Delirium

TC

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Deliruim

I
An manchen verschleierten Nächten vertreibe ich mir die Zeit damit, einfach wach zu liegen und dem Gift in meinem Körper nachzuspühren. Die verbitterten Geräusche dringen tief ein, sie klingen wie süße Küsse und schmecken nach Salzwasser, nach Meeresluft, nach spitzen Brüsten am Hafen – sie erinnern mich an Träume. O ja, wild und zerklüftet, mein Bett sah am Morgen aus wie die Finnische Novemberküste, es brannte wie Höllenschnaps in den Eingeweiden und machte den Geist kraftlos; niemanden gab es, der es an Schwäche mit mir aufnehmen konnte ... Tat ist noch lange nicht Leben, sagt das Genie. Ich verneige mein Haupt! Verstand ist noch lange nicht Freiheit: sage ich. Aber er ist Rebellion und Fiebertraum, Wahnsinn und Liebe. Und Feuer, wild loderndes, hungriges Feuer: da tanzen Menschen hinter meinen müden Augen, ich höre die Flöte spielen und Weingläser klingeln, da gibt es sicher bunte Friedhöfe, bekiffte Armeen von Buchhaltern, Generäle, die den Verkehr regeln und Präsidenten in Freudenhäusern; ich sehe Regen, der zum Himmel fällt, im Fegefeuer badende Pastoren, ich sehe perlenbehangene Bettler und Lumpenpack, ich sehe Sonnenschein aus Kellerlöchern sprühen und einen wilden Jahrmarkt voll von Leben. Die Schießbude wird belagert von nackten Hotelpagen, sie schießen auf ihre Uniformen, die da aufgereiht hängen wie Würste zum trocknen; wer trifft, darf befreit ins Leben treten, der feige Rest wird dienen und der Gewohnheit Sklave sein. Ich sehe verrückte Dinge und sehe mich, als mein eigener Geist schlage ich verwirrende Haken, meine Ohren kreischen voll von Fabrikenlärm und Sirenen - daß gehört doch behandelt!
Blasse Leiber durchschneiden das Mondlicht, nackte Haut tanzt verlockend am schwarzen Ufer, da treiben sie’s, was das Zeug hält: sie lieben sich. Gebt ihnen, was sie zum Verrecken brauchen und dann laßt sie hochleben! Laßt sie Kinder zeugen, viele dicke Kinder, die ihren Gedankenbrei dankbar aufschlürfen und PiPi machen, wenn sie zur Toilette geschickt werden. Noch mehr von diesen freien Geistern, diesen Abenteurern, deren gewaltigste Leistung die Langeweile selbst ist! Sie sind hübsch anzusehen in ihren Plüschkleidern, ein gutes Ziel gäben sie ab, sie tanzen im Kreis, immer schneller und schneller, und die Welt dreht sich und mit mir die Welt und die Welt. Plötzlich ist ein Schiff über mir - strahlend weiß, mit gestutzten Engelsflügeln - stolze Segel blähen sich unterm Wind wie Bäuche, schäumende Bugwasser schlagen lautos auf ölige Planken und Matrosen mit gegerbten Gesichtern schreien und winken, während sie mir mit vierzig Kanonen auf jedem Deck kielscharf den Kopf in zwei triefende Hälften zerschneiden. Ein Glas zerschellt am Meeresgrund, verzerrte Faschingsfratzen greifen nach meinen Kleidern und alles pfeifft und klatscht, bis der Teufel mich beim Namen ruft ...



Genug geweint ums leere Sein,
komm müder Geist, wach auf
und mach‘,
daß Blut durch trockne Adern fließt,
mir Glut hinauf zum Halse schlägt
und voller Glück, in ganzer Pracht
der Wahnsinn sprießt,
ja Füße beben,
bis all die Schwere, die bedrückt,
sich bleich am Strick des Henkers wiegt,
im Wind sich dreht, und totenblaß
um Gnade fleht und Leben ...



II
Ich habe grünes Gift getrunken, große, gierige Züge, damit es in den Eingeweiden tobt und den Körper wärmt; ich fühle es mein dünnes Blut durchrollen – rasend, wild, betäubend, heftig, dumpf, schmerzhaft, laut – hin zum Kopf, wo es sich unter den Haaren festbrennt und juckt und kratzt und wahnsinnig macht. Wo es leuchtende Städte hervorbringt, Erlösung und Qualen. Doch was rede ich, ich will es ja! Mein Wunsch – mein Wille: mein General in der Schlacht des Lebens! Auskosten will ich es, um diesen einen Augenblick zu finden, um den Lärm im Kopf zu übertönen – schwarze Messen oder Gebete, erhabene Meditation, säuische Feste, rasend gierige Lust, Poesie, Abscheu, bitterer Ekel, Abschiede ... Komme was wolle, ich probier’s! Tausend Talente hab‘ ich und speise abends mit Musen, die ich mir auswähle, was immer in meinem Schädel auch schwimmen mag, ich fische es heraus und werfe es zurück ins lebendige Meer. Mein Geist hat ganze Heere schon geschlagen, ich trank mit Matrosen und schlief mit pantergleichen Mädchen, die Krallen an den Zähnen hatten; ich kenne die Kälte des sibirischen Winters und den Geruch vom Tod – wer will mich wohl aufhalten? Gott? Die Menschen? Mein Körper? – Ha!
He da, ihr ehrenvollen Ritter und Langweiler, ihr heroischen Vorbilder und Erziehungskrüppel, wollt ihr mit mir ins Höllenfeuer tauchen und den Teufel necken? Kommt zum Karussell des Lebens – jede Fahrt nur einen Penny und ich kassiere. Ein unbedeutendes Stück eurer Zeit, doch haltet euch gut fest, daß ihr nicht irgendwo abgeworfen werdet. Haltet euch fest an euren Familien, den feisten Kindern und Tanten, an all euren Habseeligkeiten, an eurem Glauben. Ja, der Glaube macht’s! Das Leben ist die Hölle, ganz bestimmt, und der Himmel ein Radieschenbeet, Gott ist ein rosa Schwein, läuft selbst zum Metzger, stürzt sich auf die Schlachtbank und nagelt sich besoffen ans Kreuz, die Heiden fliegen auf Teppichen zu ihren Frauen, der Papst züchtet Ziegen im Hof des Vatikans, die Rinder in Australien können fliegen und scheißen riesige Haufen vom Himmel – ich glaube, das ist die Wahrheit. Ich glaube, daß ich bis Italien spucke, wenn ich will, ich glaube fest, daß Gott sich jeden Tag rasiert. Ich glaube, daß ich alles machen kann, daß ich überall hingehe ...
Still mein Herz, halt ein! Läufst du mit der Hoffnung um die Wette, wirst du immer verlieren, immer verspottet bleiben, immer einsam ... Komm morgen wieder, Wirklichkeit - es wird spät.



Mein stilles Herz allein spricht Worte, die ich höre;
es bittet mich und weint –
dem Klang bin ich verschworen,
ich tu’s,
und fühl‘ mich tief in meiner Seele
mit mir vereint
und habe doch das Leben schon verloren.

Mein stilles Herz allein weint fast unhörbar Tränen
wie Nadelstiche schmal,
und selten nur zu sehn.
Verlieb‘ dich doch,
was hilft das Leben, all das Sehnen,
was hilft die Qual,
du wirst es nie verstehn.

Mein stilles Herz allein, mein stummer Freund, mein Kind,
Lach‘ auf und beb‘,
statt schwarz mein Blut zu machen.
Es tut nicht weh,
wenn wir zu zweit verloren sind:
dort, wo das Leben geht,
beginnt die Nacht zu lachen.



III
Der See ist noch immer geschliffener Stein unter meiner Hütte, das klopfende Herz liest Liebesschwüre: alte, vernarbte Jugendträume, die ins Holz geschnitten von Ewigkeit und Leidenschaft reden - Gedanken sammeln sich hier, kehren zurück und Zufriedenheit strömt kalt durch die Lungen ins Blut. November. Schwerer Himmel. Stürme. Kälte und Ferne. Sehnsucht.

Mein kleines Herz, was tu ich dir nur an, was interessiert dich wohl die Welt, all der Dreck und all die Unruhe? Du bist sicher müde wie ich; hinter deiner dünnen Haut findet sich ein winziges Universum mit Welten und Meeren und kleinen Ländern, mit aufgeregt herumlaufenden Menschlein, mit Sonntagen und Zeitungen, voll von Leben und rauschenden Fabriken. Und es ist sicher nicht leicht, das alles zu bewegen jeden Tag.. Du mußt müde sein, mein kleines Herz.

Der Horizont platzt auf, ein Himmel wird sichtbar, schwarzer Wald und Wasser davor, die Augen fallen ins Ungewisse und schwerelose Träume tanzen unter Gottes großem Haus ein stilles Fest. Der sanfte Schläfer erhofft sich Erinnerung, doch es bleibt nur ein einziger, verwegener Stern, leuchtend wie ein Sommertag - einer von Millionen, der durch zerrissene Wolken den Mond anpöbelt und wirre Verse mag; ein einziger Stern nur, der durch die Steppe führt, der mich anlacht und mit mir weint, der die Tränen silber glänzen läßt und mich nach Hause bringt, wenn ich nach Hause will. Wo immer das auch ist.
 



 
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