte sich wiederum äußerst besorgt. Ich konnte mich nur rauswinden indem ich der Wunderbaren Ulrike glaubhaft machte, dass die vielen vegetarischen Gerichte Schuld an dieser kulinarischen Entgleisung waren und fragte das Tischlein bei Gelegenheit ganz vorsichtig, was es sich den wohl dabei gedacht hatte.
Das Tischlein war sich keiner Schuld bewusst und der Ansicht, dass es zu lange unkreativ gewesen sei, und jeder jedes aus jedem Kochbuch nachkochen könne, und ich sollte mich nicht so haben und ihm statt dessen eine neue Politur verabreichen. Das tat ich dann auch und ließ wie aus Versehen ein Buch mit Steakrezepten auf dem Tischlein liegen.
Ein klarer Deal, das Tischlein deckte sich mit Gänsebraten, wie es sich gehört oder Steaks der mannigfaltigen Art und ich erholte mich von den vegetarischen Gerichten. Die Sache ging eine Weile gut, und ich wieder der Arbeit an meinem potentiellen Weltbestseller nach.
Es hätte alles so schön sein können, doch dann nahm das Verhängnis erneut seinen Lauf, als die Wunderbare Ulrike von dem Besuch einer weltweit gereisten Freundin heimkehrte und ein Buch mit sich brachte: Ein Kochbuch mit alten Eskimo-Rezepten und Lebertranorgien.
„Weißt du, Schatz“, rief sie fröhlich, „dein nächster Roman soll doch auf Grönland spielen. Da habe ich gedacht, ich unterstütze dich ein Wenig bei den Recherchen.“
Ehe ich es verhindern konnte hatte die Wunderbare Ulrike das Kochbuch mit den Eskimo-Rezepten auf dem Tischlein niedergelegt um die Hände zur Begrüßungsumarmung frei zu haben.

Ich habe mich seit dem nicht mehr getraut, das Tischlein zu bitten, sich zu decken.


Für den geneigten Leser, den die Cocktails interessieren, die in dieser wahren Geschichte vorkommen:

Caledonia
1 Tropfen Granatapfelsirup
4 cl Licor 43
2 cl Bremer Luft
Auffüllen mit Martini alkoholfrei
1 Eiswürfel
Deco Pfefferminztäfelchen


Alien from Aldebaran
1 Tropfen Granatapfelsirup
4 cl Scotch
2 cl Wermut
1 Eiswürfel
Deco Zitronenscheibe
 



 
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