das Ufo

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das Ufo​
Paul sitzt in seinem Garten und schaut den Blumen beim Blühen zu.
Er spricht mit seinen Blumen, allerdings nicht artikuliert, nicht über Laute. Paul denkt die Gespräche mit seinen Blumenfreunden.

Er ist der einzige Mensch der Gegenwart, der diese Fähigkeit besitzt, die Fähigkeit, mit anderen Wesen gezielt über Gedankenverbindungen zu kommunizieren. Er kann mit Menschen, Tieren, Gegenständen, - und eben mit Blumen in Verbindung treten.
Natürlich ist die Regierung, und besonders das Militär, an Pauls besonderer Fähigkeit hoch interessiert. Man hat auch schon versucht, Pauls Können auf andere Menschen zu übertragen, ihn zu kopieren. Die bisherigen Ergebnisse sind, wie man so sagt, durchwachsen. Paul ist und bleibt der begnadetste Gedankenkommunikator auf der Welt.
Die Regierung hat Paul inständig gebeten, seine besondere Begabung für sich zu behalten, damit er in Ruhe gelassen wird. Eines Tages würde man ihn bestimmt benötigen, und dann wolle man auf ihn und sein volles Potenzial zurückgreifen.

Paul unterhält sich also mental ausschließlich mit seinen Blumen. Sein Rentnerhäuschen mit dem gemütlichen Garten liegt etwas außerhalb einer kleinen Stadt.
2
Die schwarze Limousine hält in einer Staubwolke vor dem Gartentor. Vier Männer in dunklen Anzügen stürmen in den Garten und sichern das Gelände in alle Himmelsrichtungen ab. Nun steigt der Präsident aus dem Wagen. Mit ruhigen Schritten geht er den schmalen Gartenweg auf Paul zu.
Paul steht von seinem Blumenhocker, den er am liebsten als Sitzunterlage benutzt, auf.

„Guten Tag, Paul, und entschuldige bitte die Störung“, beginnt der Präsident das Gespräch.
„Guten Tag, Herr Präsident“, antwortet Paul. „Was kann ich tun?“ fragt er unvermittelt.
„Wir haben Besuch von Außerirdischen bekommen“, antwortet dieser knapp. „Und diese Wesen wollen mit einem Vertreter der Menschheit reden“, fährt er dann fort. „Aber nur mit einem Vertreter. Sie wollen keine Kommission sehen“, fügt der Präsident hinzu.
„Wir haben Sie ausgesucht, um mit den fremden Besuchern zu sprechen. Bitte kommen Sie nun mit uns“, erklärt das Staatsoberhaupt.
Paul greift nach seinem Schemel und spricht: „Ich bin bereit, Herr Präsident.“
Man geht den kurzen Gartenweg zurück zur Limousine. Paul reicht einem der Leibwächter seinen Blumenhocker, den dieser im Kofferraum verstaut. Alle steigen ein. Der Wagen fährt los.

3
Der Marktplatz des kleinen Ortes ist menschenleer. Die Limousine hält am Rande des sauber gepflasterten Platzes. Paul steigt aus. Der Wagen mit den anderen Insassen fährt fort.
Paul schaut sich interessiert um. Es sind keine Soldaten, Kanonen oder Panzer rund um den Markt zu sehen, so wie man es immer in den US-Filmen aus den Fünfzigerjahren sieht. Es sind auch keine Anwohner zu sehen. Nun gut, diese könnten inzwischen vom Militär evakuiert worden sein, denkt sich Paul.

Er schaut nun hinauf zum Himmel. Die fliegende Untertasse über dem Marktplatz ist riesig groß. Paul schätzt den Durchmesse auf gut einhundert Meter - oder mehr. Die Außenhaut wirkt erschreckend langweilig auf den einsamen Betrachter. Sie besteht aus grauem Metall, aus welchem Werkstoff auch immer. „Grau, grau, grau“, denkt der Blumenfreund bei sich. Nur unterhalb des Fluggerätes nimmt er jetzt eine surrende, bunte Lichterkette wahr.
Bevor er sich über diese Lichter Gedanken machen kann, erscheint nun eine Gestalt in der Mitte des Marktplatzes. Das Wesen ist enorm groß, schätzungsweise drei Meter hoch. Es hat Arme und Beine wie die Menschen, allerdings sind die Finger und Zehen mit riesigen Krallen bewehrt. Die Haut strahlt ein tiefes Grün aus, das durchsetzt ist mit schwarzen Längsstreifen. „Wie die Tarnung eines Dschungelkämpfers“, denkt Paul sich.
Der Kopf ist länglich gewölbt. Die Form erinnert Paul an einen Stegosaurus, oder wie das Biest heißt. Auf diesem seltsam geformten Schädel sitzen drei Tentakelohren, die unablässig in verschiedene Richtungen kreisen. Die Augenballen erscheinen rot, nicht weiß wie bei den Menschen. Das Maul ist zahnlos. Diese Wesen sind wohl über die Notwendigkeit der Aufnahme von fester Nahrung fortgeschritten.
Paul nimmt nun seinen Hocker in die rechte Hand und geht ruhig auf die Mitte des Platzes zu. Er setzt sich dem seltsamen Besucher gegenüber, und zwar in einem solchen Abstand, dass sich beide ansehen können, Paul aber nicht mit verrenktem Kopf zu diesem hochsehen muss.

Der Riese nimmt gedanklich Kontakt mit Paul auf. „Wir sind hergekommen, um diesen Planeten in Besitz zu nehmen. Ihr werdet neutralisiert. Unsere Kriegsgesetze schreiben allerdings vor, dass Zivilisationen sich zu ihrem Evolutionsstatus äußern können, bevor sie entsprechend behandelt werden. Du hast drei Versuche. Was hast du vorzubringen?“

„Wie haben das Golfspiel erfunden“, entgegnet Paul knapp.
Sein Gegenüber erhöht die Augenwulst über dem rechten Auge, so wie Menschen es tun, wenn sie einen Satz nicht verstehen.“
„Beim Golfspiel schlagen wir mit einem Eisenstock, der am unteren Ende kurz angebogen ist, gegen einen Plastikball. Wir versuchen, diesen Ball über eine gewisse Wegstrecke hinweg in ein recht kleines Loch innerhalb eines abgesteckten Grünfeldes zu schlagen. Aufgrund der physikalischen Gegebenheiten aus Anstoß, Flugbahn, Windverhalten und Geländeart ergeben sich zahlreiche Unwägbarkeiten. Gelingt es einem Golfspieler, den Ball mit nur wenigen Schlägen in das Loch zu bringen, so macht dies den Menschen sehr froh“, antwortet Paul ebenfalls in einer Gedankenverbindung.
„Soll das heißen, dass ihr einen Teil eurer wertvollen Lebenszeit damit verbringt, mit Eisenstöcken gegen kleine Bällchen zu schlagen und diese in ein Rasenloch zu bugsieren?" entgegnet das Wesen. Und es fährt fort: " Ihr seid verrückt. Vergiss es, evolutorisch betrachtet. Suche dir eine andere Geschichte aus.“

„Wir gehen ins Kino, wir tanzen, lachen, singen. Wir gehen gerne essen, feiern Weihnachten und den lustigen Karneval …“. Paul gibt jetzt richtig Gas.
„Diese Aufzählung fasse ich unter Versuch Nummer zwei zusammen. Unter dem Gesichtspunkt der Evolution ergibt diese Aufzählung von irrationalen Verhaltensweisen keinen für mich erkennbaren Sinn. Du hast noch einen Versuch“, brummt das fremde Wesen seine Gedanken hinüber.

„Wir haben humanitas. Wir haben Verhaltensweisen entwickelt, die uns als Menschen ausmachen. Wir können uns zum Beispiel alle zusammentun, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen.“
Paul lässt sich nun auf seinem Blumenhocker leicht nach vorne sinken. Er schließt die Augen. Dann denkt er an alle acht Milliarden Menschen, die im Moment auf der Erde leben. Paul bündelt die Gedankenschwärme in einen einzigen machtvollen Gedanken und konzentriert diese Energie in den Himmel über dem Marktplatz.
Plötzlich öffnet sich über der Untertasse ein schwarzes Loch. Dieses wird größer und größer. Die Untertasse beginnt sich aufzulösen. Ihre Bestandteile werden wir Konfettischnipsel in das schwarze Loch gesogen.

Auch der außerirdische Riese beginnt sich nun aufzulösen, beginnend bei den Tentakelohren. Bevor er verschwindet, knurrt er noch: „Grrr, humanitas.“
 



 
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