Das Treffen

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Es war kurz nach 16.00 Uhr und das Café am Hauptmarkt, mitten im Stadtzentrum, war um diese Zeit des Nachmittags gut gefüllt. Roswitha warf beim Reinkommen einen Blick auf die Theke, hinter der sich Käsekuchen, Schwarzwälder Kirsch, Obst- und verschiedene Streuselkuchen versammelt hatten und entschloss sich dann, nur eine Tasse koffeinfreien Kaffee zu trinken.
„Ich werde noch fett genug“; dachte sie, während sie nach einem Platz am Fenster Ausschau hielt. Sie entdeckte einen kleinen freien Tisch für zwei Personen und setzte sich. Als sie nach der Karte griff, bemerkte sie, dass ihre Hände leicht zitterten.
Ob er kommen würde? Und vor allen Dingen: Ob das dabei herauskommen würde, was sie sich erhoffte? Mit Internetbekanntschaften war das immer so eine Sache. Sie hatte schon einige Männer getroffen, mit denen sie vorher nur virtuell kommuniziert hatte. Einmal war es ein Intellektueller gewesen, der ihr seine Ansichten über Marx, den Kapitalismus, über Stalin, Lenin, Mao Tste-Tung, den Kommunismus und alles Mögliche offenbart hatte. Sie hatte seinen Intellekt und sein großes Wissen zwar bewundert, aber gleichzeitig hatte er sie so dermaßen eingeschüchtert, dass sie kaum noch einen Ton herausbrachte und bei dem einen Treffen war es dann auch geblieben. Roswitha war überzeugt, dass er sie furchtbar langweilig gefunden haben musste. Das war Treffen Nr. 1 gewesen. Bei Treffen Nr. 2 hatte sie sich dann besser vorbereitet: Sie hatte geradezu gebüffelt, um nicht so unwissend zu erscheinen wie beim ersten Mal. Nur wollte Mann Nr. 2 gar keine intellektuellen Gespräche führen, sondern machte nur recht anzügliche Bemerkungen und es war keine große Kunst, herauszufinden, dass er nur auf einen Fick aus war. Auch diesen Mann hatte Roswitha dann kurz danach abgehakt. Nichts gegen einen Fick, aber für sie musste da schon etwas mehr Gefühl dahinter sein. Oder zumindest sexuelle Anziehungskraft. An Mann Nr. 2 hatte sie nichts Anziehendes gefunden und sich dann nach zwei Stunden mit einer Ausrede verabschiedet. Mann Nr. 3 war dann so etwas wie die Liebe auf den ersten Blick gewesen, zumindest für Roswitha. Er war gutaussehend, charmant, sie verbrachten den ganzen Tag zusammen und landeten abends in Roswithas Bett. Danach hatte Roswitha nichts mehr von Christian – falls das überhaupt sein richtiger Name war – gehört. Unter der Handynummer, die er ihr gegeben hatte, war er nicht zu erreichen, ständig ging nur die Mailbox an, und alle Nachrichten, die sie ihm auf diese sprach – auch die letzte, völlig verzweifelte – blieben unbeantwortet. Schließlich hatte sie beschlossen, sich einfach auf den Weg zu der Adresse zu machen, die er ihr gegeben hatte, auch wenn sie über eine Stunde dorthin fahren musste und hatte dort eine herbe Enttäuschung erlebt. Eine ältere Frau öffnete und als Roswitha, die die Frau zunächst für Christians Mutter hielt, fragte, ob Christian zufällig zu Hause sei, hatte die Frau sie nur irritiert angesehen und gesagt, sie lebe alleine und kenne keinen Christian. Tief enttäuscht hatte Roswitha eingesehen, dass „Christian“ sie nach Strich und Faden belogen hatte. Aber das war ja nicht das Schlimmste. Mit der Enttäuschung würde sie schon fertig werden, aber mit der Zukunft, die er ihr verbaut hatte? Sie hatte zuerst keinen blassen Schimmer, was sie tun sollte und machte einfach mit den virtuellen Bekanntschaften weiter: Dann würde sie eben den Nächsten treffen. Vielleicht könnte er ihr ja aus der Misere heraushelfen? Sie setzte ihre letzte Hoffnung auf dieses Treffen heute. Allein ein Kind großzuziehen, nein, dazu hatte sie wirklich keine Lust …Und wenn auf dem Standesamt nach dem Vater gefragt wurde nach der Geburt, würde sie noch nicht einmal einen Namen angeben können.
Völlig in ihre Gedanken versunken, schreckte sie auf, als die Bedienung, die offenbar viel zu tun hatte, nach einer halben Ewigkeit an ihrem Tisch erschien und nach ihren Wünschen fragte. Roswitha bestellte ihren koffeinfreien Kaffee und blickte dann zum Fenster hinaus. Es hatte zu schneien begonnen. Hoffentlich würde ihn der Schnee nicht abhalten, aber er hatte ja geschrieben, dass er in der Nähe wohnen würde, vielleicht kam er dann ja auch zu Fuß. Roswitha überdachte ihren Plan noch einmal. Erstmal musste er sie attraktiv finden. Noch war ja auch nichts zu sehen. Und auf gar keinen Fall würde sie ihm etwas über die Angelegenheit erzählen. Ihn ins Bett zu bekommen, dürfte ja nicht besonders schwierig sein. Aber diesmal würde sie aufpassen, dass sie die korrekte Handynummer und Adresse bekam. Wenn sich alles gut fügte, dann könnte sie es bestimmt so drehen, dass er glaubte, das Kind sei von ihm.
„Du hast ja einen Knall!“, hatte ihre beste Freundin Lucy gesagt, als Roswitha ihr von ihrer Idee erzählte. „Du weißt schon, dass man heutzutage durch einen Test herausfinden kann, dass der Typ nicht der Vater ist?“
„Den wird er nicht machen wollen, dafür sorge ich.“
„Und dass das Kind ein wenig früher auf die Welt kommt, wird ihm wohl auch nicht auffallen?“
„Ich bin erst in der 7. Woche. Wenn ich ihn direkt ins Bett bekomme, wird ihm schon nichts auffallen. Gar nichts.“
„Und findest du das etwa fair?“
„War dieser Christian zu mir etwa fair?“
Und dann hatte Roswitha sich umgedreht und war gegangen. Sie musste sich vor Lucy nicht rechtfertigen. Die hatte gut reden! Sie interessierte sich nicht für Männer und hatte deswegen weder Sex noch Probleme mit ihnen. Roswitha runzelte die Stirn, als sie daran dachte, dass sie bei Christian auf einem Kondom hatte bestehen wollen. Auf seine charmante Art hatte er das ausgeschlagen. „Da spüre ich nichts“, hatte er gesagt und schließlich hatte Roswitha nachgegeben. Jetzt könnte sie sich selbst für diese Nachgiebigkeit und Dummheit ohrfeigen. Aber wenn sie Glück hatte, musste sie es ja nicht alleine ausbaden.
Ungeduldig sah sie auf ihre Armbanduhr. Andreas – so hatte er sich jedenfalls genannt – hatte schon zehn Minuten Verspätung. Hoffentlich wurde das jetzt kein Reinfall.
„Entschuldigung, ist hier noch frei?“ sagte da jemand hinter ihr. Roswitha wandte sich um und sah sich einem ca. 30-jährigen, dunkelhaarigen Mann gegenüber.
„Ich warte auf jemanden. Sind Sie ….“
„Ja, genau, Andreas.“ Der Mann lächelte. „Schön, dass ich dich endlich treffe.“
„Setz dich doch“. Roswitha wies auf den Stuhl ihr gegenüber und der Mann setzte sich.
Roswitha lächelte ihn an und beschloss, sich mächtig ins Zeug zu legen.
 
Ein sorgfältig ausgearbeitetes und auch recht plastisches Panorama von unterschiedlichen Situationen, in die Frau heute geraten kann, wenn sie aus einer Not heraus auf einen gewissen Plan verfällt ... Ja, geschätzte Delfine, dies hier finde auch ich recht überzeugend. Und eigentlich geht es ja eher in Richtung Kurzgeschichte.

Freundlichen Gruß
Arno Abendschön
 
Hallo Arno,

danke für deinen Kommentar. Freut mich, dass ich dich mit der Geschichte überzeugen konnte :).

Bei der Unterscheidung zwischen Kurzprosa und Kurzgeschichten bin ich auch manchmal unentschlossen. Ich entschloss mich hier für Kurzprosa, weil sie eigentlich keinen richtigen Schluss hat, sondern das Ende offenbleibt.

LG SilberneDelfine
 



 
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