Dass ich es nicht vergesse ...

molly

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Dass ich es nicht vergesse…

Neulich beschlossen meine Bekannten Anna und Irmi zum Italiener auf eine Pizza zu fahren. Sie wollten mich mitnehmen, da ich im Moment wegen einer Fußverletzung sehr schlecht gehen kann. Anna und Irmi sind beide pensionierte Lehrerinnen, während ich zwar auch in der Schule tätig war, im Sekretariat.
In der Pizzeria war abends um fünf noch nicht viel los. Irmi, die schnellste von uns, strebte gleich einen Tisch an, setzte sich und legte ihre Handtasche auf den Stuhl neben sich. „Ihr könnt eure Taschen auch hier parken“, was Anna und ich dankend annahmen.
Nun schubste mich Anna ein klein wenig zur Seite und setzte sich Irmi gegenüber. Ich musste doch leicht grinsen, kam ich mir gerade in dem Moment wie in der Schule vor.
„Hört“, sagte ich zu den beiden, „ich will“… Weiter kam ich nicht. Anna drehte sich zu mir und sagte: „ Dass ich es nicht vergesse, kann Dein Sohn nächste Woche mein Auto zum TÜV fahren?“
Mein Sohn wohnt 60 km von mir entfernt, besucht mich aber regelmäßig. „Das weiß ich nicht, kann das nicht Dein Schwiegersohn erledigen?“ Der wohnte schließlich gerade mal 15 Minuten von unserem Ort entfernt. „Deinen Sohn kenne ich schon länger und ich weiß, dass er auch dein Auto zur Inspektion bringt.“ „Frag ihn einfach“, schlug ich vor und Irmi ergriff das Wort. Nun wurden Pläne geschmiedet, Museen Besuche, Schloßwanderung, Unternehmen, an denen ich nicht teilnehmen konnte. Die beiden überboten sich geradezu mit Vorschlägen. Und immer wieder einmal tönte Annas: „dass ich es nicht vergesse“, dazwischen. Ich erinnerte mich an das gemütliche Abendessen mit Anna und den letzte erholsamen Ausflug mit Irmi. Aber da waren wir nur zu zweit. Jetzt saß ich drei schweigsame Handtaschen gegenüber und neben an plauderten meine munteren Bekannten. So schnell würde ich mit beiden zusammen kein Gasthaus mehr besuchen, das nahm ich mir vor.
Ob Senioren schlechter zuhören können, weil sie viel erlebt haben und davon berichten wollen und deshalb die anderen häufig beim Sprechen unterbrachen, sie nicht ausreden ließen? Weil sie sich plötzlich an etwas erinnerten und diese Erinnerung nicht vergessen wollten? Ich erschrak richtig, als sich Irmi plötzlich an mich wandte. „Wie ist das, musst Du demnächst wegen deinem Fuß noch mal in die Klinik?“
„Nein, ich fahre nicht in die Klinik, aber ich will euch“… Weiter kam ich auch jetzt nicht, weil Anna gleich bemerkte, dass sie demnächst an die Mosel fuhr. Also nun ging es mit den Reisen weiter, Irmi erzählte wieder von Schweden, dem Land, das sie seit 40 Jahren ansteuerte. Hin und her ging es, mal Mosel, mal Schweden und nicht zu vergessen, die letzte große Reise von Anna nach Schottland und die baldige Reise Irmis - nach Schweden. Eigentlich wollte ich meinen Bekannten eine für mich wichtige Geschichte erzählen und es fiel mir schwer, still zu bleiben. Ich saß nicht nur im Abseits, ich fühlte mich auch so. Meinen Begleiterinnen hatte ich etwas zu berichten und erreichte sie nicht. Also war es nur für mich wichtig. Vergiss es, dachte ich bei mir, als unvermutet die Gartenarbeit im Mittelpunkt stand. Beide hatten den Tag im Garten verbracht und in einer winzig kleinen Pause sagte ich: „Mein Enkel hat alle Winden aus dem Vorgarten entfernt, aber ich will euch doch“… „Ja", warf Irmi ein, "in diesem Jahr gibt es entsetzlich viele Winden", und Anna erklärte, dass sie täglich hinter dem Unkraut her sei, ebenso machte sie auch Jagd auf die Schnecken.
Inzwischen schmerzte mein Fuß, schließlich saßen wir schon seit drei Stunden hier und ich unterbrach die beiden lautstark bei dem wichtigen Thema: Grabbepflanzung. Sofort winkte Irmi dem Kellner, wir bezahlten und die beiden machten mir noch Vorwürfe, warum ich nicht eher etwas gesagt hätte. „War doch schön, dass du nicht allein Zuhause sitzen musstest“, meinte Irmi. Ich unterdrückte nur mühsam einen Seufzer.
Nach zwei Tagen rief mich Anna an: „Du wolltest doch noch was sagen, neulich beim Pizza essen.“
„Habe ich vergessen,“ sagte ich leichthin.
„Oh, je“, antwortete Anna, „ Irmi ist auch so vergesslich geworden.“
 



 
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