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sufnus

Mitglied
Hi lapismont!

Was mich grundsätzlich etwas stört:
Bei diesem Text bin ich persönlich noch nicht so ganz überzeugt. Die schlichte Form und die absichtsvoll "kunstlose" Sprache evozieren eine Ästhetik der Simplizität, ich muss an die shibui Ästhetik der Edo-Zeit denken. Aber inhaltlich ist hier finde ich viel zu viel hineingepackt worden, was in Verbindung mit der Textkürze bedingt, dass dem Text für mich irgendwie etwas Rauniges anhaftet und die Denkinhalte letztlich schematisch wirken.
Schematischer Allerweltsinhalt in einer die Simplizität feiernden "Verpackung", das wirkt auf mich, als wäre mir ein Linseneintopf aus der Dose in einer antiken Raku-Teeschale serviert worden.

Was mir sehr gut gefällt:
Soweit das allgemeine gehaltene Gemecker, von dem ich jetzt gerne zu konkreter Gefallnis übergehe: Mir gefällt die Lautmalerei von Rachengeröchel und - noch schöner - vom emetischen "work". Und ich mag auch das "davon gekommen" - ein Understatement, dem doch einiges an (gutem!) Pathos innewohnt, man kann, wenn man so weit gehen will, Assoziationen zu Rückert-Versen ("ich bin der Welt abhanden gekommen") und Psalm 39 in der Lutherfassung ("und ich davon muss") bilden.

Was man nach meiner Meinung verbessern könnte:
Meines Erachtens gewönne dieser Text durch weiteres Kürzen und Verdichten und den Fokus auf das Wesentliche. Einen Bogen von Covid bis zur Klimakrise zu spannen überfrachtet das Gedicht m. E. deutlich.
Und Phrasen wie "sehe der Welt beim Sterben zu" empfinde ich als eine Art Weltuntergangskitsch.
Auch die Wiederholung von der (siehe oben: wirklich sehr schönen!) work-Onomatopoese ist mir zu viel, einmal hätte gereicht.
LG!
S.
 
Nichts schlimmer als Lyrik zerpflücken, hab es immer gehasst, in der Schule, im Studium, in Foren. Schönes Gedicht, kommt gut rüber! Hauptsache, oder?
 

sufnus

Mitglied
Hey MM!
Auch das gehört zur Pluralität, dass man wie Du schön schreibst, das "Zerpflücken" von Lyrik ablehnt.
Ich persönlich finde... naja vielleicht nicht schlimm... aber doch extrem unbefriedigend, wenn man bei einem Text begründungslos "kommt gut rüber" oder "gefällt mir gar nicht mal so gut" urteilt und das wars dann.
Das ist wahrscheinlich ein bisschen wie beim Weintrinken. Manch einer hasst es, wenn der "Connaisseur" (Ironie!) sein Riechorgan im Glas versenkt, dann schmatzende Mundbewegungen vollführt und schließlich was von einer leichten Katzenpipi-Nuance in der Nase, grünem Paprika im Antrunk, einem etwas unverwobenen Mittel-Gaumen und einer wasserstoffblonden Frivolität im Abgang faselt.
Andere sind wiederum ratlos, wenn der einzige Kommentar ist: Näh... nicht mein Ding...
LG!
S.
 

Tula

Mitglied
Hallo lapismont
Inhaltliche Zustimmung, aber Verse wie

stör mich nicht dran
sitz daheim und work


sind mir zu direkt. So als zweifeltest du an der Intelligenz des Lesers, die Nachricht auch ohne den berühmten Zaunpfahl zu empfangen.

LG
Tula
 

sufnus

Mitglied
Hey!
Wobei m. E. bei der Wendung "sitz daheim und work" schon wichtig ist, dass hier ein Würge-Laut ("wuööörk") imitiert wird, die Erzählstimme zeigt sich von der Welt also wirklich "angekotzt". Das finde ich eigentlich ganz gut gelöst. Meintest Du das mit "zu direkt", Tula?
LG!
S.
 

fee_reloaded

Mitglied
Ich mag das Verschmitzte, das da durchklingt, und das wird durch die Doppelungen (bin davongekommen, ich work) noch verstärkt.
Das verortet die getroffenen Aussagen dann auch in einer Ebene, wo ich mir als LeserIn an Tiefe nehmen kann, so viel ich möchte oder eben nicht - die Gefahr einer Überfrachtung ist damit aus meiner Sicht gebannt.

Da wird eher beobachtet und konstatiert und es ist der Spielraum offen, wie ernst man das Ganze nun auffassen mag oder nicht.
Das Ernst-Nehmen ist doch hier Thema, wie ich es jedenfalls sehe. Wie ernst nimmt man die Lage der Nation, der Welt, sich selbst? Damit spielen Stil und Tonfall höchst amüsant, wie ich finde.

Und in diesem Falle würde eine Verdichtung m.E. dem Text genau das nehmen.

Ich mag ihn, wie er ist. Sehr.

LG,
fee
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Vielen Dank für die Auseinandersetzung mit dem Text!
» seh der Welt beim Sterben zu « ist vielleicht wirklich nicht so doll, da stimme ich sufnus zu.
Da grüble ich noch.

Und Tula, ich wollte auf keinen Fall jemanden verletzen, sorry.
Rein sachlich will ich das schon unterbringen, dass Straßenblockaden nicht jeden stören und es dafür auch durchaus triviale Gründe geben kann.
Oder man eh alles zum kotzen findet.

cu
lap
 

Tula

Mitglied
Moin lap
Die Sache mit dem Ankleben macht mich nicht wütend, sondern traurig. Weil sie der im Grunde 'guten Sache' schaden und das 'Grün bashing' anderer weiter fördern. Darauf muss man als Regierungspartei natürlich gefasst sein.

Die Idee mit 'work' als Würgelaut ist schon richtig. Man könnte es deutlicher machen - wörk ...

LG
Tula
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Die Bewertung der Klimaproteste ist meist sehr persönlich und hängt von vielen Faktoren ab, ein/zwei versucht der Text zu zeigen.

»work« ist schon ein spannendes Wort. Es ist nicht unbedingt dasselbe wie »arbeiten«, weil da schon, zumindest für mich, die Veränderung der Arbeitswelt mitschwingt, die »arbeiten« so nicht liefert.
Und das lautmalerische ist natürlich auch verführerisch
 



 
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