Das Weihnachtshaus im Winterwald

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flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
Das Weihnachtshaus im Winterwald

Der dunkelblaue Opel fuhr im vorgeschriebenen Tempo die Landstraße entlang. Es war am Morgen des 24. Dezembers. In der Wettervorhersage war keine Rede von Schnee. Dennoch rieselte etwas vom Himmel herunter. Jörg Höhne schmunzelte: „Alles wissen die von der Wetterwarte auch nicht.“
Er freute sich über den Schnee. Da konnte er doch mit seinen Kindern Schlitten fahren oder einen Schneemann bauen.
Ob die Frau mit den beiden Rangen schon wohlbehalten bei ihren Eltern angekommen war? Gewiss doch. Die Bahn ist zuverlässig und Opa hatte sie sicher mit dem Auto vom Bahnhof abgeholt. Jörg musste sich keine Sorgen machen.
Er hatte noch einen wichtigen Termin wahrnehmen müssen und konnte deshalb nicht mit der Familie zusammen zu den Schwiegereltern fahren. Leider brachte die Verhandlung nicht das gewünschte Ergebnis. Vielleicht war Jörg schon etwas im Weihnachtsstress. Egal, jetzt sind Ferien!
Der Schnee fiel immer dichter, man konnte kaum noch die Hand vor Augen sehen. Jörg machte die Scheinwerfer an und fuhr langsamer. „Wer langsam fährt, kommt auch zum Ziel“, erinnerte er einen Spruch seiner Großmutter.
Dann hörte es auf zu schneien. Die Welt war dick in Watte verpackt. Ein märchenhafter Anblick. Ja, so sollte Weihnachten sein!
Plötzlich stotterte der Motor, dann blieb das Auto stehen. Der Tank war leer. „Mist“, murmelte Jörg. „Was mach ich jetzt nur? Ich weiß ja nicht mal, wo ich bin!“
Er stieg aus, schloss den Wagen ab, schlug den Mantelkragen hoch und ging den Weg in Fahrtrichtung in der Hoffnung, auf irgendetwas zu stoßen, das ihm weiterhalf. Einen Wegweiser, ein Haus, eine Notrufsäule oder gar eine Tankstelle.
Nach einigen Metern sah er linkerhand im Wald ein Haus im Stil eines Jagdschlosses. Freudig eilte er darauf zu. Er wunderte sich ein wenig, dass im Hause Licht brannte und die Haustür offen stand. Er klopfte dennoch an und rief Einlass begehrend. Nachdem er keine Antwort bekam, beschloss er, im Haus nach einem Telefon zu suchen. Er trat ein und erblickte als erstes einen geschmückten Weihnachtsbaum, der bis an die Zimmerdecke reichte. Er war überladen mit Kugeln, Lametta und allem, was man sonst noch so an einen Weihnachtsbaum hängt. Und richtige Wachskerzen brannten! Zwölf Stück, wie es die Tradition verlangte.
Unter dem Baum lagen Geschenke, teils schlicht verpackt, teils schillernd.
Auf dem Tisch stand ein großer Weihnachtsteller mit allerlei Naschwerk. Besonders die Kekse dufteten sehr verführerisch. Ja, solche Kekse hatte seine Großmutter auch gebacken. Aber jetzt war keine Zeit für Nostalgie. Wo steht denn hier das Telefon? Es kann doch nicht sein, dass Leute, die sich so ein Anwesen leisten können, kein Telefon haben!
Es war still im Haus. Nur das Feuer im Kamin knisterte. Wo waren die Bewohner? Jörg lief um das Haus herum, konnte jedoch niemanden entdecken. Also begab er sich noch einmal in das Haus auf der Suche nach einem Telefon. Eine Erzgebirgische Pyramide sah er und eine sehr kunstvoll ausgeführte Krippe. Man konnte gar nicht sehen, auf welche Weise der Stern von Bethlehem in der Schwebe gehalten wurde! Auf dem Buffett stand eine Flasche teuren Weines. Drei Gläser waren eingeschenkt. Das Bukett war betörend. Beinahe hätte Jörg der Versuchung nachgegeben.
Aber ein Telefon fand er nicht. Dafür klingelte eines der Glöckchen am Baum. „Süßer die Glocken nie klingen . . .“, erinnerte Jörg sich an ein altes Weihnachtslied. In seiner Kindheit wurde viel gesungen. Seine Eltern und Großeltern hatten angenehme Stimmen. Schade, dass es bei den Schwiegereltern nicht auch so ist.
Er verließ das Haus wieder und ging erneut die Landstraße entlang. Nach einer Stunde kam er zu einer Tankstelle. Er kaufte zwei Kanister Benzin und fragte den Tankwart, wer denn wohl das hübsche Jagdschloss bewohne?
„Jagdschloss? Gibbet hier in der Gegend nich“, war die brummige Antwort. Jörg schilderte das Haus und sein Erlebnis näher. Endlich nahm der Tankwart seinen kalten Zigarrenstummel aus dem Mund und sagte: „Ich fürchte, das is der Schuppen gewesen, wo mein Sohn vor zehn Jahren mal drin war. Damals war er noch ein kleiner Bengel, aber seitdem tickt er nicht mehr richtig.“
Er deutete auf einen jungen Mann, der vor dem Kassenhäuschen auf einer Bank saß, dick in eine Decke eingewickelt. Im Abstand weniger Minuten sang er „Alle Jahre wieder . . .“ und stieß danach seinen Daumen gen Himmel.
Der Tankwart sprach: „Wir wissen nicht, was das bedeutet. Er hat uns das Haus beschrieben, aber wir konnten es nicht finden. Damals war auch gerade Heiligabend. Das einzige, was wir herausgefunden haben – wenn er den Daumen nach oben streckt, dann bedeutet das auch oben. Irgendetwas irgendwo oben. Danach hat er den Verstand verloren und sitzt nur noch so da. Aber Sie sind ein erwachsener Mann. Sie erinnern sich genau an den Weg zu diesem verfluchten Gebäude?“
„Klar doch. Mein Auto steht ja fast genau davor.“
Der Tankwart fuhr mit Jörg den Weg zurück. Sie gelangten zu dem kleinen Jagdschloss. Es war alles unverändert. Die Haustür war offen, das Feuer im Kamin brannte, die Kerzen am Weihnachtsbaum brannten, die Kekse dufteten, der Wein verströmte sein Aroma und das Glöckchen am Baum bimmelte.
„Sehen Sie, hier ist kein Telefon!“, überbrückte Jörg seine Beklemmung.
„Wir müssen nach oben!“, meinte der Tankwart in Erinnerung an seinen Sohn.
Kaum machte er die ersten Schritte, erschien auf der Treppe nach oben eine junge Dame in einem tief ausgeschnittenen roten Kleid. Sie hatte lange blonde Locken, strahlend blaue Augen und einen süßen Kirschenmund. Sie säuselte: „Ah, mein Lieber, da sind Sie ja wieder. Und Sie haben noch jemanden mitgebracht, wie nett! Kommen Sie, trinken Sie ein Glas Wein mit mir und kosten Sie die köstlichen Kekse. Sie sind selbstgebacken!“
Die beiden Männer ließen sich nicht lange bitten. Obwohl – Jörg bekam sofort ein schlechtes Gewissen. Er wurde schließlich von seiner Frau und den Kindern erwartet.
„So, und nun gehen wir nach oben“, bestimmte die Dame und schritt ihnen voran. Im oberen Stockwerk öffnete sie die Tür zu einem großen Zimmer. Die Männer erschraken fürchterlich über den Anblick, der sich ihnen bot. Die Dame weidete sich an dem Entsetzen der Männer. Im Zimmer standen viele Stühle und auf jedem saß ein mehr oder weniger verwestes Gerippe, mehr oder weniger bekleidet. Von der mittelalterlichen Pumphose bis zur neuzeitlichen Jeans war alles vertreten. Zwei Jeansträger saßen auf dem Fußboden, weil ja alle Stühle schon besetzt waren.
„Alle Jahre wieder kommt noch ein neuer rein, und ich stech ihn nieder, ach, wie ist das fein!“
So sang die Dame mit hoher schriller Stimme und ehe die Männer zur Gegenwehr ausholen konnten, hatte jeder einen spitzigen Dolch im Herzen.
Da ertönte eine Donnerstimme: „Du überschreitest deine Befugnisse, Demiana! Du darfst nur die bei dir behalten, die aus freien Stücken Wein trinken, Kekse knabbern und nach hier oben kommen! Die beiden sind ungültig. Zur Strafe wirst du bis zum nächsten Heiligen Abend an deinen Händen an die Decke genagelt.“
Jörg und der Tankwart hörten die Dame noch um Gnade winseln, während sie sacht auf die Straße segelten. Es folgte ein Moment selig warmem Schummerzustandes, dann befanden sie sich auf dem Weg Richtung Heimat. Die Dolche waren verschwunden, die Wunden nicht mehr vorhanden ebenso wie die Einstichlöcher und die Blutflecken in ihrer Kleidung.
Der Tankwart fuhr zu seiner Tankstelle und nahm seinen Sohn sehr liebevoll in die Arme. Jedoch die einzigen Worte, die er in Zukunft sprach, lauteten: „Mein Sohn hat Recht!“
Jörg kam wohlbehalten bei seinen Schwiegereltern an. Seine Frau fragte: „Warum kommst du so spät?“
Und er antwortete: „Da war ein Haus, alle Jahre wieder. Süßer die Glocken nie klingen, wenn leise der Schnee rieselt und am Weihnachtsbaume die Lichter brennen und morgen kommt der Weihnachtsmann. O, es riecht gut, süße Dinge, schöne Gaben, ihr Kinderlein, kommet!“
Mehr war aus ihm nicht heraus zu bringen. Später redete er nicht mehr, sondern sang ständig diese acht Weihnachtslieder. Er war nur ruhig zu stellen, wenn jemand sang: „Vom Himmel hoch, da komm ich her . . .“
Dann lauschte er andächtig, aber sein Daumen zuckte gen Himmel.
 

angela

Mitglied
Hallo flammarion,
bei der Überschrift dachte ich, wie nett, eine Weihnachtsgeschichte im Juni. Ist ja auch nett, aber keine Weihnachtsgeschichte. Nett gruselig, brr.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
vielen

dank für s lesen und kommentieren.
ja, nett gruselig, aber für horror zu dünn. vielleicht auch gut so.
lg
 

Lisa König

Mitglied
Hi flammarion,

für mich gibt es einige Erklärungen für das Verhalten von Jörg. Mir ist in der Geschichte aufgefallen - als sein Sprit alle war, wusste er nicht wo er ist. Warum eigentlich nicht. Er müsste doch den Weg zu seinen Schwiegeltern kennen! O. K. das die Freiheit des Schreibers. Aber alles Folgende ist doch sehr mysteriös. In der Wirklichkeit könnte es sein, dass er einfach zu viel Stress im geschäftlichen oder privaten Leben hat und plötzlich an Persönlichkeitsstörung leidet oder so. Aber es ist meine Aufgabe die Geschichte zu anylieren und aus dem Grund finde ich sie "fantastisch".

Liebe Grüße

Lisa König
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
vielen

dank fürs lesen, kommentieren und bewerten, liebe lisa.
er weiß deshalb nicht genau, wo er ist, weil ein verschneites stück landstraße mitten im wald beinahe wie das andere aussieht. ist anderen leuten auch schon so gegangen. aber vielleicht sollte ich an der stelle etwas deutlicher werden.
lg
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
Das Weihnachtshaus im Winterwald

Der dunkelblaue Opel fuhr im vorgeschriebenen Tempo die Landstraße entlang. Es war am Morgen des 24. Dezembers. In der Wettervorhersage war keine Rede von Schnee. Dennoch rieselte etwas vom Himmel herunter. Jörg Höhne schmunzelte: „Alles wissen die von der Wetterwarte auch nicht.“
Er freute sich über den Schnee. Da konnte er doch mit seinen Kindern Schlitten fahren oder einen Schneemann bauen.
Ob die Frau mit den beiden Rangen schon wohlbehalten bei ihren Eltern angekommen war? Gewiss doch. Die Bahn ist zuverlässig und Opa hatte sie sicher mit dem Auto vom Bahnhof abgeholt. Jörg musste sich keine Sorgen machen.
Er hatte noch einen wichtigen Termin wahrnehmen müssen und konnte deshalb nicht mit der Familie zusammen zu den Schwiegereltern fahren. Leider brachte die Verhandlung nicht das gewünschte Ergebnis. Vielleicht war Jörg schon etwas im Weihnachtsstress. Egal, jetzt sind Ferien!
Der Schnee fiel immer dichter, man konnte kaum noch die Hand vor Augen sehen. Jörg machte die Scheinwerfer an und fuhr langsamer. „Wer langsam fährt, kommt auch zum Ziel“, erinnerte er einen Spruch seiner Großmutter.
Dann hörte es auf zu schneien. Die Welt war dick in Watte verpackt. Ein märchenhafter Anblick. Ja, so sollte Weihnachten sein!
Plötzlich stotterte der Motor, dann blieb das Auto stehen. Der Tank war leer. „Mist“, murmelte Jörg. „Was mach ich jetzt nur? Ich weiß ja nicht mal genau, wo ich bin!“
Er stieg aus, schloss den Wagen ab, schlug den Mantelkragen hoch und ging den Weg in Fahrtrichtung in der Hoffnung, auf irgendetwas zu stoßen, das ihm weiterhalf. Einen Wegweiser, ein Haus, eine Notrufsäule oder gar eine Tankstelle.
Nach einigen Metern sah er linkerhand im Wald ein Haus im Stil eines Jagdschlosses. Freudig eilte er darauf zu. Er wunderte sich ein wenig, dass im Hause Licht brannte und die Haustür offen stand. Er klopfte dennoch an und rief Einlass begehrend. Nachdem er keine Antwort bekam, beschloss er, im Haus nach einem Telefon zu suchen. Er trat ein und erblickte als erstes einen geschmückten Weihnachtsbaum, der bis an die Zimmerdecke reichte. Er war überladen mit Kugeln, Lametta und allem, was man sonst noch so an einen Weihnachtsbaum hängt. Und richtige Wachskerzen brannten! Zwölf Stück, wie es die Tradition verlangte.
Unter dem Baum lagen Geschenke, teils schlicht verpackt, teils schillernd.
Auf dem Tisch stand ein großer Weihnachtsteller mit allerlei Naschwerk. Besonders die Kekse dufteten sehr verführerisch. Ja, solche Kekse hatte seine Großmutter auch gebacken. Aber jetzt war keine Zeit für Nostalgie. Wo steht denn hier das Telefon? Es kann doch nicht sein, dass Leute, die sich so ein Anwesen leisten können, kein Telefon haben!
Es war still im Haus. Nur das Feuer im Kamin knisterte. Wo waren die Bewohner? Jörg lief um das Haus herum, konnte jedoch niemanden entdecken. Also begab er sich noch einmal in das Haus auf der Suche nach einem Telefon. Eine Erzgebirgische Pyramide sah er und eine sehr kunstvoll ausgeführte Krippe. Man konnte gar nicht sehen, auf welche Weise der Stern von Bethlehem in der Schwebe gehalten wurde! Auf dem Buffett stand eine Flasche teuren Weines. Drei Gläser waren eingeschenkt. Das Bukett war betörend. Beinahe hätte Jörg der Versuchung nachgegeben.
Aber ein Telefon fand er nicht. Dafür klingelte eines der Glöckchen am Baum. „Süßer die Glocken nie klingen . . .“, erinnerte Jörg sich an ein altes Weihnachtslied. In seiner Kindheit wurde viel gesungen. Seine Eltern und Großeltern hatten angenehme Stimmen. Schade, dass es bei den Schwiegereltern nicht auch so ist.
Er verließ das Haus wieder und ging erneut die Landstraße entlang. Nach einer Stunde kam er zu einer Tankstelle. Er kaufte zwei Kanister Benzin und fragte den Tankwart, wer denn wohl das hübsche Jagdschloss bewohne?
„Jagdschloss? Gibbet hier in der Gegend nich“, war die brummige Antwort. Jörg schilderte das Haus und sein Erlebnis näher. Endlich nahm der Tankwart seinen kalten Zigarrenstummel aus dem Mund und sagte: „Ich fürchte, das is der Schuppen gewesen, wo mein Sohn vor zehn Jahren mal drin war. Damals war er noch ein kleiner Bengel, aber seitdem tickt er nicht mehr richtig.“
Er deutete auf einen jungen Mann, der vor dem Kassenhäuschen auf einer Bank saß, dick in eine Decke eingewickelt. Im Abstand weniger Minuten sang er „Alle Jahre wieder . . .“ und stieß danach seinen Daumen gen Himmel.
Der Tankwart sprach: „Wir wissen nicht, was das bedeutet. Er hat uns das Haus beschrieben, aber wir konnten es nicht finden. Damals war auch gerade Heiligabend. Das einzige, was wir herausgefunden haben – wenn er den Daumen nach oben streckt, dann bedeutet das auch oben. Irgendetwas irgendwo oben. Danach hat er den Verstand verloren und sitzt nur noch so da. Aber Sie sind ein erwachsener Mann. Sie erinnern sich genau an den Weg zu diesem verfluchten Gebäude?“
„Klar doch. Mein Auto steht ja fast genau davor.“
Der Tankwart fuhr mit Jörg den Weg zurück. Sie gelangten zu dem kleinen Jagdschloss. Es war alles unverändert. Die Haustür war offen, das Feuer im Kamin brannte, die Kerzen am Weihnachtsbaum brannten, die Kekse dufteten, der Wein verströmte sein Aroma und das Glöckchen am Baum bimmelte.
„Sehen Sie, hier ist kein Telefon!“, überbrückte Jörg seine Beklemmung.
„Wir müssen nach oben!“, meinte der Tankwart in Erinnerung an seinen Sohn.
Kaum machte er die ersten Schritte, erschien auf der Treppe nach oben eine junge Dame in einem tief ausgeschnittenen roten Kleid. Sie hatte lange blonde Locken, strahlend blaue Augen und einen süßen Kirschenmund. Sie säuselte: „Ah, mein Lieber, da sind Sie ja wieder. Und Sie haben noch jemanden mitgebracht, wie nett! Kommen Sie, trinken Sie ein Glas Wein mit mir und kosten Sie die köstlichen Kekse. Sie sind selbstgebacken!“
Die beiden Männer ließen sich nicht lange bitten. Obwohl – Jörg bekam sofort ein schlechtes Gewissen. Er wurde schließlich von seiner Frau und den Kindern erwartet.
„So, und nun gehen wir nach oben“, bestimmte die Dame und schritt ihnen voran. Im oberen Stockwerk öffnete sie die Tür zu einem großen Zimmer. Die Männer erschraken fürchterlich über den Anblick, der sich ihnen bot. Die Dame weidete sich an dem Entsetzen der Männer. Im Zimmer standen viele Stühle und auf jedem saß ein mehr oder weniger verwestes Gerippe, mehr oder weniger bekleidet. Von der mittelalterlichen Pumphose bis zur neuzeitlichen Jeans war alles vertreten. Zwei Jeansträger saßen auf dem Fußboden, weil ja alle Stühle schon besetzt waren.
„Alle Jahre wieder kommt noch ein neuer rein, und ich stech ihn nieder, ach, wie ist das fein!“
So sang die Dame mit hoher schriller Stimme und ehe die Männer zur Gegenwehr ausholen konnten, hatte jeder einen spitzigen Dolch im Herzen.
Da ertönte eine Donnerstimme: „Du überschreitest deine Befugnisse, Demiana! Du darfst nur die bei dir behalten, die aus freien Stücken Wein trinken, Kekse knabbern und nach hier oben kommen! Die beiden sind ungültig. Zur Strafe wirst du bis zum nächsten Heiligen Abend an deinen Händen an die Decke genagelt.“
Jörg und der Tankwart hörten die Dame noch um Gnade winseln, während sie sacht auf die Straße segelten. Es folgte ein Moment selig warmem Schummerzustandes, dann befanden sie sich auf dem Weg Richtung Heimat. Die Dolche waren verschwunden, die Wunden nicht mehr vorhanden ebenso wie die Einstichlöcher und die Blutflecken in ihrer Kleidung.
Der Tankwart fuhr zu seiner Tankstelle und nahm seinen Sohn sehr liebevoll in die Arme. Jedoch die einzigen Worte, die er in Zukunft sprach, lauteten: „Mein Sohn hat Recht!“
Jörg kam wohlbehalten bei seinen Schwiegereltern an. Seine Frau fragte: „Warum kommst du so spät?“
Und er antwortete: „Da war ein Haus, alle Jahre wieder. Süßer die Glocken nie klingen, wenn leise der Schnee rieselt und am Weihnachtsbaume die Lichter brennen und morgen kommt der Weihnachtsmann. O, es riecht gut, süße Dinge, schöne Gaben, ihr Kinderlein, kommet!“
Mehr war aus ihm nicht heraus zu bringen. Später redete er nicht mehr, sondern sang ständig diese acht Weihnachtslieder. Er war nur ruhig zu stellen, wenn jemand sang: „Vom Himmel hoch, da komm ich her . . .“
Dann lauschte er andächtig, aber sein Daumen zuckte gen Himmel.
 

Doska

Mitglied
Puh, dein armer Protagonist. Richtig gemeiner Trick, die Sache mit dem Weihnachtshaus. Da kann man nur sagen, gut, dass wir jetzt Sommer haben, da braucht man dann nicht bei abgelegenen Häusern vorsichtig zu sein. Oder vielleicht doch? Womöglich lockt ein offen stehendes Gartentor mit einem erfrischenden Swimmingpool, wunderbaren Palmengewächsen und ...
Nee, liebe Flammarion, jetzt weiß ich nicht ob ich noch gut schlafen kann? Gute Geschichte, schön spannend und mit leisem Humor.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
vielen

dank fürs lesen, bewerten und kommentieren, liebe doska.
ja, ich wollte mal ein weihnachten ohne zuckerguss . . .
lg
 



 
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